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Die ältesten islamischen Papyri

In Heidelberg werden die ältesten historischen und administrativen Papyri des Islam aufbewahrt. Diese Handschriften, die besondere Raritäten der islamischen Kultur darstellen, wurden auf dem Markt in Kairo gekauft und der Universität geschenkt. Ihre Analyse ermöglicht ein besseres Verständnis der frühislamischen Kulturgeschichte in ihrem Entwicklungsprozeß. Am Seminar für Sprachen und Kulturen des Vorderen Orients hat Raif Georges Khoury ihren Inhalt erforscht und in einer Serie von Büchern publiziert und kommentiert, die von 1972 bis 1986 unter dem Titel Codices Arabici Antiqui I-IV im Otto Harrassowitz-Verlag, Wiesbaden, erschienen sind. Neuere Forschungen erlauben nun auch einen Brückenschlag zu den Erzählungen aus „Tausendundeiner Nacht“.

Die Araber kannten Papyrus, als Schreibmaterial der Altägypter, seit der Eroberung Ägyptens im Jahre 640. Trotzdem besitzen wir aus dieser Zeit nur ein einziges Dokument über den Verkauf von Schafen an einen Offizier unter dem ersten arabischen Statthalter und Eroberer des Landes Amr Ibn Al-As. Leider ist das spärlich erhaltene Material nicht datiert, so daß man schwerlich mit Sicherheit sagen kann, etwas stamme aus dem ersten islamischen, das heißt aus dem siebten Jahrhundert nach Christus. Hier ist größte Vorsicht geboten, damit die Entwicklung der frühislamischen Kultur auf solide Erkenntnisse gestellt und nicht von theoretischen Grundsätzen gesprochen wird, die auf Wunschdenken beruhen. Tatsache ist, daß die Schrift erst mit dem Ende des siebten Jahrhunderts – und da auch nur allmählich – einsetzte, so daß größere Schriften des Islam vor dem darauffolgenden Zeitalter sowieso unvorstellbar sind. Jedenfalls besitzen wir keine Spur davon. Erst im siebten Jahrhundert beginnen die Kulturzentren, immer effizienter zu arbeiten, im Zuge der Ausdehnung des islamischen Reichs: Politische, religiöse, soziale und private Interessen bekunden die zwingende Notwendigkeit, die riesigen Provinzen miteinander besser zu verbinden, erst nach der reichlichen Bereitstellung der Schreibmaterialien, vor allem des Papyrus, so lange das Papier noch nicht bekannt war. Die erste Papierfabrik im Irak soll gegen Ende des achten Jahrhunderts durch die Abbasidenkalifen errichtet worden sein.

Dies zeigt, welch einmalige Chance es ist, daß in Heidelberg die ältesten überlieferten Kulturzeugnisse des Islams aufbewahrt werden, die alle in das erste und zweite islamische Jahrhundert zurückführen und von den Familienmitgliedern ihrer Autoren und Überlieferer oder von deren unmittelbaren Schülern schriftlich fixiert wurden. Denn außer diesen Handschriften existieren nur noch einige Urkunden über das private oder das soziale Geschäftsleben. Natürlich ist viel durch Krieg und Naturkatastrophen zerstört worden, doch ausschlaggebend für die spärliche Quellenlage ist, daß in dieser Zeit das Wissen mündlich und kaum schriftlich überliefert wurde. Das neu entdeckte Papier bedeutete für den Papyrus bis zum Ende des neunten Jahrhunderts keine nennenswerte Konkurenz, da zunächst die Qualität verbessert werden mußte, und es vor allem bei Überschwemmungen oder Katastrophen schwerer zu konservieren war.

Die arabische Papyrologie ist allerdings eine junge Wissenschaft, die alle alten Materialien, wie Dokumente auf Pergament oder Holz, einschließt. Erst 1824 entdeckte man in Ägypten bei Ausgrabungen zwei Papyri. 1877 wurden dann in den Ruinen altägyptischer Siedlungen sensationelle Mengen zu Tage befördert. Von da an vermehrten sich die Funde. Sie wurden zunächst nach Europa gebracht, vornehmlich nach Wien, wo Erzherzog Rainer dafür sorgte, daß die Nationalbibliothek die größte Sammlung der Welt bekam, die 1983 ihr hundertjähriges Jubiläum feierte. In Deutschland erhielten einige Städte mehr oder weniger bedeutende Papyrus-Sammlungen. Nach Heidelberg kam die bedeutendste, in der die griechischen Stücke überwiegen, sich aber auch einige hundert arabische befinden, vor allem Geschäftsbriefe, Urkunden und Steuerzettel.

