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Kurzberichte junger Forscher

Von Molekülen, Magnetfeldern und Weißen Zwergen

Es ist der Traum eines jeden Forschers, mikroskopische Strukturen und Prozesse beinflussen oder entwerfen zu können. Damit soll eine möglichst große Vielfalt makroskopischer Eigenschaften oder dynamischen Verhaltens erreicht werden. Starke äußere Magnetfelder, die mit den Coulombkräften zwischen den Ladungsträgern (Elektronen, Kernen) eines Atoms oder Moleküls konkurrieren, führen zu einer Vielzahl neuer atomarer oder molekularer Phänomene. Wenn man Coulombkräfte mit magnetischen Kräften kombiniert, können die Bindungseigenschaften und das Bewegungsverhalten (also die einem Atom oder Molekül zugrundeliegende Dynamik) einschneidend verändert werden.

Dieser Themenbereich wird am Lehrstuhl für Theoretische Chemie der Universität Heidelberg seit mehreren Jahren intensiv erforscht.

Die Schwierigkeit der theoretischen Untersuchungen besteht in dem Wechselspiel der magnetischen und der Coulombkräfte, die beide von vergleichbarer Stärke sind. Um komplexe Phänomene bei Anwesenheit äußerer Felder beschreiben zu können, ist es erforderlich, die Grundlagen der aus dem feldfreien Raum bekannten Prinzipien kritisch zu prüfen, zu erweitern oder neu zu entwerfen. Außerdem müssen sogenannte nichtstörungstheoretische Ansätze und Methoden entwickelt werden, um die physikalischen Eigenschaften von Systemen konkret zu berechnen. Zu diesen beiden Aufgabenstellungen haben die Forschungsarbeiten der Theoretischen Chemie wichtige Beiträge geliefert. Einige der zentralen Resultate sollen hier kurz beschrieben werden.

Eckpfeiler der Molekülphysik

Die "Born-Oppenheimer-Approximation" ist ein Eckpfeiler der Molekülphysik in Abwesenheit äußerer Felder. Sie beruht auf der näherungsweisen Trennung der Bewegung von Elektronen und Kernen in Molekülen. Es hat sich erwiesen, daß es nicht möglich ist, das traditionelle (das heißt im feldfreien Fall angewandte) Born-Oppenheimer-Verfahren auf Moleküle in starken Magnetfeldern zu übertragen. Detaillierte Untersuchungen zur Trennung der Bewegung von Elektronen und Kernen in Magnetfeldern haben gezeigt, daß physikalisch bedeutsame Effekte – zum Beispiel die Abschirmung der Kerne gegen das Magnetfeld durch die Elektronen – in gemischten Anteilen der Bewegungen enthalten sind. Diese Erkenntnis war die Basis für die Entwicklung eines neues Separationsverfahrens, des "abgeschirmten Born-Oppenheimer-Zugangs".

Gegen Ende der achtziger Jahre wurde ein effizientes Verfahren entwickelt, um die elektronische Struktur von Molekülen in starken Magnetfeldern zu berechnen. Eine Phase numerisch-algorithmischer Implementierungsarbeiten ist mittlerweile abgeschlossen. Zur Zeit untersuchen wir intensiv die Struktur und die Eigenschaften des WasserstoffmolekülIons und des Wasserstoffmoleküls in starken Magnetfeldern. Diese Untersuchungen sind vor allem für die Astrophysik interessant. Gemeinsam mit der Universität Kiel vergleichen wir derzeit die astronomisch beobachteten Spektren von sogenannten magnetischen Weißen Zwergen.

