Siegel der Universität Heidelberg
Bild / picture

Künstliche Welten

Wie uns täuschend echte Bilder die Welt erläutern – und wie wir diese Bilder deuten

von Susanne Krömker

Wenn Erfinder eines neuen Instruments dieses zur Beobachtung der Natur anwenden, so ist das, was sie davon gehofft haben, immer eine Kleinigkeit im Vergleich zu der Reihe nach­folgender Entdeckungen, wovon das Instrument der Ursprung war.“ Mit diesen Worten hat der Physiker Dominique François Jean Arago in seiner Rede vom 3. Juli 1839 vor der Kammer der Deputierten in Frankreich bereits kurz nach der Erfindung von Louis Daguerre die Bedeutung der Fotografie für die Wissenschaft erkannt.

War es mit dem Fotoapparat möglich „in kürzester Zeit ein Bild der sichtbaren Welt zu erzeugen, das so lebendig und wahrhaft wirkte wie die Natur selbst“ (Walter Benjamin), so erfahren wir heute per Mausklick eine komplett künstliche Welt, die der real sichtbaren zum Verwechseln ähnlich sieht.
 
Wirtschaftlich treibender Motor ist und bleibt ­sicher das Computerspiel. Aber auch dahinter steht der uralte Menschheitstraum, die Dinge sichtbar zu machen, die in unserer Vorstellungswelt existieren. Und hier liegt auch der entscheidende Vorteil für die Wissenschaft: Computergrafik ist längst unverzichtbar, um komplexe Abläufe zu vermitteln. Jeder kennt die Strömungsfilme im Wetterbericht, in denen gemessene Daten anschaulich aufbereitet sind. Für die Vorhersage simulieren mathematische Modellgleichungen ein virtuelles Wetter. Der Vorteil einer schnell verständlichen Bildersprache für die Vermittlung wissenschaftlicher Inhalte wurde gleich in der Gründungsphase des „Interdisziplinären Zentrums für Wissenschaftliches Rechnen“ (IWR) erkannt. Die klassischen naturwissenschaftlichen Disziplinen haben im IWR schon früh den Computer eingesetzt und parallel zur Auswertung und Simulation auch immer nach Algorithmen zur verbesserten Darstellung der Ergebnisse am Computer gesucht.

Längst wird dreidimensionale Information in Echtzeit in täuschend real wirkende bewegte Bilder umgesetzt. Der Betrachter kann, anders als bei einem vorgefertigten Film, diese virtuellen Welten steuern. Jedes einzelne Pixel des Grafikschirms bekommt dabei einen Farbwert zugewiesen, der sich aus den gewählten Lichtquellen und wechselnden optischen Oberflächeneigenschaften einer dreidimensionalen Geometrie berechnen lässt.
 
Das nutzt man in der so genannten Volumenvisualisierung, um dreidimensionale Daten zu bearbeiten, die der Anschauung ohne Computer gar nicht zugänglich sind. In der Medizintechnik werden solche Volumendaten durch Computertomografie erzeugt. Auch wenn das Verfahren entlang einer Hauptachse einzelne Schnittbilder aufnimmt, aus denen das Volumen zusammengesetzt ist, betrachtet man diese Daten nicht länger als zweidimensionale Schnitte. Mit Bildverarbeitungsmethoden reinigen wir die Daten von störendem Rauschen. Anschließend werden die interessierenden Bereiche von Verschattungen durch Knochensubstanz oder andere ­Organe freigestellt. Dazu fassen wir Voxel (kleinste Volumenelemente, vergleichbar dem Pixel in der Bildschirmebene) mit ähnlicher Intensität zu Segmenten zu­sammen und ordnen diesen Segmenten optische Materialeigenschaften zu.
 
Das gleiche Verfahren haben wir auf Messdaten aus der Laserspektroskopie angewandt, bei der die Volumendaten die Temperatur oder Verteilung einer chemischen Spezies in einer Flamme zeigen. Simulationen von reaktiven Strömungen in komplizierten Geometrien, die beispielsweise das Ausschwemmen von Schadstoffen in Bodenschichten zeigen, haben wir ebenfalls mit diesem Verfahren visualisiert: Aus den Volumendaten segmentieren wir die Strömungskanäle, die dadurch dreidimensional erfahrbar sind.
 
Ein weiteres Beispiel für dreidimensionale Objekte am Computer ist Architektur, deren Rekonstruktion neben der Visualisierung naturwissenschaftlicher Methoden am IWR ebenfalls Tradition hat. Innerhalb eines vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Einzelprojekts haben wir uns ausführlich mit einer Besonderheit islamischer Architektur befasst: Muqarnas. Diese aus einfachen Modulen zusammengesetzten komplexen Stalaktitengewölbe haben wir auf ihre mathematischen Strukturen untersucht und einen Algorithmus entwickelt, der aus den Plänen von Grundrissen die dreidimensionalen Gewölbe automatisch rekonstruiert.

