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Endlager Schwarzes Meer?

Das Schwarze Meer kann als sicheres Endlager für schwermetall-belastete Feststoffe genutzt werden, ohne jegliche Beeinträchtigung des Ökosystems. Mit diesem auf den ersten Blick schier unglaublich anmutenden Forschungsergebnis verblüffte German Müller vom Institut für Umwelt-Geochemie selbst Greenpeace. Gespräche mit Behörden und Umweltverbänden geben Anlaß zur Hoffnung, daß die als Folge eines zum Teil skrupellosen "Exports" von toxischen Abfällen in Länder der dritten Welt aufgebauten Hürden für eine derartige Entsorgung durch ein klares Konzept überwindbar werden. Die bisherigen Erfahrungen zeigen allerdings, daß weniger der von den Wissenschaftlern vorgeschlagene Entsorgungsweg kritisiert wird als vielmehr befürchtet wird, die Industrie könne angesichts der Möglichkeit einer billigen Entsorgung in ihrem Bemühen um eine weitestgehende Reduzierung von Abfällen nachlassen.

"The Present is the Key to the Past!" Diesen Grundsatz stellte der berühmte englische Geologe Charles Lyell (1797 - 1875), der Vater der modernen Geologie, in seinem 1830 erschienenen Lehrbuch auf. Damit wurde er zum Begründer des Aktualismus, der die Beobachtung der gegenwärtigen geologischen Vorgänge als Erfahrungsquelle für die Deutung der Vergangenheit gelten läßt. Bezogen auf das Schwarze Meer erhält man dadurch erstaunliche Informationen.

Die im tiefen Wasser des Schwarzen Meers in einem lebensfeindlichen, sauerstoffreien und schwefelwasserstofführenden Milieu abgelagerten, gut geschichteten, feinkörnigen Sedimente, die reich an organischer Substanz sind und als Faulschlamm, "Sapropel", bezeichnet werden, kennt man auch aus mehreren Epochen der geologischen Vergangenheit. So zum Beispiel aus dem Schwarzen Jura, "Lias epsilon", den "Posidonienschiefer", der in Mitteleuropa weit verbreitet ist. Der Posidonienschiefer, benannt nach der häufig auftretenden Muschel Steinmannia bronni, ursprünglich "Posidonia bronni", hat Weltberühmtheit durch eine Fossillagerstätte bei Holzmaden am Fuße der Schwäbischen Alb erlangt, in der eine große Anzahl von Fischen und Reptilien der Ordnung Ichthyosauria gefunden wurden, die in nahezu allen naturkundlichen Sammlungen der Erde zu finden sind. Einer zu einer Unterordnung Plesiosauria der Ichthyosaurier gehörende Plesiosaurus brachypterygius wurde 1859 im dritten Vers des vor allem Geologen bekannten Gedichtes "Der letzte Ichthyosaurus" von Viktor v. Scheffel verewigt:

Der Plesiosaurus, der alte,
Der jubelt in Saus und Braus,
Der Pterodactylus selber
Flog neulich betrunken nach Haus.

In den Kinderbüchern und in den Spieltieren der letzten Jahre - nicht zu vergessen dem Film "Jurassic Park"! - haben die an der Grenze Kreide/Tertiär, also vor zirka 60 Millionen Jahren, ausgestorbenen Saurier inzwischen eine fröhliche Auferstehung erlebt.

Der Plesiosaurus jubelt

Im Frühjahr 1969 hatte ich die Gelegenheit, an einer Expedition mit dem Forschungsschiff "Atlantis II" des Woods Hole Oceanographic Institution, Woods Hole, Mass., USA, teilzunehmen. Zu diesem Zeitpunkt galt das vorrangige Interesse einer Arbeitsgruppe meines Instituts und mein eigenes den karbonatischen, den "kalkigen", Ablagerungen in Flüssen, Seen und Ozeanen.

Im Schwarzen Meer waren als jüngste Ablagerungen in Wassertiefen von unterhalb 300 Metern Wechsellagerungen von grauen tonigen und weißen, aus pulverförmigem Calcit (CaCO3) bestehenden, Lagen bekannt.







Coccolithen in den Sedimentgesteinen des Posidonienschiefers...