Eine Fülle neuer Phänomene entdeckten wir während unserer Forschungsarbeiten zu Molekülen in starken Magnetfeldern. Im feldfreien Raum können beispielsweise ungebundene Zustände von Molekülen durch das Magnetfeld in gebundene Zustände umgewandelt werden. Das heißt, es werden neue chemische Bindungsmechanismen ausgelöst. Weitere Beispiele für relevante Effekte sind neue Symmetrien der Ladungsverteilungen im Molekül sowie die Ausprägung neuer Gleichgewichts-Konfigurationen mit erniedrigter Symmetrie. Im Falle des Wasserstoffmoleküls ergab sich, daß für einen bestimmten Feldstärkebereich überhaupt keine Wasserstoffmoleküle existieren können. Diese Erkenntnis hat unmittelbare Konsequenzen für die chemische Zusammensetzung der Atmosphären magnetischer Weißer Zwerge. Ein wichtiges Verfahren für die theoretische Behandlung von Atomen und Molekülen ist, die kollektive Bewegung und die innere Bewegung (Schwerpunktsbewegung) voneinander zu trennen. Im feldfreien Fall ist es möglich, diese beiden Bewegungsformen zu separieren. Das äußere Feld hingegen koppelt die verschiedenen Freiheitsgrade. Dies führt zu einer Reihe neuer dynamischer Mechanismen und neuer Energieaustauschprozesse.

Ordnung und Chaos

Atome, die durch die Aufnahme von Laserlicht in einem hochangeregten Zustand präpariert werden, gehen in ihrer elektronischen Dynamik von einem regulären zu einem chaotischen Verhalten über, sobald man ein Magnetfeld einschaltet. Wir konnten nachweisen, daß die chaotische Dynamik auf die Schwerpunktsbewegung übertragen werden kann. Dies führt zu einem Diffusionsverhalten. Der ausgelöste Energieaustausch bewirkt außerdem einen Selbstionisierungs-Prozeß des atomaren Systems. Gemeinsam mit der University of Urbana-Champaign in Illinois konnten wir kürzlich nachweisen, daß der Übergang von der schwachen zur starken Mischung der kollektiven und der elektronischen Bewegungen des Atoms im Magnetfeld ein wichtiges Analogon in der Physik der kondensierten Materie besitzt: Die unterschiedliche Mischung der atomaren Bewegungsformen entspricht der Abnahme der elektrischen Leitfähigkeit eines mit Fremdatomen dotierten Drahtes, der Konzentrationsgrad der Dotierung nimmt dabei zu. Die Schwerpunktsbewegung von Atomen in Magnetfeldern ist auch für die Zahl und Form elektronischer Bindungszustände von Bedeutung. Wir untersuchten in einem Projekt den Mehrteilchencharakter von Atomen und fanden dabei ungewöhnliche Eigenschaften und Strukturen: Neben den bereits wohlbekannten hochangeregten "Rydbergzuständen" von Atomen gibt es eine weitere Klasse von schwach gebundenen Zuständen. Sie besitzen im Unterschied zu den Rydbergzuständen ein außergewöhnlich großes Dipol-Moment. In diesen Zuständen werden die subatomaren Teilchen durch eine Potentialbarriere daran gehindert, zusammenzukommen. Vor kurzem wurden diese Vorhersagen erfolgreich auf das Positronium-Atom angewandt. Dabei ergab sich eine spektakuläre Entdeckung: Teilchen (Elektronen) und Antiteilchen (Positronen) werden in den Dipol-Zuständen daran gehindert, sich gegenseitig zu vernichten (Annihilation). Sie bilden stattdessen stabile Atome. Dies ist die einzige bisher bekannte Form von stabilen mikroskopischen Materie-Antimaterie-Systemen. Die Arbeiten erfolgten in Zusammenarbeit mit dem Institut für molekulare Biotechnologie in Jena und dem College of the Holy Cross in Worcester, New York.

Für mikroskopisch physikalische Systeme in starken Magnetfeldern wurde bisher eine große Komplexität und Vielfalt der Phänome beobachtet. Dies ist ein vielversprechender Hinweis darauf, daß dieses noch junge Forschungsgebiet auch zukünftig zahlreiche interessante Beiträge liefern und für so manche wissenschaftliche Überraschung sorgen wird.

Autor:
Priv.-Doz. Dr. Peter Schmelcher
Theoretische Chemie, Physikalisch-Chemisches Institut, Im Neuenheimer Feld 253, 69120 Heidelberg,
Telefon (06221) 54 53 08

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