Korrespondenz des Statthalters von Ägypten

Unter den arabischen Papyri in der ganzen Welt nehmen die hier vorgestellten Raritäten einen Ehrenplatz ein. Sie tragen, wie alle in der Heidelberger Sammlung, die Bezeichnung PSR, Papyri Schott-Reinhardt, in Erinnerung an den Sammler Reinhardt, der in Ägypten als Dragoman im deutschen Konsulat tätig war und die Käufe getätigt hatte, und an den Wohltäter Schott, der als ehemaliger Direktor der Portland-Zementwerke Heidelberg und Mannheim, heute Heidelberger Zement AG, tätig war und die besonders großzügigen Schenkungen machte. Es handelt sich um einige besonders wertvolle Briefe aus der amtlichen Korrespondenz des Statthalters von Ägypten in frühomajjadischer Zeit, Kurra Ibn Scharik – er regierte von 709 bis 714 – über Steuer- und Wirtschaftsvorschriften. Sie machen den Großteil dieser Überlieferung aus und sind auf das islamische Jahr 91 (710 n. Chr.) datiert. Sie wurden von dem Arabisten Carl Heinrich Becker, der laut Quellen als vornehmster Privatdozent unserer Universität galt, bereits 1906 in Heidelberg veröffentlicht. Darüber hinaus gibt es noch wenige Briefe in Kairo, Wien, London, Paris und Chicago, die im Laufe der früheren Jahrzehnte von ihm und anderen Arabisten publiziert wurden.

Alle übrigen Stücke der Heidelberger Sammlung wurden vom Autor des Berichts veröffentlicht. Es handelt sich erstens um die älteste bekannte Biographie des Propheten Mohammed, bestehend aus 21 Seiten, veröffentlicht im Jahr 1972. Sie enthält einige Episoden aus dem Leben und den Feldzügen des Stifters des Islam, von denen die wichtigsten Erwähnung finden sollen: das öffentliche Auftreten Mohammeds und die Huldigung, die ihm ein altarabischer Stamm entgegenbringt. Die Versammlung der Anführer seines Stammes Kuraisch im Rathaus und ihr Beschluß, ihr Mitglied, das ihre Stellung politisch, sozial und religiös durch seine neue Religion erschütterte, zu liquidieren. Die Auswanderung des Propheten von Mekka nach Medina, der nach der Quelle den Verfolgungen seines Stammes auf wunderbare Weise entkommt, wobei ihn der Erzengel Gabriel, der ihm nach islamischer Tradition den Koran im Auftrag Allahs verkündet hatte, gegen seine Verfolger schützt, so daß er an ihnen vorbeizieht, ohne von ihnen gesehen zu werden. Sein Weg nach Medina und der Vollzug von einigen Wundern, bis er an einer Wirtin vorbeikommt, die ihrem von der Weide zurückkehrenden Mann die älteste bekannte Beschreibung Mohammeds gibt. Das Stück endet mit dem Zug seines Vetters Ali gegen einen altarabischen Stamm, den er zum Islam brachte, indem er im Duell einzelne seiner Helden erschlug.