Die Entstehung der hellen, calcitischen Lagen war bereits seit langem Gegenstand einer kontroversen Diskussion, wobei sich zwei Theorien gegenüberstanden: a) eine Ausfällung von Calcit findet im bodennahen Bereich durch die Tätigkeit denitrifizierender Bakterien statt. Es entsteht Ammoniak, der zu einer Erhöhung des pH-Werts führt und damit die Ausfällung von Calcit aus dem Meerwasser bewirkt. Und b) eine Ausfällung von Calcit findet bereits im oberflächennahen Wasser bei der Durchmischung des ins Schwarze Meer einströmenden bikarbonatischen Flußwassers mit dem in Bezug auf Calcit stark übersättigten Wasser des Schwarzen Meers statt.

Beide Theorien konnten die Entstehung des Calcits nicht erklären, denn durch neuere, auch im eigenen Institut durchgeführte, Untersuchungen war bekannt, daß aus Wässern mit einem hohen Mg/Ca-Verhältnis - und hierzu gehört das Meerwasser und auch das "verdünnte" Meerwasser des Schwarzen Meers - auf keinen Fall "normaler", das heißt magnesiumarmer Calcit, sondern eine magnesiumreiche Variante, nämlich "Hoch-Mg-Calcit" oder aber, abhängig von den physikalisch- chemischen Bedingungen, die rhombische Kristallform des CaCO3, nämlich Aragonit, hätte ausgefällt werden müssen.

Nach der Rückkehr von der Expedition wurden sogleich Proben der hellen Lagen geröntgt, chemische Analysen durchgeführt und vor allem rasterelektronenmikroskopische Aufnahmen gemeinsam mit R. Blaschke, Münster, gemacht, die dann auch die Erklärung lieferten: Die weißen Lagen bestehen fast ausschließlich aus "Coccolithen", calcitischen Schalen planktonischer einzelliger goldbrauner mariner Algen, den Coccolithophoriden der Species Emiliania huxleyi (Lohmann), die erst vor einigen tausend Jahren vom Mittelmeer in das Schwarze Meer eingewandert sind und dort in den obersten Sedimentschichten zu einem wesentlichen Bestandteil wurden. Im Novemberheft der Zeitschrift "Naturwissenschaften" erfolgte noch im gleichen Jahr die Veröffentlichung der Ergebnisse ("Zur Entstehung des Tiefsee-Kalkschlammes im Schwarzen Meer"), in der die rein biogene Entstehung des Calcits dokumentiert wurde. Die sich aus dem Aktualitätsprinzip ableitende Folgerung war: Wenn die hellen Lagen im Faulschlamm des Schwarzen Meers aus Coccolithen bestehen, könnten auch die hellen Lagen im Posidonienschiefer aus Coccolithen aufgebaut sein und damit eine Identität hinsichtlich der Bildungsbedingungen bewiesen werden.

Das Schwarze Meer, eine "jüngere Schwester" der Schwäbischen Alb?

Die Frage nach der Wassertiefe für die Bildung des Posidonienschiefers war nämlich erst 1967, also nur kurz vor der Schwarzmeer-Expedition, erneut aufgeworfen worden: Hatte man bis dahin bereits das Schwarze Meer als ein rezentes Äquivalent des Posidonienschiefer-Meers angesehen, also als ein vom offenen Ozean durch eine Barre getrenntes Teilbecken mit relativ tiefem Wasser und fehlender Zirkulation, glaubte ein bekannter Jura-Forscher von einer Wassertiefe von nur etwa 15 bis 30 Metern ausgehen zu können. Schon die erste rasterelektronenmikroskopische Aufnahme der hellen Lagen einer Posidonienschieferprobe aus einer Bohrung aus dem Rheintal erbrachte den Beweis, daß auch hier fast ausschließlich Coccolithen am Aufbau beteiligt waren. Lediglich der Erhaltungszustand war durch Auflösungserscheinungen nicht so gut wie beim jüngeren Material.

Bereits einen Monat nach der Schwarzmeer-Publikation, also schon im Dezemberheft 1969, erfolgte hier- über eine weitere "Kurze Originalmitteilung" in den "Naturwissenschaften" ("Zur Entstehung des Posidonienschiefers (Lias epsilon)), in der makroskopisch wie mikroskopisch die Übereinstimmung mit den Schwarzmeerproben festgestellt wurde und damit die Flachwassertheorie widerlegt werden konnte. Untersuchungen an weiteren bituminösen Sedimentgesteinen aus dem Tertiär vom Typus Posidonienschiefer ergaben, daß auch hier Coccolithen maßgebliche Sedimentbildner darstellten und für den Calcit-Gehalt der Gesteine verantwortlich waren.

