Siegel der Universität Heidelberg
Bild / picture

Kräftiges Grün auf Chromosom 17

Moderne Erkenntnisse bestätigen die alte Vorstellung, daß ein Tumor schrittweise entsteht, wächst und bösartig wird. Viele Mutationen, die sich summieren, sind dazu nötig. Deshalb ist es von großem Vorteil für die Diagnostik, wenn Pathologen die Methoden der Molekularbiologie nutzen, denn mit Gensonden können sie die Mutationen entdecken und Aussagen über Entwicklungsstadium und Metastasierung der Tumoren und die Prognose der Patienten machen, zum Beispiel bei Brustkrebs und Prostatakrebs. Die Analyse der Bausteine des Erbguts von Tumorzellen steht erst am Anfang, am Pathologischen Institut der Fakultät für Klinische Medizin Mannheim wird sie bereits erfolgreich eingesetzt, Uwe Bleyl und Michael Härle berichten.

Der Einsatz molekularbiologischer Untersuchungsmethoden in der modernen diagnostischen Pathologie beruht auf der Vorstellung, daß ein Tumor durch die Summation zahlreicher, durch Umweltfaktoren ausgelöster oder spontan auftretender Mutationen entsteht. Das Prinzip der Tumorentstehung wird als „summative Mehrschritt-Karzinogenese“ bezeichnet und umfaßt eine Vielzahl von angeborenen oder im Laufe des Lebens erworbenen, endogen oder exogen verursachten Mutationen, die neben- oder nacheinander auftreten können, ehe aus einem rasch wachsenden, zunächst unter Umständen aber noch gutartigen „Tumorzellklon“ ein bösartig infiltrierender und destruierender Tumor mit der Fähigkeit zur Ausbildung von Metastasen entsteht. Gene, die das Wachstum und die Teilung von Tumorzellen steuern und intensivieren, werden „Proto-Onkogene“ genannt, Gene, die das Wachstum und die Teilung hemmen, heißen „Tumor-Suppressorgene“.

Das bekannteste Beispiel einer „summativen Mehrschritt-Karzinogenese“ ist der Krebs der Dickdarm- und der Rektumschleimhaut, das kolorektale Karzinom, auf dem Boden einer „Adenom“- oder „Dysplasie-Karzinom-Sequenz“. Bereits 1987 konnte bei einer familiär gebundenen adenomatösen Polyposis des Dickdarms eine vererbte Mutation des Adenomatose-Polyposis-Coli-Gens nachgewiesen werden. Das APC-Gen ist ein Tumor-Suppressorgen. Durch die Mutation verliert das Proteinprodukt des Gens seine Funktion, so daß das Wachstum von Deckzellen der Dickdarm- und Rektumschleimhaut nicht mehr gehemmt werden kann. Aus der unkontrollierten Zellteilung und dem ungehemmten Wachstum der Deckzellen resultiert ein „Vielfuß“, ein Polyp, und damit eine zunächst noch gutartige Neubildung. Im klassischen medizinischen Sprachgebrauch werden solche Polypen als „Adenome“ bezeichnet. Menschen mit einer vererbten Mutation des APC-Gens leiden unter Umständen an Tausenden derartiger Polypen, an einer familiären adenomatösen Polyposis Coli.

