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Forschung per Mausklick

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert seit Anfang 2001 ein ehrgeiziges Projekt: 27 reich illustrierte spätgotische Handschriften werden derzeit in Text und Bild digitalisiert und im Internet zu Forschungszwecken bereitgestellt. Dies eröffnet Kulturhistorikern bislang ungeahnte Möglichkeiten. Maria Effinger von der Universitätsbibliothek und Lieselotte Saurma-Jeltsch vom Kunsthistorischen Institut beschreiben die kulturgeschichtliche Bedeutung der kostbaren Schriften aus dem 15. Jahrhundert und schildern spannende Fragen der Forschung, die dank der Digitalisierung künftig beantwortet werden können.

 

Forschung per Mausklick
Streiter des Ascanius mit Straßburger Wappen ("Eneit", Werkstatt von 1418)

Die Heidelberger Universitätsbibliothek bewahrt einen der umfassendsten Bestände illustrierter spätgotischer Handschriften. Sie sind unter dem Sammelbegriff "Oberdeutsche Schreiberwerkstätten" bekannt. Gemeinsam ist den 27 Manuskripten, dass sie alle auf Papier geschrieben sind, einem Material, das im 15. Jahrhundert – zur Entstehungszeit der Werke – zwar immer noch teuer, doch wesentlich billiger war als das bis dahin gebrauchte Pergament. Die Handschriften verbindet auch die Sprache: Es handelt sich ausschließlich um volkssprachliche Texte, die überdies alle mehr oder weniger aufwendig mit Illustrationen ausgestattet sind.

Von ihrer Herkunft her lassen sich die Kodizes in drei Gruppen unterteilen.

Die Heidelberger "Eneit" (siehe Abbildung auf Seite 4 und 5) stammt aus der ältesten Gruppe. Letztere hat den Notnamen "Werkstatt von 1418" erhalten. Aus dieser Produktion, die nur wenige Jahre (wohl von 1417 bis 1425) wahrscheinlich in Straßburg (siehe Abbildung rechts) existierte, sind uns bis heute 18 Manuskripte bekannt. Davon werden allein sieben in Heidelberg aufbewahrt.


Dido und Eneas auf dem Ausritt
Dido und Eneas auf dem Ausritt ("Eneit", Werkstatt von 1418)

Der wesentlich größere Bestand der zweiten Gruppe umfasst die Bände, welche mit dem Namen Diebold Lauber verbunden sind, einem Schreiber, der im unterelsässischen Hagenau tätig war.

Kolophon von Ludwig Henfflin
Kolophon von Ludwig Henfflin ("Sigenot", Werkstatt Ludwig Henfflins
Seinem Unternehmen verdanken wir zahlreiche Manuskripte, die – zunächst wohl von den Arbeiten der "Werkstatt von 1418" profitierend – in den späten zwanziger Jahren des 15. Jahrhunderts bis in die Zeit um 1470 als eigenständige Produktion auszumachen sind. Von den heute weltweit über 70 bekannten Exemplaren und Bruchstücken besitzt die Heidelberger Sammlung elf. Sie verfügt damit nicht nur über den größten geschlossenen Bestand dieser Handschriften, sondern kann, mit Ausnahme der Frühzeit, nahezu alle Phasen der Lauber'schen Tätigkeit dokumentieren. Die dritte Gruppe wird einer Werkstatt zugeschrieben, die nach Ludwig Henfflin benannt ist, dem einzigen Schreiber, der namentlich bekannt ist. Seine Unterschrift findet sich im "Sigenot" (siehe Abbildung auf Seite 5 Mitte): "Hie haut ryss [Riese] Sigenot ein end/ Gott uns allen kummer wend/ Lud(wig) Henflin".

An der Zusammengehörigkeit der neun Heidelberger Handschriften gibt es auf Grund vielfältiger Indizien keine Zweifel.

Wappen der Häuser Württemberg und Savoyen
Wappen der Häuser Württemberg und Savoyen ("Lohengrin", Werkstatt Ludwig Henfflins
Zwei dieser Hinweise erlauben es, den Zeitpunkt ihrer Herstellung genauer einzugrenzen als dies bei den Bänden aus den anderen Fertigungen möglich ist. Den deutlichsten Anhaltspunkt können wir einer Miniatur in der Bibelhandschrift (siehe Abbildung auf Seite 6) entnehmen. Sie ist auf das Jahr 1477 datiert. In fünf Kodizes finden sich zudem die Wappen der Margarethe von Savoyen, Tochter des Herzogs Amedée von Savoyen, dem späteren Papst Felix V.. In zwei dieser Handschriften ist außerdem das Wappen der Württemberger hinzugefügt (siehe Abbildung auf Seite 5 unten).


