Siegel der Universität Heidelberg
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Lebenswerk eines Vergessenen

Kaum jemand kennt Martin Bucer und doch hatte der im Jahr 1491 im elsässischen Schlettstadt geborene Mönch einen großen, heute noch spürbaren Einfluss auf die Reformation: Ohne seine unermüdlichen Anstrengungen hätte der deutsche Protestantismus womöglich politisch nicht überlebt. Dass Bucer nach seinem Tod im Jahr 1551 schnell vergessen wurde, lag auch daran, dass der größte Teil seines Nachlasses handschriftlich und schwer zugänglich in Archiven lag. Reformationshistoriker haben sich seiner Schriften angenommen und brachten nach und nach den riesigen Umfang des Bucer'schen Lebenswerkes ans Tageslicht. Gottfried Seebaß vom Wissenschaftlich-Theologischen Seminar schildert den Werdegang und die Bedeutung des Straßburger Reformators und würdigt die Arbeit der kulturwissenschaftlichen Grundlagenforscher, denen zu verdanken ist, dass das Lebenswerk eines weithin Vergessenen und Verdrängten wieder ins Bewusstsein gelangte.

Bekandtnuß der vier ...

Martin Bucer – kaum jemand dürfte ihn, Theologen und Historiker ausgenommen, kennen. Und doch war die Deutsche Post bereit, zu seinem 450. Todestag am 28. Februar des Jahres 2001 mit einer Briefmarke an ihn zu erinnern. Immerhin ein Zeichen dafür, dass ein sich verändernder Blick in die Geschichte und neuere Forschungen auch jenseits der Universität wahrgenommen wird. Dass eine solche Ehrung im vergangenen Jahr möglich wurde, hat einen doppelten Grund: Einerseits haben die ökumenischen Bestrebungen seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts zu einer neuen Sicht des Lebenswerkes Martin Bucers geführt, andererseits ist dieses Lebenswerk überhaupt erst auf Grund der Arbeiten an einer großen Gesamtedition seiner deutschen und lateinischen Schriften sowie seiner umfangreichen Korrespondenz möglich geworden.

Interessanterweise führte eben das, was Bucer nicht wenigen seiner Zeitgenossen, aber auch den Theologen nachfolgender Jahrhunderte verdächtig machte, in den vergangenen 50 Jahren zu einem gesteigerten Interesse an seiner Person und seinem Denken. Das ist einmal Bucers Interesse an einer wahrhaft christlichen Gemeinde und Gesellschaft, und das ist auf der anderen Seite sein Ringen um die Einheit der Kirche. Doch sollen vor diesen beiden zentralen Punkten zunächst Bucers Beziehungen zu Heidelberg und seine Bedeutung als Reformator gewürdigt werden.

Martin Bucer
Martin Bucer, 1491 im Elsass geboren, unterhielt enge Beziehungen zu Heidelberg. Einen Teil seiner Ausbildung erfuhr er im Heidelberger Dominikanerkloster, im Jahr 1515 begann er das Studium der Theologie in Heidelberg.

Der im elsässischen Schlettstadt 1491 geborene Martin Bucer unterhielt intensive Beziehungen zur Heidelberger Universität. Bucer besuchte zunächst die wegen ihrer humanistischen Lehrer berühmte Lateinschule seiner Heimatstadt, wurde aber dann zur weiteren Ausbildung dem Dominikanerorden übergeben. Nach dem üblichen aristotelischen Grundstudium ging er 1515 zum Studium der Theologie nach Heidelberg, 1516 nach Mainz. Als sein Orden das Generalstudium in Heidelberg ausbauen wollte, kam Bucer Anfang 1517 erneut in die Neckarstadt, um hier zu lehren und in der Theologie zu promovieren.

Im April 1518 nahm Martin Bucer an jener denkwürdigen Disputation teil, mit welcher der durch den Ablassstreit längst bekannte Luther seine neue Theologie der alten Universität vorstellen wollte. Bucer verdanken wir den ausführlichsten Bericht über dieses Ereignis. Er lässt erkennen, dass Bucer Luthers Gedanken seiner eigenen erasmisch-humanistischen Bildung und seinem Interesse an einem wirklich christlichen Leben einordnete, wobei dessen Voraussetzung für ihn der lutherische Christusglaube, die Überzeugung des Geborgenseins in der Liebe Gottes war.