Die Mutation des APC-Gens allein genügt aber nicht für die Manifestation einer „Adenom“- oder „Dysplasie-Karzinom-Sequenz“. Mehrere weitere Mutationen müssen auftreten, ehe eine bösartige Krebsgeschwulst entsteht, die in das umgebende Gewebe einwuchert, es zerstört und Fernmetastasen ausbilden kann. Diese Mutationen betreffen das Ki-Ras-Gen, das TP53-Gen und das sogenannte DCC-Gen. Das Ki-Ras-Gen kodiert für ein intrazelluläres Signalvermittlungs-Produkt. Durch die Mutation wird es daueraktiviert. Das aktivierte Ki-Ras-Gen aber übermittelt zusätzliche Wachstumsimpulse an die Deckzellen der Dickdarmschleimhaut. Das Gen TP53 ist ein Tumor-Suppressorgen und kodiert für p53, ein Protein, das normalerweise die Deckzellen solange am Eintreten in einen neuen Zellteilungszyklus hindert, bis alle angefallenen DNA-Schäden repariert sind. Geht diese Normalfunktion durch Mutation verloren, so kommt es zu einem völlig ungehemmten Wachstum der Darmschleimhautepithelien. Die Mutation des DCC-Gens schließlich verhindert den durch das DCC-Gen gesteuerten Zusammenhalt von Schleimhautzellen in Zell- und Gewebsverbänden, die zelluläre Adhäsion, und begünstigt damit die für das bösartige Tumorgewebe der Kolonschleimhaut, das Adenokarzinom, so charakteristische Streuung der Tumorzellen auf dem Blut- und Lymph-weg und die Ausbildung hämatogener oder lymphogener Tochtergeschwülste. In der modernen Theorie der „summativen Mehrschritt-Karzinogenese“ findet eine historische Sicht der Tumorentstehung und Tumorentwicklung aus den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts eine späte molekularpathologische Bestätigung, daß der Prozeß der Tumorentstehung, Manifestation und Ausbreitung im Organismus in Stufen ablaufe. Robert Rössle, der Altmeister der deutschen Pathologie, hatte 1921 von „Stufen der Malignität“ gesprochen.

Aus der außerordentlichen Bedeutung der „summativen Mehrschritt-Karzinogenese“ für Entstehung, Wachstumsstadien, Differenzierungsgrad, Metastasierung und Langzeitprognose von bösartigen Tumoren resultiert für die moderne diagnostische Pathologie die faszinierende Chance, aber auch die Herausforderung, durch den Einsatz molekularbiologischer Methoden wesentliche Mutationen bei der Entstehung der verschiedensten Tumoren zu erfassen und damit das diagnostische Spektrum der Pathologie um Aussagen zur genetischen Steuerung von Zellteilung, Wachstum, Differenzierung, Phänotyp und Tumorheterogenität, aber auch zur Steuerung der Metastasierungsneigung, zur Langzeitprognose und zur Therapierbarkeit dieser malignen Tumoren zu erweitern. Aus der Vielzahl molekularbiologischer Methoden haben in der diagnostischen Pathologie vor allem zwei methodische Ansätze eminente praktische Bedeutung erlangt, die „in-situ-Hybridisierung“ (ISH) und die „komparative genomische Hybridisierung“ (CGH).

Als in-situ-Hybridisierung bezeichnet man eine molekularbiologische Methode, die aufgrund der Ähnlichkeit mit den seit 20 Jahren bewährten Verfahren der konventionellen Immunhistochemie an Gewebeschnitten auch als „Hybridohistochemie“ firmiert. Bei der konventionellen Immunhistochemie werden farbstoffmarkierte Antikörper zur Identifizierung bestimmter antigener Substrate in den Gewebeproben eingesetzt, bei der ISH radioaktiv oder nicht-radioaktiv markierte Nukleinsäure-Sonden gegen Nukleinsäuren des Zellkerns (DNA) und/oder gegen die mehrheitlich zytoplasmatischen Nukleinsäuren (RNA). Werden zur Markierung nicht-radioaktive Fluoreszenz-Farbstoffe (Fluorochrome) verwandt, spricht man von der Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH). „In-situ“ bedeutet dabei soviel wie „an seinem ursprünglichen Platz im Gewebe“, „Hybridisierung“ meint „Kreuzung“. Am Ort eines einzelsträngigen Abschnitts der DNA aus dem genetischen Material einer Zelle (genomische DNA) wird durch technische Manipulationen eine Kreuzung mit einer ebenfalls einzelsträngigen, artifizell eingebrachten DNA-Sonde herbeigeführt. Die Sonde ist zu der im Gewebe gesuchten Chromosomen- oder Gen-spezifischen DNA-Sequenz komplementär. Die Hybridisierung findet bei der FISH am Arbeitskern der zu analysierenden Zellkomplexe, im sogenannten Interphasekern statt.

