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Steinerne Detektivarbeit

Wohl keines der modernen Kommunikationsmittel vermag zu leisten, was die antiken Vorbilder tun. Noch nach mehr als 2000 Jahren geben die in Stein gehauenen Botschaften beredtes Zeugnis von der Mentalität, den Vorstellungen und politischen Normen der damals lebenden Römer. Vorausgesetzt, man befragt die Steine richtig. Das haben die Mitarbeiter des Seminars für Alte Geschichte getan. Géza Alföldy berichtet über die fruchtbare Zusammenarbeit italienischer und deutscher Wissenschaftler. "Saxa loquuntur": Dieser alte Spruch, daß die antiken Steindenkmäler "sprechen", hat einen guten Grund. Die alten Hochkulturen besaßen ebenso wie unsere moderne Welt ihre Medien für Kommunikation und Information. Die Texte, die auf Bauwerken, Statuenpostamenten, Weihesteinen und Grabdenkmälern eingemeißelt wurden, erfüllten damals eine zum Teil ähnliche Funktion wie heute Presse, Funk und Fernsehen. Sie sind Zeugnisse einer Schriftkultur, die vor allem dem Ziel diente, daß einzelne Personen und Gruppen si ch der breiten Öffentlichkeit darstellen konnten. Hierfür wurden Namen und Rangtitel angeführt, Tugenden und Aufgaben, Leistungen, Erfolge und Lebensschicksale beschrieben. In den Ländern Europas, Nordafrikas und Vorderasiens sind ungefähr 300 000 antike - lateinische und griechische - Inschriften erhalten geblieben. Nirgends "sprechen" aber die Steine so vielsagend wie im Herzen des ehemaligen Imperium Romanum, in Rom. Die meisten historisch besonders wichtigen inschriftlichen Dokumente, die die Taten der Herrscher und der römischen Führungselite verherrlichen, wurden naturgemäß hier, in der Hauptstadt des Römischen Weltreiches, gefunden. Ungefähr ein Viertel aller antiken Inschriften kam hier zutage. Und anders als die uns erhaltene literarische Überlieferung aus dem Altertum, die nur noch selten um unbekannte Texte bereichert wird, werden in Rom - und anderswo - auch noch in unserer Gegenwart fortlaufend neue, oft aufrege nde Inschriften entdeckt. Die Aufgabe, die Inschriften Roms zu sammeln und sie für eine umfassende Publikation, das von Theodor Mommsen begründete Corpus Inscriptionum Latinarum (CIL), zu bearbeiten, fiel im 19. Jahrhundert und auch noch zu Beginn unseres Jahrhunderts deutschen Wissenschaftlern zu. Ihre erfolgreiche Tätigkeit war freilich von Anfang an nur dank der engen Kooperation mit ihren italienischen Kollegen möglich, die die Sache später in eigene Hände nahmen. In mühevoller Arbeit sammelte der italienische Wissenschaftler Silvio Panciera tausende und abertausende Inschriften, die während der letzten Generationen in Rom zum Vorschein gekommen waren. Zwischen seinem Institut für Epigraphik, Inschriftenkunde, an der Universität Rom und dem Heidelberger Seminar für Alte Geschi chte, wo unter anderem eine umfassende Datenbank römischer Inschriften aufgebaut wird, bestehen seit langem enge Kontakte. Im Jahre 1986 lud er mich zur Mitarbeit bei der Edition der neugefundenen Inschriften Roms für das CIL ein, wodurch die alte Tradition der italienisch-deutschen Zusammenarbeit in der Epigraphik erneuert wurde. Dank der Vorarbeiten Pancieras konnte ich in den Museen und Sammlungen Roms die rund 3000 Inschriften römischer Kaiser und Staatsbeamten untersuchen. Italienische Kollegen bearbeiteten die anderen Inschriftengruppen. Die ersten Früchte dieser erfolgreichen Kooperation, die im Jahre 1992 mit dem Max-Planck-Forschungspreis belohnt wurde, sind nun vorhanden. Als erste Heidelberger Publikation erschien eine Monographie über den Obelisken auf dem Petersplatz. Es folgte ein Buch über die Inschriften der Kaiser Augustus und Tiberius. Und soeben wurde der erste, beinahe 1000 Manuskriptseiten starke neue Faszikel zum CIL fertiggestellt. Der von einem Heidelberger Team in lateinischer Sprache vorgelegte Band erfaßt alle Kaiserinschriften Roms. Diese Texte erweitern unsere Kenntnisse über die Topographie Roms sowie über die großen Monumente der Ewigen Stadt und viele Fragen der römischen Geschichte ganz erheblich. Besonders interessant