Das zweite Stück enthält die älteste im Islam bekannte Geschichte des Königs David, aus dem ältesten Buch über die Geschichte der biblischen Propheten im Islam. Es berichtet über die Auserwählung Sauls durch Samuel als ersten König der Israeliten; den Kampf Sauls gegen die Amalekiter und das Auftreten des jungen David gegen Goliath, den er mit seiner Schleuder zu Boden streckt und dessen Armee er mit den übrigen Steinen in seiner Schleuder in die Flucht schlägt; über den Kampf Sauls gegen David, dem Saul zwar sein Versprechen, ihm seine Tochter zur Frau zu geben, erfüllt, jedoch nicht die Hälfte seines Reiches geben will und stattdessen versucht, ihn zu töten. David wird durch die eigene Frau vor der Rache ihres Vaters gerettet. Darauf folgt die Reue Sauls und sein Tod. David wird König. Der Papyrus berichtet über seine Macht und Regierungsart; über sein Begehren der Frau des Urias, dessen Tod und die Verehelichung mit ihr; über das Bereuen dieser Sünde – einmalige Bilder der Versuchung, der vergossenen Tränen und der Vergebung Allahs. Thema ist weiter die Bekämpfung seines rebellischen Sohns Absalom und dessen Tod, nachdem der König die Gnade Allahs wieder erlangt hat. Im Islam gilt der Grundsatz, daß Allah niemals einen reuevollen Propheten – das sind all unsere biblischen Gestalten und wenige arabische – im Stich läßt. Es folgen das Auftreten Salomos und erste Zeichen seiner Weisheit als Kind, die durch drei Rechtsprechungen zum Ausdruck gebracht wird. Das Stück endet mit dem Tod Davids und der Machtübernahme durch seinen Sohn Salomon.

Diese beiden Papyri konnten für die Edition in den Codices Arabici Antiqui mit Hilfe alter Handschriften auf zuverlässige Weise fast vollständig rekonstruiert werden – vor allem die Geschichte Davids, die in einem sehr bruchstückhaften Zustand war. In der Arabistik galten all diese Stücke als unannehmbar. Sie wurden erstmalig publiziert, zusammen mit einer Monographie über ihren Autor und ersten Überlieferer, Wahb Ibn Munabbih (655 - 728), Richter von Sana, der als ältester Historiker im Islam gilt. Er überlieferte die ältesten Bücher nicht nur über die biblische Geschichte im Islam, wodurch er als erster Vermittler zwischen Islam, Judentum und Christentum zu erwähnen ist, sondern auch über die altarabische, jemenitische Geschichte, über den islamischen Propheten und über die ersten Kalifen nach Mohammed. Sie sind teilweise durch ihn selbst und vollständig durch Mitglieder seiner Familie am Anfang der zweiten Hälfte des achten Jahrhunderts auf Papyri schriftlich niedergelegt worden.

Eine Version der beiden hier analysierten Papyri gelangte in die Privatbibliothek des ägyptischen Autors der im folgenden beschriebenen Papyrusrolle, von der eine Version vom Anfang des neunten Jahrhunderts erhalten blieb, welche als Heidelberger Papyrus bekannt ist. Diese Stücke sind somit die ältesten datierten Buchhandschriften des Islam überhaupt. Die einzige überkommene Papyrusrolle des Frühislam ist 189 Zentimeter lang und auf beiden Seiten beschriftet, was 63 Druckseiten ergibt. Ihr Inhalt bezieht sich hauptsächlich auf das rituelle und juristische Leben im Islam aus der Sicht ägyptisch-islamischer Gelehrter, beginnend mit dem Autor Abdallah Ibn Lahia (715 - 790), der Richter von Ägypten war. Was dieser Rolle eine besondere Bedeutung verleiht, sind zwei Schilderungen von frühislamischen historischen Ereignissen, die ältesten erhaltenen ihrer Art: die Beschreibung der Umstände der Ermordung des dritten orthodoxen Kalifen nach dem Begründer des islamischen Reiches, Uthman (Osman), im Jahre 656 in Medina. Nachdem drei militärische Delegationen, von denen die stärkste die ägyptische war, ohne Erfolg mit ihm über wichtige Reformen im Reich verhandelt hatten, die infolge von Mißbräuchen und Vetternwirtschaft nötig geworden waren, brachten sie ihn um. Dieser Mord wirkte wie ein Erdbeben in der islamischen Welt, insbesondere, wenn man die Frage der Theokratie in der islamischen Machtausübung im Auge behält, nach der der Kalif als Nachfolger des Propheten im vollen Sinne des Wortes und als "Schatten Allahs” auf Erden zählte, eine Ideologie der Macht, die unter der Omajjaden-Dynastie (661 - 750) und den nachfolgenden Dynastien noch mehr herausgearbeitet wurde. Von besonderem Interesse ist sicherlich die Selbstverteidigung des Kalifen. Nachdem er erfahren hatte, daß die Delegationen zum zweiten Mal nach Medina zurückgekehrt waren, um ihn zu töten, hebt er in seinem Plädoyer seine Rolle im Islam hervor, nämlich, daß er der vierte in der Reihe, daß er der Schwiegersohn des Propheten war, und daß er den Koran gesammelt hatte. Trotzdem wurde er ermordet, was die Köpfe der Delegationen in Panik versetzte. Sie wurden dann durch einen Verwandten und Verbündeten des Kalifen, den Gouverneur in Syrien, Moawija, den späteren Begründer der Omajjaden-Dynastie, auf listige Weise verfolgt und umgebracht.

