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Malaria – mit neuen Methoden gegen eine alte Geißel der Menschheit

300 Millionen Menschen erkranken Jahr für Jahr an Malaria, mehr als zwei Millionen sterben alljährlich an der Infektionskrankheit – vor allem Kinder unter fünf Jahren. Immer mehr breitet sich das quälende "Wechselfieber" aus: Derzeit ist fast die Hälfte der Weltbevölkerung infektionsgefährdet. Obwohl die Ärzte über verschiedene Medikamente verfügen, um die Malaria zu behandeln, sind neue Bekämpfungsstrategien dringend erforderlich, büßt doch ein Mittel nach dem anderen seine Schlagkraft ein. Katja Becker-Brandenburg und Heiner Schirmer vom Arbeitskreis Tropenmedizinische Forschung zeichnen ein Portrait der alten Menschheitsgeißel und schildern neue Ansätze auf dem Weg zu wirksamen Antimalariamitteln, die sich auch diejenigen Menschen leisten können, die am schwersten von dem Leiden betroffen sind.

"Spleen" nannten die Engländer seit Mitte des 18. Jahrhunderts eine psychophysische Krankheit, die Heimkehrer aus den Kolonien mitbrachten. Die Betroffenen hatten eine auffällig vergrößerte Milz (engl. spleen) und litten unter eigentümlichen Verstimmungszuständen. Das importierte Krankheitsbild wurde als Weltschmerz mit Vorahnungen des baldigen Niedergangs, als Bedrückung ob der Sinnlosigkeit des Lebens und als schwermütige Grundstimmung angesichts begrenzter eigener Möglichkeiten künstlerisch-sensibel interpretiert. Schriftsteller wie Charles Baudelaires (Le Spleen de Paris) und Oscar Wilde trugen zur Kultivierung dieses bedrückenden Lebensgefühls bei.

Hinter dem "Spleen" verbarg sich die Malaria – eine der größten Bedrohungen für die Gesundheit der Menschen. Derzeit sind vor allem das tropische Afrika, aber auch Südasien, Mittel- und Südamerika von der Krankheit betroffen. Fast die Hälfte der Weltbevölkerung ist infektionsgefährdet, 300 Millionen Krankheitsfälle werden jährlich registriert, mehr als zwei Millionen Menschen – vor allem Kinder unter fünf Jahren – sterben in jedem Jahr an der Krankheit.

Die Malariaerreger, winzige Parasiten der Gattung Plasmodium, werden durch den Stich weiblicher Anophelesmücken übertragen. Zur Krankheit kommt es, wenn sich die Parasiten in den Erythrozyten, den roten Blutkörperchen, des Menschen vermehren. Immer neue Erythrozyten werden während des ungeschlechtlichen Vermehrungszyklus der Erreger befallen. Nur ein geringer Teil der Parasiten entwickelt sich zu sogenannten Gametozyten, mit denen sich Anophelesmücken bei einer Blutmahlzeit infizieren können. Von den drei klassischen Formen der Malaria (Malaria tropica, Malaria tertiana und Malaria quartana) ist die Malaria tropica – nach ihrem Erreger auch Falciparum-Malaria genannt – die gefährlichste.

Das klinische Bild der Malaria ist bestimmt von heftigen Fieberschüben. Bei der Malaria tertiana kommt es an jedem dritten Tag zu hohem Fieber, bei der Malaria quartana an jedem vierten, bei der Malaria tropica ist das Fieber unregelmäßig. Die Fieberschübe entstehen, wenn die von den Malariaerregern befallenen Blutkörperchen platzen. Dabei gelangen zehn bis 20 Gramm Fremdprotein direkt in die Blutbahn. Somit ist die Malaria die Sepsis, die Blutvergiftung, schlechthin.

Die Fieberschübe beginnen mit stundenlangem Schüttelfrost. Dann folgt ein etwa zweistündiges Fieberplateau, anschließend entfiebert der Patient mit erschöpfenden Schweißausbrüchen. Ein solcher Schub kostet bis zu 5000 kcal. Dies und die Tatsache, daß die von Malariaerregern befallenen (parasitierten) Erythrozyten etwa 100mal soviel Glucose verbrauchen wie normale Zellen, kann zur lebensbedrohenden Erschöpfung der Energiereserven des Patienten führen.