Krönung Sauls mit Datum 1477
Krönung Sauls mit Datum 1477 (Deutsche Bibel, Werkstatt Ludwig Henfflins)
Textseite aus Wolfram von Eschenbach:
Textseite aus Wolfram von Eschenbach: "Parzival" (Werkstatt Diebold Laubers)

Deshalb scheint Margarethe, die seit dem Jahr 1453 mit Ulrich V. von Württemberg verheiratet war, mit einiger Sicherheit die Auftraggeberin gewesen zu sein. Henfflin hat diese Bücher wahrscheinlich in Stuttgart, wo Ulrich V. residierte, in ihrem Auftrag zusammengestellt und die Ausstattung organisiert. Wir können also von einer relativ kurzfristigen Fertigung ausgehen. Sie begann etwa im Jahr 1475 und endete wohl mit dem Tod Margarethes im Jahr 1479.

Über die fast durchgehend oberalemannisch abgefassten Manuskripte der beiden elsässischen Gruppen liegen bereits eine Reihe von Abhandlungen vor. Die wissenschaftliche Untersuchung der in unterschiedlichen Dialekten abgefassten Henfflin-Handschriften hat indes erst zögerlich begonnen. Bei allen drei Produktionen fehlt weitgehend die grundlegende Analyse der Texte. Sie gelten zumeist als verfälschte oder unkorrekte Abschriften und sind deshalb in den wissenschaftlichen Editionen nicht berücksichtigt worden.

Registerseite aus
Registerseite aus "Parzival"
Doch gerade ihre Untersuchung würde uns über das damalige Verständnis der Texte, die Gewohnheiten ihrer Lektüre und die Probleme der Beschaffung von Textvorlagen informieren.

Bücher herzustellen, war im 15. Jahrhundert ein mühseliges Geschäft. Vorlagen waren nur schwierig zu erhalten – ein Umstand, der an den schwäbischen, alemannischen oder bayerischen Dialekten der Henfflin-Handschriften deutlich wird, die wohl auf Vorlagen unterschiedlicher Herkunft zurückgehen. Während die elsässischen Schreiber weit verbreitete, heute wohl als belletristisch bezeichnete Texte abschrieben, interessierte sich Margarethe von Savoyen für "modernere" Literatur. Mit dem Liebesroman "Pontus und Sidonia" griff sie auf ein "chanson de geste" zurück, das erst um das Jahr 1465 von Eleonore von Österreich ins Deutsche übersetzt wurde. Im Band Cpg 142 scheint Margarethe von Savoyen eine andere wohl gleichzeitig entstandene Übersetzung erhalten zu haben.


Parzival und der Graue Ritter im Zweikampf
Parzival und der Graue Ritter im Zweikampf

Um eine nur wenige Jahre vorher von Elisabeth von Nassau-Saarbrücken verfasste Übersetzung handelt es sich bei der "Historie Herzog Herpins", einem Roman, der den Leser in eine mythische Urzeit zurückversetzt. Beide Texte sind wie der "Lohengrin" reich illustriert und dadurch sofort als Werke höfischen Anspruchs erkennbar. Man kann vermuten, dass Margarethe dem "Musenhof" ihrer Schwägerin Mechthilde von der Pfalz nacheifern wollte und mit dieser kleinen Sammlung besonderer Handschriften die Grundlage eines eigenen Literatenzirkels zu legen hoffte.

Stichprobenartige Untersuchungen der meist in einer flüssigen Kursive geschriebenen Texte der beiden elsässischen Gruppen (siehe Abbildung auf Seite 6 Mitte) bestätigten die fehlerhafte Qualität der Abschriften. Kürzungen scheinen insbesondere gegen Ende der jeweiligen Manuskripte zuzunehmen, vergessene Reimpaare werden unvollständig belassen. An den dadurch entstehenden Erzählbrüchen und den manchmal unverständlich gewordenen Abläufen scheinen sich aber auch spätere Benutzer nicht sehr gestört zu haben. Im Gegenteil: Gebrauchsspuren zeigen, dass es sich um viel gelesene Werke gehandelt haben muss. Für diesen Zweck sind die Handschriften offensichtlich auch eingerichtet worden. Denn sie verfügen über eine für mittelalterliche Kodizes außerordentlich seltene Gliederung durch Kapitelverzeichnisse zu Beginn (siehe Abbildung auf Seite 6 unten) und korrespondierende Überschriften innerhalb der Texte.