Desweiteren wird die Belagerung und die Zerstörung der Kaaba beschrieben sowie die Ermordung des in Mekka amtierenden omajjadischen Statthalters des Hedschas, Abdallah Ibn Al-Zubayr, der sich zum Gegenkalifen erklärt hatte. Der Text stellt ihn in der Moschee vor zwei treuen Dienern betend dar, bevor ihn der grausame, aber dem Kalifen in Damaskus sehr treue Statthalter des Irak überfiel und zerstückelte. Der Machthaber von Mekka gilt in der islamischen Geschichte als einer der größten Helden des Frühislam, und der Text zeigt es ganz deutlich, indem er sogar eine sehr gelehrte Seite bei ihm hervorhebt. Eine weitere, hochinteressante Seite stellen die zahlreichen Ausführungen über philologische und semantische Fragen dar, vor allem über das Wort "Verschwörung, Katastrophe...”, das im Zusammenhang mit diesen Ereignissen, die den Frühislam grundlegend erschüttert haben, erstmals belegt ist.

Privatbibliothek eines Richters

In der Monographie über Inhalt und Autor der Papyrusrolle wird der besondere Stellenwert des Autors betont, der sein Haus in eine für die damalige Zeit einzigartige Bibliothek verwandelt hatte, in der Bücher von ägyptischen und ausländischen Gelehrten gesammelt wurden, die nach Ägypten kamen oder die er im Ausland getroffen hatte, so daß im Laufe seines Gelehrtenlebens viele Originale oder Kopien von Originalen zusammenkamen, die seine zahlreichen ägyptischen Schüler unter seiner Betreuung kopierten und bearbeiteten.

Daß seine Privatbibliothek Bücher enthielt, steht außer Zweifel, doch ohne die Heidelberger Papyri und andere arabische Handschriften aus derselben Zeit wären solche Angaben ohne Beleg und daher rein theoretisch geblieben. Nur die Heidelberger Papyri und das damit verbundene Material, das aus derselben Schule des Richters stammt, sei es in Form eines Originals, das dort entstand oder deponiert wurde, oder einer Kopie, die in Verbindung mit dieser Bibliothek zustande kam, verleiht solchen Angaben festen Boden. Der Meister dieser ägyptischen Schule ist als „der Mann mit der Umhängetasche“ in die Geschichte der ägyptischen Gelehrsamkeit seiner Zeit eingegangen, da er mit einer Tasche um den Hals durch das Land zog und einen jeden, vor allem ausländischen Gelehrten danach fragte, ob er etwas zu verkaufen oder zu tauschen hätte. Und so konnte er die Originale und die Kopien seiner großen Sammlung vermehren. Deswegen ist es nicht überraschend, gerade im Zusammenhang mit seinem Namen einige wichtige Spuren zu entdecken, die eine solidere Basis für die Rekonstruktion der frühislamischen Tätigkeit der Gelehrten in Ägypten ermöglichen. So erscheint dieser Richter als ein idealer Gelehrter, der selbst Texte verfaßte und Abschriften tätigte, diktierte und abschreiben ließ, wobei er viele Wissenschaftler, Schüler, Kollegen oder Gäste zu empfangen pflegte und selbst auf der Suche nach Wissenschaftsquellen reiste.

