Siegel der Universität Heidelberg
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Verräterische Zeichen

Die Erkrankung gilt als besonders tückisch. Sie schickt keine Vorboten, warnt nicht durch Schmerzen. Ganz allmählich verengt sich über Jahre hinweg das Blickfeld, bis die Betroffenen am Ende nur noch einen kleinen Ausschnitt sehen: Der "Grüne Star", das Glaukom, ist eine der häufigsten Erblindungsursachen. Die Behandlung ist schwierig, um so wichtiger ist es, die Krankheit frühzeitig zu erkennen. Mit einem neuen bildgebenden Verfahren, der "Laser-Scanning-Tomographie", ist es jetzt möglich, bereits erste Anzeichen krankhafter Veränderungen sichtbar zu machen. Reinhard Burk und Eberhard Völcker von der Universitäts-Augenklinik schildern die Konzepte, die Realisation und die klinische Anwendung des "Heidelberger Retina-Tomographen".

Eine Erblindung mit schillernden Reflexen im Pupillenbereich, ähnlich den silbrig, grünlich oder bläulich changierenden Reflexionen an einer Wasseroberfläche – das ist die noch recht unspezifische Beschreibung des "glaucoma" in der Antike. Heute wird das Glaukom, der "grüne Star", medizinisch exakt als "manifestes primär chronisches Offenwinkelglaukom" definiert: ein Sehnerv-schaden, der mit einem Gesichtsfelddefekt einhergeht. Als eigenständiges Krankheitsbild ("Glaucoma simplex") wurde das Glaukom erstmals im Jahr 1861 mit der Befundkonstellation Erhöhung des Augeninnendrucks, Sehnervenexkavation (vergrößerte Ausbuchtung im Bereich des Sehnervaustritts aus dem Auge) und Gesichtsfeldschaden beschrieben. Unbehandelt kann die Erkrankung bis zum vollständigen Schwund der Sehnervenfasern mit komplettem Gesichtsfeldverlust fortschreiten. In den Industrieländern ist das Spätstadium des Offenwinkel-Glaukoms eine der Haupterblindungsursachen.

Im Mittelpunkt des Interesses der klinischen Glaukomforschung steht der Sehnerv, der Nervus opticus, und die Nervenfaserschicht der Netzhaut (Retina). Der psychophysische Vorgang des "Sehens" setzt voraus, daß Lichtwellen durch die brechenden Medien des Auges auf die Sinneszellen der Netzhaut fokussiert werden, wo sie biochemische Reaktionen auslösen. Die hierbei entstehenden Impulse werden von den retinalen Nervenzellen des rechten und linken Auges über den jeweiligen Sehnerven – er wird von den langen Fortsätzen, den Axonen, dieser Nervenzellen gebildet – an das Gehirn weitergeleitet.

Von entscheidender Bedeutung für die Vorbeugung des unwiderruflichen Funktionsverlustes im Gesichtsfeld ist, glaukomatöse Strukturänderungen des Sehnervenkopfs (Papille) und der retinalen Nervenfaserschicht frühzeitig zu erkennen. Ein über das physiologische Maß von circa 5000 Nervenfasern pro Jahr (bei einer Gesamtzahl von ungefähr einer Million Nervenfasern des Nervus opticus) hinausgehender Verlust retinaler Axonenbündel und die Ausbildung einer charakteristischen Exkavation des Sehnervenkopfes kennzeichnet eine glaukomatöse Gewebeschädigung. Aufgrund der großartigen Leistung des menschlichen Gehirns kann auch eine fortgeschrittene glaukomatöse Gewebeschädigung noch mit normalen Befunden bei der gängigen Prüfung des Gesichtsfeldes einhergehen.

Mit Hilfe der Ophthalmoskopie, der Spiegelung des Augenhintergrundes, kann der Sehnerv direkt inspiziert werden. Das in der täglichen klinischen Routine verwendete Untersuchungsinstrument, der Augenspiegel, wurde im Jahre 1850 von Hermann von Helmholtz (1821-1894) konstruiert. Helmholtz war – bevor er im Jahr 1870 auf den Lehrstuhl für Physik in Berlin berufen wurde – Professor für Physiologie und Anatomie an der Universität Heidelberg. Die Entdeckung, daß mit dem Augenspiegel die Nervenfaserbündel der Netzhaut im lebenden Organismus beobachtet werden können, wurde erstmals im Jahr 1916 von Alfred Vogt publiziert. Aufgrund der geringen Lichtintensität des Augenspiegels und der häufig nur mäßigen Transparenz der Augenlinse der Patienten kann von dieser Möglichkeit der Nervenfaserschichtbeurteilung zur Früherkennung eines Glaukoms im praktischen Alltag allerdings nur selten Gebrauch gemacht werden.

