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Meinungen (über Technologie Politik der EG)

Eberhard Schmidt-Aßmann, Professor am Institut für deutsches und europäisches Verwaltungsrecht der Universität Heidelberg und Mitglied des Wissenschaftsrats, kritisiert die Administration der Forschungs- und Technologiepolitik der Europäischen Gemeinschaft.

Die Forschungs- und Technologiepolitik der Europäischen Gemeinschaft ist nicht nur hierzulande immer wieder erheblicher Kritik ausgesetzt. "Allgemein zu kritisieren sind die mangelnde Selektivität, die Tendenz zur Zersplitterung, wo eine Konzentration erfolgen sollte, sowie die mangelnde Fähigkeit, Art und Ausmaß der technologischen Herausforderung auf internationaler Ebene zu erkennen. Die langwierigen Rechtssetzungsverfahren und die fast immer in die gleiche Richtung - das heißt die Erweiterung des Tätigkeitsbereichs - gehenden Kompromisse haben dieser Tendenz noch Vorschub geleistet." Das sind nicht die Worte eines der zahlreichen enttäuschten Bewerber, der nach einem aufwendigen Ausschreibungsverfahren an der ungünstigen Erfolgsquote zahlreicher FTE-Programme gescheitert ist, sondern Feststellungen der EG- Kommission selbst. Wo hätte man in offiziellen Dokumenten deutscher Ministerien vergleichbar deutliche Worte der Selbstkritik gelesen! Die Forschungs- und Technologiepolitik der Gemeinschaft ist in eine neue Phase ihrer Entwicklung getreten: Der Unionsvertrag von Maastricht hat sie auf eine breitere und festere Rechtsgrundlage gestellt. Deutlicher als bisher ist die Grundlagenforschung einbezogen worden. Die industriepolitisch bestimmten Fördertraditionen der Gemeinschaft müssen folglich so fortgebildet werden, daß sie auch den neuen Anforderungen grundlagenorientierter Forschung entsprechen können. Das dritte Rahmenprogramm von 1990 läuft in diesem Jahr aus. Beide Ereignisse bedeuten eine Zäsur, die die Kommission genutzt hat: "Forschung nach Maastricht - Bilanz und Strategie" (1992), die Schrift, aus der das einleitende Zitat stammt, ist ein Dokument der Selbstbesinnung und neuen Kursbestimmung. Natürlich geht es dabei auch um Zahlen; aber eben auch um Rahmenbedingungen der Forschungspolitik und um sinnvolle Förderungsstrukturen: "Abschottungsmentalität", "Immobilität", "mangelnde Transparenz" und wie die Negativpunkte sonst heißen mögen, sind aufgenommen. Alles soll anders, besser werden. Dazu gehört der Beschluß vom März 1994, eine Europäische Wirtschafts- und Technologieversammlung einzurichten. Er steht in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Verabschiedung des vierten Rahmenprogramms, das für die FTE-Politik der EG im Zeitraum 1994- 1998 immerhin Fördermittel in Höhe von 11 Milliarden ECU vorsieht. Die Gründe für die Einrichtung des neuen Gremiums nennt der Errichtungsbeschluß: Um die Richtigkeit der wissenschaftlichen und technologischen Entscheidungen, die Qualität der Forschung, das Niveau der beteiligten Forschergruppen, den jüngsten Erkenntnisstand zutreffend beurteilen zu können, sei die Kommission auf engen Kontakt mit den beteiligten Forschern angewiesen; zur Ergänzung und Verstärkung vorhandener Konsultationsmöglichkeiten sei daher ein allgemeines Gutachter- und Beratergremium zu schaffen, das "unabhängig und repräsentativ für die europäischen Wissenschafts- und Industriekreise ist". Die Versammlung soll die Kommission in grundsätzlichen Fragen der Forschungspolitik unterstützen, Beurteilungskriterien erarbeiten und Programme bewerten. Aus eigener Initiative kann sie ferner eine Art von Prospektion der Forschung betreiben, Perspektiven entwickeln und neue Forschungsfelder aufspüren.

Das alles ist, abstrakt betrachtet, durchaus plausibel. Die Probleme beginnen jedoch bei der Größe und der Struktur des Gremiums: Der Versammlung sollen bis zu 100 "hochrangige Vertreter" der Wissenschaft, aber auch der Technologie und Industrie angehören. Sie werden ad personam von der Kommission ernannt, die dabei auf Parität zwischen den Mitgliedstaaten zu achten hat. Die Leitung soll einem Vorstand obliegen, der immerhin auch noch 20 Personen umfaßt und aus einem komplizierten Auswahlverfahren hervorgeht. Eine hinreichend eigenständige, energische und schnelle Entscheidungsbildung ist von einem derart zusammengesetzten Gremium nach allen Erfahrungen schwerlich zu erwarten. Eher wird versucht, Inflexibilität durch Unbeweglichkeit auszutreiben. Der Kommission fehlt es auch bisher schon nicht an Konsultationsgremien, die sie beruft und deren Rat sie in Anspruch nimmt. Für die Forschungspolitik galt bisher das gleiche wie für die Industriepolitik. Aber von diesen Traditionen sollte sich die Forschungsförderung künftig ein gutes Stück entfernen. Wissenschaft läßt sich nicht in den sonst üblichen Verwaltungsverfahren administrieren. Je mehr es in der Forschungspolitik der EG auch um Grundlagenforschung geht, desto deutlicher sollte auch diese notwendige Zäsur in ihrer Entwicklung anerkannt werden. Das Konzept einer Europäischen Wissenschafts- und Technologieversammlung dagegen verharrt zu sehr in überkommenen Vorstellungen, externen Sachverstand den Kommissionsentscheidungen dienstbar zu machen. Nicht weitere Instanzen vergleichbaren Zuschnitts und Aufgabenstellung sollten geschaffen werden. Notwendig ist es vielmehr, den vorhandenen wissenschaftlichen Sachverstand gegenüber der Kommission stärker zu verselbständigen und durchsichtiger zu machen, wie er berufen wird und welchen Einfluß seine Gutachten bei der Erstellung von Programmen und bei Projektentscheidungen wirklich besitzen. Nur ein Gremium, das eigenes Gewicht besitzt, das nicht nur Rat erteilt, sondern die europäische Forschung repräsentiert, kann die Kommission darin unterstützen, sich ihrerseits ein Stück von der Zugriffsmöglichkeit der Mitgliedstaaten zu lösen, wie sie sich im Rahmen der sogenannten Komitologie herausgebildet hat. In seiner Empfehlung zur Europäischen Grundlagenforschung 1993 hat der Wissenschaftsrat auf die von den Wissenschaftsorganisationen selbst getragene Europäische Wissenschaftsstiftung, EWS, in Straßburg aufmerksam gemacht. In ihr sind wissenschaftstypische Strukturen besser verwirklicht als in der neuen Versammlung mit ihrem Länderproporz, ihrer Abhängigkeit von der Kommission und ihrer kaum handhabbaren Größe. Die jetzt gefundene Lösung räumt die kritischen Punkte der Forschungspolitik nicht aus. Sie schafft eher die Gefahr, diese auch noch förmlich zu institutionalisieren.

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