Zu dieser Bibliothek oder direkt damit zusammenhängend kann man vier Kategorien wissenschaftlicher Tätigkeiten rechnen, die durch handschriftliches Material zu belegen sind:

(a) Produktion des Autors selbst oder in seinem Auftrag von seinen Schülern gefertigte Schriften. Die besagte Papyrusrolle ist von einem Schüler, Uthman Ibn Salih (761 - 834), nach der Autorität seines Meisters überliefert, wie es in den ersten islamischen Jahrhunderten üblich war.

(b) Produktionen nichtägyptischer Gelehrter, wobei jedoch ägyptische Schüler, vor allem des oben genannten Meisters, am Werk waren. Dazu gehören die Geschichte des Königs David und die Biographie oder „Feldzüge“ des Propheten Mohammed – beide Termini wurden im Frühislam als Synonyme verwendet. Sie gehen auf den Richter von Sana Wahb Ibn Munabbih zurück, dessen Material durch sein Enkelkind endgültig schriftlich fixiert (ne varietur) wurde. Je eine Kopie davon gelangte in die Privatbibliothek Abdallah Ibn Lahias, da derselbe Schüler von diesem letzteren beide Papyri überlieferte (und andere Autoren übernahmen seine Version in ihre Bücher).

(c) Produktionen anderer nichtägyptischer Gelehrter, die sich in Ägypten niederließen oder länger aufhielten: Besondere Bedeutung kommt einem sehr umfangreichen Buch über die Geschichten der Propheten im Islam zu, das am Anfang des neunten Jahrhunderts von Wathima Ibn Musa Ibn Al-Furat (gest. 851) niedergelegt wurde. Eine Kopie davon wurde von seinem Sohn (gest. 902) überliefert. Das Werk bestand aus zwei Teilen, jeder auf mehr als 400 klein beschriebenen Seiten; leider ist nur der zweite Teil, von Moses bis zum Aufkommen des Islam, erhalten. Der erste Teil, vom Anfang der Schöpfung bis zum Auftreten Moses, wurde wahrscheinlich sehr früh durch Naturkatastrophen vernichtet. Es ist das älteste erhaltene Werk seiner Art über die Geschichte der Propheten im Islam, das frühere kleinere Versionen, wie den Papyrus über David, rezipiert und der Nachwelt erhalten hat. Zusammen mit den analysierten Papyri erlaubt es neue Erkenntnisse über die frühislamische Literaturgeschichte, die diese in ein völlig neues Licht stellen und ihr ein solideres Fundament verleihen.

Zu dieser Rubrik zählen weitere Werke von ägyptischen Schülern des ägyptischen Meisters, wie die umfangreichste Sammlung islamischer Traditionen des Schülers Abdallah Ibn Wahb (743 - 812), die auf Papyrus überliefert ist und 1939 und 1948 von einem Pariser Kollegen herausgegeben wurde; leider nur teilweise, viele Bruchstücke blieben bis jetzt unbearbeitet. Oder das zweite erhaltene Buch über die islamische Askese von dem Schüler Asad Ibn Musa (750 - 827), der von der Omajjaden-Dynastie abstammte, welches ebenfalls in der Serie Codices Arabici Antiqui publiziert wurde.

Außerdem gibt es noch unzählige Urkunden über das private und das Geschäftsleben, über Verwaltungsfragen, die in Ägypten besonders zahlreich waren und von denen viele Tausende in allen Papyrussammlungen, vor allem in Wien, zu finden sind und an denen seit Jahren gearbeitet wird – vom Autor dieses Artikels sind 1993 und 1995 zwei Bände erschienen, ein dritter ist in Vorbereitung.

Ägypten hat all dieses und noch mehr verstecktes Material bewahrt, obwohl vieles auch dort verloren gegangen ist, während aus dem omajjadischen Syrien und aus dem abbasidischen Irak keine Originale aus dem siebten und der ersten Hälfte des achten Jahrhunderts erhalten sind.

Anhand der genannten Papyri und Bücher kann man systematisch diese frühe Literatur neu sichten, ordnen, überschauen und ihre Überlieferungsetappen solider verfolgen, weil man sie – und wenn nur durch einzelne alte Belege – untermauern und sprachlich und historisch in vergleichender Weise umrahmen kann. Einige kurze Beobachtungen sollen dies verdeutlichen. Sie betreffen wichtige Werke über Altarabien oder die frühabbasidische Zeit: die ältesten erhaltenen Fragmente von Tausendundeiner Nacht und das älteste bekannte Buch über den Jemen im Islam.

