Forschen und Lehren – auch jenseits der Altersgrenze
Gegen ein staatlich verordnetes Verfallsdatum für Wissenschaftler
von Jürgen Wolfrum
Jürgen Wolfrum ist Seniorprofessor der Universität Heidelberg. Nach seinem altersbedingten Ausscheiden aus dem Physikalisch-Chemischen Institut wurde er Gründungsdirektor von „BioQuant“, ein neues Forschungs- netzwerk zur Analyse zellulärer Biosysteme in Heidelberg.
Foto: privat
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Als ich Anfang der 70er Jahre mein Labor als Postdoktorand in den verzweigten Gängen des Chemistry Department der University of California in Berkeley suchte, begegnete mir ein freundlicher älterer Herr, der sich mir als Joel Hildebrand vorstellte.
Er bat mich in sein Dienstzimmer und erklärte mir, dass er sich sehr freue, einen deutschen Wissenschaftler hier zu treffen. Er selbst sei im Jahr 1905 mit 50 Dollar in der Tasche nach Berlin zu Walther Nernst gegangen, um sich in Physikalischer Chemie weiterzubilden. Joel Hildebrand war, als wir uns in Berkeley trafen, 93 Jahre alt und hat bis zu seinem Tode mit 102 Jahren noch erfolgreich Studenten und Doktoranden betreut.
Welch ein Kontrast zu dem jahrzehntelangen staatlich verordneten Verfallsdatum für Wissenschaftler an deutschen Universitäten. Aber nun soll kräftig umgesteuert werden. Nach Auskunft des Bundesministeriums für Bildung und Forschung will das Kabinett in Kürze wichtige Voraussetzungen für die Flexibilisierung der Altersgrenze schaffen. Zum 1. April 2009 ist geplant, die Altersgrenze für Bundesbeamte auf 75 Jahre heraufzusetzen. Den Bundesländern steht es frei, das Dienstrecht ebenfalls in diese Richtung zu ändern.
Die Politik zeigt mit diesen binären Entscheidungen wieder, dass sie elementare Erkenntnisse der Regeltechnik nicht verstanden hat. Nach Jahrzehnten der Frühpensionierung, Arbeitsteilzeit im Blockmodell und anderer Kreationen entdeckt man plötzlich die Folgen der invertierten Bevölkerungspyramide. Dabei gibt es kaum einen Bereich, in dem man bessere Zukunftsvorhersagen machen kann als den der Bevölkerungsentwicklung, da die betroffenen Personen ja bereits existieren.
Es waren private Initiativen, etwa die Hertie- und Siemens-Stiftung, die durch Einrichtung erster Seniorprofessuren in München und Freiburg einer drohenden Abwanderung einzelner älterer Spitzenwissenschaftler entgegenwirkten, ohne die Chancen der nachwachsenden Generation zu beeinträchtigen.
Das Problem hat jedoch ganz andere Dimensionen. Im Hochtechnologiestandort Deutschland gibt es im Bereich der Ingenieur- und Naturwissenschaften zurzeit etwa 100 000 offene Stellen, die nicht besetzt werden können. Man muss also grundsätzlich über die Nutzung des „Humankapitals“ Wissenschaftler nachdenken. Warum nicht „Retirement“ wörtlich übersetzen und an der Altersgrenze „neue Reifen aufziehen“?
Dem Hochschullehrer bleiben derzeit kaum mehr als acht Prozent seiner Jahresarbeitszeit für Forschung. Könnte nicht die größere Freiheit jenseits der Altersgrenze genutzt werden, um im Miteinander verschiedener Generationen neue Forschungsfelder zu erschließen und strategische Entscheidungen der Universität vorzubereiten? Im Wettbewerb um Forschungsmittel sollte es weder Malus noch Bonus für Wissenschaftler im Ruhestand geben. Wichtige Voraussetzung ist jedoch die Bereitstellung zusätzlicher Flächen im Hochschulbau.
Wer durch langjährige Forschung an der Gestaltung des sich wandelnden Lehrstoffes aktiv mitgearbeitet hat, besitzt sicher auch besondere Kompetenz im Bereich der Lehre. Lehren heißt begeistern. Dies sollte nicht nur für die Universität sondern auch für die Schule gelten. Ein gelungenes Beispiel ist hier die Seniorprofessur der Heraeus- Stiftung für die Weiterentwicklung der Lehrerausbildung im Fach Physik für meinen Kollegen Franz Eisele.
Es wäre schön, wenn viele Wissenschaftler jenseits der Altersgrenze gewonnen werden könnten, Studierende und Schüler zu einem innovationsbereiten strukturierten Denken zu erziehen, um Absolventen deutscher Universitäten mit dieser Kompetenz eine Spitzenstellung in der Welt zu ermöglichen. Ich bin da zuversichtlich, wenn ich erlebe, wie effektiv die Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen und unterschiedlicher Altersgruppen im Gründungsdirektorium von BioQuant ist.
