Siegel der Universität Heidelberg
Bild / picture

Grabung in el Anderin, dem antiken Androna

Seit Beginn unseres Jahrhunderts sind die römischen und frühbyzantinischen Ruinenstätten Syriens Gegenstand internationaler Forschung. Ihre Bauten sind oft hervorragend erhalten und daher für die Erforschung antiker Siedlungsgeschichte besonders interessant. Im Gegensatz zu Nord- und Südsyrien, die in den vergangenen Jahrzehnten gut erforscht wurden, fanden die zahlreichen Ruinenorte Mittelsyriens, das heißt, der wasserarmen innersyrischen Wüstensteppen, weitaus weniger Beachtung. Doch fordern gerade diese Siedlungen, die an den alten Karawanenstraßen liegen und in der Antike über ein hervorragendes Bewässerungssystem verfügten, dazu heraus, die Lebensbedingungen der damaligen Zeit und die Grundlagen für den offensichtlichen Wohlstand ihrer Einwohner zu erforschen. 1997 haben die archäologischen Arbeiten in el Anderin, einem der bedeutendsten Ruinenorte dieser Region, begonnen. Sie werden geleitet von Christine Strube vom Archäologischen Institut der Universität Heidelberg, die über langjährige Erfahrungen in Syrien verfügt.

Der Ruinenort el Anderin, das antike Androna, liegt zirka eine Autostunde von der westsyrischen Stadt Hama (Epiphania) entfernt in der weitgespannten Steppenebene Innersyriens, die erst in den vergangenen 100 Jahren wieder von einer seßhaften Bevölkerung besiedelt wurde. Die von Hama ausgehende Asphaltstraße ist bis etwa sechs Kilometer vor el Anderin gut ausgebaut, da nur 25 Kilometer von der Ruinenstadt entfernt eine der großen Touristenattraktionen Syriens liegt, der eindrucksvolle Baukomplex von Qasr ibn Wardan. Von der Asphaltstraße aus führen einige Pisten quer durch steiniges, staubiges Ackerland nach el Anderin. Es war in der Antike ein blühender Ort, der über ein durchdachtes System zur Gewinnung von Grund- und Niederschlagswasser verfügte und bekannt war für seinen guten Wein. Winterregen mit durchschnittlich 250 und maximal 300 mm Niederschlag bestimmten damals wie auch heute die Lebensbedingungen dieser Gegend. Es waren also nicht klimatische Veränderungen, sondern zuerst der Verfall der antiken Bewässerungsanlagen und dann der intensive Abbau der Holzgewächse in der Neuzeit, die dazu führten, daß der Anteil der ackerfähigen Steppe erheblich reduziert wurde. Nach etwa 1940 begann in diesem „Jungsiedelland“ der Bewässerungsfeldbau mit Hilfe von Grundwasserbrunnen und Motorpumpen, der nicht nur den Anbau von Gerste und Weizen, sondern auch die wasserintensiven Baumwollpflanzungen ermöglichte. Daß die intensive Nutzung des Grundwassers ohne ständige Kontrolle der Gesamtzahl der Brunnen katastrophale Folgen haben kann, zeigte sich Ende der sechziger Jahre im Umkreis des von Androna nicht weit entfernten Selemiye (Salaminias). Dort sank der Grundwasserspiegel bedrohlich ab, die Brunnen versiegten und zahlreiche Dörfer mußten aufgegeben werden.

El Anderin ist in der Archäologenwelt kein unbekannter Ort. Zu Beginn unseres Jahrhunderts suchte die Princeton University Archaeological Expedition to Syria unter Leitung von Howard Crosby Butler den Ruinenort auf. Von herausragenden Bauten wurden Zeichnungen und Photos angefertigt, und die im Oberflächenbefund greifbaren Inschriften wurden aufgenommen. Die Ruinen waren damals wie zur französischen Mandatszeit, der wir hervorragende Luftaufnahmen von el Anderin verdanken, noch wesentlich besser erhalten als heute. Erst in den Jahrzehnten nach 1945 wurde der Denkmälerbestand – zuerst durch Steinraub, dann durch intensive Raubgrabungen vor allem innerhalb der Kirchen – erheblich reduziert.

