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Dem Immunsystem ein Schnippchen schlagen

Der Verlust eines transplantierten Organs durch Abstoßungsreaktionen stellt nach wie vor eines der großen ungelösten Probleme der Transplantationsmedizin dar. Der Empfänger bezahlt das neue Organ mit den negativen Folgen einer lebenslangen Behandlung, die das Immunsystem unterdrückt. Wissenschaftler des Forschungsschwerpunkts Transplantation in Heidelberg gehen deshalb neue Wege. Um die Revolte der Abwehrzellen möglichst früh zu verhindern, bremsen sie gezielt nur den Teil der Immunantwort, der für die Abstoßungsreaktion verantwortlich ist. Herkömmliche Medikamente treffen diese Unterscheidung nicht. Stefan Meuer berichtet über die neuen eleganten Strategien, mit denen in Heidelberg erstmals versucht wird, der Aktivierung der Abwehrzellen zuvorzukommen und die Kommunikation in den Zellen zu unterbrechen.

Der Ersatz eines zerstörten Organs mittels Transplantation ist für manche Patienten die einzige Überlebenschance. Bei Nierenversagen besteht mit der Dialysebehandlung eine Überbrückungsmöglichkeit, die Ärzte können sogar über mehrere Jahre nach einem ,geeigneten" Spenderorgan suchen. Geeignet heißt in diesem Fall, daß Spender und Empfänger bezüglich ihrer ererbten Gewebsantigene - sozusagen der ,Fingerabdrücke" ihres Organismus - sehr ähnlich sind. Identisch sind nur die Gewebe eineiiger Zwillinge. An den von Mensch zu Mensch unterschiedlichen Gewebsantigenen kann das Abwehrsystem ,fremde" Organe von ,eigenen" unterscheiden. Alles, was es als ,fremd" erkennt, muß es zerstören, denn die Funktion des Immunsystems besteht darin, unsere physische Individualität aufrechtzuerhalten. Die als Abstoßungsreaktionen zusammengefaßten Abwehrleistungen des Empfängerorganismus stellen nach wie vor große ungelöste Probleme in der Transplantationsmedizin dar.

Die Frage, wie stark sich Spenderorgan und Empfängergewebe gleichen, kann in manchen Fällen aus Zeitgründen nicht berücksichtigt werden. Fallen bei einem Patienten zum Beispiel die Funktionen des Herzens oder der Leber aus, so ist unmittelbares Handeln geboten, denn hier existiert kein extrakorporaler Ersatz zur Überbrückung der Wartezeit. Ein neues Organ muß schnellstens transplantiert werden. Deswegen sind die Empfänger-Spenderkombinationen fast immer ungleich. Sehr häufig treten daher akute Abstoßungsreaktionen innerhalb der ersten ein bis drei Wochen nach der Transplantation auf.

Revolte gegen das neue Organ Um den Verlust eines transplantierten Organs zu verhindern, bleibt Ärzten und Patienten nur die Wahl einer meist lebenslangen immunsuppressiven Behandlung mit Medikamenten, die die Funktion des Abwehrsystems unterdrücken. Da Abstoßungsreaktionen starke Immunreaktionen darstellen, muß auch die immunsuppressive Therapie - meist eine Kombination aus mehreren Medikamenten - stark sein. Die Therapie läßt sich noch nicht selektiv auf die Abstoßungsvorgänge ausrichten, sondern beeinträchtigt das gesamte Immunsystem. Daraus resultiert eine erhöhte Anfälligkeit gegenüber Infektionen und, längerfristig, ein deutlich verstärktes Auftreten maligner Erkrankungen. Außer diesen unerwünschten Folgen, die durch die direkte Einwirkung auf das Immunsystem entstehen, haben manche Medikamente auch Nebenwirkungen auf andere Organsysteme, wie die Niere, das Knochenmark, das zentrale Nervensystem, das Skelett und endokrine Organe. Ein Transplantatempfänger erkauft sich das neue Organ durch die erheblichen Nebenwirkungen der immunsuppressiven Behandlung.

