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Umweltschutz durch Ablaßhandel?

Die Umweltökonomie ist heute eine wichtige Teildisziplin der Wirtschaftswissenschaften. Eine ihrer zentralen Fragen ist, welche Instrumente geeignet sein könnten, zwei auf den ersten Blick unvereinbare Ziele zu erreichen: den Schutz der Umwelt bei gleichzeitigem volkswirtschaftlichen Wachstum. Till Requate vom Interdisziplinären Institut für Umweltökonomie beschreibt die Vor- und Nachteile verschiedener umweltpolitischer Instrumente und stellt ein Regulierungssystem mit handelbaren Zertifikaten vor, von dem sowohl die Umwelt wie die Wirtschaft profitieren könnten.

Was haben Wirtschaftswissenschaftler mit Umweltschutz zu schaffen? Ist der Begriff "Umweltökonomie" nicht ein Widerspruch in sich, da doch Maßnahmen zum Schutze der natürlichen Umwelt in der Regel eher das Gewinnstreben von Unternehmungen und somit auch das Wachstum einer Volkswirtschaft behindern? In der Volkswirtschaftslehre geht es jedoch – entgegen verbreiteter Ansicht – nicht unmittelbar um die Maximierung von Firmengewinnen oder Wachstum. Im Zentrum des Interesses steht vielmehr das, was Wirtschaftswissenschaftler die "Wohlfahrt" einer Gesellschaft nennen. Dieser Begriff bezeichnet ein Maß für das Wohlergehen der Individuen einer Gesellschaft. Ein hohes Wirtschaftswachstum wird dabei oft – vielleicht zu oft – gleichgesetzt mit hohem Wohlergehen einer Gesellschaft. Dieses Vorgehen wäre, von Aspekten sozialer Ungleichheit einmal abgesehen, nur dann zulässig, wenn das Wohlergehen der Individuen ausschließlich von ihrem privaten Konsum abhinge. Begrifflich ausschlaggebend für das Wohlergehen eines Individuums sind neben seinem Einkommen jedoch vor allem seine Präferenzen. Diese beziehen sich nicht nur auf privaten Konsum, sondern auch auf Güter, die sich nicht auf Märkten kaufen lassen, insbesondere auf Quantität und Qualität der natürlichen Umwelt. Der Zusammenhang zwischen wirtschaftlichen Aktivitäten und der Beeinträchtigung der Umwelt muß damit automatisch zum Gegenstand wirtschaftswissenschaftlicher Betrachtungen werden.

Für lange Zeit bei den Finanzwissenschaften beheimatet, hat sich die Umweltökonomie in den letzten drei Jahrzehnten als eigene Teildisziplin der Wirtschaftswissenschaften etabliert. Vereinfachend lassen sich drei Grundprobleme dieser Disziplin ausmachen: die Frage nach der Feststellung und der ökonomischen Bewertung von Umweltschäden, die daraus resultierende Frage nach "optimalen" Niveaus von Umweltqualität beziehungsweise Umweltverschmutzung als Resultat einer Kosten-Nutzen-Analyse und schließlich die Frage nach geeigneten umweltpolitischen Instrumenten, um bestimmte umweltpolitische Ziele zu implementieren.

Umweltpolitische Instrumente lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen, in ordnungsrechtliche und sogenannte pretiale Instrumente (abgeleitet vom lat. pretium, der Preis). Erstere greifen in den Wirtschaftsprozeß durch Ge- und Verbote ein. Insbesondere verlangt das Ordnungsrecht, daß die Anlagen von schadstoffemittierenden Firmen bestimmten technischen Standards genügen – etwa der Einbau von Rauchgas-entschwefelungsanlagen bei Kraftwerken – und beim Ausstoß von Schadstoffen bestimmte Grenzwerte nicht überschreiten.