Zum Krankheitsbild der Malaria gehören neben Fieber ein vernichtendes Krankheitsgefühl, Kopf- und Gliederschmerzen sowie eine ausgeprägte Vergrößerung der Milz. Die Milz ist das Organ, in dem die parasitierten Erythrozyten aus dem Blut abgefangen und zerstört werden. Sie muß daher große Entgiftungs- und Stoffwechselleistungen vollbringen. Bei chronischer Malaria – sie beruht auf ständigen Neuinfektionen – bleibt die Milz vergrößert.

Die schweren Komplikationen der Falciparum-Malaria sind darauf zurückzuführen, daß die Erreger in die äußere Hülle, die Membran, der roten Blutkörperchen "klebrige" Oberflächenproteine einbauen. Das befähigt die befallenen Erythrozyten, an bestimmten Strukturen zu haften, beispielsweise an Zellen, die die Innenwände kleiner Blutgefäße auskleiden. Auf diese Weise entgehen die in den Erythrozyten heranwachsenden Parasiten insbesondere der für sie tödlichen Passage durch die Milz. Wenn die von Plasmodien befallenen Erythrozyten in Blutgefäßen des Gehirns haften bleiben und diese verstopfen, kann es zur sogenannten zerebralen Malaria kommen. Diese Form der Krankheit äußert sich mit Halluzinationen und Bewußtseinsstörungen bis hin zum Koma, hinzu kommen Lähmungen und Krämpfe. Fünf Prozent der Kinder, die eine zerebrale Malaria überleben, leiden dauerhaft an neurologischen Schäden wie Halbseitenlähmung oder dem Verlust des Sprachverstehens. Aufgrund ihrer weiten Verbreitung ist die Malaria heute die bedeutendste neurologische Erkrankung der Welt.

Erythrozyten, die von Malariaerregern befallen sind, können sich bei schwangeren Frauen auch in der Plazenta festsetzen. Diese "Plazenta-Malaria" verursacht schwere Komplikationen; Mangelgeburten (small for date babies) sind die Regel. Vor allem, wenn es sich um die erste Schwangerschaft handelt, kann die Plazenta-Malaria zur Lebensgefährdung von Mutter und Kind führen.

Schließlich können parasitierte Erythrozyten auch gesunde rote Blutkörperchen verklumpen. Die Blutkörperchen gehen dabei zugrunde, was die sich oft sehr rasch entwickelnde Blutarmut (Anämie) bei Malaria tropica erklärt.

In Europa ist die Malaria seit den Hippokratischen Schriften, also seit 2500 Jahren, bekannt. Neben der evolutionsbiologischen ist deshalb auch ihre soziokulturelle Wirkungsgeschichte nachvollziehbar. In der Tat gibt es keine Krankheit, die einen stärkeren Einfluß auf das Erbgut (Genom), das Verhalten und die Geschichte der Menschen ausgeübt hätte. Zu betonen ist, daß die beim Menschen auftretenden Malariaformen tatsächlich nur beim Menschen und nicht bei anderen Wirbeltieren vorkommen. Was macht diese Krankheit so einzigartig?

Wahrscheinlich ist es die Tatsache, daß es im Gegensatz zu anderen Infektionskrankheiten wie Masern oder Pest keine dauerhafte und ortsunabhängige Immunität gegen das Leiden gibt. Man kann also im Laufe seines Lebens immer wieder an Malaria erkranken, fast so, als hätte man die Krankheit vorher nicht gehabt. Dies beruht vor allem auf der Fähigkeit der Parasiten, sich im Innern ihrer Wirtszellen zu vermehren und sich aufgrund des ständigen Wechsels der Oberflächen-Antigene den Abwehrstrategien des Immunsystems weitgehend zu entziehen. Ein Mensch ist deshalb auch nach vielen Infektionen nur gegen die Malariaerreger seiner engeren Heimat geschützt.