Starke Kontraste, deutliche Details

Die Befunddokumentation von Sehnerv und Nervenfaserschicht im Zeitverlauf ist deshalb bei Glaukom oder Glaukomverdacht von besonderer klinischer Bedeutung. Bisher wurden zur objektiven Dokumentation und Verlaufskontrolle dieser anatomischen Strukturen fotographische Techniken verwendet, beispielsweise das Farbdia, das Papillenstereofoto oder die Nervenfaserschichtfotografie im rotfreien Licht. Ein wesentlicher Fortschritt für die objektive Befunddokumentation ist die Einführung der sogenannten Laser-Scanning-Tomographie in die Augenheilkunde. Die Technik wurde in enger Kooperation zwischen Universität und Industrie in Heidelberg entwickelt. Im Zuge der raschen Entwicklung auf den Gebieten von Optoelektronik und Computertechnologie konnte die Laser-Scanning-Tomographie als neues, nicht invasives bildgebendes Verfahren realisiert werden.

Die ersten Laser-Scanning-Systeme zur Bildgebung vom Augenhintergrund wurden im Jahr 1980 von den Arbeitsgruppen um R.H. Webb in Boston und J.F. Bille in Heidelberg als Labormodelle aufgebaut. "Laser-Scanning-Ophthalmoskopie" bedeutet: Der Augenhintergrund wird von einem Laserstrahl schwacher Intensität mit hoher Geschwindigkeit Punkt für Punkt zeilenweise abgetastet. Das reflektierte und gestreute Licht wird mit Hilfe eines hochempfindlichen Detektors reflektiert. Das dabei entstehende Bild ist sehr kontrastreich; Medientrübungen wirken sich im Vergleich zu konventionellen Aufnahmetechniken weniger störend aus. Aufgrund der normalerweise hohen Tiefenschärfe von Laser-Scanning-Ophthalmoskopen kommen Details im Bereich des Glaskörperraumes, der Region zwischen Linsenrückfläche und Netzhautoberfläche, bis in den Bereich der Lamina cribrosa, der siebartigen Durchtrittstelle des Sehnervs am Augenhintergrund durch die das Auge umgebende Lederhaut, gleichzeitig scharf zur Darstellung. Die Laser-Scanning-Tomographie ist die Fortentwicklung der zweidimensionalen Bildgebung vom Augenhintergrund zu einer im lebenden Organismus (in vivo) möglichen Mikroskopie mit der Möglichkeit zur dreidimensionalen Strukturrekonstruktion.

In der Biologie werden Laser-Scanning-Mikroskope mit konfokalem optischen Aufbau seit einigen Jahren verwendet, um beispielsweise Zellkerne zu analysieren. Bei einem konfokalen Strahlengang werden lediglich diejenigen Anteile des reflektierten und gestreuten Lichtes am Detektor registriert, die unmittelbar aus dem Bereich der aktuellen Fokalebene – der im Focus befindlichen Bildebene – stammen. Diese "optischen Schnittbilder" besitzen eine minimale Tiefenschärfe. Das ist die unbedingte Vorausetzung für eine exakte Tiefenlokalisation.

Laser-Scanning-Tomographie

Wie sieht das Konzept der Laser- Scanning-Tomographie aus? Mittels der in-vivo-Anwendung der Laser-Scanning-Mikroskopie sollen Serien zweidimensionaler optischer Schnittbilder von Arealen wie dem Sehnervenkopf oder der Stelle des schärfsten Sehens (Makula) aus unterschiedlichen Fokalebenen aufgenommen werden. Aus dieser Serie von Bildern kann die räumliche Struktur der dargestellten Bereiche rekonstruiert und unter Berücksichtigung der Abbildungseigenschaften des Auges quantitativ berechnet werden.

Im Jahr 1987 gelang es Mitarbeitern einer im Technologiepark der Universität angesiedelten Heidelberger "High-Tech"-Firma, die Erfahrung im Bau von Laser-Scanning-Mikroskopen hatte, ein präzises optisches Schnittbild vom Augenhintergrund anzufertigen. Untersuchungen der Heidelberger Universitäts-Augenklinik mit dem Prototypen eines Laser-Tomographic-Scanners belegten den hohen potentiellen Nutzen dieses in der Augenheilkunde neuen bildgebenden Verfahrens. Daraufhin förderte die Deutsche Forschungsgemeinschaft die systematische Prüfung der neuen diagnostischen Methode.