Kostenentwicklung

Pretiale umweltpolitische Instrumente liefern dagegen Anreize, Schadstoffe über Preise zu reduzieren. Dies kann geschehen, indem der Staat umweltverschmutzenden Firmen direkt einen Preis in Form einer Steuer oder einer Abgabe pro ausgestoßener Schadstoffeinheit (beispielsweise pro Tonne Schwefeldioxyd) abverlangt. Diese Idee ist Grundlage der in Deutschland zur Zeit heftig diskutierten Ökosteuer. Der Staat kann aber auch auf indirekte Weise für Preise sorgen, indem er eine Gesamtmenge an zulässigen Emissionen festlegt, zum Beispiel 500 000 Tonnen Schwefeldioxyd pro Jahr für ganz Deutschland, und diese dann in Form handelbarer Emissionszertifikate entweder an die Firmen kostenlos verteilt oder auf einer Auktion versteigert. Um eine Tonne Schwefeldioxyd ausstoßen zu dürfen, müßte ein Kraftwerk genau ein Zertifikat besitzen. Der Preis bildet sich dann gemäß Angebot und Nachfrage am Markt beziehungsweise an einer Börse. So werden beispielsweise in den Vereinigten Staaten Schwefeldioxyd-Zertifikate am "Chicago Board of Trade" gehandelt.

Vor allem Ökonomen haben die Idee pretialer umweltpolitischer Instrumente schon seit langer Zeit vorangetrieben und bevorzugen pretiale Instrumente gegenüber ordnungsrechtlichen. Der Grund hierfür findet sich vor allem in der ökonomischen Effizienz pretialer, beziehungsweise der notorischen Ineffizienz ordnungsrechtlicher Instrumente. Konkret ersparen pretiale Instrumente einer Volkswirtschaft erhebliche Kosten gegenüber Ge- und Verboten. Um dies zu sehen, vergegenwärtige man sich, daß unterschiedliche Firmen in der Regel unterschiedlich hohe Kosten aufwenden müssen, um eine weitere Schadstoffeinheit zu vermeiden.

Handelbare Umweltzertifikate

Firmen müssen jedoch bei ordnungsrechtlichen Instrumenten in der Regel denselben Grenzwerten genügen. Nehmen wir zum Beispiel an, eine Firma habe es 300 Mark gekostet, die letzte Tonne Schwefeldioxyd zu vermeiden, damit eine Emissionsobergrenze von 100 Tonnen eingehalten wird. Eine andere (in der Nähe gelegene) Firma mußte hingegen lediglich 100 Mark aufwenden, um die letzte Tonne zur Einhaltung derselben Emissionsobergrenze zu vermeiden. Da die Firmen nahe beieinander liegen, ist es für die Umweltqualität unerheblich, wenn die eine Firma eine Tonne mehr und die andere dafür eine Tonne weniger ausstößt. Würde man den Firmen nun handelbare Zertifikate von je 100 Tonnen zuteilen, so könnte die eine Firma der anderen anbieten, ihr ein Zertifikat für 200 Mark abzukaufen. Beide Firmen würden dadurch Kosten von je 100 Mark sparen. Nun sind die (Grenz-)Kosten der Vermeidung für eine weitere Tonne an Schadstoffen in der Regel um so größer, je größer die Vermeidungsanstrengung bereits ist. Daher wird ein weiterer Handel von Zertifikaten und damit eine Verschiebung des Schadstoffausstoßes von einer Firma zur anderen nur solange vorteilhaft für beide sein, bis sich die Grenzkosten der Vermeidung einander angeglichen haben. Am Prinzip gleicher Grenzvermeidungskosten bei allen Emittenden setzen pretiale umweltpolitische Instrumente an. Wenn ein Emittend von Schadstoffen einen Preis pro Einheit entweder in Form einer Steuer oder Abgabe oder durch Kauf eines Emissionszertifikats zahlen muß, so wird er solange Schadstoffe reduzieren, wie dies preiswerter ist, als die Steuer, die Abgabe oder den Zertifikatepreis zu zahlen. In der Sprache der Ökonomen heißt dies, daß eine Firma gerade so viel an Schadstoffen reduzieren wird, bis ihre Grenzvermeidungskosten gerade dem Steuer- oder Abgabensatz beziehungsweise dem Marktpreis für Zertifikate entsprechen.