Wie konnte ein Text solcher Qualität von den damaligen Herstellern und Benutzern als sinnvoll angesehen werden? Haben auch sie schon durch "zappen" jeweils nur bestimmte Sequenzen zur Kenntnis genommen, die keine Übereinstimmung mit der später etablierten Logik der Geschichte erforderten? Die Werke haben je nach Verwendung und Illustrationstypen unterschiedliche Aufgaben erfüllt, etwa als Benimmbücher, politische Propaganda oder als Wertgegenstände.

Parzival vor dem Einsiedler Trevrizent
Parzival vor dem Einsiedler Trevrizent

Am interessantesten dürften diejenigen Funktionen sein, die sich nicht vom heutigen Alltagsverständnis eines Buches ableiten lassen. Auch hier werden nur detaillierte Analysen zum Zustand der Texte, den vorgenommenen Änderungen und zur lesetechnischen Aufbereitung weiterhelfen. Überdies wird die Erforschung der eigenwilligen Ausbesserungsversuche der Kopisten – nicht zuletzt der dabei unterlaufenen Freud'schen Fehlleistungen – uns in die Tätigkeit dieser nicht mehr an höfischen oder klösterlichen Skriptorien tätigen "Buchhandwerker" Einsicht verschaffen. Wie haben sie ihre Arbeiten zeitlich organisiert? Wie war ihre Vorstellungswelt und welche Erwartungen hatten ihre "Kunden"?

Als Beispiel für die Unabhängigkeit der Bilder und ihre dienende Funktion mag eine Sequenz dienen, in welcher der in Glaubensdingen kundig gewordene Parzival seine innere Wandlung erlebt: Parzival ist in dieser Passage des Textes von Wolfram von Eschenbach auf Abenteuersuche und trägt daher eine kostbare Rüstung. Am Karfreitag begegnet er im Wald dem noblen Grauen Ritter, der – dem Tag entsprechend – als Pilger im Büßergewand und barfuß mit seinen Töchtern einherschreitet. Die Ermahnung des Pilgers, an diesem Tag des Opfers Christi zu gedenken und ihn waffenlos und bußfertig zu begehen, lässt Parzival über seinen Schöpfer neu nachdenken.

Im Bild (siehe Abbildung auf Seite 7 oben) erfahren wir von diesen Vorgängen jedoch nichts. Stattdessen sehen wir eine dem Text zuwiderlaufende Szene: Zwei in voller Turnierrüstung und mit geschlossenem Visier auf ihren Pferden sitzende Ritter werden in jenem Moment ihres Zweikampfes, eines Stechens, gezeigt, in dem die Aktion kurz zum Stillstand gekommen ist. Ungewöhnlich präzise – insbesondere, wenn es um Details der Rüstung geht – wird das zwischen den Kontrahenten eingetretene Gleichgewicht der Kräfte geschildert. Andere Elemente des Bildes, beispielsweise die Ausstattung der Pferde, hat der Maler hingegen auffällig nachlässig behandelt.

Anlass für diese ungewöhnliche Gestaltung der Begegnung Parzivals mit dem Grauen Ritter am Karfreitag war offensichtlich die Überschrift des Textes: Die Maler erhielten die zu illustrierende Seite von den Schreibern mit einem Freiraum, der für die Bilder ausgespart war. Darüber war meist mit roter Farbe ein Titel niedergeschrieben, der sowohl für das Bild als auch für den Text des Kapitels galt. Wegen eines Abschreibefehlers lautete die Angabe über diesem Bild: "Also parcifal mit dem grouwen ritter justierte und stach". Der Maler entschied sich – der Überschrift entsprechend –, das Stechen detailliert darzustellen. Er fügte damit eine neue, vom Text unabhängige Erzählebene ein.

Gerichtskampf Lohengrins
Gerichtskampf Lohengrins ("Lohengrin", Werkstatt Ludwig Henfflins)

Gleichwohl wird in der folgenden Szene doch ein im Text beschriebenes Element der Karfreitagsbegegnung im Bild verdeutlicht – nämlich das unangemessene Verhalten Parzivals (siehe Abbildung auf Seite 7 unten): Trotz aller Besinnung, welche die mahnenden Worte des Grauen Ritters hervorgerufen haben, ist Parzival in voller Rüstung weitergeritten und zum Einsiedler Trevrizent gelangt. Auch dieser tadelt ihn dafür, dass er an einem solchen Tag derart gerüstet und hochfahrend einherreite. Die Überschrift lautet: "Also parcifal gon trevrizende zu dem einsydel kam in den walt geritten". Sie übermittelte dem Maler zwar nicht die Angaben des Textes; dem Betrachter des Bildes wird aber dennoch deutlich, dass der Held sich nicht der Situation entsprechend verhält: Vor seiner Klause sitzt der alte Weise in ein Buch vertieft – der Reiter aber bleibt hoch zu Ross sitzen und verweigert damit die Gesten der Ehrerbietung, welche die Würde des Alten erfordert hätten.