Aus der Perspektive der natürlichen Abwehrschwäche des Körpers gegenüber den Malariaerregern ist erklärlich, wieso die Entwicklung von Impfstoffen gegen diese Krankheit bisher enttäuschend verlief. Trotz intensiver Forschungsarbeiten ist ein entscheidender Beitrag zur Lösung des Malaria-Problems mit Hilfe eines Impfstoffs in absehbarer Zukunft nicht zu erwarten. Die Malariabekämpfung stützt sich deshalb vor allem auf die Erforschung der soziobiologischen Wechselwirkungen von Parasiten, Menschen und Mücken sowie auf die Aufklärung der Wirkmechanismen verschiedener Medikamente und der Gründe für den Verlust ihrer Wirksamkeit (Resistenzentwicklung).

Lebensstadien der Malariaerreger

Obwohl verschiedene Malariatherapeutika verfügbar sind, werden neue Bekämpfungsstrategien dringend benötigt. Der Grund ist, daß sich Resistenzen gegen die verwendeten Medikamente (vor allem gegen das Malariamedikament Chloroquin) rasch verbreiten und die geographische Ausdehnung der Krankheit zunimmt. Zur Zeit gibt es kein Präparat, das in allen Teilen der Welt vor Malaria schützt; die gegenwärtig vielversprechendste Substanz ist Artemisinin. Ist ein neues wirksames Malariamittel eingeführt, läßt sich bereits voraussehen, daß Plasmodium falciparum innerhalb von fünf Jahren gegen dieses Medikament resistent sein wird. Ferntourismus, Söldner-Truppeneinsätze und Kriege, aber auch Flucht und Vertreibung, tragen in tropischen Ländern wesentlich dazu bei, daß sich medikamenten-unempfindliche Erreger rasch ausbreiten. Die Weltgesundheitsorganisation hat mit dem Amtsantritt der neuen Präsidentin Gro Harlem Brundland im Jahr 1998 dem Programm zur Bekämpfung dieser Krankheit und den dafür notwendigen Strukturverbesserungen des Gesundheitswesens höchste Priorität gegeben. Auch der Arbeitskreis Tropenmedizinische Forschung Heidelberg (TMH) versucht, zur Lösung des Malariaproblems beizutragen. Diese Initiative – sie umfaßt universitäre Disziplinen wie Anthropologie, Biochemie, Gesundheitssystemforschung, Immunologie, Molekularbiologie, Wirkstoffdesign und Wirtschaftswissenschaften – wird seit nunmehr fünf Jahren als Forschungsschwerpunkt von Bund und Land gefördert; die Einrichtung eines Sonderforschungsbereichs der Deutschen Forschungsgemeinschaft wurde vor kurzem positiv begutachtet.

Ein besonders wichtiger Aspekt von Malaria-Medikamenten ist ihr Preis. Wenn wir von dringend benötigten neuen Malariamitteln sprechen, meinen wir Nachfolgepräparate des Chloroquins – eine Substanz, die lange Zeit zuverlässig gegen alle Arten von Malaria wirkte, tolerierbare Nebenwirkungen hat und vor allem erschwinglich ist. Ebenso erschwinglich sollten neue Medikamente sein: nicht nur für die wenigen Reichen, die von der Malaria bedroht sind, sondern auch für all diejenigen Menschen, bei denen Kosten für Heilmittel jenseits von Pfennigbeträgen eine Utopie sind.

Wegweiser für neue Medikamente

Der einzelne Mensch entwickelt keinen dauerhaften Immunschutz gegen die Malaria. Dennoch gibt es einen biologischen Schutz gegen die Krankheit, und zwar durch unterschiedliche Ausstattungen (Genpolymorphismen) der roten Blutkörperchen. In Gegenden oder zu Zeiten, in denen die Malaria nicht vorkommt, haben die Träger dieser veränderten Gene nur Nachteile: Sie leiden an erblichen Krankheiten der Erythrozyten, beispielsweise Sichelzellanämie und Thalassämien – chronischen, nicht selten lebensbedrohlichen Erkrankungen, von denen weltweit mehr als 100 Millionen Familien betroffen sind.