Obwohl der Orden ihm bereits misstraute, wurde Bucer noch im Mai 1520 als Magister studentium vorgeschlagen. Dass er anstelle der üblichen dogmatischen Vorlesung die Psalmen auslegte, nahm man noch hin, aber dass er im Streit der Dominikaner mit Reuchlin über die Verbrennung jüdischer Literatur auf die Seite des Letzteren trat, führte zu Überlegungen, ihm den Prozess zu machen. Gerade noch rechtzeitig erhielt Bucer die gewünschte Entlassung aus dem Orden.

Nun trat Bucer offen auf die Seite der Reformation. Auf der Ebernburg wurde er für kurze Zeit Privatsekretär des antiklerikalen Ritters und Schriftstellers Ulrich von Hutten, übernahm nach einer kurzen Zeit als Hofkaplan beim Pfalzgrafen Friedrich die Pfarre Landstuhl, ging als Prediger nach Weißenburg im Elsass und suchte – von dort vertrieben – 1523 Zuflucht in Straßburg.

Als Prediger in der elsässischen Reichsstadt betrieb er zusammen mit gleichgesinnten Predigern sofort und unablässig die Reform der städtischen Kirche. Doch konnten sie die Aufhebung der Messe, die wegen ihres Opfercharakters als Verkehrung des Christentums und im schärfsten Gegensatz zum erlösenden Opfer Christi gesehen wurde, erst im Jahr 1529 erreichen. Aber erst 1533/34 war der Stadtrat auf Grund einer deutlich verbesserten politischen Situation bereit, die grundsätzliche Neuordnung der Kirche vorzunehmen.

Zu dieser Zeit war Bucer bereits ein weit über die Grenzen Straßburgs hinaus bekannter Mann, der in der zwischen Luther und Zwingli umstrittenen Abendmahlsfrage eine eigene Position bezog. So nahm er 1528 an der großen Disputation teil, die der Reformation in Bern den Weg bereitete. Großen Einfluss nahm Bucer auf die Reformation der großen südwestdeutschen Reichsstädte.

1531 holte man ihn nach Ulm. Von ihm stammen die für die Neuordnung der Ulmer Kirche entscheidenden Schriften und deren offizielle Verteidigung.

Ebenso bedeutend wurde Bucer für die Reichsstadt Augsburg, als diese sich in zwei Etappen in den Jahren 1533 und 1537 für die Reformation entschied. Da Bucer wegen seines Einsatzes für eine Verständigung zwischen den Protestanten als Voraussetzung eines politischen Bündnisses in engem Kontakt zu dem Landgrafen Philipp von Hessen trat, entwarf er auch für dieses Territorium eine eigene Kirchenordnung. Zwar schlug der Versuch des Kölner Erzbischofs fehl, in den Jahren 1543 bis 1545 mit Hilfe Bucers das Kurfürstentum zu reformieren. Aber als Bucer nach 1548 Straßburg verlassen und ins Cambridger Exil gehen musste, hat er auch dort in seiner letzten großen Schrift "Über das Reich Christi" eine reformatorische Neuordnung für das englische Königreich unter Edward VI. entworfen, die auf die spätere anglikanische Staatskirche Einfluss hatte.

So begründete Bucer einen der drei Typen protestantischer Kirchenordnung. Sie setzte an die Stelle der traditionellen Messe einen Predigtgottesdienst, befürwortete eine enge Zusammenarbeit der Geistlichen und eine Überprüfung des Lebens der Gemeindeglieder durch gewählte Kirchenälteste gemeinsam mit der Obrigkeit. Über Johannes Calvin, der in engem Kontakt zu Bucer in den Jahren 1537 bis 1541 die französische Flüchtlingsgemeinde Straßburgs leitete, haben die Ordnungen Bucers auch die calvinistisch-reformierten Kirchen Europas geprägt.