Der heutige Besucher des Ortes, der die alten Aufnahmen nicht kennt, ist beeindruckt von der Fülle des Erhaltenen: die große Zahl von Sandhügeln, unter denen Privathäuser und öffentliche Bauten begraben sind; die häufig noch aufrecht stehenden Seitengewände von Türen mit den sorgfältig gearbeiteten Inschriften ihrer Türstürze; die große Zahl der mit Basaltquadern ausgemauerten Brunnen und Zisternen; die ausgedehnten unterirdischen Wasserreservoire unter den Höfen zahlreicher Häuser sowie die zwar nicht mehr hoch anstehenden, aber immer noch eindrucksvollen Stadtmauern, Kirchen und öffentlichen Bauten.

Verfall der Bewässerungskultur

Als ich 1979 zum ersten Mal nach el Anderin kam, war ich überrascht von der Größe der Siedlung und von der Vielfalt der Materialien, die beim Bau der Häuser und Kirchen verwandt wurden: Neben Basalt und luftgetrockneten Ziegeln, den einheimischen Baumaterialien, wurden bei einigen Bauten auch gebrannte Ziegel und darüber hinaus eine besondere Art von nicht lokal anstehendem, marmorähnlichem Kalkstein sowie eine Fülle von Marmorfragmenten verschiedener Herkunft verwandt. Polychromie bestimmt den Gesamteindruck einiger herausragender Bauten, verbindet sie mit dem Baukomplex im nicht weit entfernten Qasr ibn Wardan und unterscheidet sie von den Bauten anderer Regionen Syriens. Die weitaus größte Zahl der Marmorstücke des Oberflächenbefundes ist eindeutig prokonnesisch, kommt also aus den Steinbrüchen vor den Toren Konstantinopels, und die besondere Art des Kalksteins stammt, wie angenommen wird, aus Steinbrüchen in der Nähe der heutigen türkischen Stadt Diyarbakir, dem antiken Amida. Die weiten und kostspieligen Transportwege dieser Materialien und die Tatsache, daß Fragmente von marmornen Inkrustationsplatten zur Verkleidung der Innenwände sich nicht nur in den Kirchen und öffentlichen Bauten, sondern häufig auch im Bereich der Privathäuser finden, sind die ersten, unübersehbaren Hinweise auf den ehemaligen Wohlstand der Einwohner des Ortes.

Androna wird zum ersten Mal im Itinerarium Antonini des dritten Jahrhunderts als „mansio“ erwähnt, das heißt, als wichtige Station der Straße, die von Aleppo nach Chalkis und von dort über Anasartha nach Seriane (Isriye) führte. Eine zweite wichtige, innersyrische Verbindung führte in der Antike von den Städten am rechten Euphratufer über Zebed, Androna und Salaminias (Selemiye) nach Emesa, der heutigen Stadt Homs oder – kurz vor Salaminias nach Westen abbiegend – zur zweitgrößten syrischen Stadt Apamea. Androna war also einer der wichtigen Verkehrsknotenpunkte der innersyrischen Steppe zwischen dem Euphrat und Ostsyrien auf der einen und den großen west- und nordsyrischen Städten auf der anderen Seite.

Ohne Grabung, allein durch Beobachtungen zum Oberflächenbefund, konnten bereits wichtige Informationen zur Geschichte der Siedlung gewonnen und Schwerpunkte für künftige Arbeiten definiert werden. Androna ist einer der antiken Orte, an denen sich besonders klar aufzeigen läßt, wieweit der Survey, das heißt, das Studium der Oberflächenbefunde, führen kann und wo seine Grenzen sind.

