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Management im Kraftwerk Blatt

In einem Unternehmen wird die Reinvestition von Kapital mehr Nutzen bringen, als der Weiterbetrieb einer Produktionslinie mit chronischer Überproduktion, oder gar die Stillegung ohne Abbau der Produktionsstätte und anderweitige Verwendung des mobilen Kapi tals. Ähnlich verhält sich das Management der Produktionsstätte "Photosynthese". Dadurch werden Pflanzen sehr widerstandsfähig gegenüber Umweltveränderungen. Die chamäleonartige Anpassungsfähigkeit ihres Stoffwechsels ist eine Herausforderung für Biotechnologen. Auch der Ertrag von Nutzpflanzen sowie die Prognosen des künftigen Weltklimas hängen davon ab. Im Botanischen Institut erforscht Mark Stitt die Steuerung der Kraftwerke in den Blättern. Bei der Photosynthese wandeln Pflanzen in ihren ausgewachsenen Blättern Kohlendioxid, CO2, und Wasser unter Ausnutzung von Lichtenergie in organische Verbindungen um, vor allem in Stärke und Saccharose. Die Saccharose wird in andere Teile der Pflanze transportiert und dient als Rohstoff für das Wachstum und die Speicherung in jungen Blättern sowie Wurzeln, Knollen, Samen und Früchten. Die Stärke im Blatt dient der Pflanze als kurzzeitige Energiereserve. Sie wird, zum Beispiel über Nacht, abgebaut, um eine lückenlose Versorgung der wachsenden Organe zu sichern. Die Wurzeln wiederum spielen eine komplementäre Rolle zu den Blättern, wie jeder Freitzeitgärtner weiß. Sie nehmen Mineralien, Wasser sowie Stickstoff, Phosphat und Metallionen aus dem Boden auf. Diese Vorgänge müssen reguliert werden. Ungenügende Stärkereserven im Blatt würden zum Beispiel das Wachstum in den Dunkelstunden beschränken und im Extremfall zum "Hungertod" der Pflanze führen. So sterben stärkedefiziente Mutanten der Wildpflanze Arabidopsis thaliana, wenn die Dunkelperiode mehr als zehn Stunden beträgt. Ein zweites Beispiel: die Kohlenhydratproduktion kann durch eine Vergrößerung der Blattoberfläche erhöht werden. Aber ein überproportionales Sproßwachstum wirkt nachteilig, weil es Beschränkungen des Wurzelwachstums auslöst, die zu einer Beeinträchtigung der Nährstoff- und Wasseraufnahme führen müssen. Für Pflanzen ist die Regulation des Stoffwechsels besonders wichtig, um Veränderungen der Umwelt auszugleichen. Wo ein Tier Gehirn, Beine oder Fell einsetzen kann, muß die Pflanze die tägliche Unberechenbarkeit des Klimas, die Änderungen von Licht, Temperatur und Feuchtigkeit ungeschützt aushalten, ebenso wie die unerwünschte Aufmerksamkeit des pflanzenfressenden Tierreichs. Anhand eines einfachen Problems möchte ich exemplarisch sowohl einige allgemeine Prinzipien der Regulation des Pflanzenstoffwechsels darstellen als auch Versuchsansätze, die wir verwenden, um die Regulation zu untersuchen: Was passiert, wenn die Photosynt hese und die Saccharoseproduktion schneller ablaufen als die Wachstumsrate der Pflanze? So hängt der Ertrag von Nutzpflanzen zum Beispiel im wesentlichen vom Wechselspiel zwischen dem Wachstum der Speicherorgane und der Photosyntheseleistung der Blätter ab. Führt eine Erhöhung der Photosyntheserate zu erhöhtem Wachstum der Speicherorgane? Oder werden die Photosynthese und der Saccharosetransport auf den Bedarf der restlichen Pflanze herabreguliert? Die Antwort ist auch für ökologische Fragestellungen von