Diese Überlegung widerlegt den populären Einwand, eine Steuer oder ein System handelbarer Zertifikate sei unfair, weil sich finanzkräftige Firmen so vom Umweltschutz freikaufen können. Eine auf Kostenminimierung bedachte Firma wird dies nicht tun, wenn sie durch die Vermeidung von Schadstoffen gegenüber dem Zahlen von Steuern oder dem Kauf von Zertifikaten Kosten spart. Kann man ein bestimmtes umweltpolitisches Ziel mit pretialen Instrumenten nun zu geringeren Kosten erreichen als mit ordnungsrechtlichen, so läßt sich umgekehrt ein besseres Umweltniveau zu gleichen volkswirtschaftlichen Kosten erreichen. Daher ist es wichtig, stets ein umweltpolitisches Instrumentarium zu wählen, das ein bestimmtes Emissionsziel zu möglichst geringen volkswirtschaftlichen Kosten erreicht.

Grenzvermeidungskosten

Neben dem geschilderten Vorteil statischer Effizienz pretialer Instrumente soll ein weiterer Aspekt erörtert werden, der unser eigenes Forschungsgebiet betrifft, nämlich deren langfristige oder dynamische Anreizwirkung. Was ist hiermit gemeint? Firmen ergreifen zum einen kurzfristige Maßnahmen, um Standards einzuhalten oder ihre Steuerlast zu reduzieren, zum Beispiel indem sie eine Rauchgasentschwefelungsanlage mehr oder weniger gut warten. Langfristig entscheiden sie aber darüber, ob sie überhaupt eine solche Anlage einbauen lassen, ob sie eine veraltete durch eine modernere ersetzen oder ob sie in neue Technologien investieren sollen. Die Art der Umweltpolitik beeinflußt diese Entscheidungen erheblich. Eine Aufgabe, der sich Wirtschaftswissenschaftler widmen, ist die Beantwortung der Frage, welche Art von umweltpolitischen Instrumenten hier die besten Anreize liefern. Hierbei sind die stärksten nicht unbedingt gleichbedeutend mit den besten Anreizen. Geforscht wird vielmehr nach solchen Anreizen, die volkswirtschaftlich zu einem möglichst effizienten Einsatz von knappen Ressourcen führen.

Hierzu muß zunächst eine geeignete Theorie darüber entwickelt werden, wie Nutzen und Kosten bestimmter Maßnahmen gegeneinander abzuwägen sind. Um zu quantitativen Aussagen zu kommen, bedienen sich Wirtschaftswissenschaftler mathematischer Werkzeuge. In dem beschriebenen Problem kommt es darauf an, zunächst eine Zielfunktion zu definieren, in der Kosten und Nutzen von Schadstoffvermeidung, aber auch andere ökonomisch relevante Größen in geeigneter Weise berücksichtigt werden. Daneben benötigt man auch Vorstellungen darüber, wie sich die wirtschaftlichen Akteure, vor allem Unternehmungen und Verbraucher, aber auch regulierende Behörden, beispielsweise Ordnungsämter und Ministerien, bei bestimmten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Parametern verhalten. Man trifft hier unter anderem die Standardannahme, daß sich Unternehmungen als Profitmaximierer beziehungsweise Kostenminimierer verhalten. Dieses Verhalten läßt sich in der Regel in Form von Gleichungen (Maximierungsbedingungen erster Ordnung) beschreiben. Wenn jedoch mehrere wirtschaftliche Akteure interagieren, wobei jeder das für ihn Beste herauszuholen versucht, ist nicht von vorneherein klar, welches Resultat dabei herauskommt und ob dieses auch gesellschaftlich erwünscht ist. Zur Analyse eines Systems mit mehreren Akteuren bedienen sich Wirtschaftswissenschaftler Methoden aus der Marktgleichgewichts- und Spieltheorie.