Der Ort besaß einen inneren und einen äußeren Mauerring. Die innere, aus großen Basaltblöcken errichtete Mauer mit ihren Verstärkungen und Türmen, wurde bis auf die untersten Steinlagen abgetragen. Es ist noch nicht geklärt, wann dies geschah. Die äußere Mauer liegt unter hohen Sandverwehungen, und nur durch Grabung kann geklärt werden, in welchem Material und nach welchem Grundschema sie errichtet wurde. Im Bereich der beiden Hauptstraßen, die sich im Zentrum der Stadt kreuzen, liegen die wichtigsten öffentlichen Bauten: das auf 558-9 n. Chr. datierte Kastron/Castrum, eine Badanlage, und ein öffentlicher Bau, der durch die Inschrift einer seiner Türen auf 499 n. Chr. datiert ist. Mit zwei in diesem Jahr neu entdeckten Kirchen sind nun insgesamt elf über das ganze Stadtgebiet verteilte Sakralbauten nachgewiesen – ein für die Stadtgeschichte wichtiger Befund. Die Hauptkirche liegt im Ortszentrum und ist der neben dem Kastron eindrucksvollste Baukomplex von el Anderin. Ihr noch hoch anstehender Ostteil mit den Steinen des Bogens, der ehemals den Altarraum vom Hauptraum trennte, bildet heute das weithin sichtbare Wahrzeichen der Stadt. Unter den 38 bereits publizierten griechischen Inschriften sind acht in den Zeitraum 506-584 n. Chr. datiert. Die wichtigste der in diesem Jahr neu aufgefundenen Inschriften, ist die des öffentlichen Baus südlich des Kastrons und östlich der Hauptkirche. Dem Datum 499 n. Chr. kommt besondere Bedeutung zu. Es dokumentiert, daß lange vor der Errichtung des Militärbaus andere wichtige Bauten das Ortszentrum prägten, dem Kastron also an gleicher Stelle sehr wahrscheinlich ein Bau voranging.

Ein weiteres wichtiges Ergebnis im Sommer 1997 brachte die Untersuchung der Oberflächenkeramik: Neben der im ganzen Stadtgebiet vertretenen Importware von terra sigillata des fünften und sechsten Jahrhunderts sowie einer Fülle von Gebrauchskeramik dieser Zeit fand sich nicht nur im Ortszentrum, sondern auch im Nord- und Nordostteil der Siedlung, vereinzelt Keramik der zweiten Hälfte des siebten und des achten und neunten Jahrhunderts. Dies läßt vermuten, daß zumindest einzelne Bereiche des Ortes auch nach der Eroberung Syriens durch die Araber in der ersten Hälfte des siebten Jahrhunderts besiedelt waren.

Bevor wir nun versuchen, mit den Informationen des Oberflächenbefundes den Charakter der Siedlung zu skizzieren, ist noch die außerhalb des Ortes liegende, hervorragend gearbeitete Zisterne (61m x 61m), Teil eines antiken Bewässerungssystems, vorzustellen. Sie unterscheidet sich im Mauerwerk und in den Profilformen ihres Hauptgesimses erheblich von den Bauten innerhalb der Mauern und ist somit der bis jetzt einzige Bau, der in die römische Zeit datiert werden kann (zweites bis drittes Jahrhundert) und die Überlieferung des Itinerarium Antonini mit dem heutigen Befund verknüpft.

Wir können also bis jetzt zwei Phasen der Siedlungsgeschichte von Androna festmachen, eine des zweiten bis dritten Jahrhunderts römischer und eine des fünften und sechsten Jahrhunderts frühbyzantinischer Zeit. Da jedoch die Entstehungszeit der beiden Mauerringe noch nicht geklärt ist, muß vorläufig vollkommen offenbleiben, wie groß die im dritten Jahrhundert genannte „mansio“ Androna war, und wie sie sich zu der Siedlung verhielt, die nach Aussage der Inschriften den Höhepunkt ihrer Entwicklung im sechsten Jahrhundert erreicht hatte. Einiges spricht dafür, daß unter den Bauten des fünften und sechsten Jahrhunderts die Vorgängerbauten römischer Zeit liegen. Die Hauptfrage aber lautet: Lag das Zentrum der römischen Siedlung dort, wo im fünften und sechsten Jahrhundert Kastron, Bad und Kathedrale errichtet wurden, und wo sich die Hauptstraßen des Ortes kreuzen? Ging vielleicht dem Kastron ein Militärbau römischer Zeit voran, das heißt, bildete schon im zweiten und dritten Jahrhundert ein Kastron/Castrum den Kernpunkt des Ortes oder wurde mit dem Bau von 558/9 n. Chr. das Zentrum von Androna tiefgreifend verändert? Erste Antworten auf diese so wichtigen Fragen zur Siedlungsgeschichte werden von den Grabungen im Zentrum der Siedlung, also von der Freilegung des Kastrons, erwartet.

