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Blitzschnelle Boten

Um Informationen von Zelle zu Zelle weiterzugeben, hat der Körper verläßliche Boten, zum Beispiel Hormone wie das Insulin. Auch Nervenzellen benutzen solche Botenstoffe, Neuropeptide. Leider haben sie jedoch einen entscheidenden Nachteil, sie können nur im Zellkörper synthetisiert werden. Doch die Synapsen, der Ort, wo Botenstoffe zur Informationsübermittlung gebraucht werden, ist in manchen Neuronen so weit vom Zellkörper entfernt wie ein 300 Meter großer Krater auf dem Mond vom Heidelberger Stadtgebiet. Die Nervenzelle hat dieses Problem durch einen genialen Trick gelöst, nämlich die Verwendung von Neurotransmittern als Botenstoffe und der synaptischen Vesikel als Postauto. Wie Nervenzellen Neuropeptide auf die weite Reise zur Synapse schicken, und wie synaptische Vesikel entstehen, erforschen Wieland Huttner und seine Arbeitsgruppe in der Neurobiologie.

Unsere Körperzellen sortieren und verteilen die von ihnen synthetisierten Proteine durch Mechanismen, die dem Zustellsystem der Post ähneln. So präzise dieses intrazelluläre Zustellsystem mit seinen den gelben Postautos vergleichbaren Membranvesikeln auch arbeitet, es stellt die komplizierteste Zelle unseres Körpers, die Nervenzelle mit ihren bis zu einem Meter langen Zellfortsätzen, vor erhebliche Transportprobleme. Denn die chemischen Botenstoffe, die Neurotransmitter, mit denen die Nervenzelle die von ihr verarbeitete Information an die nachgeschalteten Nervenzellen weitergibt, werden auch in solchen Membranvesikeln gespeichert. Doch der Ort innerhalb einer Nervenzelle, an dem diese Vesikel ihre Neurotransmitter zur Informationsweitergabe in den Extrazellulärraum ausschütten, die sogenannte Präsynapse, ist in manchen Neuronen so weit vom Zellkörper entfernt wie ein 300 Meter großer Krater auf dem Mond vom Heidelberger Stadtgebiet. Wie löst die Zelle das Problem, daß die Proteinbausteine für die Membranvesikel nur im Zellkörper hergestellt werden können, aber ein auf Vesikeln basierendes Speicher- und Ausschüttungssystem für die Botenstoffe in so weiter Entfernung vom Zellköper funktionieren muß - und das auch noch in Bruchteilen von Sekunden? Bevor wir uns der Antwort auf diese Frage zuwenden, müssen wir uns zunächst mit der Struktur von Nervenzellen, den von ihr benutzten Botenstoffen und den Vesikeln befassen, in denen diese gespeichert sind.

Die rund 100 Milliarden Nervenzellen des menschlichen Gehirns sind nach einem außerordentlich komplexen Bauplan miteinander verschaltet. Zwei Arten von Nervenzellfortsätzen spielen hierbei eine zentrale Rolle. Die Dendriten empfangen Signale und sind quasi die Antennen eines Neurons, die Axone leiten Signale in Richtung nachgeschaltete Nervenzellen und sind gewissermaßen der Sender eines Neurons. Die Verschaltung von Nervenzellen miteinander erfolgt durch hoch spezialisierte Zell-Zell- Kontakte, die sogenannten Synapsen, an denen die Information von einem Neuron zum nächsten übertragen wird. Im typischen Fall kontaktiert das Axonende eines signalgebenden Neurons, die Präsynapse, einen spezifischen Abschnitt des Dendriten einer signalempfangenden Nervenzelle, die Postsynapse. Aufgrund der zahlreichen Verästelungen und Verzweigungen sowohl der Dendriten - ihr Name leitet sich von dem altgriechischen Wort für ,Baum" her - als auch der Axone bilden die meisten Neurone eine Vielzahl von Synapsen mit anderen Nervenzellen, manche gar mehrere tausend.

