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Interview

Verbesserte Psychotherapie der Depression

Über die Ergebnisse der vor kurzem abgeschlossenen "Heidelberger Depressionsstudie" und ihre Konsequenzen für die Behandlung depressiver Menschen sprach Claudia Wassmann, Redakteurin der Ruperto Carola, mit Professor Christoph Mundt, Geschäftsführender Direktor der Psychiatrischen Klinik der Universität Heidelberg.

Depressionen sind ein Forschungsgebiet der Psychiatrischen Klinik der Universität Heidelberg. Unter anderem haben Sie das Zeiterleben depressiver Patienten untersucht.

Wir haben das subjektive Zeiterleben und die objektive Zeiteinschätzung von Patienten, die an endogenen beziehungsweise neurotischen Depressionen leiden, mit dem Zeiterleben von Gesunden verglichen. Ausgangspunkt für unsere Studie war die Annahme, daß Depressionen mit einer Störung des Zeiterlebens einhergehen. Subjektiv erscheint den Patienten die Zeit gedehnt, oder sie steht still. In der Depressionsforschung nahm man bisher an, daß nur endogene Depressionen mit einer Störung des Zeiterlebens einhergehen, neurotische Depressionen, die in seelischen Einstellungen wurzeln, jedoch nicht. In unserer Studie haben wir bei allen Depressionstypen ein verändertes Zeitempfinden festgestellt. Das Ausmaß der Verlangsamung steht in engem Zusammenhang mit der Schwere der Störung. Bei Schwerdepressiven mit endogener Depression ist die Verlangsamung am stärksten. Wir haben die Patienten beispielsweise darum gebeten, die Zeitspanne der vergangenen Stunde und die der kommenden Stunde abzubilden. Dabei zeigt sich, daß sie beides als gedehnt erleben, am längsten erscheint ihnen aber die kommende Stunde.

Wovon hängt das Zeiterleben ab?

Die Einschätzung von längeren Zeitspannen wird vor allem vom motivationalen Zustand der Befindlichkeit beinflußt. Es ist deshalb anzunehmen, daß diese Faktoren auch für die Zeitdehnungserlebnisse bei Patienten verantwortlich sind. Im Alltag erscheint normalerweise ein ungefülltes aktuelles Langerleben im Rückblick kurz. Produktiv gefülltes aktuelles Kurzerleben hingeben erscheint im Rückblick als lange Zeitspanne. Wenn man davon ausgeht, daß das Erleben von Zeit durch die Zahl der erinnerten internen und externen Erlebnisse bestimmt wird, sollten Aufgaben, die ein hohes Maß an Konzentration und aktiver Teilnahme voraussetzen, die subjektiv erlebte Zeitdauer erhöhen. Besonders dann, wenn die Aufgabe mit Willens- und Konzentrationsanstrengungen verbunden ist.

Welche Schlußfolgerungen ergeben sich für die Therapie?

Die Befunde zeigen, daß das Zeiterleben und das Ausmaß der depressiven Verstimmung zusammenhängen. Das Zeiterleben wiederum ist abhängig vom Ausmaß an Aktivität, die in der betreffenden Zeitspanne erfolgt: Gefüllte Zeit wird kürzer erlebt als leere Zeit. Daraus folgt, daß ein Aktivierungstraining dazu beitragen kann, die Befindlichkeit der Patienten zu bessern. Eine Tätigkeit, die der Patient ohne Überforderung ausübt, kann das quälende Gefühl der Leere abbauen, das Betroffene gerade zu Beginn eines stationären Aufenthaltes empfinden. Das Zeitdehnungs-Erleben nimmt dadurch ab und damit auch das Ausmaß der depressiven Verstimmung. Wichtig ist, den Patienten nicht zu überfordern. Denn sonst entstehen Schuldgefühle, die den positiven Effekt zunichte machen.

Welche Rolle spielt der Lebenspartner bei der Entwicklung einer depressiven Störung?

Der Langzeitverlauf depressiver Erkrankungen scheint in erheblichem Maß von der Qualität und den Eigenarten der Beziehungen zu den Angehörigen und Lebenspartnern abhängig zu sein. In der Literatur wird gelegentlich behauptet, daß ein kritisierendes, feindseliges Verhalten des Partners als besonderes Risiko für einen Rückfall anzusehen sei. Man kann dies anhand von Interviews mit Angehörigen überprüfen, bei denen ein Übermaß an Fürsorglichkeit, Kritik und Feindseligkeit feststellbar ist. Dies wird als "high expressed emotion" bezeichnet. Die Ergebnisse der Literatur sind dabei inkonsistent. Es gibt Studien, die mehr Rückfälle bei Patienten aus "high expressed emotion"-Familien gefunden haben, andere Studien konnten dies nicht bestätigen.

Haben Sie auch eigene Untersuchungen zur dieser Frage durchgeführt?

In der Heidelberger Depressionsstudie haben wir die psychosozialen Rückfallprädiktoren der Depression untersucht. Wir haben auch den "expressed emotion"-Status untersucht. In unserer Studie hat dieser Status die Rückfälle nicht vorausgesagt. "High expressed emotion" und "low expressed emotion" zeigten gleiche Rückfallraten. Unsere Studie ging von Befragungen der Partner zu ihrer Einstellung den kranken Angehörigen gegenüber aus. Wir haben in sehr aufwendiger Weise die Interaktionen zwischen Patienten und Ehepartnern mit einem soziometrischen Instrument untersucht, das standardisierte Konfliktgespräche kategorisiert hat. Insgesamt wurden etwa 18 000 Interaktionen kategorisiert. Dabei zeigte sich überraschend, daß die Paare von depressiven Patienten und gesunden Partnern, die ein gewisses Maß an Aggressivität und konflikthafter Auseinandersetzung zulassen, die deutlich bessere Prognose haben als Paare, die eine starke Harmonisierungstendenz im Verhalten zeigen. Interessant ist auch der Befund, daß sowohl die Konfliktauseinandersetzung bei diesen Paaren als auch die Harmonisierungstendenz von beiden Partnern - also auch von den Patienten - gestaltet wird.

Welche praktischen Konsequenzen haben diese Ergebnisse?

Diese Befunde haben wichtige Konsequenzen für die Psychotherapie der Depression. Eine Besserung der Konfliktfähigkeit, ein Abbau von Ausweich- und Vermeidungsverhalten gegenüber Gegensätzlichkeiten kann einzel- und paartherapeutisch helfen, die Rückfallrate zu senken.

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