Androna ist mit zirka 1,6 km2 größer als die heute in der Türkei liegende Grenzstadt Dara, die berühmte Stadtgründung des Kaisers Anastasius, und mehr als doppelt so groß wie Zenobia, die unter Anastasius und Justinian neu ausgebaute Stadt am Euphrat. Es ist eine Siedlung mit städtischem Charakter, doch nach bisheriger Kenntnis der Quellen besaß sie kein Stadtrecht. Die bis jetzt bekannten Inschriften nennen private Stifter oder Stifterinnen, doch in keinem Fall einen militärischen, kirchlichen oder zivilen Rang. Dieser Negativbefund ist überraschend, denn die zahlreichen, über alle Teile des Ortes verteilten Kirchen erinnern direkt an die entwicklungshistorische Situation einiger Städte des byzantinischen Reiches im sechsten Jahrhundert: So besitzt zum Beispiel in der südsyrischen Stadt Gerasa (heute Jordanien) im sechsten Jahrhundert jedes Stadtviertel eine eigene Kirche. Die Kirchen sind in der Regel größer als die entsprechenden Bauten in Androna, doch ist das Geamtbild beider Orte vergleichbar.

Nur in langjährigen Grabungen können die Hauptphasen der Siedlungsgeschichte, die Grundformen der Haus- und Kirchenarchitektur und so wichtige Problemkreise wie die Organisation der Wasserversorgung geklärt werden, und für ein derart umfangreiches Unternehmen ist eine internationale Zusammenarbeit erforderlich. In der zweiten Etappe unseres Forschungsvorhabens ist in Zusammenarbeit mit der Generaldirektion Syrischer Altertümer und dem Archäologischen Institut der Universität Oxford die Ausgrabung von zwei Stadtvierteln und die Erforschung des Bewässerungssystems im Umkreis von el Anderin geplant. Die Freilegung des Kastrons steht als Pilotprojekt am Anfang unserer Arbeit. Es wird für drei Jahre von der Fritz Thyssen-Stiftung finanziert.