Für die häufigsten Erythrozyten-Erkrankungen gibt die Malariahypothese eine interessante Antwort auf die wissenschaftliche Frage, weshalb gerade beim Menschen vererbbare Krankheiten so häufig sind. Diese Hypothese besagt, daß die "krankmachenden" Gene durch zufällige Veränderungen (Mutationen) entstanden und über Hunderte von Generationen erhalten geblieben sind, weil sie gegen eine schwere äußere Bedrohung innerhalb des Lebensraumes der Menschen – die Infektionskrankheit Malaria – schützen. Auch bei bakteriellen Krankheiten wie Cholera und Tuberkulose sind solch schützende Genpolymorphismen wirksam.

Allen ererbten Erythrozytenkrankheiten scheint nach unseren Analysen eines gemeinsam: Bei einer Malariainfektion sind die Parasiten einem verstärkten oxidativen Streß – einer Attacke durch Peroxide und ähnlich reaktionsfreudige Sauerstoffverbindungen – ausgesetzt. Auch andere Schutzmechanismen gegen die Malaria – beispielsweise die Superoxid- und Stickoxidsynthese in weißen Blutkörperchen oder bestimmte Substanzen aus der Saubohne Vicia faba und anderen subtropischen Nährpflanzen – führen zu hohem oxidativem Streß. Diese Beobachtungen legen nahe, den oxidativen Streß als chemotherapeutisches Prinzip gegen Malaria zu postulieren. Ziel unserer Arbeiten ist es demnach, die vor Malaria schützenden Mechanismen der erblichen Erythrozytenkrankheiten durch Medikamente nachzuahmen – vorübergehend, für die Dauer der Malariagefährdung oder -therapie.

Die Bemühungen richten sich darauf, bestimmte Enzyme in den parasitierten Erythrozyten zu hemmen. Diese Enzyme bilden in der Zelle ein "Roboterteam", das Antioxidantien wie Vitamin E, C und A oder Glutathion – das wichtigste Antioxidans der Zelle – in aktiver Form hält und somit den oxidativen Streß auffängt. Wir konzentrieren uns auf den "Vorarbeiter" dieses Teams, die Glutathionreduktase, abgekürzt "GR". Dieses Enzym ist in Malariaparasiten sehr aktiv. Wird dieser "Miniatur-Roboter" in den Erythrozyten und/oder im Parasiten durch ein Medikament ausgeschaltet oder gar zu einem peroxidproduzierenden Enzym umfunktioniert, stirbt der Parasit am oxidativen Streß. Bei der Suche nach Hemmstoffen (Inhibitoren) der Glutathionreduktase als Antimalariamittel stützen wir uns auf die Methoden des Wirkstoffdesigns, einer jungen Disziplin der Medikamentenentwicklung.

Rationales Design von Wirkstoffen

Früher beruhte die Entwicklung neuer Medikamente fast ausschließlich auf Zufallsbeobachtungen (wie bei der Entdeckung des Penicillins), auf der Isolierung des wirksamen Prinzips aus Heilpflanzen (wie bei Artemisinin) oder auf der systematischen Prüfung möglichst vieler synthetischer Verbindungen, wie es bespielsweise beim Malariamittel Mefloquin (Lariam) der Fall war. Das in der Volksrepublik China entwickelte Artemisinin und das in den Forschungslaboratorien der Armee der Vereinigten Staaten entwickelte Mefloquin sind die zur Zeit zuverlässigsten Malariamittel. Wie bei fast allen Medikamenten, die auf diesen empirischen Wegen entdeckt wurden, ist der Wirkmechanismus von Artemisinin und Mefloquin unbekannt.

Mitte der 70er Jahre eröffnete sich ein zusätzlicher Weg zur Medikamentenentwicklung: das Drug- oder Wirkstoffdesign. Drugdesign bedeutet die Anwen- dung biomolekularer Erkennungsmechanismen auf chemotherapeutische Probleme. Der erste Schritt dabei ist immer, die dreidimensionale Struktur eines Proteins oder eines anderen Makromoleküls, das für einen Krankheitserreger oder einen Krankheitsprozeß bedeutend ist, aufzuklären. Am Computermodell dieses Zielmoleküls – in unserem Fall des Enzyms Glutathionreduktase – werden dann chemische Hemmstoffe gezielt modelliert.