Bedeutung. Die Kohlendioxidkonzentration steigt derzeit in Folge anthropogener CO2-Emissionen an und könnte zu einer Änderung des globalen Klimas beitragen, dem berühmt-berüchtigten "Treibhaus"-Effekt. Steigende Kohlendioxidkonzentrationen begünstigen all erdings die photosynthetische Kohlenhydratproduktion der Pflanzen. Wird nun ihr Wachstum stimuliert oder droht die Photosynthese an einer Anhäufung von Kohlenhydraten zu "ersticken"? Davon hängt ab, ob unsere CO2-Emissionen teilweise durch Photosynthese und erhöhtes Pflanzenwachstum ausgeglichen werden. Weil hierzu Informationen fehlen, können die Modelle über die zukünftige Entwicklung des Weltklimas nicht vervollständigt werden. Stoffwechselaktivitäten lassen sich in biologischen Systemen auf verschiedenen Ebenen regulieren. So wie man um einen Betrieb zu sanieren sowohl das vorhandene Personal umorganisieren als auch Entlassungen oder Neueinstellungen erwägen kann. Bei einem Leb ewesen nennen wir die erste Option "Stoffwechselregulation" und die zweite "Regulation der Genexpression". Die einzelnen Proteine und Enzyme in der Zelle wären dabei die Beschäftigten. Die Enzyme können einerseits auf reversible Weise aktiviert oder gehem mt werden - durch regulierende Substanzen ebenso wie durch kleine, umkehrbare Änderungen ihrer Struktur. Andererseits kann die Ausstattung mit Proteinen verändert werden. Beide Strategien sind wichtig, ich beginne jedoch mit der Stoffwechselregulation. Ein typischer Stoffwechselweg besteht aus einer Reihe aufeinanderfolgender Reaktionen, wobei jede von einem spezifischen Enzym katalysiert wird. Bislang hat man angenommen, daß ein einzelnes Enzym, beziehungsweise eine kleine Anzahl von Enzymen als sogena nnte Schrittmacher-Enzyme, in der Lage sind, den gesamten Stoffwechselweg zu steuern, während alle anderen Enzyme im "Überschuß" vorhanden sind. Deshalb zielten die bisherigen Untersuchungen zur Stoffwechselregulation darauf, die regulierenden Enzyme zu identifizieren. Durch vergleichende Studien zur Konzentration der verschiedenen Zwischenprodukte eines Stoffwechselwegs entdeckten wir die "limitierenden" Reaktionen. Wie in einem Büro, wo sich die Akten auf dem Schreibtisch des langsamsten Mitarbeiters stapeln. Einmal erkannt, isolierten wir das entsprechende Enzym und untersuchten die Mechanismen, die für seine Aktivierung und Inaktivierung verantwortlich sein könnten. Mit Hilfe dieser klassischen Ansätze sind wir verschiedenen Regulationsmechanismen des Saccharosestoffwechsels auf die Spur gekommen. Zwei Enzyme haben sich als besonders wichtig herausgestellt - die cytosolische Fructose-1,6-bisphosphatase (FBPase) und die Saccharosephosphatsynthase (SPS). Die FBPase wird unter anderem durch einen kleinen Regulatormetabolit namens Fructose-2,6-bisphosphat (Fru2,6bisP) gehemmt. Steigt die Photosyntheserate, nimmt Fructose-2,6-bisphosphat ab und die Aktivität der FBPase wird erhöht (Enthemmung). Wenn Saccharose im Blatt akkumuliert, ist es umgekehrt: Fru2,6bisP nimmt zu und die FBPase wird gehemmt, ein antagonistischer Rückkopplungsmechanismus. Folglich spiegelt die Aktivität des Enzyms die momentane Bilanz zwischen den ve rfügbaren Vorstufen für die Saccharosesynthese und dem Saccharosebedarf wieder. Die Konzentrationsänderungen von Fru2,6bisP lassen sich auf eine molekulare Grundlage