Bevor die DNA-Sonde mit der Nukleinsäure der Tumorzellkerne gekreuzt wird, muß die DNA zunächst aus ihrer natürlichen Doppelstrangform in Einzelstränge überführt, das heißt, „denaturiert“ werden. Das geschieht durch Erhitzen der Gewebeproben und der Sonden-DNA. Das Hauptproblem bei der FISH besteht darin, den Zellkern für die mit dem Fluorochrom „Fluores-cein-Isothiocyanat“ markierte DNA-Sonde zugänglich zu machen.

Das inzwischen außerordentlich zuverlässige Verfahren der Fluorochrom-Markierung kommt den Belangen der diagnostischen Pathologie sehr entgegen, weil man damit die gesuchten Nukleinsäure-Sequenzen von intakten Tumorzellverbänden direkt im Fluoreszenzmikroskop betrachten kann. Als DNA-Sonden werden inzwischen sowohl Chromosomen-spezifische als auch Gen-spezifische Sonden eingesetzt. Da im Rahmen dieser Technik jedes einzelne Chromosom des Interphasekerns auf eine genetische Aberration geprüft werden kann, kann mit der FISH im Interphasekern auch eine „Interphase-Zytogenetik“ betrieben werden.

Die Eleganz der FISH läßt sich an einem Beispiel von hoher theoretischer und praktischer Bedeutung verdeutlichen, an der Analyse der sogenannten c-erbB-Rezeptorfamilie beim Mammakarzinom. Aus konventionellen molekularbiologischen Untersuchungen ist seit langem bekannt, daß die durch ein zelleigenes Proto-Onkogen kodierten c-erbB-Rezeptoren beim Mammakarzinom des Menschen eine herausragende Rolle spielen. c-erbB-Rezeptoren sind transmembranöse Rezeptoren vom Tyrosinkinase-Typ und vermitteln der Tumorzelle Wachstumssignale. Das Proto-Onkogen C-ERBB-1 kodiert für den Rezeptor des epidermalen Wachstumsfaktors EGF (epidermal growth factor). Die Überexpression des Rezeptors gilt damit als ein wichtiger molekularbiologischer Indikator für eine schlechte Tumorprognose. Das ,c' steht dabei für ein normales zelleigenes Gen und sein transmembranöses Genprodukt (im Gegensatz zu dem viralen Pendant ,v-erb', welches beim Huhn eine erythroblastische Leukämie induziert). Noch häufiger als c-erbB ist beim Mammakarzinom allerdings das c-erbB-2 überexprimiert. Dieses Proto-Onkogen kodiert dabei für einen zweiten transmembranösen Glykoprotein-Rezeptor, den c-erbB-2-Rezeptor, welcher gleichfalls Kinaseaktivität besitzt. Etwa 20 Prozent aller menschlichen Mammakarzinome haben bei klassischen molekularbiologischen Untersuchungen eine Vervielfältigung des genetischen Materials des Proto-Onkogens C-ERBB-2 erkennen lassen, das heißt, eine erhöhte Kopiezahl, ein Phänomen, das als Amplifikation des Proto-Onkogens bezeichnet wird. Die Amplifikation und die daraus resultieren-de Überexpression des c-erbB-2-Rezeptors (Gen-Dosis-Effekt) aber korrelieren mit der Prognose von Mammakarzinom-Patientinnen, die bereits an Lymphknotenmetastasen leiden. Bei konventionellen immunhistochemischen Studien an 96 Mammakarzinomen aus den Archiven des Pathologischen Instituts Mannheim hatten fast 20 Prozent der Tumoren auf Proteinebene eine Überexpression des c-erbB-2-Rezeptors gezeigt. An Gewebeproben dieser Tumore führten wir die FISH zum Nachweis einer Amplifikation des Proto-Onkogens C-ERBB-2 durch, in der Hoffnung, das Spektrum unserer pathohistologischen Diagnostik um einen zuverlässigen prognostischen Parameter erweitern zu können. Alle Mammakarzinome mit immunhistochemisch gesicherter Überexpression des c-erbB-2-Rezeptors ließen bei der nachfolgenden FISH mit einer DNA-Sonde gegen das Proto-Onkogen C-ERBB-2 eine Vermehrung von Fluoreszenzsignalen innerhalb des einzelnen Tumorzellkerns erkennen, was die Amplifikation des Proto-Onkogens C-ERBB-2 in den Tumorzellen zweifelsfrei belegt. Mammakarzinome, die immunhistochemisch keine Überexpression des c-erbB-2-Rezeptors aufwiesen, zeigten mit der DNA-Sonde gegen das Proto-Onkogen C-ERBB-2 im Interphasekern der Tumorzellen dagegen keine intranukleären Amplifikationsmuster. Die Methode der FISH ist mithin vorzüglich geeignet, bei Einsatz spezifischer DNA-Sonden gegen definierte zelleigene Gene oder chromosomale DNA-Sequenzen selbst an Jahre zurückliegenden Gewebeproben menschlicher Mammakarzinome zuverlässige, jederzeit reproduzierbare Aussagen über die Existenz und Amplifikation derartiger Gene oder DNA-Sequenzen in Tumorzellkernen zu gewährleisten und damit zugleich den genetischen Hintergrund der Expression von Wachstums- und Differenzierungs-Rezeptoren als Teilmanifestation der „summativen Mehrschritt-Karzinogenese“ offenzulegen.

