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Meinungen

pro & contra Habilitation

pro 

Die Habilitation ist seit Beginn des 19. Jahrhunderts der normale Zugang zum akademischen Lehramt – berühmte Ausnahmen wie Friedrich Nietzsche, der 1869 als 24jähriger nicht nur ohne Habilitation, sondern sogar unpromoviert auf den Baseler Lehrstuhl für klassische Philologie berufen wurde, bestätigen nur die Regel, und auch Nietzsches bleibende Bedeutung ist bekanntlich nicht auf seine fachspezifischen Leistungen zurückzuführen. Die gängigen Einwände, die periodisch immer wieder einmal gegen die Habilitation erhoben werden, richten sich gegen angebliche Übelstände wie Herausschieben des Karrierebeginns durch die Nötigung, eine größere wissenschaftliche Qualifikationsschrift anzufertigen; Forschungsabhängigkeit durch Bindung an Vorgesetzte; Verhinderung von Quereinstieg. Das heute wohl eindruckvollste Argument gegen die Habilitation ist, daß es sie in den USA nicht gibt – bei der gegenwärtig üblichen kritiklosen Bewunderung des amerikanischen Bildungssystems ist eine kontinentale oder mitteleuropäische Besonderheit der internationalen Universitätskultur anscheinend von vornherein verdächtig.
Unstrittig dürfte bei Kritikern wie Befürwortern der Habilitation sein, daß die Promotion nicht ausreicht, um – wie in der mittelalterlichen Universität – die facultas docendi zu erwerben. Es bedarf nach dem Doktorexamen also in jedem Fall einer weiteren Qualifikation, ja, einer elitären Selektion, die sowohl die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit des Nachwuchswissenschaftlers als auch die persönliche Eignung für eine akademische Karriere berücksichtigt. Art und Durchführung der Qualifikationsprüfung brauchen aber nicht in allen Fächern identisch zu sein. Zwischen Natur- und Geisteswissenschaften gibt es hier gewichtige Unterschiede – für die Geisteswissenschaften, um die es im Folgenden allein gehen soll, ist die Habilitation nach wie vor der Königsweg.
Wissenschaftliche Qualifizierung erfolgt in der Regel durch Publikationen. Die Dissertation dient nach Richard Hamann dazu, eine "Ausfüllung von Lücken im Tatsachenmaterial" vorzunehmen und "einen kleinen Beitrag zur Totalität des Wissenswerten für die Wissenschaft" zu leisten. Mit dem gehörigen Fleiß und hinreichender Betreuung kann jeder gut begabte Student eine Dissertation anfertigen. Die Befähigung, wissenschaftliche Arbeit zur Lebensaufgabe zu machen, verlangt jedoch einen vertieften Nachweis. Die Habilitationsschrift erörtert größere Zusammenhänge, greift weiter aus als eine Dissertation und fördert den wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt in beträchtlichem Ausmaß – jedenfalls soll es so sein. Sie zeigt, daß der Wissenschaftler/die Wissenschaftlerin über eigenständige Impulse und Originalität verfügt sowie den erforderlichen "langen Atem" für wissenschaftliches Arbeiten hat. Zudem bietet die Habilitationsschrift die Chance zum Nachweis der Interessenbreite – ihr Thema steht üblicherweise nicht im Zusammenhang mit der in der Dissertation untersuchten Fragestellung. Nicht zuletzt angesichts der bereits erfolgten und weiter zu erwartenden Reduzierungen des Lehrpersonals wird es immer wichtiger werden, einseitige Spezialisierungen zu überwinden und sich auf mehreren Forschungsfeldern als Kenner und Diskursbeteiligter auszuweisen. Ein opus magnum – es braucht ja nicht maximum zu sein, schon gar nicht im Umfang, und es braucht auch nicht den Anspruch des "Jahrhundertwerkes" zu erheben – taugt zum Nachweis wissenschaftlicher Qualifikation und Diversifizierung besser als x Aufsätze zu speziellen oder vielleicht sogar ephemeren Themen. Im übrigen gibt es die kumulative Habilitation, das heißt die Möglichkeit, statt einer Monographie einen "Haufen" bedeutender wissenschaftlicher Aufsätze vorzulegen, durchaus. In Ausnahmefällen kann sogar eine hervorragende Dissertation als Ersatz einer Habilitationsschrift dienen.
Die Habilitation besteht aber, was gern übersehen wird, nicht nur aus der schriftlichen Leistung, sondern auch aus der Bewährungsprobe des wissenschaftlichen Kolloquiums vor der Fakultät. Hier ist adäquates Vortrags- und Diskussionsverhalten unter Beweis zu stellen. Das Vorurteil, daß sich Habilitanden in Forschungs- oder Personalabhängigkeit von Vorgesetzen befinden, bedürfte der Konkretion – die bloße Anschuldigung hilft hier nicht weiter, und meine Erfahrungen bestätigen das Vorurteil durchaus nicht. Das Ethos des Wissenschaftlers gebietet, nicht in die Forschungsfreiheit eines anderen einzugreifen, und üblicherweise wird es sich so verhalten. Gelegentliches Fehlverhalten kann nicht als Vorwand dienen, die ganze Regelung abzuschaffen.
Es gibt in den Geisteswissenschaften keinen Ersatz für die Habilitation – Konkurrenz und Wettbewerb, die immer wieder eingefordert werden, lassen sich an der je besten wissenschaftlichen Qualifikationsschrift entscheiden. Die Abschaffung dieses Selektionsinstruments wäre ein massiver Verlust für den wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt. Notwendig ist aber, das Habilitationsalter zu senken. Das ließe sich dadurch erreichen, daß
a) die inhaltlichen und daraus folgend die zeitlichen Ansprüche an die Dissertation nicht ins Hypertrophe gesteigert werden;
b) auch die Habilitationsschriften in ihrer Thematik so angelegt werden, daß sie in überschaubarer Zeit zu bearbeiten sind;
c) die Habilitanden, die ja zumeist Assistenten mit Lehrbelastung sind, durch großzügige Vergabe von Stipendien zeitweise von ihren universitären Pflichten freigestellt werden.

