Siegel der Universität Heidelberg
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Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,
in deutschen Seifenopern wird das akademische Leben selten thematisiert. Nur in "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" spielt ein Professor eine protagonistische Rolle: Er unterrichtet Rechtswissenschaften an einer Berliner Universität, betreut nebenbei seine Anwaltspraxis und auch noch ein Gourmetrestaurant. Seine Tätigkeit an der Universität kommt nur selten zur Sprache, etwa dann, wenn er seiner Freundin berichtet, er habe seine Vorlesung früher verlassen, um mit ihr einen Spaziergang zu machen, was bemerkenswert sei, weil sich das nur ganz wichtige Professoren erlauben dürften. Bücher liest der Fernseh-Professor nie, Forschung ist für ihn kein Thema.

 

Dass eine Seifenoper das Klischee des faulen, auf seinen eigenen Gewinn bedachten Professors bedient und zudem das verzerrte Bild einer von der Forschung völlig abgekoppelten Lehre vermittelt, sollte die akademische Welt nicht erschüttern. Wenn aber eine ernst zu nehmende Institution wie der baden-württembergische Rechnungshof Letzteres tut, kann darüber nicht hinweggesehen werden.

 

In seiner am im Sommer 2002 veröffentlichen Denkschrift empfiehlt der Rechnungshof, mehr als die Hälfte der Studienplätze im Fach Slavistik zu streichen und befürwortet eine Konzentration auf ein, höchstens zwei Zentren. Bei der Berechnung der Auslastung dieses Faches in den Landesuniversitäten berücksichtigt der Rechnungshof nur die Lehre – nicht aber die für das Fortbestehen und die weitere Entwicklung des Faches notwendige Forschung. Der Rechnungshof hat damit einen elementaren – auch im Universitätsgesetz des Landes verankerten – Tatbestand außer Acht gelassen: Aufgaben der Universität sind Lehre und Forschung – und gerade die forschungsnahe Lehre ermöglicht es einer Universität, sich im nationalen und internationalen Wettbewerb zu bewähren.

 

Noch ein weiterer elementarer Sachverhalt ist vom Rechnungshof nicht berücksichtigt worden: Ein akademisches Fach ist Teil eines Netzwerkes von Disziplinen, die in Forschung und Lehre kooperieren. Es darf deshalb niemals isoliert betrachtet werden. Das Lehrangebot gerade des Faches Slavistik ist für ein breites Spektrum von Disziplinen wichtig – etwa die Betriebs- und Volkswirtschaft, osteuropäische Geschichte, Politikwissenschaft oder die Literaturwissenschaften. Die Forschungskontakte einer Universität nach Osteuropa – etwa die Partnerschaften der Universität Heidelberg mit den Universitäten in Krakau, Petersburg und Prag – hängen sehr wohl davon ab, ob an einer Universität Slavistik betrieben wird oder nicht.

 

Die Beobachtungen des Rechnungshofes erfolgten, ohne diese elementaren Sachverhalte zu berücksichtigen. Aus diesem Grund sind sie oberflächlich, kurzsichtig und irreführend.

 

Das Fach Slavistik ist leider nicht das einzige Opfer einer derart realitätsfremden Betrachtung. Unter dem Stichwort "Flurbereinigung" ist vielfach von einer Konzentration "kleiner Fächer" die Rede, vor allem in den Geisteswissenschaften. Bei allem Respekt vor den legitimen Bemühungen, mit Ressourcen sparsam umzugehen: Es darf dabei nicht vergessen werden, dass gerade die Vielfalt der Methoden, Themen und Forschungsansätze eine unabdingbare Voraussetzung für das Bestehen und die Weiterentwicklung der Wissenschaft ist. Die Universitäten als Orte des Forschens und des Lernens dürfen auf diese Vielfalt nicht verzichten.

 

In der Verbindung von exzellenter Forschung und Lehre steckt ein großes Innovationspotenzial. Eine wichtige Aufgabe der forschungsorientierten Universitäten ist, Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit von diesem Zusammenhang zu überzeugen. Die jüngst in Leiden gegründete "League of European Research Universities", an der die Ruperto Carola und elf weitere Universitäten beteiligt sind, hat sich genau dies zum Ziel gesetzt.

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Angelos Chaniotis, Prorektor

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