Vergleichbare Untersuchungen zur Interphase-Zytogenetik liegen bereits für das Prostatakarzinom vor. Auch hier konnte belegt werden, daß der Nachweis bestimmter numerischer chromosomaler Aberrationen bei der in-situ-Hybridisierung gegen eine chromosomen-spezifische DNA-Sonde mit einem größeren Tumorvolumen, mit einer stärkeren Entdifferenzierung der Tumorzellen und mit einem fortgeschrittenen Tumorstadium korreliert, numerische chromosomale Aberrationen also auch beim Prostatakarzinom als ein (möglicherweise ganz eigenständiger) Prognosefaktor zu werten sind.

Der eminente Vorteil der „Interphase-in-situ-Hybridisierung“ gegenüber den klassischen molekulargenetischen Methoden liegt darin, daß man die hybridisierten Arbeitskerne eines komplexen Tumorzellverbands unmittelbar histomorphologisch kontrollieren und chromosomale Aberrationen unmittelbar zuordnen kann, auch zu heterogenen Tumorzellpopulationen mit unterschiedlichen Graden der zellulären Differenzierung oder Entdifferenzierung. Selbstverständlich läßt sich auch die lichtmikroskopisch normal erscheinende gewebliche Nachbarschaft eines Tumors auf eventuell schon vorhandene genomisch-genetische Abweichungen prüfen. Als methodischer Nachteil der in-situ-Hybridisierung an menschlichen Tumoren ist allerdings die Tatsache zu werten, daß für jedes Chromosom und für jede definierte DNA-Sequenz eine spezifische Hybridisierungssonde vorhanden sein und tatsächlich eingesetzt werden muß, um chromosomale oder genomische Aberrationen sichtbar machen zu können. Solche Hybridisierungssonden mit konstanten DNA-Sequenzen sind zwar inzwischen für weite Bereiche des menschlichen Genoms vorrätig, die Vorhaltung derartig zahlreicher Sonden ist aber ungewöhnlich kostenintensiv.