Damit sind wir beim ersten der für Bucers Leben und Wirken zentralen Punkte: seinem Interesse an einem wahrhaft christlichen Leben der Gemeinden. Was Bucer an Luthers Reformation anzog, war die Antwort auf die von vielen Zeitgenossen gestellte Frage, wie man denn ein wirklich christliches Leben in dieser Welt führen könne. Als ehemaliger Mönch erwartete Bucer von allen Christen mindestens jene Vollkommenheit christlichen Wandels, zu der man in Zuwendung zum Nächsten und Abkehr von der Welt fähig sei. Wie Luther war er überzeugt, dass nur der, der sich im Blick auf sein eigenes Leben von der Güte und Liebe Gottes geborgen und getragen wisse und eben darin das Wirken des Heiligen Geistes erfahre, sich auch vorbehaltlos in Liebe dem Nächsten zuwenden könne. Nicht zufällig trug Bucers erste Veröffentlichung den Titel: "Daß niemand für sich selbst, sondern für andere leben solle und wie der Mensch das erreichen kann".

Dabei ging es Bucer immer um die gesamte christliche Gemeinde. Bucer spürte, dass die Täufer – also diejenigen, die Menschen ausschließlich als mündige Christen in ihre Gemeinschaft aufnahmen und niemanden, der nicht nach den Regeln der Bergpredigt lebte, in ihrer Mitte dulden wollten – wie viele andere Anstoß daran nahmen, dass sich Menschen als Christen bezeichneten oder betrachteten, die für jedermann sichtbar die Regeln christlichen Lebens nicht einhielten. Auch Bucer hielt das für unerträglich. Da für ihn noch ganz selbstverständlich der altrömische Zusammenhang zwischen dem Wohlergehen eines Landes und der rechten Gottesverehrung galt, war er auch der Auffassung, dass eine christliche Obrigkeit für den rechten Gottesdienst zu sorgen und falschen Gottesdienst zu unterbinden habe. Sie müsse ebenso darüber wachen, dass die Untertanen mindestens äußerlich eine christliche Gesellschaft bildeten. Um dies zu erreichen, wollte er zwar nicht die Säuglingstaufe aufheben, wohl aber eine Konfirmationshandlung und mit ihr eine bewusste Entscheidung für das Christentum einführen.

Damit hatte er keinen Erfolg. Erst fast zweihundert Jahre später haben die evangelischen Kirchen begonnen, die Konfirmation einzuführen. Aber auch mit seinen Überlegungen zur Überwachung des Lebens der Gemeindeglieder scheiterte er. Einer solchen Überwachung widersetzten sich schon damals die Menschen in Stadt und Land. Aus seinem Verständnis des Verhältnisses von Obrigkeit und Kirche folgte auch der für uns heute eindeutig intolerante Zug, der bei Bucer zu beobachten ist. Scharf wandte er sich gegen Vorschläge, die Obrigkeit solle die Konfessionsfrage der Entscheidung des Einzelnen überlassen und ausschließlich für den äußeren Frieden sorgen. Dieser intolerante Zug kennzeichnet auch sein letztes Werk: "Über das Reich Christi", mit dem er England zu einem wahrhaft christlichen Königreich machen wollte. Da er die Obrigkeiten für die von ihm intendierte kontrollierte christliche Gesellschaft nicht gewinnen konnte, erwog er in seinen späteren Jahren, eine Art von selbstverpflichteter Kerngemeinde einzurichten, die auf weitere Gemeinden getaufter Christen missionarisch und mahnend einwirken sollte.

Bucer hat jedenfalls sehr deutlich die im Protestantismus nach der Aufhebung des Mönchtums immer neu zu Tage tretende Spannung zwischen einer schnell verbürgerlichenden Kirche und einer bewusst gelebten Christusnachfolge gespürt – jene Spannung zwischen einer weiten volkskirchlichen Gemeinde, deren Mitglieder zwar getauft, aber bestenfalls noch Kirchensteuer zahlende Christen sind, und einer engeren gottesdienstlichen und in ihren Lebensvollzügen bekennenden gottesdienstlichen Gemeinde, die heute für die großen Kirchen in unserer Gesellschaft charakteristisch ist.

Zum andern ging es Bucer um die Einheit der Christenheit. Er litt darunter, dass sich die Reformation nicht gesamtkirchlich durchsetzen konnte und dass es unter den Evangelischen in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts zu Trennungen über das Abendmahlsverständnis kam. Trotz unermüdlicher Anstrengungen gelang es ihm nicht, die Trennung der schweizerischen, also der zwinglischen Reformation in Zürich und der Reformation Calvins in Genf von der lutherisch-wittenbergischen Reformation zu überwinden. Doch konnte er in der Wittenberger Konkordie des Jahres 1536 wenigstens die Einheit des südwestdeutschen Protestantismus mit dem Luthertum herbeiführen.