Androna: zwei Hauptphasen der Entwicklung

Die französischen Luftaufnahmen und der Survey der Princeton-Expedition haben eine ganze Reihe isolierter oder mit Orten verbundener Castra nachgewiesen, die zu dem Verteidigungssystem des „Limes von Chalkis“ gehören. Der Bau in Androna ist der größte und aufwendigste unter ihnen. Da kein einziger der Militärbauten des Limes bis jetzt ausgegraben wurde, bietet das Kastron die Möglichkeit, exemplarisch und im überschaubaren zeitlichen Rahmen Ergebnisse zu den Bauformen der Castra und zu ihrer Funktion innerhalb und außerhalb der Siedlungen zu erarbeiten. Die erste Kampagne brachte folgende Ergebnisse: Der größte Baukomplex des Ortes ist eine annähernd quadratische Anlage von zirka 80 Metern Seitenlänge mit sechseckigen Ecktürmen und doppelgeschossigen Räumen, die auf allen vier Seiten innen an die Umfassungsmauern anschließen und sich in umlaufenden Pfeilerarkaden zu einem Hof öffnen. Im Zentrum des Innenhofes liegt eine kleine Kirche. Die Aufnahme der Oberflächenbefunde zeigt, daß die Raumfolgen der Nord- und Ostseite einschichtig, die der Süd- und Westseite zweischichtig sind, doch kann nur durch Grabung ihre innere Organisation geklärt werden. Der Türsturz des gewaltigen Tores, das sich in der Mitte des Westteils öffnet, trägt eine zwölfzeilige griechische Inschrift, die uns mitteilt, daß Thomas, wohl ein reicher Einwohner des Ortes, dieses Kastron gestiftet hat, und daß sein Neffe Jakobos an der Organisation dieses Bauvorhabens in irgendeiner, nicht genau bestimmten Weise beteiligt war. Die Bauarbeiten begannen im Mai 558 n. Chr. und waren weit fortgeschritten, als im November 559 n. Chr. der Türsturz gesetzt wurde. Anders lauten die Inschriften auf den Türen der im Innenhof liegenden Kirche: Der Bau wurde von Johannes, wohl ebenfalls einem Einwohner Andronas, gestiftet. Thomas wird ein zweites Mal in einer Inschrift als Stifter genannt. Sie gehört zu einem vor der Westseite des Kastrons errichteten Bad, das zu etwa derselben Zeit wie das Kastron erbaut wurde. Auch ohne die Inschrift wäre das Kastron/Castrum sicher als spätantiker Militärbau zu identifizieren, da es einem bekannten Bautypus folgt. Die Hauptfragen lauten: Welche Funktion hatten die einzelnen Trakte des Kastrons, das heißt, wo lagen die Wohn-/Wirtschaftsräume und in welchem Teil die Ställe? Wieviele Soldaten konnte das Kastron aufnehmen, und geschah dies nur zu bestimmten Zeiten oder war hier permanent eine Garnison stationiert? Gehört die Kirche des Innenhofes zum ursprünglichen Bauplan oder wurde sie zu einem späteren Zeitpunkt errichtet? Im Gegensatz zu anderen Verteidigungsanlagen mit Kirchen im Inneren, lag das Kastron im Zentrum einer Stadt und in unmittelbarer Nähe von vier Kirchen. Darum ist zu fragen: Warum erhielt der Militärbau überhaupt eine eigene Kirche, und wenn dies später geschah, war damit eventuell eine Funktionserweiterung oder -änderung verbunden? Antworten auf einige dieser Fragen erbrachte die Analyse der nicht verschütteten Bautrakte.

Der Bautypus des Kastrons und seine Mauertechnik verbinden Androna mit den Bauten von Qasr ibn Wardan. Die Bautätigkeit in dem 25 Kilometer entfernten Ort begann mit einem Kastron, das gegen 561 n. Chr. fertiggestellt war. Für die Arbeiten am Palast und an der Kirche des Baukomplexes sind zwei Daten überliefert: 564 und 572 n. Chr., die Castra beider Orte folgen also zeitlich unmittelbar aufeinander. So eng die Beziehungen zwischen den Bauten beider Orte sind, so unterschiedlich war ihre Finanzierung und so gegensätzlich waren ihre Auftraggeber: Der Bau in Androna wurde von einem Privatmann finanziert, und die Inschrift nennt keinen zivilen oder militärischen Rang. In Inschriftmonogrammen von Qasr ibn Wardan dagegen wird zweimal ein Georgios genannt, und der Kontext weist darauf hin, daß in ihm sehr wahrscheinlich Georgios Stratelates, das heißt, der nach dem strategos, dem magister militum per orientem, ranghöchste Militär dieser Zeit genannt ist. Damit wird deutlich, daß die Initiative für die Bauten von Qasr ibn Wardan zur syrischen Metropole und vielleicht sogar darüber hinaus zur byzantinischen Hauptstadt führt.

