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Kurzberichte junger Forscher

Kreuzbandtransplantation

Um die normale Kniegelenksbeweglichkeit aufrechtzuerhalten, kommt den Kreuzbändern eine Doppelfunktion zu: Sie wirken als passive Stabilisatoren und schützen aufgrund ihrer mechanischen Haltefunktion das Kniegelenk gegen widernatürliche Scher- und Translationskräfte, und sie üben wesentliche Funktionen bei der dynamischen Führung des Kniegelenkes aus. Bisher wurde überwiegend die stabilisatorische und weniger die neurogene Funktion des Kreuzbands untersucht.

Während die Innervation der Kniegelenkskapsel im wesentlichen aufgeklärt ist, sind Informationen über die Neuroanatomie des vorderen Kreuzbands selten. Die Innervation erfolgt über zwei voneinander unabhängige neurale Systeme: den Gefäßtonus regulierende und damit dem autonomen Nervensystem zugeordnete Nervenfasern, und sensorische Nervenfasern, die nociceptive und propriozeptive Informationen übertragen, also Schmerz und Informationen über die Orientierung der beteiligten Extremität im Raum. Hierbei spielen spezialisierte Nervenendorgane, sogenannte Mechanorezeptoren, eine wesentliche Rolle, die Informationen über Stellung und Bewegung des Gelenks an höhergelegene Zentren im Rückenmark und Gehirn weiterleiten. Die Mechano- oder Propriorezeptoren werden nach ihren Erstbeschreibern als Ruffini- oder Pacini-Körperchen benannt und funktionieren als langsam (Ruffini-) oder schnell adaptierende (Pacini-) Dehnungs- oder Beschleunigungsdedektoren. Schmerzqualität übermittelnde Nervenfasern sind dadurch gekennzeichnet, daß sie das Neuropeptid Substanz P beinhalten und als Antwort auf mechanische, thermische, chemische Stimulation oder Entzündung die Substanz P im Rückenmark freisetzen.

Die Differenzierung dieser Systeme war bislang schwierig, und der Anteil der propriozeptiven Fasern des vorderen Kreuzbands wurde als gering und damit unbedeutend eingestuft. Erst die seit kurzem vorhandene Möglichkeit, mittels monoklonaler Antikörper die in den jeweiligen Nervenfasern vorhandenen Neuroproteine beziehungsweise deren Neuropeptide zu identifizieren, macht eine Unterscheidung möglich.

Die Behandlung eines zerrissenen vorderen Kreuzbands war lange Zeit Domäne der konservativen Chirurgie, denn die Nachuntersuchungen operativ versorgter Kreuzbandrupturen zeigten wenig erfolgreiche Ergebnisse, da auf Grund der anatomischen Lage im Kniebinnenraum die anfangs durchgeführte Adaptationsnaht der gerissenen Bandstummel zu Bandinsuffizienzen oder erneuten Rupturen führte. Auf der Suche nach anderen Operationsmethoden wurde, nachdem die primäre Bandnaht weitgehend aufgegeben worden war, in den siebziger Jahren zunächst das gerissene Kreuzband durch ein Kunststoffband ersetzt. Jedoch ebenfalls mit wenig erfolgreichen Resultaten, ebenso wie bei Versuchen mit körpereigenen Sehnen – zumeist das mittlere Drittel der Sehne zwischen Kniescheibe und Schienbeinkopf; es wurden auch eine Vielzahl anderer Sehnen und Operationsmethoden beschrieben.

Der wesentliche Nachteil der körpereigenen Sehnentransplantate lag an der Schwächung des Körperteils, dem die Sehne entnommen wurde – hier überwiegend das bereits verletzte Kniegelenk – oder in Schmerzen und verzögerten Heilungsverläufen im Entnahmegebiet.

Es lag also nahe, ähnlich wie bei der Organtransplantation auf körperfremde Kreuzbandtransplantate zurückzugreifen. Auch hier müssen die die Immunabwehr auslösenden Stoffe abgeschwächt werden, um eine Abstoßungsreaktion zu verhindern. Dieses Problem ist durch das Tieffrieren des Transplantats auf -96° Celsius für alle klinischen Belange mittlerweile ausreichend gelöst.

Wir haben uns in der hier vorliegenden Arbeit mit der Darstellung von Nerven (und ihren spezialisierten Endorganen) des vorderen Kreuzbands, ihrer Aufteilung in gefäßtonus-regulierende und in sensorisch-nocizeptive beziehungsweise sensorisch-mechanorezeptive Nervenfasern beschäftigt und mit der Frage, ob und in welchem Umfang die im gesunden Kreuzband nachzuweisenden Nervenfasern in ein körperfremdes transplantiertes Band einzuwachsen in der Lage sind.