sind die Forschungsergebnisse, die der Entzifferung beziehungsweise Wiederherstellung fragmentarisch erhaltener Inschriften zu verdanken sind. Erst die Kombination von Daten, die uns die Inschriften, die antike Literatur, die archäologischen Quellen und die antiken Münzen liefern, ermöglicht eine derartige "Detekt ivarbeit". Die Epigraphik war schon immer ein Exerzierfeld interdisziplinären Vorgehens. Die Bearbeitung der "Kaiserinschriften", das methodische Verfahren, die neuen Ergebnisse und die Bedeutung inschriftlicher Dokumente für die Forschung sollen anhand von drei ausgewählten Beispielen aus der Zeit des Kaisers Augustus illustriert werden. Ger ade in dieser Epoche um die Zeitwende, in der die von einer Oligarchie regierte "Republik" von der kaiserlichen Alleinherrschaft abgelöst wurde, kam den Inschriften als Medien eine besondere Bedeutung zu. Augustus erkannte ihre Eignung als publikumswirksames Mittel der Selbstdarstellung in voller Deutlichkeit. Er verstand es, dieses Medium für seine politischen Ziele in einer zuvor unbekannten Breite und Zielstrebigkeit zu nutzen. Er setzte dadurch für Jahrhunderte Maßstäbe. Eines der bekanntesten antiken Monumente Roms stammt überhaupt nicht aus Rom. Den Obelisken, der heute im Vatikan vor der Peterskirche steht, hatte Kaiser Caligula erst um 40 nach Christus nach Rom gebracht. Die auch heute - in 10 Metern Höhe - lesbare Inschrift zu Ehren der Kaiser Augustus und Tiberius wurde im Jahre des Regierungswechsels 14 nach Christus anstelle einer früheren Inschrift eingemeißelt. Die frühere Inschrift bestand aus vergoldeten bronzenen Buchstaben, die auf der Steinfläche mit Dübeln befestigt wurden. Erhalten sind nur die Dübellöcher. Wir konnten nun die Rekonstruktion des Textes bestätigen, die der italienische Archäologe Filippo Magi vor 30 Jahren aus den Vertiefungen vorgenommen hatte. Zugleich ermittelten wir, daß die Inschrift auf dem Obelisken im Spätsommer oder Frühherbst des Jahres 30 vor Christus - unmittelbar nach der Eroberung Çgyptens durch die Römer - in Alexandria, der Haupt stadt des Landes, angebracht wurde. Das Monument, das damals auf Befehl des Imperators Caesar, das heißt des Augustus, sein Stellvertreter, der berühmte Feldherr, Verwaltungsbeamte und Dichter Cornelius Gallus, einweihte, galt als Denkmal des Siegs über den letzten Rivalen des Augustus, den Marcus Antonius, und somit als Denkmal des römischen Siegs über Çgypten. Es verherrlichte den Sieger als Alleinherrscher und als Nachfolger der Pharaonen und stand unweit des Hafens auf einem bereits unter Antonius und Cleopatra erbauten riesigen Platz. Er wurde nun nach dem Namen des Juliergeschlechtes, dem Caesar und Augustus angehörten, in "Forum Iulium" umbenannt und diente der Repräsentation des römischen Kaisertums. Augustus stellte den römischen Staat nach einer lange andauernden, von vielen als tödlich empfundenen Krise auf neue Grundlagen. Sich selbst und die von ihm geschaffene neue Ordnung ließ er auch in Rom durch viele Monumente verherrlichen. Den Höhepunkt se ines Bauprogramms in der Reichshauptstadt bildete die Einweihung des Tempels des Mars Ultor, des Rächenden Kriegsgottes, im Jahre zwei vor Christus. Der Tempel stand auf dem Forum des Augustus, das - dem Forum Romanum gegenüber gelegen - als neues politisches Zentrum Roms gelten sollte. Der neue Herr Roms, der die Ermordung Caesars durch die Republikaner und die Niederlage der Römer gegen auswärtige Feinde gerächt hatte, legitimierte sich mit der Berufung auf die Hilfe des Kriegsgottes. Von der einst berü hmten Inschrift des Tempels ist nur ein Fragment mit den Resten einer Zahl und eines Buchstabens erhalten geblieben. Genauer gesagt handelt es sich um Bettungen, in denen die vergoldeten bronzenen Buchstaben eingefaßt waren und die deren Form exakt nachah men. Die "goldenen Buchstaben", wie sie von den Zeitgenossen genannt wurden, sollten verkünden, daß mit Augustus ein neues "goldenes Zeitalter" begann. Glücklicherweise ist ein Teil der Rangtitulatur des Kaisers und somit eine zentrale Stelle des Textes vorhanden, die