Anfang 2005 haben wir die „Angkor Project Group“ ins Leben gerufen, ein Studentenprojekt, in dem wir uns mit der Rekonstruktion von Tempelanlagen in Kambodscha befassen. Auf der Basis unserer Rekonstruktionen können Sanierungs- und Restau­rierungsmaßnahmen geplant werden. Zudem sind die Modelle auch für virtuelle Museumsausstellungen attraktiv.
 
Architektur aufgrund von archäologischen Befunden und kunsthistorischen Hypothesen zu rekonstruieren, ist eine Herausforderung, der wir uns in jüngster Zeit gestellt haben. Sie macht eine enge Zusammenarbeit mit den Geisteswissenschaften nötig und ist eine interdisziplinäre Aufgabe, zu der Informatiker und Historiker genauso wie Archäologen und Kunstwissenschaftler beitragen. Das Ziel ist nicht, das eine allein gültige Modell zu erstellen, ­sondern eine Vielzahl möglicher Modelle auf Basis zu bewertender Befunde und schlüssiger Hypothesen nebeneinander darzustellen und einen Diskurs über wissenschaftliche Inhalte zu ermöglichen. Dazu muss der autorisierte Nutzer die zugrunde liegende Datenbasis ergänzen, bearbeiten und bewerten können.

Als erstes Studienobjekt dient der Kirchenrest der Welterbestätte Kloster Lorsch. Aus früheren Grabungen (Heinrich Behn, um 1927) existieren Fotografien freigelegter Fundamente aus verschiedenen Blickwinkeln. Sie dienen uns dazu, die dreidimensionale Situation einer Grabung zu berechnen, ohne sie erneut freilegen zu müssen. Dabei ist steingenaues Arbeiten notwendig, um eine relative Chronologie, nämlich die Bauabfolge, zu postulieren. Die vor kurzem mit einem Laserscanner dreidimensional erfasste aktuelle Grabung wird derzeit von uns am Computer aufbereitet. Eine vollständige Aufnahme aller Befunde in ein automatisiertes System wird es erlauben, verschiedene Theorien zu überprüfen.

Das Nebeneinander hypothetischer Modelle verlangt dabei nach neuen Darstellungsformen, die den Wahrscheinlichkeitsgrad, die Unsicherheiten und die reine Spekulation klar voneinander unterscheiden lassen. Hier wird die Analyse einer Bildersprache nötig, welche die Grenzen der Aufnahmefähigkeit des Betrachters auslotet.

Die Computergrafik hat in ihrer vergleichsweise jungen Geschichte erstaunliche künstliche Bilderwelten erzeugt, die aktiv erfahrbar sind. Vergleichbar zum Anfang der Fotografie sind wir heute erneut inmitten einer Revolution unserer visuellen Erfahrung. Die Fotografie, an deren Allgegenwart wir uns längst gewöhnt haben, zeigt uns das Abbild einer real existierenden Welt mit allen Möglichkeiten der Fälschung durch Retusche. Darüber hinaus sind wir heute in der Lage, eine nicht real existierende, sondern ausschließlich virtuelle Welt mit einem hohen Grad an Fotorealismus zu erzeugen. Das berechtigte Unbehagen beruht auf der Angst, diese künstlichen Welten nicht mehr von den wirklichen Erfahrungen trennen zu können. Wo visualisiere ich echte Daten, wo beginnt die Simulation, was ist reine Hypothese, wann beginnt die Fälschung? Wenn eine reine Vorstellungswelt durch die Computeranimation manifestiert wird, muss man dies im Hinblick auf eine Ethik der Bilderwelten diskutieren.

Dr. Susanne Krömker leitet seit 2004 die Arbeitsgruppe Visualisierung und Numerische Geometrie am „Interdisziplinären Zentrum für Wissenschaftliches Rechnen“ (IWR) der Universität Heidelberg.  
Dr. Susanne Krömker leitet seit 2004 die Arbeitsgruppe Visualisierung und Numerische Geometrie am „Interdisziplinären Zentrum für Wissenschaftliches Rechnen“ (IWR) der Universität Heidelberg. Sie promovierte in Mathematik über Modellgleichungen zur Beschreibung von katalytischen Prozessen an Oberflächen.

Kontakt:
kroemker@iwr.uni-heidelberg.de,
Telefon: 0 62 21/54 88 83

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