Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Restlos begeistert von Verwaltungswissenschaften

Von Mirjam Mohr

Als Jale Tosun (Foto: Universität Heidelberg) 1999 Abitur machte, schienen die Chancen ihrer Generation auf dem Arbeitsmarkt ziemlich schlecht zu sein, sodass sie lange überlegte, was sie beruflich machen sollte. Durch einen Zufall stieß sie auf den Studiengang Verwaltungswissenschaft an der Universität Konstanz, „und mir tat sich eine neue Welt auf“, blickt sie zurück. Heute ist die 34-Jährige Professorin für Politische Wissenschaft an der Ruperto Carola und beschäftigt sich auch mit Jugendarbeitslosigkeit in der Europäischen Union. Sie selbst habe beruflich großes Glück gehabt, meint sie, denn ohne eine bewusste Karriereentscheidung zu treffen, habe sich „einfach alles so ergeben“ – und sie nicht nur einen Beruf sondern sogar ihre „Berufung“ gefunden.

Das Fach Verwaltungswissenschaften klinge ja eigentlich „unglaublich langweilig“, sodass sie nie auf die Idee gekommen wäre, es zu studieren, sagt Jale Tosun. Nachdem sie sich aber auf der Suche nach einem passenden Beruf viele Studiengänge angeschaut und verworfen hatte, lernte sie zufällig während eines Praktikums Studenten des Fachs kennen und begleitete sie aus Interesse an die Universität Konstanz. Und sie war „restlos begeistert“ von dem Studiengang, der neben Politikwissenschaft Komponenten von Volkswirtschaftslehre, Management und Jura umfasste.

Das Studium ermöglichte Jale Tosun viele Praxis- und Auslandserfahrungen: Sie studierte ein Jahr im italienischen Pavia und absolvierte zahlreiche Praktika, etwa bei der Konrad-Adenauer-Stiftung in Chile und bei der Deutsch-Paraguayischen Außenhandelskammer. „Am Ende meines Studiums 2006 hatte ich dann keinesfalls mehr das Gefühl, kaum berufliche Perspektiven zu haben. Aber damals war mir bereits klar, dass ich in der Wissenschaft bleiben möchte. Ich hatte das Angebot, zu internationaler vergleichender Politikfeldanalyse und Verwaltungswissenschaft zu promovieren, und das habe ich wahrgenommen.“

Tosun schrieb ihre Doktorarbeit zu Umweltpolitik in Transformationsstaaten, arbeitete parallel in einem EU-Projekt zur Umwelt- und Sozialgesetzgebung mit, sammelte Erfahrungen in der akademischen Selbstverwaltung und begann, sich ein eigenständiges wissenschaftliches Netzwerk aufzubauen. Nach der Promotion folgten Forschungsaufenthalte in New Jersey und Virginia in den Vereinigten Staaten sowie im kanadischen Ontario.

Vor drei Jahren entschloss sich Jale Tosun dann, „auch mal aus Konstanz wegzugehen, um meinen Marktwert zu testen“. Und das klappte auf Anhieb: Sie empfahl sich als Research Fellow am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung, doch schon nach wenigen Wochen bekam sie das Angebot, am Institut für Politische Wissenschaft der Universität Heidelberg als Mutterschaftsvertretung eine Juniorprofessorinnenstelle zu übernehmen. Nachdem die Stelleninhaberin einen Ruf an eine andere Hochschule angenommen hatte, konnte sich Tosun erfolgreich um den vakanten Lehrstuhl bewerben. Und als sie 2014 einen Ruf auf eine W3-Professur an die Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer erhielt, wurde ihr an der Ruperto Carola eine W3-Stelle als Professorin offeriert. Seit Beginn dieses Jahres hat sie nun – mit finanzieller Unterstützung durch das Professorinnenprogramm von Bund und Ländern – einen Lehrstuhl für Politische Wissenschaft inne.

Inhaltlich lagen Tosuns Schwerpunkte zunächst auf Umweltpolitik und europäischen Integrationsprozessen, was sie dann in Richtung Energiepolitik erweiterte. „Diese Forschung habe ich immer sehr stark aus der Staatenperspektive betrieben, aber allmählich bin ich stärker auf die Perspektive der Akteure eingegangen, indem ich mich beispielsweise mit der Nachfrage nach Umwelt- und Energieregulierung beschäftigt habe“, erklärt die Politikwissenschaftlerin. In ihrem aktuellen EU-Forschungsprojekt CUPESSE, bei dem es um Jugendarbeitslosigkeit geht, widmet sie sich nun stärker den Individuen und deren Einstellung zur Berufstätigkeit. Das 2014 gestartete Projekt – an dem 13 Forschungseinrichtungen aus zehn Ländern mitwirken – untersucht, wie der familiäre Kontext und vor allem die Vermittlung von Werten Einfluss auf die Beschäftigung sowie die wirtschaftliche und soziale Unabhängigkeit von jungen Erwachsenen hat.

Ihre Forschung bringt Jale Tosun auch stark in die Lehre ein: „Ich finde, dass man forschungsnah lehren sollte, denn man muss den Austausch suchen, sich auch kritisieren lassen und Studierende so früh wie möglich in den Forschungsprozess integrieren.“ In Heidelberg nehme die Lehrverpflichtung quantitativ viel Raum ein, weshalb ihr nicht viel Zeit für besonders innovative Unterrichtsideen bleibe. „Aber die Studierenden hier sind großartig, sehr engagiert und verständnisvoll, sodass es einfach Spaß macht, mit ihnen zu arbeiten.“

Generell stelle einen das Wissenschaftlerdasein, das viel zeitliches Engagement erfordere, vor große Herausforderungen, resümiert Jale Tosun, nachgerade mit Blick auf das soziale Leben. Zum Glück sei ihr Mann auch Politikwissenschaftler, was vieles einfacher mache, aber andererseits auch bedeute, dass sie nach Feierabend weiter über die Arbeit rede. „Man lebt den Beruf, und darauf muss man sich einlassen – aber dass ich meine persönlichen Interessen zum Beruf machen konnte, ist einfach fabelhaft!“

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