 

Schlüssel zum Verständnis: der T-Zell-Rezeptor

 

Der T-Zell-Rezeptor für Antigene, also die Stelle auf der Oberfläche der Abwehrzellen, an der sich die Erkennungssignale der Fremdorgane anheften, wurde vor 10 Jahren entdeckt. Das war der Schlüssel zum Verständnis der Vorgänge, die gewährleisten, daß das Immunsystem - genauer gesagt die T-Lymphozyten - die Zellen und Organe des eigenen Körpers toleriert, fremde Organe aber eliminiert. Damit hatten Immunologen gleichzeitig die Möglichkeit, die Selektionsvorgänge während der normalen T- Zell-Reifung zu analysieren, bei denen diejenigen T-Zellen, die sich gegen den eigenen Körper richten, inaktiviert werden. Also die Vorgänge, durch die die selektive Toleranz gegenüber dem ,Selbst" induziert wird, zu entschlüsseln. Mit Hilfe der daraus gewonnenen Kenntnisse entwickeln wir nun Strategien, um eine selektive Toleranz gegenüber Organtransplantaten zu erzeugen. Die vielleicht wichtigste Erkenntnis auf dem Weg war zunächst, daß das Erkennen fremder Strukturen durch den T-Zell-Rezeptor alleine nicht ausreicht, um eine Abstoßungs- beziehungsweise Immunreaktion durchzuführen. Außer den Erkennungssignalen benötigen die T-Lymphozyten weitere, sogenannte sekundäre oder akzessorische Signale, um sich aus der Ruheform in die aktive Form der Effektorzellen umzuwandeln. Nur letztere können die Abstoßungsvorgänge ausführen. Erst wenn das Erkennungssignal, das primäre Signal und das akzessorische, das sekundäre Signal zusammenkommen, wird eine effiziente Abstoßungsreaktion eingeleitet. T-Zellen empfangen die sekundären Signale über zusätzliche Rezeptoren in der Zellwand und leiten sie in das Zellinnere weiter.

An den Innenwänden der Blutgefäße nimmt das Immunsystem des Empfängers erstmals Kontakt mit dem transplantierten Organ auf. Die Gefäßinnenwände sind mit Endothel-Zellen ausgekleidet, welche sehr effizient primäre und sekundäre Signale in T-Zellen auslösen können. An dieser Stelle müßte man eingreifen, um die Abstoßung eines Organs zu verhindern. Das war bisher noch nicht möglich. Die Immunintervention muß so früh wie möglich beginnen, das heißt schon vor der Transplantation, denn eine Abstoßungsreaktion setzt unmittelbar nach der Implantation ein. Sie benötigt eine Verstärkungsphase und daher Zeit, so daß sie erst nach zehn bis zwanzig Tagen klinisch erkennbar wird. Über die Wechselwirkung zwischen T-Lymphozyten und Endothel-Zellen ist heute vieles bekannt, unter anderem auch über welche Rezeptoren die Endothel-Zellen des Spenders den T-Lymphozyten des Empfängers ihre akzessorischen Sekundärsignale vermitteln. Das Ziel der Bemühungen unserer vom Forschungsschwerpunkt Transplantation Heidelberg geförderten Arbeitsgruppe ist es, die akzessorischen Signalübertragungsvorgänge selektiv zu unterbrechen. Dabei sollen die vom T-Zell-Rezeptor ausgelösten Primärsignale unbeeinträchtigt bleiben. Aus gutem Grund: Denn die Antigenerkennung durch den T-Zell-Rezeptor reicht wie gesagt alleine nicht aus, um abstoßungsfähige T-Zellen zu generieren. Dennoch ist die Antigenerkennung kein neutrales Ereignis für die T-Zelle. Erkennt eine T-Zelle ein fremdes Antigen, erhält aber nicht gleichzeitig die zur Differenzierung erforderlichen Sekundärsignale, so wird die Zelle abgeschaltet und kann nun auf keinerlei Reize mehr reagieren. Wenn es uns also gelänge unmittelbar nach der Transplantation bei allen T- Lymphozyten, die das neue Organ erkennen und durch die Fremdeigenschaften des Transplantats das Primärsignal erhalten, die Sekundärsignale zu unterbrechen, müßte eine selektive Toleranz gegenüber dem transplantierten Organ entstehen. In tierexperimentellen Untersuchungen haben wir ebenso wie andere Arbeitsgruppen diese Strategie bereits erfolgreich zur Erzeugung einer Transplantattoleranz in-vivo umgesetzt. Hingegen können alle derzeit gebräuchlichen Immunsuppressiva zwischen Primär- und Sekundärsignalen nicht unterscheiden. Gerade in dieser Unterscheidung liegt aber der Clou der selektiven Toleranzinduktion.