sich verhältnismäßig leicht rekonstruieren ließ. Wir ermittelten den gesamten Text, indem wir das Formular ähnlicher Dokumente berücksich tigten, Hinweise auf den Textinhalt aus der antiken Literatur heranzogen und die archäologische Möglichkeit nutzten, die Inschrift genau zu berechnen. Augustus wurde nicht nur als Monarch verherrlicht, sondern auch als unübertrefflicher Wohltäter, einziga rtiger Sieger und Schöpfer einer auch für die Zukunft gedachten Ordnung. Der Text enthielt neben seinem vollständigen Namen und seiner vollen Rangtitulatur, die ihn als eine übermenschliche Figur vorstellten, auch einen Hinweis auf die Errichtung des Tempels aus der Kriegsbeute, das heißt auf seine Siege, sowie die Angabe, daß seine Adoptivsöhne als seine Nachfolger vorgesehen waren. Die programmatische Aussage der Inschrift war somit nichts anderes als die der Architektur und des Statuenschmuckes des Tem pels sowie des gesamten Augustusforums: Augustus, der als übermenschliche Gestalt verklärt wurde, galt als der Mittelpunkt der Geschichte Roms, er verband die Gegenwart mit der Vergangenheit und der Zukunft. Ob ihn auch die Gegner und Opfer seines Regimes so sahen, ist freilich eine andere Frage. Daß die von Augustus ins Leben gerufene Monarchie auf Dauer die Staatsform Roms werden sollte, erfahren wir auch durch eine Inschrift, die mit ihrer Länge von beinahe 30 Metern eine der größten in Rom war. Sie gehörte zu einem der eindrucksvollsten Kultba uten der Stadt, dem Tempel der Heroen Castor und Pollux, dessen drei noch heute stehenden Säulen das Forum Romanum überragen. Seine Bauinschrift bestand ähnlich wie die des Mars-Tempels aus vergoldeten Buchstaben, die in Bettungen gelegt wurden. Mit rund 50 Zentimeter hohen Buchstaben übertraf sie beinahe alle uns bekannten antiken Inschriften. Wir konnten sie aus sechs kleinen Bruchstücken rekonstruieren. Den Ausgangspunkt bildeten auch in diesem Fall vor allem die ungefähre Kenntnis des Textinhaltes dank der Hinweise in der antiken Literatur, ferner die genaue Kenntnis der Tempelarchitektur, die die Berechnung der Dimensionen der Inschrift zuließ. Der Tex t stellt den Nachfolger des Kaisers Augustus, seinen Adoptivsohn Tiberius, im Jahre sechs nach Christus als designierten Thronfolger mit dem Programm vor, unter göttlichem Schutz die ruhmreiche Tradition Roms zu wahren und zugleich das Werk des Augustus fortzusetzen. Zusammen mit Tiberius wird auch sein anderthalb Jahrzehnte zuvor verstorbener Bruder Drusus als Bauherr genannt: Den Wiederaufbau des Tempels, der durch einen Brand zerstört worden war, hatten die beiden Brüder seinerzeit gemeinsam gelobt. Die Verbindung der beiden unzertrennlichen Brüder, die auch noch 15 Jahre nach dem Tode des Drusus als gegenwärtig herausgestellt wurde, sollte freilich mehr als Bruderliebe suggerieren. Vielmehr verkündete sie, daß Tiberius und Drusus, einst Stiefsöhne des Augustus und Sieger in vielen Schlachten, ähnliche Heroen waren wie Castor und Pollux, die ebenfalls unzertrennlichen und stets siegreichen Söhne des Zeus, des obersten Gottes. Die drei ausgewählten Beispiele stehen für rund 3000 Dokumente Roms, die die Mitarbeiter des Seminars für Alte Geschichte von Heidelberg aus bearbeitet haben. Viele von ihnen sind ähnlich eindrucksvoll und aussagekräftig. Besonders wichtig ist aber, daß sie nicht nur als Einzelstücke, als voneinander isolierte Mosaiksteinchen, betrachtet werden. In ihrer Gesamtheit und durch die vielen Beziehungen, die sich zwischen den einzelnen inschriftlichen Monumenten ermitteln lassen, werfen sie auf die gesamte "epi- graphische Kultur" der Römer ein neues Licht: Sie machen deutlich, daß die Inschriften, wenn wir sie richtig zum Sprechen bringen, dazu geeignet sind, uns über Einzelinformationen hinaus auch mit den Grundzügen der Mentalität, mit den politischen Normen und Zielvorstellungen der Römer vertraut zu machen.

Autor:
Prof. Dr. Dr. h.c.mult. Géza Alföldy
Seminar für Alte Geschichte, Postfach 10 57 60, 69047 Heidelberg,
Telefon (06221) 54 22 31

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