Dieser methodische Nachteil wird bei der vergleichenden genomischen Hybridisierung, der Comparative Genomic Hybridization vermieden, weil dort als fluorochrommarkierte Hybridisierungssonde keine ortsspezifische DNA-Sonde zum Einsatz kommt, sondern das gesamte genetische Material des Tumors. Dazu muß die genomische DNA des Tumors, die „Testprobe“, zunächst aus dem zu analysierenden Tumor extrahiert und mit einem grün-fluoreszierenden Farbstoff markiert werden, ehe man sie im Verhältnis eins zu eins mit einer zweiten fluorochrommarkierten, aber rot-fluoreszierenden DNA-Probe aus normalen Zellen, der „Referenzprobe“, vermischt. Das Gemisch wird in einem zweiten Schritt auf Chromosomen einer normalen Metaphase von Lymphozyten hybridisiert. Grün-fluoreszierende Testprobe und rot-fluoreszierende Referenzprobe konkurrieren nun um die Bindungsstellen auf den normalen Metaphase-Chromosomen: Während die Hybridisierung der rot-markierten Referenzprobe auf allen Chromosomen zu einem homogenen Färbungsmuster führt, wird bei Vermehrung der grün-fluoreszierenden DNA-Sequenzen in der Testprobe eine gesteigerte Hybridisierung auf dem zugehörigen Chromosomenabschnitt einer normalen Metaphase durch intensivere Grünfärbung erkennbar. Aus dem Verlust an DNA-Sequenzen in der Testprobe resultiert dagegen eine schwächere Grünfärbung in den entsprechenden chromosomalen Bereichen, die somit durch die homogene Färbung der Referenzprobe stärker rot gefärbt erscheinen. Fluorochromverteilung und Fluoreszenzintensität auf den hybridisierten Metaphase-Chromosomen führen entlang der chromosomalen Achsen zu charakteristischen Fluoreszenzprofilen, die durch ein hochsensibles Bildanalyse-System erfaßt werden können. Mutationen, die mit einem Zugewinn an chromosomalem oder genomischem Material eines Tumors einhergehen, stellen sich also bei der CGH durch Zunahme der Grün-Fluoreszenz auf den hybridisierten Metaphase-Chromosomen dar, solche, die mit einem Verlust einhergehen, durch eine stärkere Rotfärbung.

Der eminente Vorteil der CGH liegt darin, daß der Tumor selbst, die Summe aller für ihn charakteristischen chromosomalen und genomischen Aberrationen als Hybridisierungssonde dient. Die genomische DNA aus dem Tumorgewebe steht bei der CGH an operativ gewonnenen menschlichen Gewebeproben dabei fast unbegrenzt zur Verfügung und kann selbst aus alten, archivierten Paraffinblöcken noch extrahiert und analysiert werden. Ein Nachteil der Methode ist allerdings, daß eine histomorphologische Zuordnung chromosomaler Aberrationen zu Tumoranteilen mit heterogener zellulärer Differenzierung nicht mehr möglich ist.

Die bereits bei der in-situ-Hybridisierung angesprochenen Mammakarzinome mit einer Amplifikation (und Überexpression) von C-ERBB-2 lassen in der CGH durchweg eine kräftige, grün aufleuchtende Bande auf dem langen Arm von Chromosom 17, in der Region 17q11-12 erkennen, exakt in jenem Bereich, in dem das Proto-Onkogen C-ERBB-2 gelegen ist. Anders gesagt: Innerhalb eines mit der CGH durchgeführten globalen genomischen Screenings werden Mammakarzinome mit einer Amplifikation des C-ERBB-2 zuverlässig identifiziert.

Darüber hinaus zeigten mehrere Mammakarzinome mit Amplifikation von C-ERBB-2 gleichzeitig einen Verlust von genetischem Material auf dem kurzen Arm von Chromosom 17. Ob die Inaktivierung eines Tumor-Suppressorgens auf dem kurzen Arm von Chromosom 17 ursächlich mit der Amplifikation des C-ERBB-2 zusammenhängt, ist derzeit eine noch offene Frage. Ungeklärt ist auch, ob der häufig mit der C-ERBB-2-Amplifikation assoziierte Gewinn von genetischem Material auf den Chromosomen 11 und 22 eine progessionsrelevante Koamplifikation dort lokalisierter Onkogene darstellt.