zurückführen. Fru2,6bisP wird durch zwei Enzyme namens Fru6P,2-Kinase und Fru2,6-bisphosphatase synthetisiert und abgebaut. Die Aktivität dieser Enzyme wird wiederum durch Zwischenprodukte der Photosynthese sowie des Saccharosesynthesewegs reguliert. So stimuliert der Anstau von Fructose-6-phosphat - dem Produkt der FBPase-Reaktion - zum Beispiel die Synthese von Fru2,6bisP und hemmt deren Abbau, wie "in vitro"-Untersuch ungen von gereinigten Enzymen zeigen. Die Relevanz der Erkenntnisse haben wir durch "in vivo"-Versuche am Organismus überprüft. Was verändert sich zum Beispiel, wenn der Transport von Saccharose künstlich unterbrochen wird, ein Blatt abgeschnitten wird od er die Pflanze zusätzlich Saccharose erhält? Die Untersuchung von Mutanten der kalifornischen Wildpflanze Clarkia xanthiana lieferte uns noch zwingendere Beweise. Die Mutanten enthalten geringere Mengen des Enzyms Phosphoglucoseisomerase, das für die Weit erverarbeitung von Fru6P verantwortlich ist. Fru6P häuft sich also in ihren Blättern an. Dadurch steigt in der Tat die Konzentration von Fru2,6bisP, während die Saccharosesynthese gehemmt, und die Stärkesynthese kompensatorisch stimuliert wird. Das Enzym Saccharosephosphatsynthase (SPS) wird nicht nur durch Stoffwechselprodukte moduliert, sondern auch durch Proteinphosphorylierung. Das heißt, mit Hilfe einer sogenannten Proteinkinase wird eine Phosphatgruppe an das Enzym angehängt. Dadurch verän dert es seine Aktivität, SPS wird inaktiviert. Das Enzym wird sozusagen auf unbezahlten Urlaub geschickt. Die Abspaltung des Phosphats - katalysiert durch eine Proteinphosphatase - beordert es zurück "ins Büro". Licht führt innerhalb von zehn bis 15 Minuten zu einer Dephosphorylierung, also Aktivierung, des Enzyms. Dagegen löst ein Saccharosestau im Laufe des Tages eine Phosphorylierung, also eine Inaktivierung, des Enzyms aus. Im Botanischen Institut der Universität Heidelberg untersuchen wir derzeit det aillierte Fragen zu den Wirkungsmechanismen, mit denen Licht und Saccharose die Aktivität der beteiligten Kinasen und Phosphatasen beeinflussen. Hält man sich vor Augen, daß mehrere Enzyme eines Stoffwechselwegs reguliert werden können, und darüber hinaus jedes einzelne Enzym durch verschiedene Mechanismen, dann stellt sich die Frage, welche Bedeutung die verschiedenen Mechanismen für die Regulati on des gesamten Stoffwechselwegs haben. Um die Bedeutung eines Enzyms für die Umsatzrate eines Stoffwechselwegs zu ergründen, wäre es theoretisch am einfachsten, die Enzymmenge schrittweise herabzusetzen und die daraus resultierenden Änderungen der Umsatz rate zu messen. Dafür wünscht sich der Botaniker eine Reihe von Pflanzen, bei denen die Menge eines ausgewählten Enzyms progressiv reduziert wird, während alle anderen Enzyme unverändert bleiben. Früher waren solche Ansätze Tagträume, heutzutage sind sie dank der Fortschritte in der Pflanzengenetik und Molekularbiologie möglich. Um die Bedeutung des Enzyms Rubisco für die Photosynthese und das Pflanzenwachstum zu klären, untersuchen wir in einem gemeinsamen Projekt mit der Arbeitsgruppe Bogarad, Harvard, USA, genetisch manipulierte Pflanzen, die das Enzym in geringeren Mengen pro duzieren. Rubisco katalysiert den ersten Schritt der Photosynthese, bei dem CO2 in eine organische Verbindung eingebaut wird. Das mit Abstand