Siegel der Universität Heidelberg
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Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,

in der Öffentlichkeit besteht ein breiter Konsens darüber, daß Innovationsschwäche eine der Ursachen für die gegenwärti- gen Probleme der deutschen Wirtschaft ist. Die Industrie, so wird argumentiert, entwickle zuwenige neue Produkte, beson- ders im Bereich der "Zukunftstechnologien". Über die tieferen Ursachen der Innovationsschwäche wird leider wenig reflek- tiert. Statt dessen sucht man nach einer schnellwirkenden Arznei. Sie wird in einem zu intensivierenden Technologie- oder Wissenstransfer gesehen. Da damit auch die Hochschulen gefordert sind, soll dieses Thema in der vorliegenden Ausgabe der "Ruperto Carola" vertieft werden. Der Kollege Hermann Bu- jard geht in seinem Beitrag auf die Situation in den Biowissenschaften ein.

Wissenstransfer ist keine neue, sondern schon immer eine zen- trale Aufgabe der Hochschule gewesen. In Vorlesungen und Praktika wird das moderne Wissen gelehrt, und Abschlußarbei- ten werden über aktuelle Probleme der Wissenschaft angefer- tigt. Die Absolventen tragen das Wissen in die Betriebe - man nennt das den "Wissenstransfer durch Köpfe". Allerdings ist dieser Transfer ins Stocken geraten, nachdem die Labors der Industrie "verschlankt" oder gar geschlossen worden sind. Ob das der Innovationsfähigkeit gut tut?

Die Personalpolitik der Großbetriebe wirkt auch in die Hoch- schule zurück. Die Zahlen der Erstsemester in Chemie, Physik, Informatik und den technischen Fächern gehen dramatisch zu- rück - bundesweit. In Heidelberg zum Beispiel haben wir in Chemie und Physik dieses Jahr rund 30 Prozent niedrigere An- fängerzahlen als zum Wintersemester 1993/94. Ich halte das für eine sehr bedenkliche Entwicklung.

Wer heute in der Öffentlichkeit über zu verbessernden Techno- logietransfer redet, meint leider nicht die Absolventen, son- dern die direkte Forschungskooperation zwischen Industrie und Hochschule. Solche Zusammenarbeit hat in Deutschland eine lange Tradition. Zum Beispiel hat der theoretische Physiker Albert Einstein vierzehn Patente erhalten, unter anderem für die Erfindung eines geräuschlosen Kühlschranks - und das, nachdem er durch die Relativitätstheorien schon weltberühmt geworden war und den Nobelpreis erhalten hatte. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten sich Hochschule und Industrie von- einander entfernt, und die Gräben zwischen grundlegender und angewandter Forschung waren tiefer geworden. Hier zeichnet sich eine Änderung ab.

Dazu gibt unter anderem die Forschungspolitik der großen Drittmittelgeber Anlaß. Bei ihrer Förderung bevorzugt die öf- fentliche Hand im Land, im Bund und in der Europäischen Union immer stärker Forschungskooperationen mit der Industrie. Selbst in der DFG gibt es Überlegungen, die Industrie stärker einzubinden.

Auch das gegenwärtige Rektorat ist bestrebt, die Kontakte zur Industrie zu verstärken. Nach einer kürzlich erschienenen Studie über den Technologietransfer zu kleinen und mittleren Unternehmen kooperieren nicht weniger als zehn Prozent dieser Betriebe mit Hochschulen und weitere 30 Prozent sind an einer Zusammenarbeit interessiert, aber bisher durch verschiedene "Schwellenängste" daran gehindert. Die Universität ist be- müht, Hemmnisse bei der Kontaktaufnahme abzubauen. Hierzu ei- nige Beispiele: Zu dem erfolgreichen Rhein-Neckar- Gesprächskreis, der schon über zehn Jahre Forscher aus Indu- strie und Hochschule regelmäßig zusammenbringt, ist das neu- gegründete Forum Bildverarbeitung gekommen. Die Universität, vertreten durch ihre Institute, wird verstärkt auf Messen präsent sein. Sie spricht Unternehmen direkt an, um Möglich- keiten für Kooperationen zu erkunden. Die Forschungsdatenbank erlaubt allen Interessierten einen schnellen und aktuellen Überblick über die Forschungsprojekte an der Universität. Die größere Offenheit der Universität zum Gedanken- und Er- fahrungsaustausch mit der Industrie und zu verstärkter ge- meinsamer Forschung wird, so meine ich, für beide Seiten vor- teilhaft sein und letztendlich auch unseren Absolventen zugu- te kommen.

Jörg Hüfner, Prorektor

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