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Meinungen

Jochen Tröger, Ärztlicher Direktor der Kinderklinik und Prorektor der Universität Heidelberg, und Brigitte Tag, früher Juristisches Seminar der Universität Heidelberg und heute Universität Zürich, kommentieren das "Hagl-Urteil" und bedenken seine Folgen für die Forschung.

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat im Frühjahr 2002 den gegen den Ärztlichen Direktor der Abteilung für Herzchirurgie Professor Siegfried Hagl erhobenen Vorwurf der Untreue zurückgewiesen und das Verfahren wegen Vorteilsannahme an das zuständige Landgericht zurückverwiesen.

Jochen Tröger

Auch wenn in der Urteilsbegründung ausgeführt wird, dass der Tatbestand der Vorteilsannahme gerade noch erfüllt, die Schuld also sehr gering sei, bleiben alle Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer nach diesem Urteil bei der Einwerbung von Drittmitteln in einem unerträglichen Gefahrenbereich: Die Drittmitteleinwerbung, Dienstaufgabe aller baden-württembergischen Hochschullehrer, ist stets von der Gefahr der Anklage wegen Vorteilsannahme begleitet.


Brigitte Tag

Eine strafbare Vorteilsannahme liegt nach der Urteilsbegründung nicht vor, wenn das Einwerben den Vorgaben des Universitätsgesetzes über die Drittmittelbehandlung und hier insbesondere den Vorgaben zur Transparenz entspricht. Diese grundsätzlich begrüßenswerte und dringend erforderliche Einschränkung der extensiven strafrechtlichen Haftung im Drittmittelbereich ist zugleich mit einer deutlichen Schwäche behaftet: Das Delikt der Vorteilsannahme gerät zusehends zum unbestimmten Blankettgesetz. Es kann aber unter verfassungsrechtlichen Aspekten nicht angehen, dass die Strafbarkeit der Drittmitteleinwerbung – je nach Universitätsgesetz und seiner Handhabung in der Praxis – von Bundesland zu Bundesland von unterschiedlichen Anforderungen bedingt wird.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes zeigt überdies eine weitere Brisanz der strafbaren Vorteilsannahme an zwei Beispielen: Es geht um die Unvereinbarkeit der derzeitigen Rechtslage einerseits und der medizin-ethischen, auf den Eid des Hippokrates zurückgehenden moralischen Bewertung sowie der Forderung der Politik nach Drittmitteleinwerbung andererseits.

In der mündlichen Urteilsbegründung wurde wie folgt argumentiert: Wenn ein Abteilungsdirektor einer Universitätsklinik seinen Oberarzt drittmittelfinanziert zu einem wissenschaftlichen Kongress schicke, dann sei dies in Erfüllung der Pflicht zur Weiterbildung und zu wissenschaftlicher Arbeit Dienstaufgabe des Abteilungsdirektors, jedoch diene diese Reise aber eben auch dem Vorteil des Abteilungsdirektors. Erhalte ein Abteilungsdirektor ein medizinisches Gerät von einer Firma und verlängere er damit das Leben eines Patienten um drei Tage, dann liege der größte Vorteil beim Patienten, aber es sei eben auch reflexartig ein Vorteil für den Abteilungsleiter entstanden.

Diese beiden Erläuterungen zum Begriff des Vorteils im strafrechtlichen Sinne stellen das nicht nur für medizinische Hochschullehrer unerträgliche Spannungsfeld dar. Der Bogen, der diese Argumentation umschließt, ist bis zum Bersten gedehnt. Dieses Spannungsfeld muss zukünftig beseitigt werden, wenn weiterer Schaden im Falle der industrienah kooperierenden Hochschulmedizin und der hiermit verbundenen Drittmitteleinwerbung vermieden werden soll.

    Welche Konsequenzen sollte nun dieses Urteil haben, und welche Reaktionen sollten wir vermeiden?
  • Wir müssen die vorhandene Rechtsunsicherheit auf Seiten der Hochschullehrer abbauen. Sowohl die Universität als auch die Kliniken haben gemeinsam mit dem Ministerium für Wissenschaft und Kunst auf der Basis des geltenden Rechts juristisch sorgfältig aufbereitete Vorschriften entwickelt. Diese sind von den an der Einwerbung Beteiligten strikt einzuhalten, von den verwaltenden Stellen aber zugleich so flexibel umzusetzen, dass die Drittmitteleinwerbung nicht an bürokratischen Hindernissen scheitert. Dies gilt vor allem für die Auftragsforschung und die Forschung mit wirtschaftlichen Partnern der Hochschullehrer beziehungsweise der Institute und Kliniken.
  • Wir dürfen nicht aus Angst vor Strafverfolgung die notwendige angewandte Forschung reduzieren. Eine solche Überreaktion würde die wissenschaftliche Entwicklung bremsen und vor allem dem Bereich der patientennahen medizinischen Forschung schaden.
  • Wir müssen das in den letzten Jahren entstandene Klima der Unsicherheit in unserem wirtschaftlichen Umfeld abbauen. Die von führenden Industrieverbänden unter Federführung des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller erarbeiteten Richtlinien (Deutsche Krankenhausverlagsgesellschaft, Oktober 2000) können auch unter der gegenwärtigen Rechtslage als Handlungsgrundlage dienen.
  • Wir dürfen nicht akzeptieren, dass die industrienahe Forschung sich aus Deutschland zurückzieht.
  • Wir müssen intensivere Öffentlichkeitsarbeit leisten und unseren wissenschaftsethischen Standpunkt aktiv darstellen. Hierbei müssen wir die in unserer juristischen Fakultät vorhandene hohe Fachkompetenz in die Diskussion einbeziehen.
  • Wir dürfen nicht durch Passivität die Meinungsbildung anderen Gruppen überlassen, die mit den hier aufgeworfenen Fragenkreisen weniger vertraut sind.
  • Wir müssen bei den politischen Entscheidungsträgern eine schärfere Grenzziehung zwischen für die Forschung notwendiger industrienaher Kooperation und Vorteilsannahme einfordern. Eine exakte und zugleich praktikable Trennlinie zwischen der erwünschten, sozialadäquaten Drittmitteleinwerbung und dem Bereich strafbaren Verhaltens muss die dringend erforderliche Rechtssicherheit schaffen.
  • Wir dürfen nicht tolerieren, dass Hochschullehrer ständig im Grenzbereich strafbaren Verhaltens agieren müssen, wenn sie die Dienstaufgabe, Drittmittel einzuwerben, pflichtgemäß erfüllen. Die Verbesserung von Arbeits- und Forschungsbedingungen unter Einsatz von Drittmitteln darf nicht per se mit dem Odium des Kriminellen, mit Strafandrohung und damit der Gefahr der Strafverfolgung belegt sein.
  • Wir fordern alle im Bereich der Wissenschaft Tätigen auf, aktiv das Ziel einer Gesetzesänderung zu unterstützen. Die Gefahr, dass die derzeit unsichere Rechtslage einzigartige drittmittelfinanzierte Forschung verhindert, kann nicht hingenommen werden. Die Autoren werden zeitnah ein Symposium zum Themenkreis "Drittmittel und Vorteilsannahme" vorbereiten. Hier sollen die Argumente der Wirtschaft, der Politik und der Wissenschaft ausgetauscht und Lösungen angedacht werden.
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