Aus der Stiftung Universität Heidelberg
Das Graduiertenkolleg "Religion und Normativität" veranstaltete in Verbindung mit der Arbeitsgruppe "Ritualdynamik" Ende 1999 ein internationales Symposium zum Thema "Dynamics of Changing Rituals. Transformation of religious rituals within their social, political and cultural contexts". Das Symposium wurde in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Wissenschaftsforum durchgeführt und von der Stiftung Universität Heidelberg finanziell unterstützt.
Von einer Dynamik sich wandelnder Rituale zu sprechen, wie die Problemstellung des Symposiums lautete, heißt, der thematischen Rede über Rituale ein Paradox und eine Ambivalenz zu Grunde zu legen. Das Paradox besteht darin, dass Rituale – dem common sense zufolge – zwar auf den ersten Blick unwandelbar und zeitlos zu sein scheinen, aber dennoch permanent dem Wandel unterworfen sind. In klassischen ritualtheoretischen Ansätzen wurden Rituale mittels statischer Kategorien, nämlich durch Unreflexivität, Invarianz und Wiederholung beschrieben. Wird aber nach der Dynamik sich wandelnder Rituale gefragt, sind statische Kategorien zur Beschreibung von Ritualen soweit ausgeschlossen, dass die Varianzen von Ritualen in ihrer Reflexivität ins Blickfeld der Forschung gelangen können. Demgegenüber besteht die Ambivalenz der Themenstellung darin, dass Rituale sich emergent verändern und diese Veränderungen sich nicht monokausal erklären lassen.
Aus den klassischen ritualtheoretischen Perspektiven können Rituale entweder Subjekt oder Objekt von Wandel sein, der emergente Wandel von Ritualen lässt sich aber nicht mittels einer klaren Distinktion zwischen Subjekt und Objekt als Ursache des Wandels erklären, zumal er sich aus einer Vielfalt von divergierenden Faktoren heraus ereignet und der Unterscheidung zwischen internen und externen Faktoren des Wandels ein nur tentativer Wert zukommt.
Wird auf eine ritualtheoretische Festschreibung der Rituale auf den Modus der Zeitlosigkeit von Ritualen und auf die Monodirektionalität von Wandel verzichtet, ergibt sich eine komplexere Zugangsweise zur Frage nach der Dynamik von Ritualprozessen. Werden nämlich in der Analyse von Ritualen 1. die Modalitäten der Performanz und Interpretation, 2. die wechselnden Arrangements durch Akteure, Teilnehmer und Beobachter, 3. die unterschiedlichen Modi der Selbstreferentialität und Medialität, 4. die Funktionen und Bedeutungen und 5. die unterschiedlichen kulturellen, sozialen und politischen Kontexte untersucht, ergibt sich der Befund, dass Rituale, die sich bereits im Mikrobereich stetig verändern, mittels komplexer Beschreibungsmuster unter dem Aspekt ihres Wandels angemessener erschlossen werden müssen, als es bisher geschehen ist.
Das Problem, welches aus diesem Befund resultiert, besteht darin, wie und ab wann mit dem Wandel von Ritualen in religiösen Kontexten praktisch wie theoretisch umgegangen wird. Es entsteht einerseits die Frage, wer den Wandel wahrnimmt und beschreibt, und andererseits, wie gegenüber den Variationen im Mikrobereich von Ritualen deren Identität gewahrt bleiben kann, so dass trotz des Wandels noch von bestimmten und identifizierbaren Ritualen gesprochen werden kann.
Selbst wenn Rituale in ihren Elementen, Sequenzen oder in ihrer Struktur unwandelbar zu sein scheinen, verändern sich die Rituale in ihrer Bedeutung und Funktion aus den unterschiedlichen Perspektiven der Akteure, Teilnehmer und Beobachter. Außerdem verändern sich die unterschiedlichen kulturellen, sozialen und politischen Kontexte, so dass sie schon auf Grund der Tatsache, dass sie vor dem Hintergrund eines veränderten Kontextes vollzogen werden, neue Bedeutungen oder Funktionen erhalten, ohne dass von einer direkten Veränderung von Ritualen durch die jeweiligen Kontexte gesprochen werden muss. Zwar ist es möglich, dass die Bedeutung von Ritualen für die Akteure und Teilnehmer innerhalb des religiösen Selbstverständnisses dieselbe bleibt, aber die Funktion und Praxis kann sich durch ihre Kontextualität und durch die möglichen Perspektiven von Beobachtern verändern.
Werden die Modalitäten der Selbstreflexivität und Medialität sowie der Performanz und Interpretation berücksichtigt, ist es ein zentrales Problem, die Funktion und Bedeutung von sich wandelnden Ritualen in den unterschiedlichen Kontexten und Perspektiven der Akteure, Teilnehmer und Beobachter zu analysieren. Rituale wandeln sich innerhalb religiöser Traditionen auch auf Grund der unterschiedlichen Medien ihrer Performanz und Interpretation, durch die unterschiedlichen Formen von Medialität und Selbstreferenzialität und durch die jeweiligen kulturellen, sozialen und politischen Kontexte.