Bei zwölf weißen Neuseeland-Kaninchen wurde daher das vordere Kreuzband knochengestielt allogen transplantiert, nachdem es zuvor für 72 Stunden bei -96° Celsius eingefroren wurde. Die Bänder wurden als Knochen-Band-Knochen-Einheit transplantiert, als Kontrolle diente das nichtoperierte gegenseitige vordere Kreuzband. Der Nachuntersuchungszeitraum betrug zwischen drei Wochen und einem Jahr. Das entnommene Kreuzband wurde fixiert, bevor es in Flüssigstickstoff tiefgefroren und in einer Schichtdicke von 20µm geschnitten wurde. Die Schnitte wurden mit monoklonalen Antikörpern gegen Neurofilament zum Nachweis sensorisch-mechanorezeptiver Nervenfasern, mit Substanz P zum Nachweis nocizeptiver Nervenfasern und mit Tyrosin-Hydroxylase zum Nachweis Gefäßtonus-regulierender Nervenfasern bebrütet und mittels eines Epifluoreszenzmikroskops ausgewertet.

Die Ergebnisse zeigten, daß im nichttransplantierten Kontroll-Kreuzband neurofilamenthaltige Nervenfasern in Bündeln arterielle Gefäße begleiten. Sie sind von Nervenhüllscheiden umgeben und spleißen sich auf, bis nur noch einzelne Fasern übrigbleiben. Diese enden frei oder seltener in Ruffini-Körperchen. Andere spezialisierte Mechanorezeptoren waren nicht nachweisbar. Substanz-P-haltige Nervenfasern treten sowohl mit den Nervenbündeln als auch als gefäßumspinnendes Geflecht in das Kreuzband ein und lassen sich zum Teil bis unmittelbar unter die Zellen der Gelenkinnenhaut an die Oberfläche des vorderen Kreuzbands nachverfolgen. Tyrosin-Hydroxylase-haltige Nervenfasern umspinnen perlschnurartig die größeren arteriellen Blutgefäße.

Die Ergebnisse drei und sechs Wochen nach vorderer Kreuzbandtransplantation zeigten in keinem der untersuchten Transplantate nachweisbare Nervenfasern. Erst nach zwölf Wochen fanden sich im Randbereich der Präparate Neurofilament- und Substanz-P-Fasern in Bündeln, die von einem Perineurium umgeben waren. Endaufzweigungen oder Endorgane waren nicht nachweisbar. Tyrosin-Hydroxylase-haltige Nervenfasern umgeben die neu eingewachsenen Gefäße netzartig. Ab der 24. Woche treten die Fasern wie bei den Kontrollen in das Band ein und verzweigen sich in einzeln verlaufende Axone. Die Endigungen sind aber stets frei; Ruffini-Körperchen oder andere spezialisierte Endorgane ließen sich nicht nachweisen. Die Gewebetextur des transplantierten Bandes ist gegenüber dem Kontrolltier verändert, der kollagene „Kern“ des Bands ist nicht mehr eindeutig abgrenzbar von dem umhüllenden lockeren Bindegewebe.

In neuroanatomischen Studien gelenkversorgender Nerven können sensorische und dem autonomen Nervensystem zugeordnete Nervenfasern nachgewiesen werden, wobei die sensorischen Fasern nochmals in zwei Gruppen zu unterteilen sind: in schnell-leitende mechanoreceptive A-Fasern und nociceptive C-Fasern. Die Dreiteilung der nervalen Versorgung artikulärer Strukturen läßt sich auch neurochemisch aufzeigen, da jede der drei Gruppen aus neurochemisch differenten Nervenfasern besteht. Entsprechend dieser Dreiteilung lassen sich in unserem Experiment im vorderen Kreuzband drei neurochemisch unterschiedliche Nervenfasern aufzeigen: Fasern, in denen Tyrosin-Hydroxylase, Substanz P und Neurofilament nachgewiesen werden können. Thyrosin-Hydroxylase findet sich im Nervengewebe innerhalb des autonomen Nervensystems, es verengt die Blutgefäße und dient damit der Blutdruckerhöhung. Die von uns im vorderen Kreuzband nachgewiesenen Thyrosin-Hydroxylase-haltigen Nervenfasern sind daher als die gefäßtonusregulierenden Nerven anzusehen. Substanz P ist eine Eiweißsubstanz, welche als Entzündungsübermittler in einer Vielzahl sensorischer C-Nervenfasern enthalten ist, die zumindest teilweise der Schmerzübermittlung dienen. Elektronenoptische Studien zeigten diese Nervenfasern nicht von einer Nervenscheide umhüllt. Sie können den hüllfreien Nervenendigungen entsprechen, die in elektronenmikroskopischen Untersuchungen im menschlichen vorderen Kreuzband nachgewiesen wurden. Die von uns aufgezeigte relative Nähe dieser Fasern zur Gelenkinnenhaut deckt sich mit Beobachtungen, die aufzeigen konnten, daß größere Mengen an Substanz P von Nervenendigungen in die Gelenkflüssigkeit abgegeben werden.