Die entsprechenden Substanzen werden anschließend im Labor hergestellt, auf ihre Wirksamkeit als Arzneimittel getestet und gegebenenfalls verbessert. Zu den bisherigen Erfolgen des Wirkstoffdesigns gehören beispielsweise das Medikament Captopril und andere sogenannte ACE-Hemmer, die für die Behandlung des Bluthochdrucks wichtig sind. Auch die Substanz Guanidinoglykal – sie richtet sich gegen ein Enzym des Grippevirus – ist mit den neuen Methoden des Wirkstoffdesigns entwickelt worden.

Wie aber wird die Struktur eines Proteins mit seinen Zehntausenden von präzise angeordneten Atomen sichtbar? Voraussetzung dafür ist, daß sich das Protein in geeigneter Form kristallisieren läßt. Mit Hilfe der Methoden der Röntgenstrahl-Beugungsanalyse kann dann in einem einzelnen Kristall die Struktur des Proteins ermittelt werden.

Beim Enyzm Glutathionreduktase erfolgte diese Analyse gemeinsam mit Professor Georg E. Schulz, jetzt Universität Freiburg. Die Strukturaufklärung zeigte, daß das Protein aus zwei identischen Molekülen besteht. Diese beiden Untereinheiten arbeiten zusammen, wenn das Enzym seine Arbeit als Miniroboter verrichtet. Bei 20 000 000facher Vergrößerung – ein Mensch wäre in diesem Modell ein Riese, der die Erde am Äquator umarmen könnte, so daß sich seine Fingerspitzen berühren – ist ein solches Molekül etwa so groß, daß es einen Computer-Bildschirm ausfüllt. Jetzt kann man es aus allen Richtungen und in jedem Detail betrachten. Das Molekül besteht aus zwei Ketten, in denen jeweils 500 Aminosäuren mit insgesamt 7500 Atomen die Kettenglieder bilden. Diese Ketten sind in sich und miteinander kunstvoll verschlungen. Auf diese Weise bildet sich eine einzigartige filigrane Skulptur – die funktionelle Struktur der Glutathionreduktase.

Das größte Wunder aber ist, daß die langen Aminosäurenketten ohne fremde Hilfe überhaupt zueinanderfinden. Sie haben die erstaunliche Fähigkeit, sich selbst zu organisieren: Sobald die langen Ketten entstanden sind, falten sie sich eigenständig und in Sekundenschnelle zu ihrer dreidimensionalen Form.

Um die Glutathionreduktase beeinflussen zu können, haben wir mit biochemischen Methoden analysiert, wie das Enzym arbeitet. Das Molekül läßt sich mit einem molekularen Roboter am Fließband des Zell-Stoffwechsels vergleichen, der immer die gleichen Arbeitsgänge wiederholt: Er greift ein Werkstück, das NADPH, und entnimmt ihm zwei Elektronen. Diese Elektronen überträgt er auf ein zweites Werkstück, das Glutathiondisulfid. Dadurch wird das Glutathiondisulfid in zwei gleiche Produkte – zwei Glutathionthiole – zerlegt. Der Arbeitsgang des Miniroboters ist jetzt beendet. Er greift sich nun ein neues elektonenreiches NADPH und beginnt seinen Arbeitszyklus von vorn. Ein Vitamin, das gelbe Riboflavin, ist Bestandteil des Miniroboters und für den erfolgreichen Transport der Elektronen mitverantwortlich. Die Glutathionreduktase ist somit eines der wenigen Enzyme, bei dem sowohl die chemische Struktur als auch die einzelnen Arbeitsschritte zur Übertragung der Elektronen bekannt sind. Diese Detailkenntnis nutzen wir, um Moleküle zu entwerfen, die den molekularen Roboter gezielt ausschalten oder blockieren.