Unser Konzept ist klar, doch welche Wege können wir beschreiten, um es klinisch umzusetzen? Die moderne Immunologie, die sich heute weitgehend der Methoden der Zell- und Molekularbiologie bedient, hat eine Fülle von Strategien zur Hand, die wir jetzt auf ihre Fähigkeit überprüfen, die akzessorischen Signale bei den Aktivierungsvorgängen nach einer Organtransplantation auszuschalten. Dazu müssen die für die Abstoßungsreaktion relevanten akzessorischen Rezeptoren der T- Zellen und ihre jeweiligen ,Gegenstücke", die Liganden auf den Endothelzellen bekannt sein. Wichtige Rezeptorkomplexe, die in den Membranen von T-Lymphozyten verankert sind, konnten in jüngster Zeit mittels monoklonaler Antikörper identifiziert und molekular charakterisiert werden.

Monoklonale Antikörper, die mit einer bestimmten Sorte T-Zellen reagieren, eignen sich auch als biologische Immuntherapeutika, denn sie binden sich sehr gezielt und sehr fest an den jeweiligen Lymphozyten-Rezeptor, das heißt sie haben eine große Spezifität und eine hohe Affinität zum Rezeptor. Damit taugen sie als Werkzeuge, um die Bindung der natürlichen Liganden, die die unerwünschten Sekundärsignale auslösen würden, zu blockieren. Dennoch haben sie auch erhebliche Nachteile: Es sind große Proteinmoleküle, die nur parenteral, zum Beispiel intravenös, verabreicht werden können. Weiterhin regen sie fast immer Immunantworten gegen sich selbst an, die verhindern, daß solche Medikamente über längere Zeiträume wirken. Schließlich verteilen sich die Antikörper im Organismus ungleich. Rund 90 Prozent der intravenös verabreichten Antikörpermenge gelangt in Leber, Milz und Knochenmark, und zwar unabhängig von der Art der Antikörper. Nur ein kleiner Teil steht für die Verteilung im Gesamtorganismus zur Verfügung. Außerdem können monoklonale Antikörper nur an kleine Regionen (Epitope) der in der Regel großen Interaktionsflächen zwischen dem akzessorischen Rezeptor und seinem Liganden binden, so daß möglicherweise nur eine Teilblockade gelingt. Dennoch weisen uns monoklonale Antikörper über ihre Wirkung Wege zu geeigneten Zielstrukturen für die Immunintervention. Es gibt bereits erfolgreiche klinische Konzepte, die von Heidelberg ihren Ausgang nahmen und mittlerweile auch in anderen Transplantationszentren angewendet werden. Sie basieren auf der Blockade eines akzessorischen Rezeptors, der für die Vermehrung der T-Zellen im Rahmen der Abstoßungsvorgänge essentiell ist, nämlich des Rezeptors für den T-Zell-Wachstumsfaktor Interleukin 2.

