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Aus der Stiftung Universität Heidelberg

Aus 18 Arbeiten, die aus der Sicht der jeweiligen Fakultät das Beste des Jahrgangs darstellen, hat die Jury die fünf allerbesten für den Ruprecht-Karls-Preis des Jahres 2000 ausgewählt. Dabei hat sich erwiesen, dass die preiswürdigen Arbeiten eine zentrale Gemeinsamkeit haben: die Auseinandersetzung mit der Relativität der jeweiligen fachspezifischen Wissenschaftssicht und die Notwendigkeit, diese Sichtweise bewusst zu machen, zu erweitern und zu erneuern. Ein theologisch geprägter Philosoph entwickelt aus Schleiermachers Wissenschaftslehre einen Weg, um die herkömmliche Gegenüberstellung von Sein und Wissen, Natur und Geist, Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft zu überwinden, und fragt nach "Grund und Quell" allen Wissens und Seins. Ein Physiker sucht nach der Symmetrie der Naturgesetze, stellt aber fest, dass es im Universum praktisch nur Teilchen, keine Antiteilchen gibt. Ein Mediziner kombiniert seine Fähigkeiten der biologischen Grundlagenforschung, der medizinischen Kunst und der Ingenieurswissenschaften, um ein neues Gerät mit sehr praktischen Heilerfolgen zu entwickeln. Der Jurist stellt die Frage nach dem Verhältnis von Sachrichtigkeit und Verfahrensfehlern, und ein Altertumswissenschaftler setzt Papyri aus zahlreichen Einzelfragmenten zusammen und deutet in einem Stück Mikro-Geschichte das Zusammenwirken von ägyptischen, griechischen, jüdischen und iranischen Denken und Begrifflichkeiten.

Dr. Johannes Dittmer sucht in seiner Arbeit "Schleiermachers Wissenschaftslehre als Entwurf einer prozessualen Metaphysik" die systematische Struktur des Denkens. Aus der Erkenntnis, dass jeder wissenschaftstheoretische Prozess unabgeschlossen und von seiner eigenen, durch den Beobachter geprägten Perspektive bestimmt ist, entwickelt sich der Schlüssel zur heuristischen Methode, die zunächst einen vorläufigen Anfangspunkt durch Bildung einer Hypothese setzt, um sodann durch den kritischen Vergleich zwischen der Vielzahl vorliegender wissenschaftlicher Darstellungen die Realität zu erfassen. Hier sieht Johannes Dittmer das Realistische in der Wissenschaftslehre Schleiermachers, das sich von jedem nominalistischen und idealistischen Ansatz unterscheidet.

Dieser Wissenschaft ist bewusst, dass Wissen und Sein im Zeichen der Sprache vermittelt wird. Hier entfaltet sich die "Sprachnot" Schleiermachers, die diesen Denker immer wieder an die Grenze führt, das, was er entdeckt hat, mit den Mitteln der traditionellen Sprache zum Ausdruck zu bringen. Alle Wirklichkeit wird durch Zeichen vermittelt. In dieser Sichtweise zeigt sich der Mensch nicht nur als Sprecher, Hörer und Nutzer der Sprache, sondern wird selbst zum Ergebnis der Begegnung in sprachlichen Systemen und Perspektiven. Der Mensch spricht nicht nur, er wird zum Gegenstand sprachlichen Begreifens. Das Selbstbezogene und Fragmentarische der menschlichen Existenz zeigt sich gerade darin, dass seine Selbstwahrnehmung, seine Selbstverfahrung, sein Selbstbewusstsein in Zeichen vermittelt wird, damit das Individuelle und Einzelne durch das Generelle und Ganze bestimmt wird.

Die Bedeutung des Verfahrens für die Richtigkeit der Erkenntnis ist der Rechtsordnung bewusst. Sie hat deshalb insbesondere für die staatliche Verwaltung ein bestimmtes Verfahren verbindlich vorgegeben. Die Arbeit von Dr. Clemens Ladenburger "Verfahrensfehlerfolgen im französischen und im deutschen Verwaltungsrecht" geht nun nicht den herkömmlichen Weg, die Verfahrensanforderungen zu betonen und zu verfeinern, um im Verfahren das Hervorbringen des richtigen Ergebnisses möglichst zu sichern, sondern sie fragt im Gegenteil nach den Folgen von Verfahrensfehlern, wenn dennoch eine richtige Entscheidung getroffen worden ist. Muss etwa eine materiell richtige und notwendige Baugenehmigung allein deshalb aufgehoben werden, weil der Baubewerber nicht angehört worden oder der entscheidende Beamte befangen gewesen ist? Muss eine in der Sache richtige Verwaltungsentscheidung korrigiert werden, weil der Betroffene vorher die Akte nicht einsehen durfte oder weil ihr keine Begründung beigefügt worden ist? Ist eine nach sorgfältigen Erwägungen getroffene, sachlich vorzügliche Planungsentscheidung aufzuheben, weil die Öffentlichkeit oder eine mitzuständige Behörde nicht beteiligt worden ist?