Der verlustfreie Transport der Elektronen über mehrere Stafetten fasziniert auch Computerfachleute. Sie hoffen auf dieses Enzym als Bestandteil eines "Biochips" – der vieldiskutierten nächsten Revolution in der Computertechnologie. Die Mediziner hingegen erkennen in den verschiedenen Arbeitsschritten des Enzyms mögliche Angriffspunkte für Medikamente. Substanzen, welche die Glutathionreduktase hemmen, sind bereits bekannt, zum Beispiel Carmustin (BCNU), ein in der Klinik häufig verwendetes Zytostatikum, oder verschiedene Stickstoffmonoxid(NO)-Trägermoleküle. Um herauszufinden, wo der Angriffsort der Hemmstoffe genau liegt und welche Veränderung sie bewirken, kann man die Glutathionreduktase zusammen mit dem Hemmstoff kristallisieren. Mit Hilfe der Röntgenbeugungsanalyse wird anschließend festgestellt, wo und wie sich das Molekül verändert hat. Die Kristallisation der Glutathionreduktase kann entweder im Labor oder – wie im November 1998 von uns gezeigt – unter Bedingungen minimierter Schwerkraft in einem Space Shuttle erfolgen.

Wie kann man all diese Informationen über das GR-Molekül nutzen, um chemische Hemmstoffe zu entwickeln, die dem Mikroroboter in der Zelle gleichsam die Hände binden? Besonders elegant wäre es, das Molekül an seiner Selbstmontage – der korrekten Faltung der Aminosäurenketten – zu hindern. Was dann übrig bliebe, wären funktionslose lange Fäden.

Um das zu bewerkstelligen, tauscht man zunächst mit Hilfe gentechnischer Methoden einzelne Bestandteile des Roboters aus. So kann man herausfinden, welche Bauteile für seine Tätigkeit unverzichtbar sind. Dann versucht man, genau diese Funktionsbereiche mit Hilfe maßgeschneiderter chemischer Substanzen zu hemmen. Der erfahrene Chemiker sitzt dazu vor dem Computerbild des Enzyms wie vor einer Skulptur. Er entwirft chemische Strukturen, die wie ein Schlüssel zum Schloß zu wichtigen funktionellen Bereichen des Enzyms passen. Danach stellt er im Labor die am Computerbildschirm ermittelten Verbindungen her und testet, ob sie das Enzym tatsächlich in seiner Arbeit behindern. Anschließend wird der Hemmstoff zu einem Medikament optimiert.

Glatathionreduktase

Dieses allgemeine Prinzip wurde auf die Glutathionreduktase angewendet. Betrachtet man die Struktur des Enzyms genau, fallen zwei zentrale Säulen – zwei Helices – auf. Sie halten die beiden Untereinheiten des Enzyms zusammen. Da die Untereinheiten – also jeweils die Hälften des Roboters – alleine nicht arbeiten können, haben wir chemische Substanzen nachgebaut, die den Aufbau der beiden Helices nachahmen. Diese Substanzen, sogenannte Peptidmimetica, verhindern, daß sich die beiden Helices zweier Enzymuntereinheiten finden und die Bildung der korrekten Enzymstruktur in Gang setzen können.

Unterhalb der strukturbildenden Helices befindet sich zwischen den beiden Untereinheiten des GR-Moleküls eine große wassergefüllte Höhle. Ihre biologische Funktion ist bislang ein Geheimnis. Es hat sich aber gezeigt, daß typische pharmazeutische Grundkörper – beispielsweise dreikernige Isoalloxazine oder Phenothiazine – die Höhle besetzen und ausfüllen können. Durch Pharmaka kann also die "Hardware" des Enzym-Roboters verbogen werden, so daß er die Elektronen nicht mehr vom NADPH zum Glutathiondisulfid durchreichen kann.

Die erfolgreichen Experimente mit den Isoalloxazinen führten dazu, eine chemisch verwandte Substanz, Methylenblau (TMT), als Wirkstoff gegen die Glutathionreduktase des Malariaerregers zu testen. Auch Methylenblau paßt in die Höhle zwischen den beiden Untereinheiten. Aber Methylenblau ist nicht irgendeine Substanz: Es handelt sich um das erste Chemotherapeutikum der Geschichte; es war und ist Leitsubstanz für die Entwicklung zahlloser Medikamente. Bereits im Jahr 1891 wurde TMT von Paul Ehrlich und Paul Guttmann als Malariamittel verwendet. Methylenblau hemmt die in menschlichen Zellen vorkommende Glutathionreduktase nur wenig – die Glutathionreduktase der Malariaerreger dafür um so mehr.

