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Verbesserungsbedarf

Befragung von Studierenden der Anglistik 

Im Zuge der Studienreform und der Verkürzung der Studiendauer gewinnen Schlüsselkompetenzen auch an deutschen Hochschulen an Bedeutung, um die Universitätsausbildung effizienter zu gestalten. Vor diesem Hintergrund wurde vom Team des Lehrstuhls für englische Sprachwissenschaft eine Befragung von Studierenden der Anglistik durchgeführt, um potentielle
Bereiche interner Verbesserungen aufzudecken. Die Ergebnisse
sind ein aufschlussreicher Beitrag zur aktuellen Diskussion über Bildungs(miss)standards.
Im Sommersemester 2004 hatte das Fach Anglistik 2 200 eingeschriebene Studierende, die das erste Staatsexamen oder den Magisterabschluss anstreben. Für beide Studiengänge gilt eine Unterteilung in die drei „Fachsäulen“ Sprachpraxis, Sprachwissenschaft und Literaturwissenschaft. Um möglichst alle Studienabschnitte zu berücksichtigen, wurde für die Befragung eine Einteilung in vier Kurstypen vorgenommen: Typ I (Einführung), Typ II (Proseminare I & II), Typ III (Hauptseminare, Oberseminare, Examenskolloquien), Typ IV (Vorlesungen). Auf eine annähernd gleiche Anzahl von Teilnehmern aus den Kurstypen wurde geachtet. Der Fragebogen bestand aus drei Teilen mit jeweils unterschiedlichem Erkenntnisinteresse. Teil A (Erfragung allgemeiner Informationen) zielte überwiegend ab auf die Ausstattung der Studierenden mit Nachschlagewerken. Teil B sollte Aufschluss geben über die Nutzung der Bibliothek des Anglistischen Seminars. Die Fragen in Teil C betrafen primär das Zeitmanagement. Die Fragetypen waren gemischter Natur.

Umfangreiche Lektüre kommt erst später

Hinsichtlich des Leseverhaltens und des Zeitmanagements ist festzuhalten: die Zeit, die in den Kurstypen I und II pro Woche für studienbezogene Lektüre aufgewandt wird, beträgt im arithmetischen Mittel ca. 6 Stunden. Zum Kurstyp III hin steigt dieser Wert auf etwa das Doppelte an, wobei eine hohe Standardabweichung in beiden Fällen auf eine große Inhomogenität der Gruppe aller Befragten hindeutet. Gleichzeitig verringert sich mit Voranschreiten des Studiums der während der Semesterferien in die Freizeit investierte Wert (ca. 45% bei den Kurstypen I und II, beim Kurstyp III nur noch ca. 29%). Die in das Jobben investierte Zeit bleibt dagegen während des gesamten Studiums relativ konstant (knapp 30%). Daraus könnte man ableiten, dass viele Studierende erst während des Hauptstudiums erkennen, dass umfangreiche Lektüre für den Studienerfolg eine wesentliche Rolle spielt.

Die Bewertung des eigenen Zeitmanagements ändert sich kaum während des Studiums: etwa 33% der Befragten sind damit unzufrieden. Bei anzugebenden Zahlenwerten offenbarten sich Schwächen: 8,1% der Befragten konnten z.B. keine Aussagen machen zur Höhe der Ausgaben, die pro Semester für den Kauf von Büchern investiert wird, obwohl sie angaben, den Betrag ins Budget einzuplanen. Bei zwei weiteren Fragen zu Prozentwerten summierten sich die Angaben einmal bei 9% und einmal bei 15% der Befragten nicht auf 100. Genaues Lesen und Rechnen (beides unerlässliche Kernkompetenzen) scheint einigen schwer zu fallen. Umso erfreulicher ist es, dass sich durch die PISA-Studie auch das gesamtgesellschaftliche Interesse wieder mehr diesen Grundfähigkeiten zuwendet.

Wo wird für das Studium gelesen? Die von uns stichprobenartig ermittelten Zahlen (es erfolgte 2x täglich eine zeitgleiche Zählung von Juni-Oktober 2004) ergeben, dass sich durchschnittlich nur 10 Personen in der Seminarbibliothek aufhalten. Man könnte meinen, relevante Studienlektüre und Nachschlagewerke stünden deshalb zuhause zur Verfügung. Jedoch offenbart die Umfrage: zu Beginn ihres Studiums besitzen 50% kein englisches Gebrauchswörterbuch, 20% kein englisches Lernerwörterbuch, 23% keine englische Grammatik und etwa 40% keine sonstigen Nachschlagewerke. Für den Kauf von studiumsbezogenen Büchern werden pro Semester durchschnittlich 78 Euro ausgegeben (Standardabweichung: 55,7 Euro).

Selbständigkeit beim Wissenserwerb steigt

Den Befragten zufolge steigt die in der Bibliothek verbrachte Zeit jedoch an, und zwar von etwa 2,5 Stunden pro Woche in den Kurstypen I und II auf etwa 4,6 Stunden im Kurstyp III. Ein weiteres Anzeichen für zunehmende Selbstständigkeit beim Wissenserwerb ergibt sich aus den Aussagen zur Verwendung von Seminarapparaten aus Veranstaltungen, die nicht selbst besucht werden. Während 33% bzw. 39% der Teilnehmer aus den Kurstypen I und II angeben, auch diese Quellen zumindest gelegentlich zu nutzen, steigt der Wert bei Kurstyp III auf immerhin 69% an.

Welche Folgerungen und Empfehlungen lassen sich daraus ableiten? Die Einsicht in das, was ein zentraler Bestandteil des Faches ist, nämlich die umfassende und genaue Kenntnis von Texten zur Sprache, Kultur und Literatur der englischsprachigen Länder kommt spät, erst nach etwa der Hälfte des Studiums. Da die Bibliothek der Ort ist, der den schnellsten und umfassendsten Zugriff auf Texte und damit deren unmittelbares Studium und Vergleichen ermöglicht, gälte es, bereits im Grundstudium dort reiche Arbeitserfahrung in Bibliotheken zu fördern. In der Lehre sollten gezieltere Leistungsaufgaben entwickelt werden, bei denen der Wissenserwerb über das Recherchieren in und Vergleichen von verschiedenen Textquellen laufen muss. „Bibliotheksvertrautheit“ könnte einer aktiveren Studienhaltung förderlich sein und mit dazu beitragen, die lange „Einsichtsphase“ zu verkürzen. Und nicht zuletzt gilt: Ein früherer Erwerb fundierter Textkenntnisse ermöglicht eine frühere Prüfung.

Eine ausgezeichnete Initiative zur Verbesserung von Zeitmanagement und Selbstständigkeit beim Wissenserwerb kommt vom Zentrum für Studienberatung und Weiterbildung (ZSW). In Form von Tutorien arbeitet man dort bereits während der Orientierungsphase mit Instituten zusammen und bietet eigens Kurse hierzu an. Das speziell entwickelte Heidelberger Modell sollte stärker in das Bewusstsein von Lehrenden und Studierenden gebracht werden und könnte sicherlich einen Beitrag zur Verkürzung der Studienzeiten und zur Optimierung des Studienerfolgs leisten.
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