Noch expliziter als die Texte schaffen die Bilder eine neue Interpretation der alten Geschichten, die ein Rittertum schildern, das sich längst mit einer anderen Realität konfrontiert sah. Es sind oft gerade die Fehler und deren Deutung, die einen Einblick in das damalige Verständnis gewähren. Das Gespräch zwischen dem Grauen Ritter und Parzival hatte bereits der Schreiber mit seiner Überschrift zu einem Zweikampf umgedeutet. Der Maler sah dann seine primäre Aufgabe folgerichtig darin, die angemessene Ausstattung und raffinierte Kampftechnik der Kontrahenten zu schildern. Dass zu einem adäquaten ritterlichen Verhalten auch soziale Kompetenz gehört, teilt er uns – ohne dass ihn der Schreiber dazu aufgefordert hätte – in der anschließenden Szene mit, in der er ein Verhalten darstellt, das dem eines Ritters unangemessen ist.

Bei den Henfflin-Handschriften gestaltet sich die Entschlüsselung der wesentlich reichhaltigeren Bilder noch schwieriger. Im Gerichtskampf Lohengrins (siehe Abbildung oben) wird beispielsweise ein scharfes Stechen dargestellt, das vor den Turnierdamen und dem Publikum stattfindet. Die vorangehenden Bilder zeigen die Vorbereitungen für dieses Treffen, etwa die Errichtung der Tribüne oder die Messe, die vor dem Kampf gefeiert wird. Die anschließenden Darstellungen unterrichten uns über den weiteren Verlauf des Kampfes, der nach dem Brechen der Stechstangen als Schwertkampf weitergeführt werden muss.

Initiale E
Initiale E (Deutsche Bibel, Werkstatt Diebold Laubers)

Die wenigen Bildbeispiele machen deutlich, dass die Illustratoren die Bilder "aktualisierten", in dem sie die alten Helden in die Rüstungen und Kostüme der eigenen Zeit kleideten. Sie ließen sie außerdem in Situationen auftreten, die ihnen aus ihrem Alltag vertraut waren, zu dem auch die mythische Vorstellung des idealen Rittertums gehörte. Unter Beachtung der genau wiedergegebenen Realien werden nicht nur zeremonielle oder liturgische Ereignisse dargestellt. Es wird auch anschaulich gemacht, welche Beziehungen zwischen den Geschlechtern in den Ständen sowie in Berufs- und Altersgruppen bestanden. Diese "reportagehaften" Illustrationen erlauben einen Blick in die Kulturgeschichte des 15. Jahrhunderts, wie ihn Prunkhandschriften selten in vergleichbarer Farbigkeit ermöglichen.

Viele der noch offenen Fragen können erst anhand einer einheitlichen und qualitätsvollen Wiedergabe der Schriften angegangen werden. So lassen sich Untersuchungen zur Arbeit der Schreiber – etwa zur Anzahl der beschäftigten Kräfte oder die Verteilung der Rollen beim Abschreiben und Ausstatten – einzig über Schriftbelege lösen, mit denen Texte in gleicher Vergrößerung und Präzision verglichen werden können. Ebenso sind Fragen nach der Einrichtung der Kodizes, der Leserführung – also der mit dem Layout angebotenen Hilfen für den Rezipienten – nur mit Hilfe des erst über die Digitalisierung in dieser Breite verfügbaren Materials zu behandeln.

Die bisher nicht genügend gewürdigte Bedeutung der Abschriften für die Textforschung des 15. Jahrhunderts soll folgendes Beispiel verdeutlichen: Unter den Heidelberger Lauber-Handschriften existiert eine der wenigen illustrierten deutschen Vollbibeln. Deren Text wurde teilweise von einem Dominikaner verfasst, der im 13. Jahrhundert in Zürich lebte. Auf welche Weise Lauber zu dieser Vorlage kam, und wer ihm den Auftrag für ein so ehrgeiziges Unternehmen verschafft hat, wissen wir bis heute nicht. Auffallend ist, dass er sich bei der Gestaltung der Initialen mehr und mehr von dem mit einfachem Rankenwerk versehenen, historisierten Typus seiner älteren Handschriften löste (Abbildung oben links). An ihrer Stelle bevorzugte er modernere Ausstattungsarten (Abbildung oben rechts und auf Seite 12). Abgesehen von dem damit sichtbar gehobenen Anspruchsniveau ist bisher unbekannt, welche Bedeutung solchen Veränderungen in ihrer Zeit beigemessen wurde.