Für dieses Ziel ist Bucer nach dem Ende des Augsburger Reichstags von 1530 ununterbrochen tätig gewesen. Das war von erheblicher Bedeutung für das politische Überleben des deutschen Protestantismus, weil so ein stabiles Schutzbündnis möglich wurde. Mit dem führenden Politiker des deutschen Protestantismus, Landgraf Philipp dem Großmütigen von Hessen, blieb Bucer auch dann noch eng verbunden, als der Landgraf durch seine Bigamie den Protestantismus als politische Macht erheblich schwächte.

Was Bucer seinerzeit in der Wittenberger Konkordie erreichte, ist noch für unsere Zeit von Bedeutung geworden, als die reformierten und die lutherischen Kirchen Europas im Jahr 1973 mit der Leuenberger Konkordie schließlich die Kirchengemeinschaft erklärten.

Bucer war aber auch überzeugt, dass eine Einigung auch mit den Katholiken – der Katholizismus hatte sich ja noch nicht wie später im Trienter Konzil antiprotestantisch festgelegt – zu erreichen sei, da er die von ihm intendierten Reformen mit altkirchlicher Tradition zu begründen versuchte. Auf den vom Kaiser zwischen 1539 und 1542 veranstalteten Religionsgesprächen hat er in offiziellen Dialogen, aber auch in Geheimverhandlungen immer wieder versucht, Formulierungen zu finden, mit denen man den Gedanken, dass Gott den Menschen nicht um seiner Werke willen gelten lasse, sondern den an seinem Willen schuldig gewordenen Menschen in seiner Liebe nachgehe und entgegenkomme, für beide Seiten akzeptabel darlegen konnte. Dabei ging er so weit, dass Luther misstrauisch wurde und ihn gelegentlich als ein geschwätziges Klappermaul bezeichnete. Bucer antwortete auf solche Angriffe: "Wir dürfen die nicht aufgeben, die Christus in den anderen Kirchen anrufen; also müssen wir zusehen, wie wir mit ihnen übereinkommen."

Bucers Handschrift
Die Korrespondenz Bucers stellte die Wissenschaftler vor eine besondere Herausforderung: Seine Handschrift ist nur schwer zu entziffern.

Jedenfalls wollte Bucer durchaus zu Recht zwischen dem grundlegenden christlichen Bekenntnis, wie es in den Gottesdiensten auch noch heute gesprochen wird, und seiner theologisch durchdachten Ausformulierung unterscheiden. Doch wie bei heutigen ökumenischen Papieren, gab es damals diejenigen, die bei dem Versuch eine gemeinsame Sprache zu finden, so weit nicht gehen konnten und wollten, wie Bucer um der evangelischen Wahrheit willen ging. Deswegen gab es für seine Einigungsbemühen kaum Chancen. Schon verhärteten sich die beiden Lager, und es begann der Weg einer fast vierhundertjährigen bewusst gewollten konfessionellen Abgrenzung. Erst als diese Grenze seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts aus vielfältigen Gründen durchlässiger wurde und man sich um ihren Abbau mühte, erinnerte man sich der entsprechenden Versuche Bucers und lernte sie neu würdigen.

Gesangbuch

Man darf Bucer freilich nicht anachronistisch zu einem modernen Ökumeniker machen. Der Straßburger Reformator war trotz seiner Verständigungsbereitschaft ein Mann von klarer evangelischer Überzeugung. Und er war überzeugt, dass die gesamte Kirche reformiert und evangelisch werden würde, wenn man nur überall die evangelische Predigt und den evangelischen Gottesdienst zuließe. Deswegen konnte er, der in Straßburg und andernorts hart für eine konsequente Reformation eintrat, zu sehr vorsichtigen Reformen raten, wenn es darum ging, der evangelischen Predigt Türen zu öffnen.

