Siegel der Universität Heidelberg
Bild / picture

Interview

Im Juli 1996 hat der Sonderforschungsbereich „Rechner- und sensorgestützte Chirurgie“ seine Arbeit aufgenommen. Prof. Dr. Dr. Joachim Mühling, Ärztlicher Direktor der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, ist stellvertretender Sprecher des SFBs, an dem die Universitäten Heidelberg und Karlsruhe sowie das Deutsche Krebsforschungszentrum beteiligt sind. Dr. Dr. Karl Stefan Haßfeld, Mitglied im Vorstand des SFBs, war maßgeblich an der Entwicklung des Prototypen eines Navigationssystems in der Chirurgie beteiligt, auf dem die Arbeit des Sonderforschungsbereichs zum Teil aufbaut. Interview von Claudia Wassmann

Was ist die Zielsetzung des Sonderforschungsbereichs 414?

Mühling: Der SFB blickt sehr weit in die Zukunft. Wenn Sie sich überlegen, wo die Weiterentwicklung in der Medizin stattfinden wird, dann wird Rechner- und sensorgestützte Chirurgie mit Sicherheit eines der Hauptstandbeine sein. Durch den Einsatz von Computern kommen wir zum Beispiel in der Navigation oder in der Planung von Operationen sehr viel weiter als wir bisher sind. Wenn Sie dagegen andere Entwicklungen in der Chirurgie betrachten, zum Beispiel die Weiterentwicklung von Operationstechniken, da ist weitgehend alles ausgereizt, was wollen Sie da noch machen?

Können wir uns solch eine Entwicklung in Richtung High-Tech-Medizin überhaupt noch leisten?

Mühling: Meiner Überzeugung nach wird eine „High-Tech-Medizin“ Behandlungen nicht verteuern, sondern letztendlich günstiger machen. Operationen im Mund-Kiefer-Gesichtsbereich, zum Beispiel die Verlagerung von Knochen, sind schwierig. So mußten bisher präoperativ mehrere Röntgenaufnahmen des Patienten gemacht werden, da ein Röntgenbild eben immer nur eine Blickrichtung darstellen kann. Daneben lagen eventuell schriftliche Befunde zur funktionellen Beeinträchtigung vor. Zusätzlich wurde in jüngerer Zeit noch ein Computertomogramm und eventuell ein Magnetresonanztomogramm nötig.
Heute dagegen genügt ein Datensatz aus Computer- und/oder Magnetresonanztomogramm zur Diagnoseerstellung durch den Radiologen, zur Operationsplanung und zum intraoperativen Einsatz.

Was ist das Besondere an diesem SFB?

Haßfeld: Die Besonderheit dieses SFBs liegt in der interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Herzchirurgen, Kieferchirurgen, Informatikern und Ingenieuren. Schwierig war dabei zunächst das Finden einer gemeinsamen Sprache, mit der eine effiziente interdisziplinäre Zusammenarbeit erst möglich wird.

Mühling: Auf der Grundlage dieser gemeinsamen Sprache sollen nun rechnergestützte Prototypsysteme entwickelt werden. In der Kieferchirurgie sollen die digitalen Bilddaten Diagnose, Operationsplanung, Einschätzung des Operationsergebnisses und schließlich die Ausführung der Operation unterstützen. Für die Herzchirurgie sollen neue Methoden zur 3-D-Visualisierung des Herzens entwickelt werden. Hier kann auf die Softwareentwicklungen zur Darstellung von Weichteilen von Herrn Meinzer aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum zurückgegriffen werden. Außerdem sollen die Funktionszustände des Herz-Kreislauf-Systems erfaßt werden, um mit diesen Daten eine Herz-Lungen-Maschine individuell, auf die Bedürfnisse des Patienten angepaßt, zu steuern. In der interdisziplinären Zusammenarbeit gehen wir so vor, daß wir Mediziner ein Anforderungsprofil erarbeiten, das die Techniker dann umsetzen. Ihre Entwicklungen werden von uns geprüft, Änderungswünsche gehen zurück, bis eine optimale Lösung gefunden ist.

Warum finden sich zwei so verschiedene Entwicklungen wie die Steuerung von Herzpumpen und die Navigation im OP in einem SFB?

Mühling: Die DFG wollte gerade die komplementären Sachgebiete der Chirurgie, Weichteile und Knochen, in den Fachrichtungen Kiefer- und Herzchirurgie zum Gegenstand eines SFB machen, um eine „Verzettelung“ in der Forschung zu verhindern. Schließlich können die Ergebnisse auf dem Gebiet des Knochens im Bereich der Mund-Kiefer- und Gesichtschirurgie später auch vom Allgemein- oder Neurochirurgen genutzt werden. Zum anderen sind die Weichteile in ihrer Verschieblichkeit gerade bei Operationen in der Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie problematisch, so daß über das Projekt „Weichteile“ dann das noch wesentlich kompliziertere „bewegte Weichteile - bewegtes Herz“ von den Technikern in Angriff genommen werden kann.