Moses am Pult
Moses am Pult, (Deutsche Bibel, Werkstatt Diebold Laubers)
Unklar ist auch, ob Lauber oder Henfflin über die Kapazitäten verfügten, eigene Redaktionen vorzunehmen. Wüsste man mehr über die Zahl der Mitarbeiter und ihre Ausbildung, wäre beispielsweise besser zu beurteilen, ob die von den Malern verwendeten Bildtypen von Vorlagen beeinflusst wurden, die dank der neu aufgekommenen Vervielfältigungstechniken in immer größerer Zahl zirkulierten.

Das seit Anfang 2001 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierte Digitalisierungsprojekt (http://palatina-digital.uni-hd.de) befasst sich damit, dieses einmalige Quellenmaterial zu erschließen. Das Projekt erfolgt in Kooperation der Heidelberger Universitätsbibliothek mit dem Kunsthistorischen Institut. Zur Zeit werden die 27 Kodizes in der Universitätsbibliothek Graz vollständig in hoher Bildqualität und in Farbe digitalisiert. Insgesamt handelt es sich um circa 14 500 Seiten mit rund 2 000 halb- bis ganzseitigen kolorierten Federzeichnungen.

Um das Bildmaterial leichter zugänglich zu machen, werden die Darstellungen nach dem so genannten "Iconclass-System" (http://www.iconclass.nl/) ikonographisch erschlossen. Über einen Index können dann beispielsweise bestimmte Akteure und Szenen, aber auch verschiedene Kostüme, Gesten und Zeremonien gesucht werden. So wird sich etwa ein Waffenkundler künftig anhand der einigermaßen genau datierbaren Handschriften die Rüstungstypen einer bestimmten Zeit zusammenstellen können. Auch Interessenten historischer Musikinstrumente oder des Bauhandwerks und des Bergbaus ist es dank der Klassifizierung möglich, sich rasch zu orientieren. Das Gleiche gilt für den Kulturhistoriker, der die Darstellungen von Hochzeiten, die Sitzordnung bei Tisch, das Verhalten verfeindeter Parteien, die Beilegung oder das Schüren von Konflikten untersuchen möchte.

Initiale U
Initiale U, (Deutsche Bibel, Werkstatt Diebold Laubers)

Die so aufbereiteten digitalen Images sollen künftig über die von der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, dem Bildarchiv Foto-Marburg und der Bayerischen Staatsbibliothek München entwickelten "Handschriftendatenbank" (http://www.fotomr.uni-marburg.de/handschriften- forum.htm) angeboten werden. Darüber hinaus werden sämtliche Daten im Rahmen der "Virtuellen Fachbibliothek Kunstgeschichte" der Universitätsbibliothek lokal aufbereitet und über das World Wide Web angeboten. Die interne Medienstruktur soll hierbei mit der Auszeichnungssprache XML (Extended Markup Language) beschrieben und anschließend in eine geeignete Ausgabeform (HTML, PDF, Postscript) überführt werden.

Die im Projekt angestrebte digitale Bereitstellung von Text und Bild eröffnet gegenüber der bisherigen Nutzung derartigen Quellenmaterials als Original oder Mikrofilm beträchtlich erweiterte Bearbeitungsmöglichkeiten. Durch den standort- und zeitunabhängigen Direktzugriff auf das Material werden künftig auch quellenübergreifende Untersuchungen denkbar. Wünschenswert wäre es, auch Handschriften aus der Produktion des Diebold Lauber und der "Werkstatt von 1418" in das Projekt zu integrieren, die in anderen Bibliotheken aufbewahrt werden. Damit könnte eine noch vor kurzem gänzlich utopisch erscheinende Gesamtedition der oberdeutschen Bilderhandschriften virtuell verwirklicht werden.

Autorinnen:
Prof. Dr. Lieselotte E. Saurma-Jeltsch
Kunsthistorisches Institut, Seminarstrasse 4, 69117 Heidelberg
Telefon (0 62 21) 54 23 55; Fax: (0 62 21) 54 33 82, e-mail: saurma@tizian.khi.uni-heidelberg.de
Dr. Maria Effinger
Universitätsbibliothek, Postfach 105749, 69117 Heidelberg
Telefon (0 62 21) 54 35 61, Fax: (0 62 21) 54 26 23, e-mail: effinger@ub.uni-heidelberg.de

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