Hier ist schon etwas Berkeley in Heidelberg eingezogen – aber es könnte noch deutlich mehr sein.
Kontakt: wolfrum@urz.uni-heidelberg.de
Er bat mich in sein Dienstzimmer und erklärte mir, dass er sich sehr freue, einen deutschen Wissenschaftler hier zu treffen. Er selbst sei im Jahr 1905 mit 50 Dollar in der Tasche nach Berlin zu Walther Nernst gegangen, um sich in Physikalischer Chemie weiterzubilden. Joel Hildebrand war, als wir uns in Berkeley trafen, 93 Jahre alt und hat bis zu seinem Tode mit 102 Jahren noch erfolgreich Studenten und Doktoranden betreut.
Welch ein Kontrast zu dem jahrzehntelangen staatlich verordneten Verfallsdatum für Wissenschaftler an deutschen Universitäten. Aber nun soll kräftig umgesteuert werden. Nach Auskunft des Bundesministeriums für Bildung und Forschung will das Kabinett in Kürze wichtige Voraussetzungen für die Flexibilisierung der Altersgrenze schaffen. Zum 1. April 2009 ist geplant, die Altersgrenze für Bundesbeamte auf 75 Jahre heraufzusetzen. Den Bundesländern steht es frei, das Dienstrecht ebenfalls in diese Richtung zu ändern.
Die Politik zeigt mit diesen binären Entscheidungen wieder, dass sie elementare Erkenntnisse der Regeltechnik nicht verstanden hat. Nach Jahrzehnten der Frühpensionierung, Arbeitsteilzeit im Blockmodell und anderer Kreationen entdeckt man plötzlich die Folgen der invertierten Bevölkerungspyramide. Dabei gibt es kaum einen Bereich, in dem man bessere Zukunftsvorhersagen machen kann als den der Bevölkerungsentwicklung, da die betroffenen Personen ja bereits existieren.
Es waren private Initiativen, etwa die Hertie- und Siemens-Stiftung, die durch Einrichtung erster Seniorprofessuren in München und Freiburg einer drohenden Abwanderung einzelner älterer Spitzenwissenschaftler entgegenwirkten, ohne die Chancen der nachwachsenden Generation zu beeinträchtigen.
Das Problem hat jedoch ganz andere Dimensionen. Im Hochtechnologiestandort Deutschland gibt es im Bereich der Ingenieur- und Naturwissenschaften zurzeit etwa 100 000 offene Stellen, die nicht besetzt werden können. Man muss also grundsätzlich über die Nutzung des „Humankapitals“ Wissenschaftler nachdenken. Warum nicht „Retirement“ wörtlich übersetzen und an der Altersgrenze „neue Reifen aufziehen“?
Dem Hochschullehrer bleiben derzeit kaum mehr als acht Prozent seiner Jahresarbeitszeit für Forschung. Könnte nicht die größere Freiheit jenseits der Altersgrenze genutzt werden, um im Miteinander verschiedener Generationen neue Forschungsfelder zu erschließen und strategische Entscheidungen der Universität vorzubereiten? Im Wettbewerb um Forschungsmittel sollte es weder Malus noch Bonus für Wissenschaftler im Ruhestand geben. Wichtige Voraussetzung ist jedoch die Bereitstellung zusätzlicher Flächen im Hochschulbau.
Wer durch langjährige Forschung an der Gestaltung des sich wandelnden Lehrstoffes aktiv mitgearbeitet hat, besitzt sicher auch besondere Kompetenz im Bereich der Lehre. Lehren heißt begeistern. Dies sollte nicht nur für die Universität sondern auch für die Schule gelten. Ein gelungenes Beispiel ist hier die Seniorprofessur der Heraeus- Stiftung für die Weiterentwicklung der Lehrerausbildung im Fach Physik für meinen Kollegen Franz Eisele.
Es wäre schön, wenn viele Wissenschaftler jenseits der Altersgrenze gewonnen werden könnten, Studierende und Schüler zu einem innovationsbereiten strukturierten Denken zu erziehen, um Absolventen deutscher Universitäten mit dieser Kompetenz eine Spitzenstellung in der Welt zu ermöglichen. Ich bin da zuversichtlich, wenn ich erlebe, wie effektiv die Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen und unterschiedlicher Altersgruppen im Gründungsdirektorium von BioQuant ist.
Hier ist schon etwas Berkeley in Heidelberg eingezogen – aber es könnte noch deutlich mehr sein.
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