Die Informationsübertragung an den Synapsen wird in der Regel durch chemische Botenstoffe, die Neurotransmitter, vermittelt, während die Informationsverarbeitung innerhalb einer Nervenzelle primär ein elektrisches Phänomen ist. Der von der Präsynapse eines vorgeschalteten Neurons ausgeschüttete Neurotransmitter löst über die in der Postsynapse lokalisierten Ionenkanäle ein elektrisches Signal aus, das postsynaptische Potential, das entweder stimulierend oder hemmend ist. Die vielen postsynaptischen Signale, die jede einzelne Nervenzelle empfängt, werden im Zellkörper aufsummiert, wobei das Ergebnis der Summation darüber entscheidet, ob - und wenn ja, wie oft - die Nervenzelle ein Signal aussendet. Diese am Zellkörper gebildeten ,Aktionspotentiale" wandern mit hoher Geschwindigkeit entlang des Axons und seiner Endverzweigungen in die Präsynapsen, wo sie wiederum die Ausschüttung eines Neurotransmitters bewirken, der die Signale auf die Postsynapsen der nachgeschalteten Nervenzellen überträgt.

Die Ausschüttung von Neurotransmittern an den Synapsen ähnelt der Freisetzung von Hormonen durch die endokrinen Zellen unseres Körpers. Wenn zum Beispiel nach einer Mahlzeit der Blutzuckerspiegel ansteigt, ist dies das Signal für die sogenannten Betazellen der Bauchspeicheldrüse, das Peptidhormon Insulin ins Blut abzugeben, was schließlich zu einer Senkung des Blutzuckerspiegels führt. Insulin ist nur eines der vielen verschiedenen Peptidhormone, welche die diversen endokrinen Zellen unseres Körpers als chemische Botenstoffe zur Steuerung mannigfaltiger Körperfunktionen einsetzen. Auch Nervenzellen produzieren Peptide, die als Neuropeptide bezeichnet werden und zu denen zum Beispiel die körpereigenen Opiate gehören. Neuropeptide erfüllen als Botenstoffe bei der Kommunikation zwischen Nervenzellen viele wichtige Funktionen, von denen später noch die Rede sein wird. Doch bei der Signalübertragung von der Prä- zur Postsynapse, die weniger als eine Millisekunde benötigt, spielen Neuropeptide nur eine sekundäre Rolle; nicht sie sind die Überträgersubstanzen, sondern ,klassische" Neurotransmitter wie zum Beispiel Azetylcholin. Zwar können Neuropeptide die Funktion von Ionenkanälen indirekt beeinflussen, aber bis heute ist kein Ionenkanal bekannt, der direkt, das heißt durch Anlagerung eines Neuropeptids, geöffnet wird. Warum die Nervenzelle Moleküle wie Azetylcholin als Neurotransmitter verwendet, und nicht Peptide, die sich doch als Botenstoffe hervorragend bewährt haben, wird klar, wenn wir uns deren Biosynthese vor Augen halten.

Neuropeptiden und Peptidhormonen ist gemeinsam, daß sie - häufig in Form größerer Proteinvorläufer - intrazellulär im rauhen endoplasmatischen Retikulum synthetisiert werden, anschließend in den Golgi-Komplex gelangen, dort in Sekretgranula verpackt und auf ein Signal hin durch Verschmelzen der Sekretgranula mit der Zellmembran in den Extrazellulärraum freigesetzt werden. Die mit Neuropeptiden gefüllten Sekretgranula sind aber nicht die einzigen Membranvesikel, die der Golgi-Komplex einer Nervenzelle herstellt. Dort entstehen auch Transportvesikel, die neu synthetisierte Ionenkanäle vom Zellkörper in die Postsynapsen der Dendriten oder in die präsynaptischen Axonendigungen befördern. Ferner produziert eine Nervenzelle neben Neuropeptiden auch andere sekretorische Proteine, die im Golgi- Komplex nicht in Sekretgranula, sondern in eben diese Transportvesikel verpackt werden. Damit stellt sich eine Schlüsselfrage: Wie bewerkstelligt die Nervenzelle die korrekte Verpackung der Neuropeptide beziehungsweise ihrer Vorläufer in Sekretgranula und nicht in Transportvesikel, während andere, ,unerwünschte" sekretorische Proteine vom Inneren der Sekretgranula ausgeschlossen werden? Man stelle sich einmal vor, was geschähe, wenn die Nervenzelle bei diesem Sortiervorgang Fehler machte. Wenn beispielsweise ein an bestimmten Synapsen für die Steuerung von Gemütszuständen wichtiges Neuropeptid in den relevanten Nervenzellen nicht in Sekretgranula verpackt würde und deshalb nicht in die vorgesehenen Axonendigungen gelangte, sondern ,aus Versehen" über Transportvesikel in die Dendriten, wo es nutzlos wäre oder sogar Unheil anrichten könnte!