 

Keine Chance für Fremdes: Antikörper besetzen T-Zellen

 

Einen etwas eleganteren Weg die Ligand-Rezeptor Wechselwirkungen zu unterbinden, hat ebenfalls die Heidelberger Forschergruppe zuerst beschritten: Er besteht in der Herstellung von Varianten körpereigener Moleküle. So haben wir zum Beispiel die gesamte extrazelluläre Domäne des LFA3 Moleküls, eines akzessorischen T-Zell-Rezeptors (CD2), in löslicher Form gentechnisch produziert. Solche Moleküle, die die gesamte Interaktionsstelle beinhalten, sind funktionell sehr effiziente Blocker der natürlichen Ligand-Rezeptor- Wechselwirkung, allerdings bisher nur im Reagenzglas. Ob sie auch im Organismus ihre immunsuppressive Aktivität entfalten, überprüfen wir derzeit in experimentellen Tiermodellen. Die Vorteile unseres Ansatzes wären, daß solche Moleküle vom Organismus voraussichtlich nicht als fremd erkannt werden und die gesamte Bindungsregion für den Rezeptor besitzen. Die Nachteile sind jedoch ebenfalls vorhersehbar. Wiederum handelt es sich um große Proteine, die aufwendig hergestellt werden müssen und nur parenteral verabreichbar sind. Das größte Problem liegt jedoch in der eher geringen Bindungskraft dieser Moleküle an ihren Rezeptor, die bestenfalls die der natürlichen Liganden erreichen kann. Um eine effiziente Blockade zu erzielen, muß man daher wahrscheinlich sehr große Mengen dieser Substanzen einsetzen - eine klare Limitierung des Ansatzes. Ein gewichtiges Hindernis stellt sich den, auf Antikörpern und gentechnisch hergestellten Liganden-Varianten basierenden, Therapiestrategien entgegen, nämlich das der ,Redundanz" an der Zelloberfläche. Darunter versteht man, daß unterschiedliche akzessorische Rezeptoren in der Zellmembran von T-Lymphozyten ein und dasselbe akzessorische Signal auslösen können. Das bedeutet: auch eine noch so effiziente Blockade eines einzigen Rezeptors reicht möglicherweise gar nicht aus, um den gewünschten Effekt vollständig zu erzielen. Denn das auszuschaltende Signal könnte immer noch, - zumindestens teilweise - über einen anderen Rezeptor vermittelt werden. Aus den genannten Gründen richten sich unsere derzeitigen Anstrengungen, wirkungsvolle und gezielte immunsuppressive Strategien zur Toleranzinduktion zu entwickeln darauf, die Signalketten, die von Rezeptoren im Inneren der Lymphozyten ausgelöst werden, direkt zu unterbrechen. Wir versuchen, die Signalübertragungsvorgänge zwischen dem Rezeptor in der Zellmembran und dem Zellkern, in dem letztendlich die Aktivierungsreaktionen in die Tat umgesetzt werden, molekular zu analysieren und darauf basierend gezielte Unterbrechungsmöglichkeiten zu finden.

Überlistet - keine Reaktion ohne Signalübertragung Hierdurch umgehen wir das Problem der Redundanz. Da die Signalübertragung überdies transiente und kurzzeitige molekulare Wechselwirkungen beinhaltet, die über sehr kleine Kontaktflächen zwischen den Molekülen ablaufen und von eher niedriger Bindungskraft sind, besteht hier eine sehr realistische Chance, mit kleinen organischen Molekülen immunsuppressive Effekte zu erzielen. Solche Substanzen wären dann auch bei oraler Gabe wirksam. Noch ist das zwar ein weit in die Zukunft projiziertes Ziel, aber bereits heute existieren die zell- und molekularbiologischen Methoden, um Signalübertragungsvorgänge zu entschlüsseln und über strukturbiologische Ansätze gezielt organische Synthesen durchzuführen. Die auf biologischen Strukturen aufbauende synthetische Chemie wird damit schon jetzt zum absehbaren Nachfolger biologischer Immuninterventionsstrategien.

Autor:
Prof. Dr. Stefan Meuer
DKFZ, abteilung Angewandte Immunologie und Fakultät für theoretische Medizin, Im Neuenheimer Feld 280, 69120 Heidelberg,
Telefon (06221) 42 25 57

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