Die Marktgleichgewichtstheorie zieht man immer dann heran, wenn relativ viele Akteure, Produzenten und/oder Konsumenten auf einem Markt interagieren und wenn jeder einzelne Marktteilnehmer die Marktpreise nicht beeinflussen kann. In diesem Fall unterstellt man, daß ein Preismechanismus zum Ausgleich von Angebot und Nachfrage auf allen Märkten führt. Wenn jedoch nur wenige Akteure interagieren, etwa Ölproduzenten, die den Marktpreis durchaus beinflussen können, hat man es mit einem sogenannten Spiel zu tun. Unter einem Spiel verstehen Ökonomen eine Situation, in der verschiedene Akteure (die Spieler) simultan oder sequentiell strategische Entscheidungen treffen, wobei ihre "Auszahlungen" (bei Unternehmungen sind diese gleichzusetzen mit deren Gewinnen) nicht nur von den eigenen Entscheidungen, sondern auch von denen der anderen Spieler abhängen. Darüber hinaus sind sich die Akteure in einem Spiel über diese gegenseitigen Abhängigkeiten im klaren, und sie antizipieren je nach Informationsstruktur des Spiels die Entscheidungen der anderen Spieler. Dies wiederum hat Konsequenzen für die eigene Entscheidung. Um den Ausgang eines solchen Spiels vorherzusagen, bedient man sich des Begriffs des sogenannten Nash-Gleichgewichts – eine Kombination von Strategien, bei der die Strategie jedes Spielers eine für ihn beste Antwort auf die Strategien der anderen Mitspieler ist.

In der hier beschriebenen Situation spielen sowohl Marktgleichgewichte als auch spieltheoretische Gleichgewichte eine Rolle. In einem Industriesektor konkurriere eine große Anzahl von verschmutzenden Firmen miteinander. Dieser Wettbewerb mag auf den Konsumgütermärkten, aber auch auf einem Markt für Verschmutzungszertifikate stattfinden. Dieser verschmutzende Industriesektor unterliege dabei irgendeiner Form von Regulierung, beispielsweise einer Besteuerung von Emissionen. Daneben betreibe ein anderer Industriesektor, bestehend aus wenigen Firmen, Forschung und Entwicklung bezüglich neuer, umweltfreundlicher Technologien, die dann an die verschmutzenden Firmen verkauft werden. Der Profit einer forschenden Firma hängt dabei außer von den eigenen Anstrengungen auch von den Forschungsanstrengungen der Konkurrenten ab. Sind jene zum Beispiel schneller zu einer neuen Entdeckung gekommen, haben sie einen strategischen Vorteil. Die Profite der forschenden Firmen hängen aber auch von der Regulierungsart und der -intensität des Staates ab. Je höher zum Beispiel eine Umweltsteuer ausfällt, desto größer ist der Anreiz für die verschmutzenden Firmen, neue, weniger verschmutzende Technologien zu erwerben, um auf diese Weise Steuern zu sparen. Dies erhöht auch deren Zahlungsbereitschaft für die neue Technologie. Dieses antizipierend, können die forschenden Firmen um so höhere Preise für ihre neuen Produkte verlangen, je höher die Steuer ausfällt – vorausgesetzt, sie sind in ihrer Forschung erfolgreich. Dies aber heißt, daß die Art der Regulierung bezüglich des verschmutzenden Sektors auch Anreize für den Forschungssektor hat.