Was haben urzeitliche Ablagerungen mit unserer heutigen Müllproblematik zu tun? Könnte das Schwarze Meer etwa als Endlager für schwermetallbelastete Schadstoffe dienen? Allein der Gedanke, Abfallstoffe irgendwelcher Art im Meer zu versenken, muß zunächst angesichts aller Bestrebungen und Maßnahmen zum Schutze der Meere als nicht verwirklichbar erscheinen. - Was allerdings das Vereinigte Königreich nicht daran hindert, weiterhin Klärschlamm in der Nordsee zu verklappen, und die Tatsache, daß aus dem Raum Brüssel die Abwässer von über einer Million Einwohner ungereinigt in die Schelde und über sie in die Nordsee gelangen, ist sicherlich kein Beitrag zum Schutz der Meere!

Warum könnte nun das Schwarze Meer tatsächlich ein sicheres Endlager für schwermetallbelastete Feststoffe sein? Die Antwort ist einfach: weil zirka 300000 Quadratkilometer des insgesamt 423000 Quadratkilometer umfassenden Meeresbodens - was dem gesamten Tiefwasserbereich des Schwarzen Meers entspricht - seit Jahrtausenden von einem stabilen, anoxischen, das heißt sauerstoff-freien, schwefelwasserstoff-führenden Wasserkörper überlagert werden, der eine physikalisch-chemische Barriere zu dem oberen, bis zu einer Tiefe von 150 bis 250 Metern reichenden, durchlüfteten Wasserkörper darstellt, wegen des reduzierende Bedingungen anzeigenden Redox-Potentials auch als "Redox-Barriere" bezeichnet. Eine Durchmischung der beiden Wasserkörper findet praktisch nicht statt, da sie sich durch verschieden hohe Salzgehalte und dadurch verschiedene Dichten auszeichnen. Die Hydrographie des Schwarzen Meers wird somit durch den charakteristischen Dichteunterschied bestimmt, der das leichtere - "süßere", bedingt durch die Zuflüsse der größeren Flüsse Donau, Dnjestr, Bug und Don - Oberflächenwasser von dem schwereren, "salzigeren" Tiefenwasser trennt.

Der enge Bosporus spielte und spielt für die Entwicklung des Schwarzen Meers eine bedeutende Rolle: Schwarzmeerwasser mit einer Salinität von 15,5 Promille fließt an der Oberfäche in das Marmarameer ab, während Mittelmeerwasser mit einer Salinität von 38,5 Promille am Grund des Bosporus in das Schwarze Meer eintritt. Man kann eine vertikale Verteilung von Schwefelwasserstoff (H2S) sowie der gelösten Metalle Zink (Zn), Kupfer (Cu), Mangan (Mn) und Kobalt (Co) in Tiefenprofilen erkennen, bezogen auf die Sauerstoff-Null- Grenze. Die Konzentrationen von Zink und Kupfer im Tiefenwasser werden in erster Linie durch das extrem geringe Löslichkeitsprodukt ihrer entsprechenden Sulfide bestimmt. So liegen für Kupfer die Konzentrationen deutlich unter einem Mikrogramm pro Kilogramm (0,000001 g/kg) bei Zink bei einem Mikrogramm. Die Löslichkeiten beider Metalle sind oberhalb der Sauerstoff-Null-Grenze wesentlich höher als im anoxischen Tiefenwasser. Mangan zeigt ein anderes Verhalten: Im anoxischen Bereich gelöstes Mangan wird an der Grenze anoxisch/oxisch als Manganoxid (MnO2) ausgefällt, die Partikel sinken ab und werden im anoxischen Bereich erneut wieder aufgelöst. Das Verhalten von Kobalt kann durch Adsorption an MnO2-Partikel im Grenzbereich anoxisch/oxisch gedeutet werden, bei deren Auflösung das Kobalt in die gelöste Form übertritt.