häufigste Eiweiß auf der Welt macht etwa 50 Prozent des Proteins in einem Blatt oder einer Alge aus - das entspricht einer Menge von etwa zehn bis 20 Kilogramm pro Kopf der Weltbevölkerung. Wir fanden heraus, daß Rubisco die Photosyntheserate nicht stets begrenzt. Die Regulation hängt vielmehr von der augenblicklichen Lichtintensität und Kohlendioxidkonzentration ab. Aber auch von den Bedingungen, unter denen die Pflanze sich entwickelt hat. Wenn eine Pflanze, die im Schatten stand, plötzlich der prallen Sonne ausgesetzt wird, limitiert Rubisco die Photosyntheserate, nicht aber, wenn die Pflanze ständig im Sonnenlic ht gewachsen ist. Um Stärke herzustellen, sind insgesamt fünf nacheinanderfolgende Reaktionen nötig. Eine von ihnen galt bisher als Schrittmacher, und zwar diejenige, die durch das Enzym ADPglucosepyrophosphorylase (AGPase) katalysiert wird. In Zusammenarbeit mit Pflanzeng enetikern aus England und den USA haben wir einen Satz Pflanzen bekommen, bei denen vier verschiedene Enzyme für die Stärkesynthese unabhängig voneinander reduziert sind. Unsere Untersuchungen zeigten, daß AGPase zwar die Stärkesynthese unter bestimmten B edingungen tatsächlich allein kontrollieren kann, aber unter anderen Bedingungen wirken weitere Enzyme des Stoffwechselwegs zusätzlich begrenzend. Außerdem stimuliert die Hemmung der Stärkesynthese keineswegs die Saccharosesynthese. Nun versuchen wir, in den Saccharosesyntheseweg einzugreifen. Pflanzen, die aufgrund einer Mutation über weniger cytosolische Phosphoglucoseisomerasen verfügen, synthetisieren weniger Saccharose und kompensatorisch mehr Stärke, ohne daß die Photosynthese gehemmt wird. In Zusammenarbeit mit Uwe Sonnewald vom Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben untersuchen wir Pflanzen, die weniger Saccharosephosphatsynthase enthalten - eine der vermuteten Regulationsstellen des Stoffwechselwegs. Ein unerwartetes, aber interessantes Ergebnis deutet sich an: Eine Verminderung der SPS-Menge um das Zwei- bis Vierfache wirkt sich nur unwesentlich auf die Geschwindigkeit der Saccharosesynthese aus, denn die geringere Proteinmenge wird durch e ine verstärkte Aktivierung der Enzyme - Dephosphorylierung - ausgeglichen. In unseren aktuellen Forschungsarbeiten versuchen wir, die Phosphorylierungsstelle genetisch zu verändern, um tiefere Einblicke in den Mechanismus und die funktionelle Bedeutung de r Phosphorylierung zu gewinnen. Unsere Forschung trägt wesentlich zum Verständnis biologischer Systeme sowie zur Planung und Bewertung von Ansätzen des "Genetic Engineering" bei. Stoffwechselflüsse werden offenbar nicht durch einzelne Schrittmacher-Reaktionen gesteuert. Vielmehr limitieren mehrere Enzyme gleichzeitig die Stoffumsätze, wobei der Beitrag jedes Enzyms von den Wachstumsbedingungen der Pflanze abhängt. Ferner gewinnen wir den Eindruck, daß wichtige Regulator-Enzyme, wie SPS, keinen starren Engpaß bilden, sondern in mehr als ausreichendem Maße vorkommen, jedoch unter normalen Umständen nur mit einem Bruchteil ihrer Kapazität arbeiten. Die Analogie zum Alltag ist nochmals lehrreich: Wehe dem Betrieb, dessen Chef mit Routineaufgaben und Verwaltungskram überfordert ist, dessen T isch unter einem Berg von Post verschwindet, und der keine Zeit findet, sich mit Koordinierung, Strategie und Perspektiven zu beschäftigen. Beim