Dieser Mechanismus ist intuitiv sehr einleuchtend, ja, er erscheint fast trivial. Die Wirkungen bei anderen Formen der Regulierung, zum Beispiel durch handelbare Zertifikate, ist jedoch weniger offensichtlich. Dadurch, daß ein Teil der verschmutzenden Firmen neue Technologien erwirbt, sinkt der Marktpreis für Zertifikate, so daß die verbliebenen Firmen mit alten Technologien keinen so großen Anreiz mehr haben, selbst in neue Umwelttechnik zu investieren. Jene verhalten sich in gewisser Weise als "Trittbrettfahrer" der innovativen Firmen. Dies wiederum kann sich negativ auf die Anstrengungen des forschenden Sektors auswirken.

Man kann nun in der Tat (mathematisch) beweisen, daß in einem solchen Szenario Steuern zu stärkeren Investitions- und Forschungsanreizen führen als handelbare Zertifikate. Zumindest ist dies dann der Fall, wenn die Umweltziele genügend strikt sind. Das heißt: Der Emissionssteuersatz ist genügend hoch, beziehungsweise die Anzahl ausgegebener Zertifikate genügend knapp, und die Regierung kann nur schwerfällig auf Veränderungen, insbesondere auf das Investitionsgebaren der Industrie, reagieren, weil sie sich für einen relativ langen Zeitraum auf einen bestimmten Steuersatz oder – wie in den Vereinigten Staaten geschehen – auf eine bestimmte Zertifikatemenge festgelegt hat.

Sieht man von dem Forschungssektor einmal ab, so läßt sich diese Vorhersage in der Tat auch empirisch sehr gut stützen. So haben in Schweden nach Einführung einer Stickoxyd-Steuer nahezu alle Kraftwerke relativ schnell in stickoxydreduzierende Technologien investiert. Der Schadstoffausstoß ist so binnen zweier Jahre um zwanzig Prozent zurückgegangen, obwohl die Vermeidung von Stickoxyd verglichen mit der von Schwefeldioxyd relativ teuer ist. In den Vereinigten Staaten dagegen, wo der Schadstoffausstoß von Schwefeldioxyd seit 1993 durch die Ausgabe von Zertifikaten reguliert wird, haben viele Kraftwerke noch immer nicht in Rauchgasentschwefelungsanlagen investiert, obwohl der Schadstoff-ausstoß durch Ausgabe der Zertifikate gegenüber 1987 halbiert wurde. Der Hauptgrund besteht auch nach Aussage von Kraftwerksbetreibern darin, daß der Preis für Zertifikate mit derzeit etwa 100 Dollar so niedrig ist, daß sich die Investition in eine solche Anlage nicht lohnt.

Während nun nach der Einführung einer Steuer ein permanenter Anreiz besteht, weiter Kosten zu reduzieren, indem man in neue, noch schadstoffärmere Technologien investiert, wovon die Umwelt profitiert, besteht dieser dynamische Anreiz bei Zertifikaten und ordnungsrechtlichen Maßnahmen nur bedingt. Außerdem profitiert die Umwelt bei einem Zertifikatesystem im Gegensatz zu einer Emissionssteuer nicht vom Einsatz neuer schadstoffärmerer Technologien, da ja die Gesamtmenge an Zertifikaten und damit auch die Gesamtmenge an Schadstoffausstoß per Prinzip konstant bleibt.

Ein Plus für Ökosteuern?

Bedeutet diese Erkenntnis nun ein Plus für Ökosteuern? Und bestätigt sie den europäischen Argwohn gegenüber dem amerikanischen Weg der Regulierung über Zertifikate? Nicht unbedingt. Zum einen muß es volkswirtschaftlich gar nicht effizient sein, daß alle Betreiber einer bestimmten Branche in eine neue Technologie investieren. Es wäre beispielsweise unsinnig, alte Autos, die nur noch zwei Jahre laufen, mit einem Katalysator auszurüsten. In der Tat läßt sich auch innerhalb des oben beschriebenen theoretischen Modells zeigen, daß bei hohen Umrüstungkosten und nicht zu hohen Umweltschäden eine nur teilweise Umrüstung einer Industrie volkswirtschaftlich durchaus effizient sein kann. Darüber hinaus läßt sich zeigen, daß unter der Voraussetzung, daß der Staat nur relativ unflexibel auf Investitionen reagiert oder zu reagieren in der Lage ist und daß a priori die gleichen Umweltziele angepeilt werden, Steuern tendenziell zu Überinvestitionen, handelbare Zertifikate nach US-amerikanischer Art tendenziell zu Unterinvestitionen führen.