Exemplarische Bauformen der Castra und ihre Funktion ergründen

Bautechnische Details sind in der Regel keine aufregende und mitreißende Lektüre, doch im Fall des Kastrons von Androna und der Bauten von Qasr ibn Wardan sind die historischen Zusammenhänge, die sie greifbar machen, faszinierend. Sie führen zu dem zwischen dem Euphrat und den großen syrischen Städten Antiochia-Chalkis-Apamea gelegenen Verteidigungssystem, dem „Limes von Chalkis“, und sagen etwas über die Maßnahmen zur Verteidigung der Ostgrenze des Reiches gegen die persischen Sassaniden in der Regierungszeit Kaiser Justinians aus. Hier die wichtigsten historischen Fakten: Nach dem Einfall des persischen Heeres in Syrien, der 540 n. Chr. zur Eroberung und Zerstörung der syrischen Metropole Antiochia durch Chosroe I. führte, wurden von Konstantinopel aus umfassende Maßnahmen zur Instandsetzung der Verteidigungsanlagen an der Ostgrenze des Reiches eingeleitet. Für diese umfangreichen Arbeiten wurden nicht nur Architekten und Techniker aus der Hauptstadt entsandt, viel spricht dafür, daß auch im Lande stationierte Truppeneinheiten eingesetzt wurden. Nach dem Bericht des Prokop, des bedeutendsten Historikers dieser Zeit, leitete Isidor d. J. von Milet, dem wir die Konstruktion der zweiten Kuppel der Hagia Sophia von Konstantinopel verdanken, die Arbeiten in der am Euphrat gelegenen Stadt Zenobia. In Chalkis, der für Androna und alle Orte des Limes so wichtigen Stadt, wurden zwei Inschriften gefunden, die bezeugen, daß Isidor 550/1 n. Chr. beim Wiederaufbau der dortigen Stadtmauer tätig war. Da diese Überlieferung zum Verständnis der Bauten von Androna und Qasr ibn Wardan beiträgt, hier noch einige Ergänzungen: Im Jahr 558 n. Chr., als die Bauarbeiten am Kastron von Androna gerade begonnen hatten, stürzte die erste Kuppel der Hagia Sophia ein. Isidor dem Jüngeren, der bis mindestens 551 n. Chr. in Syrien tätig war, wird der Wiederaufbau der Kirche übertragen, die 563 n. Chr. neu eingeweiht wird. Im Jahr 564 n. Chr. wird der Südteil des Palastes von Qasr ibn Wardan fertiggestellt und 572 n. Chr. werden die Arbeiten an Palast und Kirche abgeschlossen.

