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Aus der Stiftung Universität Heidelber

"Mythen der Kreativität – Zur Anthropologie des Schöpferischen zwischen Hybris und Innovation" lautete der Titel eines Symposiums, das vom Heidelberger Graduiertenkolleg "Religion und Normativität" zusammen mit dem Internationalen Wissenschaftsforum der Universität Heidelberg kürzlich veranstaltet wurde. Gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und finanziell unterstützt von der Stiftung Universität Heidelberg trafen sich Vertreterinnen und Vertreter aus den Kulturwissenschaften – Theologie, Philosophie, Germanistik, Anglistik, Judaistik, Musikwissenschaft, Altphilologie, Ethnologie, Soziologie, Computerwissenschaft – zu einem interdisziplinären Austausch über die vielfältigen Aspekte von Kreativität in der menschlichen Kultur- und Religionsgeschichte.

Unter einer zeit- und kulturübergreifenden Perspektive wurde auf dem internationalen Symposium die heterogene Wertung von Kreativität als Innovation und Hybris erörtert. Wenn normativ geladene Mythen von Prometheus und Frankenstein auch in den gegenwärtigen bioethischen Diskurs eindringen und gesellschaftliche Rezeptionsprozesse neuer Technologien prägen, so drängt sich die Frage nach den kulturellen und religiösen Rezeptionsmustern von menschlicher Innovationskraft auf.

Mit seiner Analyse der biblischen Schöpfungsgeschichte und des babylonischen Mythos von Atramhasis eröffnete der Alttestamentler Hans-Peter Müller (Münster) die Tagung und zeigte mit seinem darauf angewandten Konzept von Mythos und Antimythos die fundamentale Spannung zwischen menschlicher Schöpferkraft und deren göttlicher Begrenzung auf. Bernd Manuwald (Köln) und Claude Calame (Lausanne) thematisierten das Hybrismotiv in der griechischen und römischen Antike, wobei Calame den Bogen von Aischylos' Prometheus bis hin zu Erwin Schrödingers physikalischer Definition von Leben und ihren weitreichenden Implikationen für die Gentechnik spannte. Diese Ausführungen konnte der katholische Theologe Dietmar Mieth (Tübingen) um praktische Aspekte der gegenwärtigen Ethikdiskussion um die Biotechnologie ergänzen.

Karl Heinz Kohl (Frankfurt) und Georg Stauth (Bielefeld) sprachen über die divergierenden Hybrisvorstellungen in indigenen Kulturen Afrikas beziehungsweise über Hybris im Kontext der islamischen Mystik, während der renommierte Kenner der jüdischen Kabbalah, Moshe Idel (Jerusalem), das Motiv des "sprechenden" Golem problematisierte. Andreas Höfele (München) dagegen thematisierte die Figur des magischen Virtuosen Prospero aus Shakespeares Drama The Tempest im Kontext christlicher und humanistischer Wertvorstellungen des 17. Jahrhunderts.

Sehr eindrücklich vermochte es Joachim Steinheuer (Heidelberg), die musikalische Interpretation des Pygmalion-Mythos bei Rousseau und Rameau zu präsentieren. Rückte hier der Künstler als narzisstischer Schöpfer ins Blickfeld, so zeigte der Germanist Ernst Osterkamp (Berlin), wie mit dem Kult um den "göttlichen" Raffael eine Künstlerfigur nachhaltig zum schöpferischen Genie stilisiert werden konnte. Diese romantische Idee von Kreativität war am Ende des 19. Jh. im Werk von Nietzsche gänzlich verloren gegangen, wie Andreas Sommer (Greifswald) resümierte – übrig blieb ein kreativer Skeptizismus der Philosophie. Der Soziologe Eugene Halton (South Bend, Indiana) setzte die Technisierung des Kreativitätsprozesses in Beziehung zum Verlust einer ganzheitlich orientierten Kreativität des Menschen.

Die Germanisten Daniel Hoffmann (Düsseldorf), Wolf-Daniel Hartwich (Heidelberg) und Roland Innerhofer (Wien) reflektierten über das Schöpfungsmotiv in der modernen europäischen Literatur, wobei Letzterer die Spannung zwischen menschlicher Innovationskraft und Hybris am Beispiel fiktionaler Erzählungen von künstlichen Menschen wie Shelleys Frankenstein und E.T.A. Hoffmanns Sandmann herausarbeitete. Die künstliche Erschaffung des Menschen bildete auch das Thema der Vorträge von David Lavery (Murfreesboro, Tennessee) und Anne Foerst (Cambridge/Olean). Während Lavery über die so genannten Posthumanisten berichtete, die bereits für den Ersatz des natürlichen Menschen durch Maschinen plädieren, trat Foerst als Theologin und Computerwissenschaftlerin dafür ein, die Konstruktion künstlich intelligenter Roboter als Gebet – als Ausdruck der Bewunderung für die vorhergehende göttliche Schöpfung des Menschen – zu verstehen.

In der thematischen Vielfalt der Symposiumsbeiträge wurde besonders die normative Dynamik zwischen kultureller und technischer Innovation einerseits und den entsprechenden religiösen und philosophischen Wertungen in den Mythen der Kreativität andererseits deutlich, so dass der Hybrisvorwurf wie auch die Verherrlichung menschlicher Kreativität als kennzeichnend für Zeiten gesellschaftlicher und kultureller Umbrüche betrachtet werden können.

Autor:
Oliver Krüger,
Stipendiat des Graduiertenkollegs
"Religion und Normativität"

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