Ein auffällig häufiger CGH-Befund bei Mammakarzinomen ohne Amplifikation des C-ERBB-2 war der Verlust von genetischem Material auf Chromosom 13. Verblüffend war dabei, daß alle betroffenen Tumoren zur Gruppe der sogenannten lobulären Mammakarzinome gehörten. Könnte der Verlust eines Tumor-Suppressorgens auf Chromosom 13 das genetische Programm anstoßen, das für das einzigartige Differenzierungsmuster des lobulären Mammakarzinoms bestimmend ist und damit den Phänotyp dieses Karzinoms festlegt?

Die Zahl der Arbeitsgruppen, die die CGH in der pathohistologischen Diagnostik anwenden, ist weltweit derzeit noch gering. Definitive Ergebnisse sind bis 1995 erst von fünf Arbeitsgruppen vorgelegt worden. Gleichwohl hat der Einsatz der CGH inzwischen bereits zu einer bemerkenswerten Bereicherung des diagnostischen Spektrums der Pathologie geführt. An Harnblasenkarzinomen haben sich komplexe chromosomale Aberrationen der Chromosomen 1, 2, 5, 6, 7, 8, 9, 13 und 17 nachweisen lassen. Bei den invasiv wachsenden Harnblasenkarzinomen vom Typ des Urothelkarzinoms wurde eine Deletion von DNA-Sequenzen auf Chromosom 17 diagnostiziert. Undifferenzierte kleinzellige Harnblasenkarzinome sind andererseits durch eine Deletion auf Chromosom 13 gekennzeichnet, so daß der Eindruck entsteht, daß die Deletion von Chromosom 13 auch beim kleinzelligen Harnblasenkarzinom für ein tumortypisches Wachstumsmuster steht. Am Beispiel des „klarzelligen“ Nierenkarzinoms hat sich zudem nachweisen lassen, daß Amplifikationen auf Chromosom 1 mit der Neigung von Tumorzellen zur Ausbildung von Metastasen assoziiert sind. Die Amplifikation von Chromosom 1 wird damit zu einem Prognoseindikator.

Die CGH könnte aber auch neue diagnostische Ansätze für zukünftige Therapie-Strategien eröffnen. Bei über der Hälfte aller Mammakarzinome war unabhängig von ihrem C-ERBB-2-Status ein Zugewinn von genetischem Material auf dem kurzen Arm von Chromosom 16 anzutreffen, und zwar in einem Bereich, in dem das MRP-Gen gelegen ist. MRP steht für ,multidrug resistance-associated protein' und zeigt beträchtliche Homologien zu einem ATP-bindenden Transportprotein der Zellmembran, welches für einen Teil der sogenannten Zytostatika-Resistenz mancher Tumoren verantwortlich ist. Der Nachweis einer Überexpression des MRP würde die Verwendung bestimmter Zytostatika bei diesen Tumoren in Frage stellen. Die Ergebnisse der CGH-Analyse könnten mithin auch die Therapie-Strategie steuern.

Die molekularpathologische Diagnostik steht zweifelsohne erst am Anfang ihrer Entwicklung. Die „Bausteinanalyse“ des Genoms der verschiedenen gut- und bösartigen Tumoren des Menschen hat gerade erst begonnen. Mit der FISH und der CGH stehen gleichwohl bereits zuverlässige, jederzeit reproduzierbare Methoden zur Verfügung, deren Einsatz in der Onkologie erste diagnostische Erfolge zeitigt. Ob allerdings die Aufnahme dieses im Verhältnis zur konventionellen pathohistologischen Diagnostik ungleich personal- und kostenintensiveren Methodenspektrums in den Dienstleistungsauftrag der pathologischen Institute aus den Budgets der Krankenversorgung zu bezahlen ist, muß die Zukunft lehren.

Autoren:
Prof. Dr. Uwe Bleyl
Priv.-Doz. Dr. Michael Härle, Pathologisches Institut, Fakultät für Klinische Medizin Mannheim der Universität Heidelberg, Theodor-Kutzer-Ufer 1-3, 68167 Mannheim,
Telefon (0621) 383 22 75

Seitenbearbeiter: Email
zum Seitenanfang