Im Rahmen dieses Textes können die Probleme der Entstehung der ältesten Sammlung dieser Erzählungen von „Tausendundeine Nacht“ nicht erörtert werden, deren vermeintlicher Usprung auf die frühabbasidische Zeit nach der Gründung der neuen Hauptstadt Bagdad im Jahre 762 zurückgeht. Eine verbreitete Ansicht, die man in Anbetracht der neuen Erkenntnisse besser belegen kann, aber auch revidieren muß, was die erzählerische Gattung einzelner Teile betrifft. Zwei Gründe führen dazu: Die erzählerische Literatur in Arabien, bereits in Altarabien und noch mehr in islamischer Zeit, und zwar vom siebten Jahrhundert an, ist durch das genannte Material als Tatsache belegt, deren Existenz man nicht mehr in Frage stellen kann, während man bis jetzt rein theoretisch darüber sprach, als wäre sie durch die islamischen Gelehrten zur Unterstützung islamischer Ziele in Umlauf gesetzt worden. Alle Bücher, die in frühislamischer Zeit entstanden sind, gehen auf Überlieferer zurück, die in der vorislamischen Zeit geboren und aufgewachsen sind. Sie lebten in einer uralten Tradition Arabiens, der des Erzählens, wie es deutlich das älteste Buch über den Jemen zeigt. Es entstand unter dem Kalifen Moawija (Regierungszeit 661 - 680), dem Begründer der Omajjaden-Dynastie. Sein Inhalt wurde dem Machthaber vorgetragen, durch einen Überlieferer, der dafür gegen 662 aus dem Jemen nach Damaskus gebracht wurde und ein biblisches Alter hatte. Er galt als bester Erzähler seiner Zeit für die Geschichte des Jemen. So wurde er zum „nächtlichen Unterhalter und zum Berater des Kalifen“ und erzählte diesem auf sagenhafte Weise die „Geschichte“ seiner Heimat, vom Anfang der Schöpfung an. Der Erzähler suchte den Jemen mit der Welt der Bibel zu verbinden, allerdings indem er einiges hinzudichtete, um seine Angaben für den Kalifen zuverlässiger zu gestalten. So entstand das ganze Buch zur vollkommenen Zufriedenheit des Moawija, der seinen Divan-Beamten befahl, das Material schriftlich niederzulegen und es mit dem Namen seines Überlieferers zu verbinden, so die einführenden Worte des Buches.

Der erzählte Text über die Geschichte des Jemen ist uns leider nicht in der Urversion überliefert, sondern in einer späteren aus dem neunten Jahrhundert. Beim Betrachten der einführenden Angaben über die Umstände seiner Entstehung stellt man fest, daß bestimmte Termini der Überlieferung verwendet werden, die typisch für die oben erwähnten Papyri sind und die kurz danach nicht mehr benutzt wurden. So führt diese Terminologie unweigerlich in eine Zeit, in der ein solcher Sprachgebrauch verbreitet war, das heißt, der Text läßt sich mit größerer Sicherheit in die Epoche der Papyri der Überlieferungsschule des Richters von Ägypten einordnen.

Die Erzählart bei Nacht war im Orient sehr alt

Die Abschriften der Papyri weisen aber solche Fachausdrücke nicht mehr auf. Denn sie sind doch einige Jahrzehnte jünger, und etwas Wichtiges war in der Zwischenzeit geschehen: Mit dem Wachsen des islamischen Reichs war es notwendig geworden, die Schrift als Instrument der Macht und der Verbindung zwischen den islamischen Provinzen, auch im täglichen Geschäftsleben und in der Kultur, richtig zu entwickeln. Damit war eine Systematisierung der Beschäftigung mit Wissenschaften eng verknüpft. Kleine Schriften wurden zu großen Kompendien; Miszellen entwickelten sich zu immer dickeren, zum Teil mehrbändigen Werken. Daher war eine Spezialisierung nötig, die zunächst sprachlich durchgeführt wurde. Am Buch über die Geschichte der biblischen Propheten im Islam läßt sich das am besten veranschaulichen: Obwohl die David-Geschichte wörtlich vom Papyrus abgeschrieben wurde, tragen beide nicht denselben Titel, was in etwa zum Anfang des neunten Jahrhunderts zurückführt und als Scheidepunkt im Gebrauch der fachlichen Terminologie betrachtet werden kann. Damit ist ein großer Schritt zum Ursprung getan.