Welche Konsequenzen lassen sich aus diesen Erkenntnissen ziehen? Ist das Ordungsrecht pretialen umweltpolitischen Instrumenten doch überlegen, oder sind alternative Politikinstrumente denkbar? Zunächst läßt sich innerhalb des oben skizzierten Modells zeigen, daß auch das Ordnungsrecht keine optimalen Anreize zur Investition in neue schadstoffarme Technologien liefert. In der Tat lassen sich Mechanismen entwerfen, die das Über- beziehungsweise Unterinvestitionsproblem überwinden helfen. So haben amerikanische Ökonomen bereits vor Jahren ein flexibles System handelbarer Emissionszertifikate vorgeschlagen, bei dem die Anzahl der ausgegebenen Zertifikate nicht starr ist, sondern sich am Marktpreis orientiert.

Die Regierung beziehungsweise eine regulierende Behörde gibt dabei zunächst eine bestimmte Menge an Zertifikaten kostenlos an die Firmen aus. Stellt sich heraus, daß der Zertifikatepreis am Markt weit höher ausfällt als erwartet, werden weitere Zertifikate an die Firmen versteigert. Dies senkt den Preis und reduziert die Kosten für die Firmen, die für ihre Produktion auf Zertifikate angewiesen sind. Stellt sich dagegen heraus, daß – wie in den Vereinigten Staaten zeitweise zu beobachten – der Marktpreis unerwartet niedrig ist, Umweltschutz also billiger zu erreichen ist als erwartet, kauft die Regierung einige Zertifikate wieder vom Markt zurück, stützt so den Preis, liefert damit weiteren Firmen einen Anreiz, in schadstoffärmere Technologien zu investieren und entlastet die Umwelt.

Das oben skizzierte Modell war noch vergleichsweise einfach, und man mag sich fragen, ob es einer mathematischen Analyse bedarf, um zu den beschriebenen Ergebnissen zu kommen. Hier täuscht jedoch der Schein. Während einige Effekte relativ einfach aufgrund der Intuition nachvollziehbar sind, ist zum Beispiel der Wohlfahrtsvergleich verschiedener Politikinstrumente recht komplex. Die Analyse solch komplexer Industriestrukturen sowie die Wechselwirkung zwischen Umweltpolitik, Adaption neuer Technologien, Innovation und Forschung und Entwicklung ist einer der Forschungsgegenstände des Interdisziplinären Instituts für Umweltökonomie. Hierzu sind zunächst immer theoretische Überlegungen notwendig. Danach, beziehungsweise parallel dazu, müssen sowohl die an ein Modell gestellten Annahmen als auch die aus ihm logisch deduzierten Schlußfolgerungen empirisch überprüft werden. Halten Annahmen und Schlußfolgerungen einer empirischen Überprüfung stand, wäre es in einem letzten Schritt wünschenswert, die Parameter der in theoretischen Modellen auftauchenden Funktionen ökonometrisch zu schätzen, um quantitative Politikempfehlungen abgeben zu können.

Die Umsetzung neuer Formen der Regulierung ist dann nicht mehr allein die Sache der Ökonomie. Es müssen beispielsweise auch die rechtlichen Rahmenbedingungen beachtet werden. Hierzu ist es notwendig, daß Ökonomen und Rechtswissenschaftler zusammenarbeiten, um zu effizienten, machbaren und akzeptierten Formen der Umweltpolitik zu gelangen.

Autor:
Prof. Dr. Till Requate
Interdisziplinäres Institut für Umweltökonomie, Grabengasse 14, 69117 Heidelberg,
Telefon (0 62 21) 54 80 10

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