Bei der Suche nach dem Mechanismus, über den Neuropeptide und ihre Vorläufer im Golgi-Komplex von anderen sekretorischen Proteinen getrennt und selektiv in Sekretgranula verpackt werden, gingen wir, wie die meisten anderen Wissenschaftler auch, ursprünglich davon aus, daß spezifische, in den Neuropeptiden vorhandene Signale sowie signalerkennende Rezeptoren eine entscheidende Rolle spielen würden. Durch die Arbeiten von Eric Chanat und Hans-Hermann Gerdes, die bis 1990 am EMBL und anschließend in der Neurobiologie der Universität Heidelberg durchgeführt wurden, wissen wir heute, daß dies nur ein Teil der Wahrheit ist: Ein Schlüsselschritt bei der Sortierung von Neuropeptiden besteht darin, daß sie aufgrund des leicht sauren Milieus im Innern des Golgi-Komplexes sowohl miteinander als auch mit anderen, für Sekretgranula bestimmten Proteinen aggregieren. Diesen Vorgang kann man sich ungefähr so vorstellen, als ob man Zitronensaft in ein Gemisch aus Tee und Milch träufelt; die Milchproteine werden unlöslich und verklumpen miteinander zu großen Flocken. Die Aggregation im Milieu des Golgi-Komplexes ist eine spezifische Eigenschaft der Neuropeptide. Andere, in Sekretgranula ,unerwünschte" sekretorische Proteine werden von den sich bildenden Aggregaten ausgeschlossen. Durch diese Selektivität wird die Aggregation zu einem entscheidenden Schritt beim Sortieren von Neuropeptiden. Denn wenn die membranumhüllten Aggregate vom Golgi-Komplex abknospen, bleibt die flüssige Phase mit den löslichen, ,unerwünschten" Proteinen zurück: Ein Sekretgranulum mit spezifischem Inhalt, hoch angereichert mit Neuropeptiden, ist entstanden.

Damit hat die Nervenzelle zwar die Aufgabe, Neuropeptide in die richtigen Membranvesikel zu sortieren, elegant gelöst, doch als Überträgersubstanzen für die Signalweitergabe an der Synapse sind Neuropeptide mit einem entscheidenden Nachteil behaftet, gerade weil es sekretorische Proteine sind. In Nervenzellen ist das rauhe endoplasmatische Retikulum, der erwähnte Syntheseort für sekretorische Proteine, auf den Zellkörper beschränkt: Das Axon enthält kein rauhes endoplasmatisches Retikulum. Das bedeutet, jedes einzelne Neuropeptidmolekül, das an einer Präsynapse als Botenstoff freigesetzt werden soll, muß zuerst im Zellkörper des Neurons synthetisiert, im ebenfalls auf den Zellkörper beschränkten Golgi-Komplex in Sekretgranula verpackt und anschließend in diesen Vesikeln zu den Präsynapsen transportiert werden. Aber dieser Transportweg ist weit, in manchen Nervenzellen beträgt er das rund 50000-fache des Durchmessers des Zellkörpers! Schlimmer noch, jedes der im Zellkörper gebildeten Sekretgranula kann an der Präsynapse nur ein einziges Mal verwendet werden, sprich mit der Zellmembran verschmelzen und seine Neuropeptide ausschütten, dann müßte die leere Membranhülle des Sekretgranulums die weite Reise zurück zum Zellkörper antreten, um mit frischem Neuropeptidinhalt gefüllt zu werden. Zwar besitzen Nervenzellen Mechanismen, um Sekretgranula mit hoher Geschwindigkeit durch das Axon zu bewegen - vergleichbar einem Menschen, der mit der Geschwindigkeit eines Rennboots im Wasser schwimmen würde. Doch es liegt auf der Hand, daß für die Signalübertragung an der Synapse, die im Millisekundenbereich erfolgt und sich ständig wiederholt, Neuropeptide als Überträgersubstanzen und Sekretgranula als deren Speicher äußerst problematisch sind. Die Nervenzelle hat dieses Problem durch eine geniale Doppelerfindung gelöst: Sie verwendet Nicht-Peptidsubstanzen als Neurotransmitter und speichert sie in Vesikeln, die in der Präsynapse lokal regenerierbar sind, die synaptischen Vesikel. Als Überträgersubstanzen benutzt die Nervenzelle Moleküle, die entweder in der Präsynapse ohnehin vorhanden sind oder dort relativ leicht synthetisiert werden können. Hierzu zählen die Aminosäuren Glyzin und Glutamat, die vom Glutamat abgeleitete g- Aminobuttersäure und das Azetylcholin. Diese ,klassischen" Neurotransmitter werden, ebenso wie Neuropeptide, hochkonzentriert in Membranvesikeln gespeichert. Während jedoch Neuropeptide beziehungsweise ihre Vorläuferproteine nur im rauhen endoplasmatischen Retikulum, also im Zellkörper, in den sekretorischen Weg eintreten, werden ,klassische" Neurotransmitter vor Ort, das heißt in der Präsynapse, in das Innere der synaptischen Vesikel gepumpt, weil deren Membran dafür spezialisierte Aufnahmesysteme besitzt. Durch die Verwendung ,klassischer" Neurotransmitter und ihre direkte Aufnahme in synaptische Vesikel verliert die Präsynapse also die Abhängigkeit vom Zellkörper, wie sie im Fall von Neuropeptiden besteht.

