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Die Macht der Bilder

Flüchtlingstrecks am Ende des Zweiten Weltkrieges, ein nacktes vietnamesisches Mädchen, das schreiend vor Angst auf einer Straße rennt, Willy Brandt, der vor dem Mahnmal des Warschauer Ghetto-Aufstandes kniet, – kaum gelesen, stellt unser Gedächtnis das passende Bild dazu bereit. Doch das Bild ist nicht der unbezweifelbare Garant vergangener Wirklichkeit, für das wir es halten. Edgar Wolfrum und Cord Arendes vom Historischen Seminar erläutern, wie Bilder und Fotos ihre eigene Dynamik entfalten. Die Autoren plädieren dafür, die Medienkompetenz der Betrachter im Rahmen einer "visuellen" Zeitgeschichte zu stärken – damit das "Schlagwort" nicht demnächst vom "Schlagbild" abgelöst wird.

Wenn der Name einer berühmten oder berüchtigten Person fällt – ob de Gaulle oder Adenauer, Hitler oder Saddam Hussein – ist unser Bewusstsein sofort mit einem passenden Bild zur Stelle. Die allermeisten von uns sind diesen Menschen nie begegnet, sind nie auch nur in ihre Nähe gelangt. Und doch glauben wir sie zu kennen – weil wir Fotografien gesehen haben, die sowohl ihr Äußeres als auch ihren Charakter einfangen. Bilder politischer Führungsgestalten sind aber nicht nur ein Instrument politischer Kommunikation, sondern auch ein wichtiger Gegenstand historischer Forschung.

Bildern gelingt es, bedeutende und hoch komplexe historische Vorgänge in einen einzigen permanenten "Ausdruck" für die Nachwelt zu verwandeln. Auch hinsichtlich visueller Quellen war das 20. Jahrhundert ein "Jahrhundert der Extreme" (Eric Hobsbawm): Flüchtlingstrecks am Ende des Zweiten Weltkrieges; Kinder, die zur Zeit der Berliner Luftbrücke 1948 auf die "Rosinenbomber" warten; der Soldat der DDR-Grenztruppen, der über den Stacheldraht von Ost- nach West-Berlin springt; das kleine nackte Mädchen, das schreiend vor Angst auf einer Straße rennt, um der Napalm-Bombardierung im Vietnamkrieg zu entkommen; der Astronaut Neil Armstrong, wie er den Mond betritt; Bundeskanzler Willy Brandt kniend vor dem Mahnmal des Warschauer Ghetto-Aufstandes; die entführten Flugzeuge, die 2001 in die Zwillingstürme des World Trade Centers in New York rasen. Diese Beispiele lassen sich mit Fug und Recht als "Fotodenkmäler" bezeichnen.

Es existieren unzählige solcher historischer Bildikonen, die von uns bei Bedarf sofort abgerufen werden können. Sie werden zu mentalen Bildmustern geordnet, die als Filter unsere Wahrnehmung vorformen und als Bildarchiv unsere Erinnerung prägen. Die meisten Problemlagen erhalten erst dann eine gesellschaftliche Relevanz, wenn sie kommuniziert oder besser noch visualisiert werden: "Ich glaube nur, was ich sehe" – dieser einfache Satz verweist darauf, dass wir ein unverwüstliches Grundvertrauen in das Sichtbare haben. Auch geschichtliche Zusammenhänge werden durch die Medien vermittelt. In der Regel dienen Bilder und Fotos als Abbilder des Gewesenen, als unbezweifelbare Garanten einer vergangenen Wirklichkeit. Von Bildern wird erwartet, dass sie eine äußere Realität unmittelbarer wiedergeben als Sprache oder Text und so unser historisches Bewusstsein entscheidend prägen. Die Welt wird uns nicht mehr erzählt, sondern in einer wahren Bilderflut vorgeführt: "Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt wissen, wissen wir durch die Massenmedien." (Niklas Luhmann). An keinem anderen Medium können unsere heutigen Wahrnehmungsgewohnheiten deshalb so präzise untersucht werden wie an Bildern.