Mit Hilfe computergestützter Molekülmodellierung wurde gemeinsam mit Wilhelm von der Lieth, Deutsches Krebsforschungszentrum, Heidelberg, die Wechselwirkung von Methylenblau mit der Glutathionreduktase untersucht. Es zeigte sich, daß die von Methylenblau besetzte Höhle des GR-Moleküls durch zwei Kanäle mit den aktiven Zentren der beiden Enzymuntereinheiten verbunden ist. Aufgrund dieser Erkenntnis können nun einzelne chemische Gruppierungen des Hemmstoffes so verändert werden, daß er im idealen Fall keine Wechselwirkungen mit anderen Molekülen im Körper des Patienten eingeht. Der Hemmstoff wird also buchstäblich maßgeschneidert. Ein derart zielgerichtet entwickeltes Medikament wirkt bereits in sehr niedrigen Dosen und hat deshalb nur wenig Nebenwirkungen.

Im Falle des Methylenblau liegt es nahe, ein TMT-Molekül mit zwei chemischen "Zöpfen" zu synthetisieren, die sich durch die beschriebenen Kanäle fädeln. Am freien Ende jedes Zopfes sitzt eine reaktive chemische Gruppe – beispielsweise eine Nitrosogruppe – welche mit dem aktiven Zentrum der GR reagiert. Eine solche dreiköpfige Substanz würde die Elektronenströme im Miniroboter unwiderruflich blockieren.

Doch Methylenblau ist nicht nur eine Leitsubstanz für das Design und die Entwicklung optimierter GR-Hemmstoffe. TMT ist bereits von Hause aus sehr gut gegen Malaria wirksam; die Substanz geriet jedoch nach 1960 als Antimalariamittel in Vergessenheit. Immer noch ist Methylenblau aber das Mittel der Wahl, um akute Vergiftungen mit Nitrit und ähnlich wirkenden Substanzen zu behandeln. Die bekannteste Nebenwirkung von TMT ist eine vorübergehende Blauverfärbung des Urins.

Unter den zahlreichen günstigen Eigenschaften des Medikaments ist die wichtigste, daß es erschwinglich ist. Denn die Malaria führt die Menschen zur Armut und hält die Armen in Armut. Die für die Malariatherapie benötigte Substanzmenge an TMT kostet pro Patient etwa 20 Pfenning – das ist der Betrag, den man im Zuge der Globalisierung des Elends noch für realistisch hält, um ein Menschenleben zu retten oder der lebenslangen Behinderung eines Kindes vorzubeugen. Da TMT klinisch bereits sehr gut getestet ist und jetzt auch (s)ein Zielmolekül in den Malariaerregern bekannt ist, würden die hohen Kosten von rund 300 Millionen Dollar und die großen Zeitspannen (etwa vier Jahre pro Arzneimittel) für eine neue Medikamentenprüfung größtenteils entfallen. Somit könnten das an sich billige TMT und seine Derivate – wie seinerzeit das ebenfalls preisgünstige Chloroquin – vielen, vielleicht sogar allen Malariapatienten zugute kommen. Den häufig genannten Einwand, daß Medikamente, die keinen Profit versprechen, erst gar nicht entwickelt werden, halten wir für inhuman und oberflächlich. Mit Gro Harlem Brundtland, der neuen WHO-Präsidentin, vertrauen wir da-rauf, daß die eigentlichen Motive von Investoren und Entscheidungsträgern oft nicht nur edler, sondern auch stärker sind als vordergründige Kapitalstrategien.

Autoren:
Priv.-Doz. Dr. Katja Becker-Brandenburg, Prof. Dr. R. Heiner Schirmer
Biochemie-Zentrum der Universität Heidelberg (BZH) und Arbeitskreis Tropenmedizinische Forschung, Im Neuenheimer Feld 328, 69120 Heidelberg,
Telefon (06221) 54 41 75

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