Auch bei dem Buch von „Tausendundeiner Nacht“, von dessen ursprünglicheren Versionen nur ein Fragment erhalten ist, das 1949 von einer amerikanischen Arabistin veröffentlicht wurde, bestätigt der Gebrauch einiger Vokabeln im Titel diesen Umstand. Fügt man hinzu, daß die erzählerische Gattung durch früher entstandene Buchversionen im Islam belegt ist, die lange vor der Entstehung der Texte von „Tausendundeiner Nacht“ mündlich und etwas später schriftlich in Umlauf waren, muß man daraus folgern, daß die Erzählart bei Nacht im Orient sehr alt war und daß sie ihre älteste islamische Bestätigung im Buch über den Jemen zur Zeit von Moawija findet. Ein anderes Fragment, von derselben Amerikanerin 1972 herausgegeben, jedoch nicht von ihr im Zusammenhang mit seinem Überlieferer identifiziert, erwies sich bei genauerer Analyse als kleine Quelle einer größeren Geschichte im Buch von „Tausendundeiner Nacht“. Hier sind bereits die großen Linien des idealen Mädchens Tawaddud angelegt, dem später ein Kapitel gewidmet wird.

Von eminenter Bedeutung ist aber, daß das Material auf dieselbe Epoche wie die Papyri im Haus des ägyptischen Richters zurückgeführt werden konnte. Da das Buch „Tausendundeine Nacht“ auch viele typisch arabische Erzählstücke enthält, die nichts mit Persien zu tun haben und deren Ursprung mindestens das siebte und der Anfang des achten Jahrhunderts ist, können wir folgern, daß ein arabischer Teil dieser Sammlung bereits in Umlauf war, den man später nach der Übersetzung anderer persischer Teile mühelos eingefügt hat. Solche Fragmente sind hierfür der beste Beweis, zumal die Überlieferer die berühmte Bibliothek des Richters Abdallah Ibn Lahia besucht haben müssen. So betrachtet bekommt die Privatbibliothek einen anderen Stellenwert und kann als eines der allergrößten Zentren für die Pflege der islamischen Kultur in den beiden ersten islamischen Jahrhunderten betrachtet werden. Das Ganze erfährt eine besonders faszinierende Betonung, wenn man bedenkt, daß ein Freund von ihm, „der ungekrönte Fürst Ägyptens“, maßgebender Wissenschaftler und Zeitgenosse, Al-Layth Ibn Sad (713-791), ihn wie die meisten Gelehrten aus dem Arabien seiner Zeit finanziell unterstützte. Dieser war auch durch seine wissenschaftlichen Fähigkeiten viel reicher geworden, denn der große Abbasiden-Kalif Harun Al-Raschid hatte in Bagdad davon erfahren und ihn dafür mehr als reichlich belohnt. Damit wurde der Kalif zum größten Mäzen seiner Zeit. Diese guten Beziehungen zum Herrscher von Bagdad, die durch einen koptisch-katholischen Patriarchen von Alexandria auf Grund einer erfolgreichen medizinischen Behandlung von einer von dessen Frauen zusätzlich ausgebaut wurden, führten zu einer wesentlichen Verbesserung der Lage in Ägypten und so zum Wiederaufbau der zerstörten Kirchen des Landes. Eine wahrhaftig nostalgisch stimmende Zeit, in der die Wissenschaft zu ganz großem Ruhm, zu fabelhaftem Vermögen und zu einem versöhnlichen Zusammenleben der Religionen führte.

Autor:
Professor Dr. Raif Georges Khoury
Seminar für Sprachen und Kulturen des Vorderen Orients, Sandgasse 7, 69117 Heidelberg,
Telefon (06221) 54 29 69

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