Wer löst die Simulationsaufgaben?

Haßfeld: Das Interdisziplinäre Zentrum für Wissenschaftliches Rechnen an der Universität Heidelberg arbeitet an der Entwicklung von mathematischen Algorithmen für komplexe Simulationen. Ziel wäre hier die Simulation der kompletten Gesichtsbewegung. Während es relativ einfach ist, die Verschiebung eines Knochens darzustellen, stellt die Simulation der mit dieser Verschiebung einhergehenden Auswirkungen auf das davon betroffene System von Muskeln und Weichgeweben hohe Anforderungen an die Mathematiker. Dieses Problem wird, wie sich jetzt abzeichnet, in den nächsten Jahren noch nicht abschließend gelöst werden können.

Wofür müssen Sie die komplette Gesichtsbewegung simulieren?

Haßfeld: Um die für die Funktion und Ästhetik beste Operationsdurchführung vorab für den einzelnen Patienten festlegen zu können, müßten die verschiedenen Operationsmöglichkeiten und deren konkrete ästhetische und funktionelle Auswirkungen am Computer anhand der Patientendaten aus Computer- und Magnetresonanztomogramm simuliert werden können.

Arbeiten Sie nicht heute bereits mit Computersimulation und Navigation im OP?

Mühling: Wir können diese Techniken zur Zeit in begrenztem, prototypischen Maße nützen. Das Navigationssystem im Operationssaal ermöglicht heute bereits eine wesentlich verbesserte Orientierung im anatomisch komplexen Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich. Es wird erfolgreich im Rahmen der Überprüfung von Resektionsgrenzen bei Tumoroperationen und bei knochenverlagernden Eingriffen zur Korrektur von Fehlbildungen im Kiefer- und Gesichtsbereich eingesetzt sowie zur Fremdkörperentfernung. Da der Einsatz des Navigationssystems eine exakte Datengrundlage erfordert, ist die Vorbereitungszeit für eine navigationsunterstützte Operation noch relativ lang. Die virtuelle Operation ist aber derzeit noch nicht möglich.

Haßfeld: Vor allem können die Daten noch nicht realitätsnah virtuell verarbeitet werden. Die derzeit verfügbare Software erlaubt zwar die Simulation eines Schnittes, aber ohne die Berücksichtigung der Gewebeeigenschaften, in die hineingeschnittenwird. Bei heute verfügbaren Systemen zur virtuellen Knieoperation etwa, schneidet der Operateur am Computer widerstandslos durch alle Gewebe hindurch. Hie müßte das System den Schnitt stoppen und dem Operateur den Widerstand der Dewebe verdeutlichen. Diese „Rückkopplung“ erfolgt derzeit nicht, ist aber unabdingbar, um dem Bediener des Systems ein realitätsnahes Gefühl des Schneidens oder Sägens zu vermitteln. Hier liegt einer der wesentlichen Aufgabenbereiche der am Sonderforschungsbereich beteiligten Ingenieure.

Mühling: Eine realitätsnahe Simulation der Gewebeeigenschaften würde dann – als weiteres Fernziel unseres Projekts – die Entwicklung und schließlich den Einsatz von Robotern möglich machen. Denkbar wären hier zwei Arten der Unterstützung des Chirurgen durch einen Roboter: So könnte der Roboter „mitlaufen“ und den Chirurgen nur bremsen, sobald dieser in eine Risikoregion gerät, oder er könnte umgekehrt den Chirurgen gemäß Operationsplan zur richtigen Stelle führen.

Das klingt ein bißchen so, als ob Sie auf lange Sicht oder im allgemeinen einem Roboter mehr zutrauen als dem Menschen.

Mühling: Unbestritten ist sicher, daß ein Roboter dem Menschen in puncto Präzision überlegen ist. Dieser Aspekt spricht gerade in unserem Fachgebiet für den Robotereinsatz. Denn da wir im Gesichtsbereich, der immer und für jeden sichtbar ist, operieren, ist für das ästhetische und funktionelle Ergebnis von großer Bedeutung, daß so optimal wie möglich geschnitten und gesägt wird. Aber natürlich würde der Roboter den menschlichen Chirurgen nicht überflüssig machen, sondern ihn nur zum Wohle des Patienten unterstützen.

Seitenbearbeiter: Email
zum Seitenanfang