Ausbau einer Firma oder der Anpassung an neue Marktbedingungen werden in der Regel personelle Veränderungen nötig sein, auch wenn der Betrieb vorher gut funktionierte. Ähnlich ist es auch in Organismen. Nehmen wir ein Beispiel: Was passiert, wenn die Saccharose aus einem Blatt über längere Zeit nicht abtransportiert werden kann? Die Kapazität für die Stärkesynthese ist irgendwann zu Ende - der Schrank ist voll. Wie wird die Photosynthese gehemmt? Um diese Frage zu beantworten, stellten Lothar Willmit zer und seine Mitarbeiter am Institut für Genbiologische Forschung in Berlin genetisch manipulierte Pflanzen her, bei denen der Abtransport von Saccharose blockiert war. Der Eingriff war trickreich. Der Saccharose-Transport erfolgt, indem der Zucker aus d en Mesophyllzellen, die die Photosynthese betreiben, in die Zellwand abgegeben wird und anschließend über ein spezifisches Transportprotein in die eigentliche Transportbahn, das Phloem, gelangt. Dieser Prozeß kann unterbrochen werden, wenn eine Invertase aus einer Hefe in die Zellwand der Pflanze eingeschleust wird. Invertasen spalten nämlich Saccharose in Glukose und Fruktose, die das Phloem nicht aufnehmen kann. Stattdessen kehren sie in die Mesophyllzellen zurück. Die jungen Blätter solcher Pflanzen sehen völlig normal aus. Erst die älteren Blätter müssen ihre Saccharose abtransportieren. Weil sie Chlorophyll - den lichtabsorbierenden Farbstoff der Photosynthese - verlieren, wirken sie zunehmend gelb. Bei Untersuch ungen im Heidelberger Botanischen Institut fanden wir heraus, daß bei diesen Pflanzen nicht nur das Chlorophyll, sondern auch eine große Gruppe von Proteinen abnimmt, die für die Photosynthese nötig sind. Andere Proteine, wie die Nitratreduktase, das Schl üsselenzym der Stickstoff-Assimilation, und die Enzyme der Atmungsstoffwechselwege bleiben unverändert oder nehmen sogar zu. Aufgrund dieser Ergebnisse prüften wir die Wirkung von Kohlenhydraten auch in anderen experimentellen Systemen. Bei abgeschnittenen Blättern sowie kultivierten Pflanzenzellen rief die Zugabe von Zucker ähnliche Veränderungen hervor. Auch wenn der Stofftransport durch die Abkühlung des Blattstengels gehemmt wird, stauen sich die Kohlenhydrate, und die Enzyme der Photosynthese gehen verloren. In allen Versuchssystemen erfolgten die Änderungen in einem Zeitraum von zwei bis vier Tagen. Alle Proteine werden von einem Gen kodiert, einer Folge von Basenpaaren in der Desoxyribonukleinsäure, DNA. Die Proteine werden allerdings nicht direkt von der DNA, sondern von einer relativ kurzlebigen Kopie, der mRNA oder Boten-RNA, abgelesen. Wir konnt en zeigen, daß die Produktion der entsprechenden mRNA-Kopien reduziert ist, bevor die Proteinmenge abnimmt. Im Fachjargon heißt das: Kohlenhydrate führen zu einer verringerten Expression der Gene für die photosynthetischen Proteine. Künftig werden wir dah er die Signale erforschen, die diese Änderung der Genexpression auslösen. Was sind die Signale? Wie werden sie vermittelt? Können wir spezifische DNA-bindende Proteine finden, die diese Gene an die Promotorbereiche binden und ihre Expression regeln? Interessant ist auch die Bedeutung der genetischen Steuerung für das Wachstum der Pflanze. In einem Unternehmen leuchtet es ein, daß die Reinvestition von Kapital mehr Nutzen bringen wird als der Weiterbetrieb