Clemens Ladenburger untersucht in einem profunden Vergleich des deutschen und des französischen Rechts die teilweise sehr unterschiedliche Funktion der verschiedenen Verfahren in den jeweiligen Rechtsordnungen. Im französischen Recht etwa dient das Öffentlichkeitsprinzip eher der Öffentlichkeitsinformation, im deutschen will es ein Stück Entscheidungsrationalität garantieren. Wichtige Unterschiede ergeben sich auch in den Maßstäben, wann einer Verwaltungsvorschrift lediglich Ordnungsfunktion zugesprochen wird und wann sie entscheidungsbestimmend ist. Dabei spielt eine Rolle, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit im französischen Rechtsschutzkonzept im Interesse des Gemeinwohls die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung kontrolliert, der einzelne Kläger also nur den Prozess anstößt, während nach dem deutschen Verständnis der Individualrechtsschutz und die verfahrensbestimmende Funktion des Klägers den Rechtsschutz bestimmt. Für Deutschland ist deshalb erheblich, ob eine Verfahrensvorschrift zur Rechtsposition des Klägers gehört; im französischen Recht stellt sich diese Frage nicht.

Clemens Ladenburger entwickelt nun in der Stufenfolge der unwesentlichen Verfahrensvorschrift, der Alternativelosig- keit der Sachentscheidung, der Bedeutungslosigkeit des Fehlers für das Verfahrensergebnis, der Zweckerreichung und der absoluten Verfahrensfehler ein Ordnungsschema, in dem letztlich die dienende Funktion des Verfahrens eine Ausgangsperspektive bietet. Jedenfalls ist es im Recht eine Selbstverständlichkeit, dass auch ein fehlerhaftes Verfahren ein materiell richtiges Ergebnis hervorbringen kann, ein juristischer Befund, der vielleicht auch für die Wissenschaftstheorie von Bedeutung sein mag.

Allgemein anerkannt allerdings ist, dass nur ein fehlerfreies Verfahren ein gutes Verfahren sein kann und dass dessen Güte stets zu verbessern ist. Deswegen hat sich Dr. Maurice Michel daran gemacht, mit seiner Arbeit "Rotoresect zur blutungsarmen transurethralen Resektion der Prostata: Entwicklung und klinische Einführung" ein neues Gerät und ein neues Verfahren zur chirurgischen Behandlung von gutartiger Prostata zu entwickeln. Ein wesentliches Problem dieser Behandlungsmethoden liegt in den intra- und postoperativen, zum Teil erheblichen Blutungen. Wo gehobelt wird, da fallen Späne.

Maurice Michel hat ein neues Gerät entwickelt, das eine Art Minidrill-Rotor zur Gewebeentfernung mit einem applizierten Hochfrequenzstrom zur Blutstillung kombiniert. Dieses Instrument, Rotoresect genannt, ist patentiert worden und hat bereits an Patienten seine ersten und nachhaltigen Bewährungsproben bestanden. Zahlreiche Patienten verdanken Maurice Michel einen bemerkenswerten Fortschritt in der Behandlung der gutartigen Prostata-Vergrößerung.

Eine der noch ungelösten, aber immer wieder faszinierenden Geheimnisse der Natur ist die Elektrizität und das Magnet. Dieses hat schon Schleiermacher an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert bewegt und zu einem Neuverständnis der Wissenschaft geführt. Dr. Stefan Huber untersucht in seiner Dissertation "Baryogenese beim elektroschwachen Phasenübergang im supersymmetrischen Standardmodell mit Eichsingulett" ein Phänomen, das wir vom Magnet her kennen. Dieser ist durch einen Phasenübergang aus einem zunächst symmetrischen Zustand bei hohen Temperaturen in den unsymmetrischen magnetisierten Zustand gelangt. Ein ähnlicher Phasenübergang soll nun in der Entwicklung des frühen Universums aus einem Zustand mit gleicher Zahl von Teilchen und Antiteilchen zum jetzigen Zustand fast ohne Antiteilchen geführt haben.