Die (Presse-)Fotografie hat dabei die Dienstleistungsaufgabe, die Realität abzubilden, zumindest Analogien zu ihr herzustellen. Die Funktionsweise des Fotoapparates suggeriert Authentizität und technische Wertneutralität. Doch Bilder sind niemals nur Abbild von Realität. Fotos illustrieren nicht, sondern sie geben das, was sie darstellen, eigentätig wieder. Die Eigentätigkeit bezieht sich auf die Subjekte, welche die Bilder produzieren, – die Rolle des Fotografen ist dabei keinesfalls die eines "unschuldigen Beobachters". Bilder und Fotos werden durch die Vorannahmen und Sichtweisen ihrer Produzenten strukturiert. Sie sind immer schon beschriftete beziehungsweise kommentierte Bilder. Wichtige Fragen im Rahmen einer "visuellen Zeitgeschichte" betreffen ihren Entstehungskontext, ihre Adressaten, die verwendeten Bildformen und Bildtypen, die Verfahren von Herstellung und Bearbeitung und die Bedingungen von Rezeption und Distribution.

Bilder und Fotos liefern, ähnlich den Berichten von Zeitzeugen, die Interpretation eines Ereignisses aus einem bestimmten Blickwinkel, subjektiv, manchmal parteiisch, mitunter manipulativ. Neben dem Einfluss des Fotografen auf "sein" Bild gibt es unzählige andere Möglichkeiten der Manipulation oder Montage. Für Staatsbildungsprozesse und autoritäre oder diktatorische politische Systeme ist der Zusammenhang zwischen (visueller) Kunst und politischer Propaganda, beispielsweise im Rahmen der "sozialistischen Sichtagitation", evident. Bilder können zudem lügen. Das Wegretuschieren von in Ungnade gefallenen Personen in Diktaturen mag als bekanntes Beispiel dienen. Auf diesem Weg soll das Gedächtnis gelöscht werden. Konnte man das Retuschieren auf älteren Fotos oftmals noch erahnen, weil die technischen Möglichkeiten Grenzen setzten, so sind der Manipulation durch digitale Fotografie und Bildbearbeitungsprogramme Tür und Tor geöffnet. Fotos und Fernsehbilder erweisen sich aber auch in pluralistischen demokratischen Gesellschaften im Rahmen einer gemeinsamen visuellen Geschichtskultur als Machtfaktoren.

In den meisten Fällen werden Fotografien von Historikern nur zur Illustration des anhand von Texten erworbenen Wissens verwendet. Während an jeden Text mit der gebotenen Quellenkritik herangegangen wird, unterbleibt dies bei Bildern mit großer Regelmäßigkeit. Bilder geraten in der Forschung zunächst meist nur mehr oder weniger zufällig in den Blick und liefern dann keinen über die schriftlichen Dokumente hinausgehenden Erkenntnisgewinn. Auch heute ist das Bild als historische Quelle immer noch weitgehend eine Terra incognita. In der Zeitgeschichte ist ein solches Verhalten aber als nahezu fahrlässig zu bezeichnen, da die Interpretation ihrer genuinen Untersuchungsgegenstände das gegenwärtige Gemeinwesen zumeist noch direkt betrifft.

Im Rahmen eines historischen Forschungsfeldes "visuelle Zeitgeschichte", das die zunehmende Bedeutung des Mediums Fotografie und allgemein die Massenmedialisierung von Geschichte ernst nimmt, werden Fotos als Ikonen und Verdichtung politischer, wirtschaftlicher und kultureller Ereignisse und Prozesse gedeutet. Oft sind es aber nicht nur die wenigen sehr bekannten zeitgenössischen Fotos, die als Bildikonen mit eigener Aura den tatsächlichen Ereignissen heute bereits deutlich den Rang abgelaufen und sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in unsere eigene visuelle Erinnerungslandschaft eingebrannt haben. Entdeckungen können oft gerade auf solchen Bildern gemacht werden, die allgemein noch nicht bekannt sind, aber trotzdem für einen bestimmten historischen Zusammenhang Repräsentativität beanspruchen können. Unsere persönlichen "Bilderwelten" unterscheiden sich im Detail wahrscheinlich deutlich voneinander. Und dies ist nicht allein eine Generationenfrage.