Wir kommen nun zurück zum Kastron, dessen Sonderstellung innerhalb Andronas sich nur aus dem Gesamtbefund der Stadt und aus den vorangehend skizzierten historischen Fakten erschließt: Seine Umfasssungsmauern und seine Türme wurden aus mit Basaltblöcken verkleidetem Mörtel-Bruchsteinmauerwerk errichtet, auf das in bestimmtem Abstand jeweils fünf Lagen gebrannter Ziegel folgen, aus sogenanntem „Mauerwerk mit Ziegeldurchschuß“. Die Gewölbe sind ganz in gebrannten Ziegeln erstellt. Die intensive Verwendung gebrannter Ziegel wie auch die besondere Mauertechnik finden sich bei der Stadtmauer Antiochias und bei Bauten des sechsten Jahrhunderts in Konstantinopel, waren aber der Bautradition der Wüstensteppe fremd. Anders ist der Befund der Kirche des Kastrons: Sie wurde wie die Hauptkirchen des Ortes in der lokalen Bauweise, in Basaltmauerwerk ohne Kalkmörtel, erbaut; nur das Gewölbe ihrer Apsis war, wie bei den großen Kirchen Andronas, aus gebrannten Ziegeln. Ähnlich ist das Bild bei den Hausbauten, denn auch sie stehen mit ihrer Kombination von Basaltmauerwerk und luftgetrockneten Ziegeln in einheimischer Bautradition. Die lokalen Bautechniken, vor allem die Verwendung luftgetrockneter Ziegel, verbinden Androna mit zahlreichen Orten Zentral- und Ostsyriens, wo bis in das sechste Jahrhundert hinein selbst für Verteidigungsanlagen diese Baumaterialien verwandt wurden, und die wenigen Bauten mit gebrannten Ziegeln in der Mehrzahl Militärbauten oder Badanlagen sind. Anders dagegen ist die Situation in Antiochia und den großen nordsyrischen Städten. Dort gibt es schon im ersten und zweiten Jahrhundert n. Chr. Bauten mit gebrannten Ziegeln. Vor diesem Hintergrund ist die Frage zu diskutieren, wer das Kastron von Androna und die Bauten von Qasr ibn Wardan errichtet hat. Sie entsprechen sich in ihrer Mauertechnik, ja selbst den Ziegelformaten soweit, daß sie in der Frage nach der Herkunft der Werkleute wie der Bauorganisation eng aneinander gebunden sind. Der hohe Standard der Bauten von Qasr ibn Wardan und die Nähe ihres Mauerwerks zu Bauten des sechsten Jahrhunderts in Konstantinopel ließen die These aufkommen – sie wurde zuerst von Howard Crosby Butler, dann von dem bekannten Architekturhistoriker Richard Krautheimer vertreten –, der Architekt sei aus Konstantinopel hinzugezogen und die gebrannten Ziegel seien aus der byzantinischen Hauptstadt „importiert“ worden. Angesichts der langen und teuren Transportwege, der unerschöpflichen Lehmvorkommen in der ganzen Region und der Tatsache, daß nur ein einziger Arbeitsschritt gebrannte und luftgetrocknete Ziegel trennt, erscheint die These vom Ziegelimport absurd. Sie konnte durch Analyse des Ziegelmaterials widerlegt werden: In Androna wie in Qasr ibn Wardan wurden die Ziegel an Ort und Stelle hergestellt, und Ziegelmaß wie Ziegelform unterscheiden sie von denen der Hauptstadt. Die These zur Herkunft des Architekten dagegen schien in der Überlieferung zu Isidor d. J. ein Fundament zu haben, wenn auch Isidor selbst, wie wir sahen, für eine Tätigkeit in Syrien in den Jahren nach 551 n. Chr. nicht in Frage kam. Genauere Untersuchungen zur Architektur zeigten jedoch, daß der Architekt der Bauten von Qasr ibn Wardan zwar eng vertraut war mit Bautechnik und Bauformen Konstantinopels in justinianischer Zeit, aber aus Syrien kam. So bleibt abschließend die Frage, wer die Bauten in Androna und Qasr ibn Wardan ausgeführt hat – eine mögliche Antwort liefert uns die Heeresorganisation in spätantik-frühbyzantinischer Zeit. Seit längerem ist nachgewiesen, daß das Heer seit der hohen Kaiserzeit eine besondere Stellung im öffentlichen Bauwesen einnahm. Nicht nur in den nördlichen Provinzen des Reiches, sondern auch in Syrien, lag in mehreren bekannten Fällen die Ausführung der Bauten in den Händen von Soldaten und fachlich ausgebildeten, in das Heer integrierten Handwerkern, die Planung dagegen bei Heeresarchitekten und -ingenieuren. Sie entschieden darüber, inwieweit lokale Fachkräfte und heimische Baumethoden in die Heeresgruppe eingebracht wurden. Die Überlieferung zu den umfassenden Bauvorhaben nach 540 n. Chr. im Bereich des „Limes von Chalkis“, die in mehreren Orten Mittel- und Ostsyriens nachgewiesene Beteiligung des Heeres bei den Arbeiten zum Wiederaufbau der Verteidigungsanlagen an der Ostgrenze sowie die engen Beziehungen zwischen den Kastren von Anderin und Qasr ibn Wardan sprechen dafür, daß auch für diese beiden Bauvorhaben Truppeneinheiten hinzugezogen wurden. Diese These würde die Sonderstellung des Kastrons innerhalb der Bauten Andronas erklären: Die lokaler Baupraxis fremden Baumethoden kamen mit dem Heer nach Anderin. Direkt nach Beendigung der Arbeiten in Androna gingen die Werkleute nach Qasr ibn Wardan, begannen den Bau des dortigen Kastrons und standen somit für weitere Arbeiten in Androna nicht mehr zur Verfügung. Im Jahr 1997 wurde mit der geodätischen Vermessung des gesamten Stadtareals und dem Studium aller ohne Grabung greifbaren Oberflächenbefunde die Basis für weiterführende Arbeiten in Androna/el Anderin geschaffen. Wie vielversprechend die umfassende Erforschung dieses Ortes ist, zeigen die bisherigen, weit über Androna hinausführenden Ergebnisse zum größten Baukomplex Andronas, dem im Zentrum gelegenen Kastron.

Autorin:
Prof. Dr. Christine Strube
Archäologisches Institut, Abteilung für Christliche Archäologie, Marstallhof 4, 69117 Heidelberg,
Telefon (06221) 54 33 21

Seitenbearbeiter: Email
zum Seitenanfang