Die Bedingungen im Tiefenwasser gewährleisten, daß aus unmittelbar auf dem Meeresgrund im tiefen Wasser des Schwarzen Meers abgelagerten schwermetallbelasteten Feststoffen praktisch keine Metalle freigesetzt werden, da in erster Linie die Schwefelwasserstoffkonzentration im Wasser und im Porenwasser der Sedimente deren Löslichkeit bestimmt und sogar die in den Feststoffen enthaltenen Metallverbindungen letztendlich in unlösliche, stabile Sulfide überführt werden. Die im Faulschlamm des Schwarzen Meers gebildeten Eisensulfide Pyrit und Hydrotroilit enthalten denn auch beträchtliche Konzentrationen an Schwermetallen. So ist zum Beispiel das Kupfer im Vergleich zu "normalem" Pyrit um den Faktor 20 angereichert.

Ähnliche Anreicherungen für bestimmte Metalle finden sich auch im Posidonienschiefer. Einen Sonderfall stellt der "Kupferschiefer" im mitteldeutschen Zechstein (oberes Perm, Paläozoikum) dar, ein ebenfalls unter anaeroben Bedingungen gebildetes Gestein, in dem vor allem Kupfer - als Sulfid! - derart konzentriert auftritt, daß bis nach dem Zweiten Weltkrieg ein bergmännischer Abbau erfolgte. Daß im Kupferschiefer keine Coccolithen gefunden wurden, liegt daran, daß es im Paläozoikum noch keine Coccolithophoriden gab!

Lösen urzeitliche Ablagerungen unser Müllproblem?

Die Durchführung der störungsfreien "sauberen" Ablagerung der auf dem Wasserweg ins Schwarze Meer transportierten kontaminierten Feststoffe auf dem Meeresboden in Tiefen von unterhalb von 2000 Metern Wassertiefe ist nach dem heutigen Stand der Technik ohne Schwierigkeiten möglich. So hat eine große deutsche Firma ein spezielles Verfahren für vertikales Pumpen von wasserreichen Materialien wie Bagger- oder Klärschlämmen entwickelt; zunächst wird es aber darum gehen, wasserarme oder trockene Feststoffe wie Schlacken, Flugasche, Pyrolyserückstände in Behältern sicher auf den Meeresboden zu verbringen.

Das hier vorgeschlagene Konzept ist nicht ohne umweltpolitische Brisanz, denn es muß gelingen, den Vorwurf des "Mülltourismus" zu entkräften und einen Konsens auf verschiedenen Ebenen zu erreichen. Für den "Transport gefährlicher Abfälle" - in diese Kategorie fallen schwermetallbelastete Abfallstoffe - existiert ein umfangreiches nationales und internationales Regelwerk, welches das grenzüberschreitende Verbringen solcher Abfälle strengen Kontrollen unterwirft. Im nationalen Bereich sind hier das Abfallgesetz von 1986, die Abfall- und Rohstoffüberwachungsverordnung von 1990 und die Ausführungsgesetze zum Baseler Übereinkommen von 1989 über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung zu nennen. Darüber hinaus sind die Richtlinien der Europäischen Union zu beachten.

Seitens führender Reedereien sieht man keinerlei Probleme, einen gefahrlosen Transport zu niedrigen Preisen durchzuführen. Es sei daran erinnert, daß heute der Preis für eine Tonne Exportkohle aus den USA oder aus Südafrika deutlich unter 100 Mark liegt, was nicht nur den Transport, sondern auch die Kohle selbst mit einschließt! Die bisherigen Gespräche mit Behörden und Umweltverbänden, unter anderem auch mit Greenpeace, verliefen in einer sachlichen Atmosphäre und stets ohne Polemik. Es besteht somit die Hoffnung, daß die als Folge eines zum Teil skrupellosen "Exports" von toxischen Abfällen in Länder der dritten Welt aufgebauten Hürden durch ein klares Konzept überwindbar sind. Meine bis jetzt gesammelten Erfahrungen zeigen allerdings, daß weniger der vorgeschlagene Entsorgungsweg kritisiert wird, sondern die Befürchtung herrscht, die Industrie könne angesichts der Möglichkeit einer sich bietenden billigen Entsorgung in ihrem Bemühen um eine weitestgehende Reduzierung von Abfällen nachlassen.

Autor:
Prof. Dr. Dr. h.c. German Müller, Institut für Umwelt-Geochemie, Im Neuenheimer Feld 236, 69120 Heidelberg,
Telefon (06221) 54 48 03

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