Siegel der Universität Heidelberg
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Ein Gefängnis der ganz besonderen Art: der Universitäts-Karzer

Das Universitätsarchiv ist das Gedächtnis der Ruperto Carola. In mehreren Folgen präsentiert der Unispiegel ausgewählte Dokumente aus sieben Jahrhunderten Geschichte der Universität Heidelberg. Diesmal im Fokus: der Karzer.

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Unseren Karzer in der Augustinergasse besuchen alljährlich mehr als 40.000 Menschen. Sie werden dort in die Endphase der Karzergeschichte versetzt, in die Jahre 1885 bis 1914, als das Karzerleben der Burschenschaften längst zur bierseligen Burleske geworden war. Schon die Karzerordnung von 1853 hatte jedem Studenten als tägliche Versorgung einen Schoppen (1/2 Liter) Wein und zwei Flaschen Bier zugestanden. Als Franz Schandelmaier im Februar 1914 als Letzter entlassen wurde, kehrte er fünf Arrest-Räumen und einem Treppenhaus den Rücken, deren Wände die studentische Phantasie von 30 Jahren ­lückenlos mit bunten Graffiti und frechen Sprüchen versehen hatte. Das gesamte Ensemble (einschließlich „Thronsaal“)  ist heute ein weltweit attraktives Kulturdenkmal.

Ein Dokument, mit welchem Kurfürst Ruprecht 1386 regelte, wer an seiner Universität aus welchen Gründen Karzerstrafen verhängen durfte, begleitete schon den Gründungsvorgang der Heidelberger Universität. Lange bezeichnete „Karzer“ allerdings eher die Strafe (poena carceris), weniger einen bestimmten Ort der Verbüßung. In der Regel legte man die Delinquenten (incarcerati) in die städtischen Gefängnisse in den Stadttürmen (Hexenturm, Brückenturm). Von der speziellen Einrichtung eines ersten festen Karzers in einem kleinen Häuschen am damals so genannten Lindenplatz (heute etwa Schulgasse 4, Hinterhof) berichten die Quellen erst aus dem Jahr 1545. Das Casimirianum, das zu Anfang des 17. Jahrhunderts am heutigen Universitätsplatz erbaut wurde, verfügte ebenso über Karzerräume wie der ab 1712 errichtete Nachfolgebau, die Alte Universität. Noch heute führt dort im Erdgeschoss eine kleine Holztür unterhalb des ersten Treppenpodests in einen sehr niedrigen Vorraum, von dem nach links und rechts hinter schweren, eisenbeschlagenen Holztüren je eine ­Arrestzelle zu betreten ist. Die hygienischen Verhältnisse in diesen beiden Zellen waren gegen Ende des 18. Jahrhunderts Gegenstand lebhafter Klagen. Gelöst wurde das Problem 1784 durch den Ankauf des in der Augustinergasse an das Universitätshaus unmittelbar angrenzenden Anwesens: Grundstück und Gebäude des Sattlermeisters Ernst Coblitz, samt einem schon 1736 errichteten, hofseitigen Anbau. Hier wurden neue Karzerräume eingerichtet, außerdem die Wohnung des Pedellen sowie ein „Winter-Senat-Zimmer“.

Ein Gefängnis der ganz besonderen Art: der Universitäts-Karzer  
Ausgerechnet Schandelmaier hieß der letzte Insasse des 1914 geschlossenen Karzers. Heute gehört das einstige Gefängnis zu den beliebtesten Sehenswürdigkeiten in Heidelberg.
Foto: Fink

Bis zur Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert waren Karzerstrafen bei den Studiosi sehr gefürchtet. Seitdem (offenbar nach 1822) die neuen Karzerräume auch beheizt wurden und schließlich Betten das Stroh auf blankem Boden ablösten, sollte sich dies relativ rasch ändern. Im Jahre 1868 wurde schließlich die Disziplinargerichtsbarkeit durch den Erlass neuer akademischer Gesetze, 1876 dann nochmals der Vollzug der Haftstrafen neu geregelt. Schon einige Jahre vor der letzten Novellierung der Karzerordnung (1890) wurde 1879 die Arrestdauer, die gewöhnlich aber ohnehin nur 3–7 Tage betragen hatte, auf maximal zwei Wochen begrenzt. Mit der Novellierung der Universitätsstatuten im Jahre 1920 fand die Einrichtung auch formal ihr Ende.
Werner Moritz

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