Wie vorteilhaft diese Unabhängigkeit ist, wird deutlich, wenn wir uns der Kardinalfrage zuwenden: Was geschieht mit der Membran der synaptischen Vesikel, nachdem sie im Zuge der Neurotransmitterausschüttung mit der präsynaptischen Zellmembran verschmolzen ist? Kann die Membran, die ja alle für die Neurotransmitteraufnahme und -speicherung notwendigen Komponenten besitzt, lokal ,recycled" werden, und - wenn ja - wie? Ein zentraler Punkt in Anbetracht der Tatsache, daß an einer Präsynapse die Signale zur Neurotransmitterausschüttung im Abstand von Sekundenbruchteilen eintreffen!

All diese Überlegungen sind untrennbar mit der Frage verknüpft, in welchem intrazellulären Kompartiment der Nervenzelle die synaptischen Vesikel gebildet werden. Ist es, wie bedeutende Lehrbücher behaupten, wirklich der Golgi-Komplex? Um diese Frage zu beantworten, haben wir eine Hauptkomponente der Membran synaptischer Vesikel, das Protein Synaptophysin, auf seinem Weg vom Golgi-Komplex in die synaptischen Vesikel verfolgt. Durch frühere Arbeiten meiner Arbeitsgruppe, in den 80er Jahren am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in Martinsried und später am EMBL, wußten wir, daß Proteine beim Transport durch den Golgi- Komplex häufig post-translational, das heißt nach ihrer Synthese, modifiziert werden, und zwar durch Anhängen von Sulfatgruppen. Meine Mitarbeiterin Anne Régnier-Vigouroux fand, daß auch Synaptophysin im Golgi-Komplex sulfatiert wird. Dies erlaubte uns, seinen Transport aus dem Golgi-Komplex genau zu analysieren. In diesen Untersuchungen, die von Anne Régnier- Vigouroux am EMBL begonnen und ab 1991 von Rudi Bauerfeind in der Neurobiologie der Universität Heidelberg fortgeführt wurden, beobachteten wir zu unserer Überraschung, daß neu synthetisiertes Synaptophysin den Golgi-Komplex nicht in synaptischen Vesikeln verläßt, sondern zuerst in den in allen Körperzellen vorhandenen Transportvesikeln an die Zelloberfläche gelangt. Von dort wird es in ein ebenfalls in allen Körperzellen existierendes Kompartiment gebracht, in die sogenannten ,frühen Endosomen", die in der Peripherie der Zelle in unmittelbarer Nähe der Zellmembran liegen. Aus den ,frühen Endosomen" gelangt Synaptophysin dann schließlich in die synaptischen Vesikel. Mit anderen Worten: Nicht der Golgi-Komplex im Zellkörper der Nervenzelle bildet die synaptischen Vesikel, sondern die ,frühen Endosomen" der präsynaptischen Axonendigungen. Mehr noch, diese ,frühen Endosomen" sind auch in der Lage, synaptische Vesikel nach ihrem Verschmelzen mit der präsynaptischen Zellmembran und der Internalisierung zu regenerieren! Damit verlagert die Nervenzelle alle Vorgänge, die unmittelbar für die Bildung der mit Neurotransmittern gefüllten synaptischen Vesikel erforderlich sind, vom Zellkörper in die Präsynapse und macht diese im Interesse der schnellen und effizienten Signalübertragung zumindest vorübergehend autark.

Autor:
Prof. Dr. Wieland Huttner
Neurobiologie, Im Neuenheimer Feld 364, 69120 Heidelberg,
Telefon (06221) 56 82 18

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