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Vom Leben und Sterben in Singapur

Vier Heidelberger Sinologie-Studenten bei den siebten „Varsity Debates“ – Ein Erfahrungsbericht

Beim 7. Internationalen Varsity Debating-Wettbewerb hat der Heidelberger Sinologiestudent Oliver Radtke die Einzelwertung gewonnen. Für den „Unispiegel“ schildert er seine Erfahrungen in der chinesischen Metropole.

Die Stimmung in Studio 1 der Media News Corporation ist auf dem Höhepunkt. „Unhaltbare Behauptung“, „unlogisch“, „naiv“ – die Kontrahenten der zweiten Halbfinaldebatte zum Thema Sterbehilfe schenken sich nichts. Das vierköpfige Team aus Heidelberg schlägt sich wacker gegen die besser vorbereiteten Studenten der Ausländeruniversität aus Peking. Ich versuche mit meinem Schlussplädoyer noch einmal richtig Stimmung zu machen gegen die Pekinger Befürworter der Sterbehilfe – und verliere mit meinen drei Kommilitonen nur knapp mit 2:1 Jurystimmen. Nach 38 Minuten Sendezeit sind wir aus dem Wettbewerb und dennoch froh.

Das sinologische Debattierteam aus Heidelberg (v.l.n.r.): Oliver Radtke, Cora Jungbluth, Coach Susian Stähle, Marina Rudyak und Thomas Winsauer.
Das sinologische Debattierteam aus Heidelberg (v.l.n.r.): Oliver Radtke, Cora Jungbluth, Coach Susian Stähle, Marina Rudyak und Thomas Winsauer.
Foto: Radtke

Doch zurück zum Beginn der Geschichte, die in Heidelberg ihren Anfang nahm. Vor einem halben Jahr erhielt das Sinologische Seminar der Universität eine Einladung zu den siebten International Varsity Debates 2005 vom 27. August – 5. September in Singapur, ein Debattierwettbewerb, der vom Staatsfernsehen der Metropole zusammen mit dem Staatsfernsehen der VR China alle zwei Jahre veranstaltet wird. „Zur Teilnahme vorgeschlagen werden Studenten, die sich über das normale Maß im Studium engagiert haben und natürlich sehr gut Chinesisch können“, sagt Institutsleiterin Barbara Mittler.

Helfen tut uns der Vertrauensbeweis jedoch zunächst wenig. Eine rhetorische Zusatzqualifikation hat keiner von uns vier erworben, noch weniger haben wir Ahnung davon, wie asiatische Universitäten ihre Studenten auf einen derartigen Wettbewerb vorbereiten. Und überhaupt: Was erwarten die Veranstalter von den Großnasen aus Deutschland? Erste Hilfe erhalten wir aus Singapur: Ein Videoband präsentiert uns die Finaldebatte von 2001 aus Wuhan (VR China). Mit einer Mischung aus Schock und Amüsement bestaunen wir die abgehackten einstudierten Bewegungen der acht Rednerinnen und Redner, ihre mediengerechte und wortgewandte Debatte vor einer bonbonfarbenen Studiokulisse.

Können wir das auch, fragen wir uns, vor 800 Zuschauern frei von der Leber weg knifflige Standpunkte lebendig präsentieren? Und: Müssen wir uns auch so eckig bewegen wie in einer Pekingoper? Unsere taiwanesische Sprachlehrerin Susian Staehle macht den vier Zauderern Mut. Es gehe um die logische Argumentation und das Auftreten als Team. Wir merken dennoch, die Zeit bis zum eigentlichen Wettbewerb ist knapp und beginnen unsere Vorbereitung im Sinologischen Seminar der Ruperto Carola.

Wir forsten im Internet nach in China gängigen Debattierthemen: „Lieber Jungen gebären als Mädchen“ oder „Geld ist die Wurzel allen Übels“ ist da zu lesen. So richtig begeistern können wir uns für diese Art Themen nicht. Das Ergebnis der thematischen Auslosung aus Singapur erreicht uns da gerade rechtzeitig: Das Recht des einzelnen auf Sterbehilfe haben wir als Oppositionsteam abzulehnen. Eine schwierige, aber lohnende Aufgabe, merken wir doch alle, dass uns mit diesem Thema mehr verbindet als mit der Frage, ob zuerst die Henne oder doch das Ei da war. Transport, Hotel, die Organisation vor Ort, alles ist genau durchgeplant. Singapur strahlt klinisch rein, die Klimaanlagen der Stadt arbeiten nach Kräften daran, alle Innenräume konstant auf Minustemperatur zu halten, und der Wettbewerb beginnt. Das ebenfalls bonbonfarbene Fernsehstudio der Media News Corporation liegt scharf bewacht auf einer Anhöhe und ähnelt mit seinen Sperren und vielen roten Warnschildern eher einem Hochsicherheitstrakt denn einer Fernsehanstalt. Insgesamt 12 Unis aus Europa, Ost- und Südostasien nehmen am diesjährigen Wettbewerb teil, bei dem zwischen Muttersprachlern und Nichtmuttersprachlern unterschieden wird. In Gruppe B finden sich außer uns die Universitäten aus Stockholm, Seoul und die Sprachen- und Kulturuniversität Peking.

Ziel der Veranstaltung ist es, neben der Eigenwerbung für die beiden Fernsehanstalten Hochchinesisch – oder Mandarin – als internationale Sprache stärker zu etablieren. Bei der Menge von 100 Millionen Zuschauern im Jahr 2003 lohnt sich dieser Werbeaufwand durchaus. Von Singapur wird am Ende keines der Teams viel gesehen haben – am wenigsten das Siegerteam aus Korea –, dafür ist der Zeitplan der Veranstalter zu rigide. Die Preisverleihung nach einer Woche Ausscheidungs- und Finalwettkämpfen ist fernsehgerecht feierlich und hält auch für das Team aus Heidelberg einige Kristallpokale bereit. Nach einer Woche zwischen Hotel und Fernsehstudios geht es mit den Visitenkarten aller Teilnehmer bestückt auf die lange Heimreise nach Deutschland. Karten mit Kontaktmöglichkeiten in alle Welt, damit noch manche Diskussion online weitergeführt werden kann, für die 38 Minuten Sendezeit nicht genug gewesen sind.

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