Wir gehen heute von der Hypothese aus, dass zu jedem Teilchen ein Antiteilchen mit identischer Masse und entgegengesetzter Ladung existiert, die sich spiegelbildlich zueinander verhalten. Dies ist die Symmetrie der Naturgesetze. Dennoch verhält sich das Universum offensichtlich nicht symmetrisch, da es jedenfalls in dem uns zugänglichen Teil praktisch nur Teilchen und keine Antiteilchen bildet. Stefan Huber untersuchte, wie ein solcher Phasenübergang möglich ist. Dieser wird in der Erweiterung des allgemeinen "Standardmodells" gesucht, in der so genannten "supersymmetrischen Erweiterung", für die Stefan Huber die Möglichkeit eines derartigen elektroschwachen Phasenübergangs erster Art darstellt. Mit diesem wichtigen Schritt bringt Stefan Huber eine der grundlegenden Fragen der Kosmologie einer Antwort näher.

Schließlich haben wir die Arbeit von Dr. Demokritos Kaltsas "Dokumentarische Papyri des 2. Jh. v. Chr. aus dem Herakleopolites" zu würdigen, eine meisterhafte Edition und Kommentierung von acht Papyri mit Texten vor allem aus dem Rechtswesen zur Zeit der griechischen Herrschaft über Ägypten. Diese Arbeit ist eine besonders anspruchsvolle Publikation und Kommentierung von Texten aus einer Gruppe von Papyri, die der Doktorand restauriert, übersetzt, in ihrer historischen und juristischen Bedeutung analysiert und für die Gegenwart zugänglich gemacht hat.

Mit seiner Arbeit erweist sich Demokritos Kaltsas als eigenwilliger, ideenreicher, erfahrener Wissenschaftler mit originellen Initiativen und einem fundierten Forscherdrang. So wird uns ein Stück Mikro-Geschichte der Antike erschlossen, wie wir es in dieser Dichte und Klarheit sonst kaum einmal vorfinden.

Der Fritz-Grunebaum-Preis 2000 wird Dr. Frank Tschesche für seine Arbeit verliehen "IAS-Konzernabschlüsse – Möglichkeiten und Grenzen der Internationalisierung des deutschen Konzernbilanzrechts".

Die Anforderungen an einen Konzern, in seiner Bilanz seine wirtschaftliche Lage und seine Entwicklungsperspektiven darzulegen, sind in den verschiedenen Rechtskreisen höchst unterschiedlich. Das deutsche Recht folgt noch den Anforderungen des vorsichtigen Kaufmanns, der mit Rücksicht auf seinen Gläubiger sich eher etwas ärmer darstellt als er ist. In den Vereinigten Staaten hingegen dient die Bilanz vor allem dem Informationsinteresse der Kapitalanleger, die möglichst realitätsgerecht und gegenwartsnah unterrichtet werden sollen. Nun gerät das Recht der deutschen Konzernrechnungslegung dank des amerikanischen Börsenrechts in den Sog der dort üblichen, oft von Sachverständigengremien und nicht vom Gesetzgeber hervorgebrachten Bilanzierungsregeln, wenn sie den amerikanischen Aktienmarkt erreichen wollen. Frank Tschesche unternimmt nun eine sorgfältige Analyse des Rechnungslegungskonzepts der IAS (International Accounting Standards) und des deutschen Bilanzrechts.

Gegenwärtig steht eine Überarbeitung und Anpassung des deutschen Konzernbilanzrechts an internationale Rechnungslegungsregeln an. Das Handels- und Gesellschaftsrecht, ebenso das Steuerrecht warten gespannt auf diese Entwicklung. Die Arbeit von Frank Tschesche über die Möglichkeiten und Grenzen einer Internationalisierung des deutschen Konzernbilanzrechts enthält einen wichtigen Beitrag, um die anstehende Reform rechtswissenschaftlich fundiert, rechtspolitisch wohl bedacht, mit genügendem zeitlichem Atem und inhaltlichem Augenmaß zu betreiben.

Autor:
Prof. Dr. Paul Kirchhof
Mitglied des Vorstands der Stiftung Universität Heidelberg

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