 

Prof. Eike Wolgast, Historisches Seminar


contra 

Der Zwang zur Habilitation als Voraussetzung für eine akademische Laufbahn erzeugt in aller Regel eine persönliche Abhängigkeit von einem Mentor. Galt die Habilitation zu Zeiten meines Großvaters noch als sicherer Einstieg in eine wissenschaftliche Karriere, so kann sich ihr Effekt heute eher umdrehen: angesichts der steigenden Zahl arbeitsloser qualifizierter Akademiker mindert die Habilitation sogar die Chancen auf dem nicht-akademischen Arbeitsmarkt – man ist zu alt und hat mit dem eigentlichen Berufsziel "versagt". Dieser Umkehreffekt beruht auf der Inflation der Habilitation: oft aus persönlicher Gefälligkeit oder im Sinne einer machtbewußten Strukturgebung von Abteilungen, Instituten und Kliniken werden weit mehr Kollegen habilitiert als es der Gesamtzahl der frei werdenden Professorenstellen in Deutschland entspricht.
Diese Inflation betrachtet die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) in ihrer Denkschrift (DFG, Klinische Forschung, Denkschrift 1999) als besonders problematisch im Hinblick auf die Qualität der Klinischen Forschung. Sie beobachtet, daß sich auch für die nicht-akademische klinische Karriere die Habilitation als eine Art Voraussetzung entwickelt hat bis hin zur Besetzung von Chefarzt-Positionen in Kreiskrankenhäusern. In diesem Zusammenhang spricht die DFG von "Verschwendung der Ressourcen Geld, Zeit und Personal für nicht-qualitätskontrollierte ,pro forma'-Forschung in den Medizinischen Fakultäten ohne wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn und ohne weiterführende Zielsetzung". Dies widerspreche dem Geist des geltenden Hochschulrechts. Zudem bestehe die Gefahr des Nachteils, daß durch diese Art von Habilitation potentiell geeignete, künftige außeruniversitäre Kliniker davon abgehalten werden, ihre klinischen Fähigkeiten ihrer Begabung entsprechend optimal zu entwickeln. Zitat: "Chefärztinnen und Chef-ärzte außerhalb der Universität werden in der Regel durch langjährige klinische Tätigkeit besser auf ihre Aufgabe vorbereitet als durch jahrelangen Spagat zwischen Forschung und Klinik. Das Instrument der Habilitation, wie es in Deutschland gehandhabt wird, hat sich insbesondere in den naturwissenschaftlichen Fächern und der Medizin überlebt und sollte abgeschafft werden."
Die Habilitation ist als Befähigungsnachweis für eine akademische Karriere erfunden worden. Im ersten Drittel dieses Jahrhunderts – im Erfinderland Deutschland, geprägt von einer Exzellenz in den Naturwissenschaften und einer überschaubaren Zahl herausragender Forscherpersönlichkeiten, die nicht in demokratischen Strukturen handelten – war dieses Kriterium gewiß effizient. In der heutigen, extrem spezialisierten Zeit ist es unmöglich, dieses Selektionsverfahren fortzusetzen – es ist der Markt, der entscheiden muß. Das heißt, die Qualifikation eines Wissenschaftlers wird heute ausschließlich daran gemessen, welchen Einfluß seine Arbeiten auf sein Forschungsgebiet haben – und zwar international. Darüber hinaus "kämpft" ein qualifizierter junger Wissenschaftler oft mit mehr als 100 Bewerbern um eine Professur. Sind diese Stellen offen ausgeschrieben, so ist durch diese Konkurrenz gewährleistet, daß Bewerber auch schon mit kleinen Schwächen in ihrem Fach oder der Didaktik nicht zum Zuge kommen.
Können wir die Habilitation einfach ersatzlos streichen? Nein, denn im gleichen Zug müssen faire Voraussetzungen geschaffen werden, die es begabten und motivierten Wissenschaftlern ermöglichen, sich unabhängig zu qualifizieren und dem Wettbewerb zu stellen. Hier hilft ein Blick ins angelsächsische System: Größeren institutionellen Einheiten (wie Departments) innerhalb von Fakultäten muß die Möglichkeit gegeben werden, im Konsens der gleichberechtigten Arbeitsgruppenleiter sehr junge Wissenschaftler (typischerweise nach einer Postdoktorandenzeit von zwei bis drei Jahren) als völlig unabhängige und gleichberechtigte Arbeitsgruppenleiter einzuwerben. Solche "Assistenzprofessuren" sind zeitlich begrenzt, besonders herausragende Assistenzprofessoren sollten jedoch nach höchstens fünf Jahren auf Dauer eingestellt werden. Die nicht zum Zuge gekommen sind, hatten ihre Unabhängigkeit, die Unterstützung durch "ihr" Department und damit eine faire Chance.
Dann wäre die Habilitation so überflüssig wie das Ladenschlußgesetz.

Prof. Felix Wieland, Biochemie-Zentrum

 

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