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Geförderte Unternehmensgründungen

Die Wirtschaftskraft einer Region wird wesentlich durch ihren Unternehmensbestand und dessen Veränderungen beeinflußt. Als Folge des wirtschaftlichen Strukturwandels, der Verlagerung zum tertiären Sektor, ändert sich seit einigen Jahren die Größenstruktur des Unternehmensbestands. Angesichts veränderter Rahmenbedingungen wandelten sich die Einschätzungen der Bestands- und Entwicklungsperspektiven zugunsten kleiner und junger Unternehmen. Galten Kleinunternehmen lange Zeit als technologisch rückständig, arbeitsmarktpolitisch bedenklich und wirtschaftlich nicht konkurrenzfähig, werden sie heute als wesentliche Träger des wirtschaftlichen, technologischen und sozialen Wandels angesehen. Obwohl sie erheblich zur Bewältigung des wirtschaftlichen Strukturwandels beitragen, neue und - zumindest teilweise - qualitativ hochwertige Arbeitsplätze bereitstellen sowie die Wettbewerbsfähigkeit der Regionen verbessern, hat die räumliche Dimension in der Gründungsforschung bisher allenfalls eine untergeordnete Rolle gespielt. Hauptursache für das Forschungsdefizit ist die extrem schlechte Datenlage. Im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts konnten durch Zusammenarbeit mit der Deutschen Ausgleichsbank in Bonn erstmals die Daten aller Unternehmensgründer und -gründerinnen, die im Zeitraum von 1979 bis 1989 Unterstüt zung aus einem Förderungsprogramm erhalten haben, unter regionalwissenschaftlichen Aspekten analysiert werden. Die daten- schutzrechtlich sehr sensiblen Informationen über die insgesamt 15026 Teilnehmer des Eigenkapitalhilfeprogramms (EKH-Programm) wurden für Baden-Württemberg auf Kreisbasis aufbereitet und durch Individualdaten der Unternehmensgründer, die an einer Befragung im Juni 1992 teilgenommen hatten, ergänzt. Die Quantifizierung des Gründungsgeschehens in den Stadt- und Landkreisen Baden-Württembergs erfolgte anhand von zwei neu entwickelten Indikatoren, der "Existenzgründungsrate" und der "Bestandsentwicklungsrate", die eine Normierung der Gründungsaktivitäten in den nach Größe, Bevölkerungszahl oder Wirtschaftsstruktur sehr unterschiedlichen Kreisen erlaubten. Anhand dieser Indikatoren ließen sich deutliche regionale Disparitäten des Gründungsgeschehens nachweisen. In den ländlich geprägten Regionen nahmen G ründer das EKH-Programm am häufigsten in Anspruch, zum Beispiel im Main-Tauber-Kreis, während in den Kernräumen Baden-Württembergs, den Stadtkreisen, nur eine unterdurchschnittliche Aktivität zu verzeichnen war. Andererseits entwickelte sich der gesamte U nternehmensbestand hier überdurchschnittlich, hingegen im ländlichen Raum nur durchschnittlich. Hieraus resultiert eine regional stark unterschiedliche Bedeutung des Förderprogramms. Für den ländlichen Raum kann es als unterstützende Maßnahme angesehen werden, um die Weiterentwicklung eines "gesunden" Unternehmensbestandes zu sichern. In einzelnen Kreisen des Landes, wie im Main-Tauber-Kreis und im Kreis Tuttlingen, "trug" das Förderprogramm bis zu 50 Prozent der Zunahme des Unternehmensbestands. Ursachen und Einflußfaktoren für das regional unterschiedliche Gründungsgeschehen wurden durch Analyse der jeweiligen regionalen Rahmenbedingungen untersucht. Es zeigte sich, daß besonders die Größenstrukturen der Unternehmen und die wirtschaftssektorale Zusammensetzung des gesamten Unternehmensbestands für die Gründungsaktivität verantwortlich waren. Die hohen Gründungsraten im ländlichen Raum erklären sich danach vor allem durch seine kleinbetriebliche Struktur und seinen überproportional hohen Anteil d es verarbeitenden Gewerbes. Denn Unternehmensgründer stammen überdurchschnittlich häufig selbst aus kleinen Unternehmen und gründen ihre eigene Unternehmung vor allem in handwerklichen Berufen des verarbeitenden Gewerbes. Dagegen sind dienstleistungsorientierte Unternehmensgründungen von deutlich gerin- gerer Bedeutung. Eine Ausnahme bilden Gründungen durch Frauen. Weiter konnte gezeigt werden, daß das Förderprogramm eine wirtschaftssektorale Diversifizierung des Unternehmensbestands in den Kreisen nicht unterstützt. Vielmehr manifestieren sich in den Neu- gründungen die bestehenden Strukturen. Mit dem Forschungsprojekt konnte nachgewiesen werden, daß es unerläßlich ist, Unternehmensgründungen unter räumlichen Aspekten zu betrachten, wenn wesentliche Einflußfaktoren nicht übersehen, und die regionalspezifische Bedeutung von Förderprogrammen nicht unterschätzt werden sollen. In Kombination mit den bekannten Ergebnissen der Gründungsforschung, die auf Einzelfallbetrachtungen beruhen, ergeben sich hierdurch wertvolle Ansätze zur Verbesserung der Förderpolitik. Auch in einem Bundesland, das gemeinhin zum positiven Pol des vielzitierten wirtschaftlichen Nord-Süd-Gefälles zählt, fielen ernstzunehmende Entwicklungsunterschiede im Gründungsgeschehen auf, die durchaus die Ausweisung regional begrenzter Fördergebiete nach sich ziehen könnten.

(Jürgen Schmude: Geförderte Unternehmensgründungen in Baden-Württemberg. Habilitationsschrift in der Reihe Erdkundliches Wissen, Steiner Verlag, erscheint 1994.)

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