In Studien, die gemeinsam mit deutschen, europäischen und amerikanischen Kollegen erfolgten, konnten wir nachweisen, daß die zunächst an einem Kunstauge berechneten Werte den tatsächlichen Meßdaten entsprechen. Wir konnten außerdem zeigen, daß vergleichbare Resultate für die Exkavationskonfiguration des Sehnervs mittels Laser-Scanning-Tomographie und computergesteuerter Stereophotogrammetrie gleichzeitig aufgenommener Stereodias vom Augenhintergrund bestimmt, und daß isolierte Nervenfaserbündeldefekte in optischen Schnittbildern mittels der Laser-Scanning-Tomographie dargestellt werden können. Die für den Heidelberger Retina-Tomographen "HRT" (Heidelberg Engineering, Heidelberg) verfügbaren Auswertemodi wurden an der Universitäts-Augenklinik konzipiert. Der Schwerpunkt der klinischen Anwendung der Laser-Scanning-Tomographie ist die dreidimensionale Strukturanalyse von Papille und retinaler Nervenfaserschicht, die sogenannte Topometrie. So wie der funktionelle Glaukomschaden über Gesichtsfeldindizes – das sind berechnete Werte zur Beschreibung der Lichtsinnesempfindlichkeit bei der computergesteuerten statischen Perimetrie (Gesichtsfeldprüfung) – und der entscheidende Risikofaktor des Voranschreitens eines Glaukomschadens, der Augeninnendruck, über die Methode der Applanationstonometrie quantifiziert werden – ermöglicht es die Topometrie, die morphologische Bewertung einer glaukomatösen Veränderung mit quantitativen Parameterdaten zu untermauern.

Der frühen Diagnose des Glaukoms aufgrund struktureller Parameterdaten kommt praktische klinische Bedeutung zu: Eine Vielzahl wissenschaftlicher Untersuchungen legt den Schluß nahe, daß zwischen der interindividuell unterschiedlichen Druckempfindlichkeit der intraokularen Strukturen und dem Ausmaß des bereits erfolgten Gewebeverlustes ein proportionaler Zusammenhang besteht. Je früher krankhafte Veränderungen auf struktureller und funktioneller Ebene erkannt werden, desto differenzierter können therapeutische Maßnahmen eingesetzt werden und desto größer ist die zu erwartende Effizienz.

Für die Beobachtung des Erkrankungsverlaufs ist es unabdingbar, den Papillenbefund adäquat zu dokumentieren. Die Laser-Scanning-Tomographie ist unter den modernen Verfahren zur topographischen Vermessung der Papille die am weitesten entwickelte Methode. Mit ihr gelingt es, die dreidimensionale Struktur der Papille in praxisgerechtem Zeitaufwand reproduzierbar zu analysieren: Pro Untersuchungsdatum erfolgt in der Regel für jedes Auge eine Dreifachmessung. Für spätere Verlaufskontrollen erhält man so ein Anhaltsmaß für die individuelle Variabilität der Parameterwerte.

Die topometrisch erfaßbare Präsenz der großen Nervenfaserbündel ist unter den vielen quantitativen Parameterwerten ein entscheidendes Kriterium für das Vorliegen eines Normalbefundes. Papillen mit glaukomatöser Optikusschädigung weisen typischerweise eine Abflachung der retinalen parapapillären Niveauunterschiede in den Regionen auf, die den Bereichen von Empfindlichkeitsverlusten im Gesichtsfeld entsprechen. Für Verlaufsbeobachtungen gestattet es die computergesteuerte Analyse der digital gespeicherten Bildinformation, die Aufnahmen aus unterschiedlichen Beobachtungszeitpunkten zu verrechnen. Außerdem ist es möglich, Rotationsabweichungen und Bildverkippung unabhängig von Untersucherinteraktionen zu korrigieren.

Das Ziel, die Sehnervenkopfregion nach objektiven Kriterien strukturell zu analysieren, ist – besonders im Hinblick auf notwendige Verlaufsuntersuchungen – ein entscheidendes Stück näher gerückt. Befundänderungen im Sinne einer Schadenszunahme im Verlauf können ein Kriterium dafür sein, einem Patienten, der bislang wegen eines Glaukomverdachtes lediglich kontrolliert wurde, eine Therapie anzuraten. Bei einer gesicherten Glaukomerkrankung kann empfohlen werden, die Behandlung zu intensivieren.

Das wissenschaftliche Projekt der Laser-Scanning-Tomographie in der Augenheilkunde ist ein Beispiel für die erfolgreiche Zusammenarbeit von Medizinern, Naturwissenschaftlern, Technikern und Ingenieuren. Ein neues bildgebendes Verfahren ist realisiert und zur Markt-reife weiterentwickelt worden.

Aufgrund der Ergebnisse unserer Arbeitsgruppe an der Universitäts-Augenklinik Heidelberg konnte sich die Bilddatenerhebung mit dem Heidelberger Retina-Tomographen inzwischen als "Glaukomfrühdiagnose durch non-invasive dreidimensionale Strukturrekonstruktion des Sehnerven mit dem Heidelberger Retina Tomograph HRT" als Routineverfahren an internationalen Glaukom-Zentren etablieren.

Autoren:
Prof. Dr. Reinhard Burk und Prof. Dr. Hans Eberhard Völcker
Universitäts-Augenklinik, Im Neuenheimer Feld 400, 69120 Heidelberg,
Telefon (0 62 21) 56 66 07 oder 56 66 00

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