Keinesfalls war er bereit, die einmal erkannte Wahrheit zu verleugnen. Das zeigte sich, als der Kaiser den Protestanten nach seinem Sieg über sie im Schmalkaldischen Krieg 1548 eine deutlich katholisch geprägte Kirchenordnung aufzwingen wollte. Bucer lehnte sie unbeugsam ab und verweigerte sich jedem Kompromiss, obwohl es dazu politisch keine Alternative gab.

Das führte schließlich zu seiner Entlassung. Als Flüchtling verließ Bucer die Stadt, in der er über ein Vierteljahrhundert das kirchliche Leben geprägt hatte und in die er 25 Jahre vorher ebenfalls als Flüchtling gekommen war, und ging ins Exil nach England. Nur zwei von Arbeit und Krankheit gezeichnete Jahre waren ihm dort beschieden, ehe er am 28. Februar 1551 starb.

Bucer wurde schnell vergessen, als der Weg zur Konfessionalisierung des Christentums beschritten wurde. Doch lag das auch daran, dass seine Schriften nicht sehr oft nachgedruckt und nicht neu aufgelegt wurden, vor allem aber der größte Teil seines Nachlasses handschriftlich und schwer zugänglich in den Archiven lag. Das änderte sich erst, als eine Gruppe von französischen und deutschen Reformationshistorikern nach dem Zweiten Weltkrieg beschloss, die Werke Bucers zu sammeln und zu edieren. Erst die Arbeit an dieser Edition, die in drei Abteilungen – deutsche Schriften, lateinische Schriften und Korrespondenz – gegliedert wurde, brachte allmählich den riesigen Umfang des Bucer'schen Lebenswerkes ans Tageslicht. Dabei ist die Edition der deutschen Schriften – zunächst unterstützt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und seit über zwanzig Jahren ein von Bund und Land gemeinsam gefördertes Vorhaben der Heidelberger Akademie der Wissenschaften – mit inzwischen zwölf Bänden am weitesten gediehen. Die Korrespondenz Bucers – seine schwer entzifferbare Handschrift lässt gelegentlich an ein Huhn denken, dass mit seinen in Tinte getauchten Füßen über das Papier gelaufen ist – wird, finanziert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, an der Theologischen Fakultät der Universität Erlangen erarbeitet.

Die Briefe bis zum Jahr 1530 liegen vor, doch wird die Korrespondenz in den späteren Jahren erheblich dichter und umfangreicher, so dass mit zahlreichen weiteren Bänden zu rechnen ist. Die Edition der lateinischen Schriften schreitet mit den bisher vorliegenden sechs Bänden nur langsam voran, da es für sie keine eigene Forschungsstelle gibt. Korrespondenz und lateinische Schriften erscheinen nach wie vor unter den Auspizien der Theologischen Fakultät der Universität Straßburg.

Forschungsvorhaben dieses Umfangs werden heute oft ausschließlich und misstrauisch unter dem Gesichtspunkt der langen Dauer betrachtet und sehen sich einem ständig wachsenden Druck auf schnelle Beendigung ausgesetzt. Darüber verliert man unbedacht aus den Augen, dass eine Edition nicht nur nach Fertigstellung, sondern schon bei ihrer Planung, ihrer Vorbereitung und während ihrer dann folgenden Erarbeitung die Forschung ungemein vorwärts bringt, bereichert und grundlegend verändert.

Bedacht wird aber auch zu wenig, dass es sich hier um eine Form kulturwissenschaftlicher Grundlagenforschung handelt, die nicht einer bestimmten Wissenschaft, sondern allen, in der einen oder anderen Weise historisch arbeitenden Wissenschaften und dabei nicht nur den heute lebenden Forschern, sondern noch weiteren Generationen zugute kommt.

Für all das ist die Edition der Werke des Straßburger Reformators Martin Bucer ein schönes Beispiel. Sie hat das Lebenswerk eines weithin Vergessenen und Verdrängten ins Bewusstsein gehoben und leistet damit das, was man als ein Stück Demokratie und Mitspracherecht für die Toten bezeichnen könnte.

Autor:
Prof. Dr. Gottfried Seebaß,
Wissenschaftlich-Theologisches Seminar,
Hauptstraße 240, 69117 Heidelberg,
Telefon (06221) 543302, Fax (06221) 543197,
e-mail: gottfried.seebass@urz.uni-heidelberg.de

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