Mechanoreceptive Nervenfasern sind von Nervenscheiden umhüllt, besitzen damit einen relativ großen Durchmesser und sind schnelleitend. Dementsprechend sollte das von uns bestimmte Neurofilament in schnell-leitenden umhüllten A-Fasern aufzufinden sein. Dies konnte kürzlich am menschlichen Karotiskörperchen nachgewiesen werden, wo eine Immunreaktivität gegen neurofilamentäres Protein ausschließlich in A-Faser-Chemorezeptoren aufzufinden war, bei derem völligen Fehlen in sensorischen C-Fasern und im autonomen Nervensystem. Unsere Ergebnisse stehen in Übereinstimmung mit diesen Berichten; die von uns nachgewiesenen neurofilamenthaltigen Axone des vorderen Kreuzbands zeigten alle einen relativ großen Faserdurchmesser und endeten zumindest teilweise an Ruffini-Körperchen, die langsam adaptierenden Dehnungsrezeptoren entsprechen.

Die Zellkörper der das Kniegelenk innervierenden Nervenzellen liegen alle rückenmarksnah und haben ihre Ausläufer im vorderen Kreuzband. Die von uns transplantierten Bänder enthielten damit nur noch vom Zellkern abgetrennte Anteile, die ohne die sie versorgende Nervenzelle nicht überlebensfähig sind und daher abgebaut werden. Die Abbauvorgänge beinhalten die Entfernung der Nervenscheide und des Achsenzylinders, beginnen Stunden nach deren Abtrennung und sind innerhalb von 14 Tagen im wesentlichen abgeschlossen. Alle Nervenfasern, die wir innerhalb des Transplantats nachgewiesen haben, stammen daher vom Wirtsgewebe und stellen Aussprossungen wirtseigener Nervenzellen dar.

Die ersten Nervenfasern in dem transplantierten Kreuzband waren zwölf Wochen nach der Transplantation nachweisbar, die ersten Endaufzweigungen nach 24 Wochen. Da mindestens drei neurochemisch und funktionell unterschiedliche Nervenfasern ein gesundes vorderes Kreuzband innervieren, war es notwendig festzustellen, welche der drei Faserarten das transplantierte Band reinnervierten. Nach unseren Ergebnissen sind alle drei Nervenfaserarten in der Lage, in das transplantierte Kreuzband einzuwachsen, sich dort aufzuzweigen und an der nervalen Versorgung zu beteiligen. Das transplantierte vordere Kreuzband wird nach unseren Untersuchungen nach einer Latenzzeit von mindestens zwölf Wochen von gefäßtonusregulierenden Nervenfasern des autonomen Nervensystems sowie von schnelleitenden mechanorezeptiven A-Fasern und langsamleitenden nocizeptiven C-Fasern neu innerviert.

Der anatomisch geführte Nachweis neu eingewachsener Nervenfasern muß jedoch nicht notwendigerweise bedeuten, daß damit auch die normale neurale Funktion des vorderen Kreuzbandes wiederhergestellt ist. Vor allem für die Neurofilament-immunreaktiven Axone, die unter Normalbedingungen mechanorezeptive Funktionen innehaben, ist nicht geklärt, ob die neu ausgebildeten Endaufzweigungen diese Funktionen wiederaufnehmen können, und ob der Zellkörper der in das transplantierte Band eingewachsenen Nervenzelle im Rückenmark entsprechend verschaltet ist, so daß die für das vordere Kreuzband physiologischen Reflexe wiederausgelöst werden können. Beide Fragen sind im Rahmen der hier vorliegenden morphologischen Studie nicht zu beantworten. Es ist jedoch anzunehmen, daß das transplantierte Band über Nerven seiner unmittelbaren Nähe wieder Anschluß an höherliegende sensorische Nervenzellen erhält und sich damit wieder an kreuzbandtypischen Reflexmustern beteiligen kann.

Priv.-Doz. Dr. Bernd Fromm (Habilitationsschrift)

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