einer Produktionslinie mit chronischer Überkapazit ät oder die Stillegung ohne Abbruch der Produktionsstätte und Wiederverwendung des mobilen Kapitalanteils. Pflanzen investieren einen beträchtlichen Anteil des verfügbaren Stickstoffs in die Proteine der Photosynthese. Werden die Photosynthesegene unterdr ückt, kann ein Teil des Stickstoffes umverteilt werden, zum Beispiel um mehr Wurzelwachstum zu ermöglichen und die Aufnahme von Wasser und Nährstoffen zu verbessern. Fehlende Nährstoffe sind einer der Gründe für den Rückgang des Kohlenhydrat-Verbrauchs. F erner interessiert uns die Relevanz der Vorgänge für das Pflanzenwachstum bei erhöhten Kohlendioxidkonzentrationen. Obwohl die Photosyntheserate unmittelbar nach einer Erhöhung der Kohlendioxidkonzentration kurzfristig steigt, berichten viele Forscher von einem Rückgang der Photosynthese in den darauffolgenden Tagen. Wir wollen herausfinden, ob die Hemmung auf einen Kohlenhydrat-Stau und eine Unterdrückung der Photosynthese zurückzuführen ist, wie wir es in unseren Versuchen mit vereinfachten Modellsystem en gesehen haben. Ich hoffe, Ihnen einen Einblick in die Vielseitigkeit, Flexibilität und Komplexität eines biologischen Regulationssystems gegeben zu haben, auch wenn dieser Einblick notwendigerweise vereinfacht und unvollständig war. Bei solch hochgradig regulierten und koordinierten Systemen ist zu erwarten, daß viele Parameter und Vorgänge korrelieren, auch wenn es keinen direkten kausalen Zusammenhang gibt. Das erschwert die Erforschung der Pflanzenphysiologie und unterstreicht die Bedeutung molekulargenetischer Arbei tsmethoden. Sie ermöglichen es uns - wie mit einem feinen Schraubenzieher -, gezielt Teilfunktionen zu verändern. Die Auswirkungen werden auch dann vielfältig sein, aber wir wissen zumindest, woher sie stammen. Daher versprechen solche Versuchsansätze gro ße Fortschritte bei der Aufklärung der Anpassungsmechanismen der Pflanzen. Es ergeben sich auch Konsequenzen für die Biotechnologie. Wir müssen befürchten, daß mancher allzu optimistische Eingriff ohne Wirkung bleibt, da die eingebrachte Änderung durch Ko mpensationsmechanismen der Pflanze an anderen Stellen ausgeglichen wird. Bessere Grundlagenkenntnisse erhöhen sicherlich die Erfolgschancen. Neueste Ergebnisse einer amerikanischen Gruppe bezüglich der Stärkesynthese in Knollen illustrieren diesen Punkt: Eine erhöhte Expression der pflanzlichen AGPase steigerte die Stärkesynthese in Kartoffelknollen nicht. Dagegen brachte die Einschleusung eines bakteriellen Enzyms Erfolg, weil das Bakterienenzym dem Hemmechanismus der Pflanze entging. Ähnliches wollen wi r durch eine genetische Veränderung des Enzyms SPS erreichen. Die Flexibilität und Robustheit der Pflanzen dürfte langfristig aber auch von Vorteil sein, weil sie dadurch mit mancher künstlichen Änderung ihrer Zusammensetzung genauso gut fertig wird, wie mit der Unberechenbarkeit der Umwelt. Erste Berichte über die Synthese eines biologisch-abbaubaren Kunststoffs in Pflanzen haben in Amerika Schlagzeilen gemacht. Und eine Berliner Gruppe hat erfolgreich Kartoffelpflanzen hergestellt, deren Knollen Zucker statt Stärke enthalten.

Autor:
Prof. Dr. Mark Stitt
Botanisches Institut, Postfach 10 5760, 69047 Heidelberg,
Telefon (06221) 56 32 84

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