Fotos, die für historische Untersuchungen nutzbar gemacht werden können, umfassen in der Regel das gesamte mögliche Spektrum von bewusster Inszenierung über geplante Momentaufnahmen bis hin zum Schnappschuss. Sie vermitteln auf einfachem Wege verschiedene Blicke auf historische Ereignisse. Deshalb bieten sich grundsätzlich zwei verschiedene Möglichkeiten der Analyse an: Wenn man über eine große Menge von Bildquellen aus einem begrenzten beziehungsweise sinnvoll abzugrenzenden Zeitraum verfügt, dann lassen sich mit dem "seriell-ikonographischen" Ansatz Gemeinsamkeiten und ikonographische Momente der Dauer herausarbeiten. Die zweite Variante, der "ikonologisch-ikonographische" Interpretationsansatz, kommt in der historischen Forschung weitaus häufiger zum Tragen: Ausgehend vom geschichts- und politikwissenschaftlichen Forschungsstand werden einordnende Interpretationsversuche für einige ausgewählte und für den jeweiligen Zusammenhang repräsentative Einzelbilder unternommen. Bei der entscheidenden Frage, warum ein Bild so – und nicht anders – geschaffen worden ist, muss in der visuellen Zeitgeschichte die kunsthistorische Analyse gezielt durch historische, aber auch durch sozialwissenschaftliche Fragestellungen ergänzt, das heißt eng mit der Funktion des Bildes im gesellschaftlichen Kontext verknüpft werden. Welche Potenziale zeitgenössischen Bildern innewohnen, zeigen die Bildpaare – "Deutschlandsfotos" – auf den Seiten neun bis 13.

Die 1950er Jahre und die 1970er Jahre verfügen über eine je eigene Optik: Die 1950er als erste stilistisch eigenständige Epoche nach dem Nationalsozialismus, die 1970er Jahre als die letzte stilistisch eigenständige Epoche des vergangenen 20. Jahrhunderts. Erstere stehen für Modernisierung und Wiederaufbau, in letzteren gelangten die Versprechen des gesellschaftlichen Aufbruchs und der umfassenden Demokratisierung vollends zur Blüte. Beide Jahrzehnte besitzen aber auch eine Kehrseite; sie wurden von Phasen tiefer Krisen durchzogen – die Schattenseiten der Perioden gesellschaftlicher Umbrüche und Modernisierungen. In welchen Bildern lassen sich die innere, die äußere, die wirtschaftliche und die kulturelle Entwicklung der Bundesrepublik in den beiden Epochen einfangen? In welchen Bildern werden die Zäsuren und Brüche festgehalten? Und zuletzt: Lassen sich – aller erwartbaren Unterschiede zum Trotz – auch Ähnlichkeiten dokumentieren? Für viele von uns sind die Bilder der 1970er Jahre, sowohl mit Blick auf die geschichtlichen Ereignisse als auch auf die damit verbundenen Gefühle, prägender und "näher". Diese Aktualität politischer Problemlagen der 1970er Jahre zeigt sich jedoch gerade im Vergleich.

In demokratischen Staatswesen kann die Staatsrepräsentation nicht mehr allein über ein Herrscherportrait erfolgen, auch wenn die großen Staatsmänner weiterhin für "ihre" Epoche stehen. Kein Bild der "Ära Adenauer" kann die internationale Stellung der kurz zuvor gegründeten Bundesrepublik besser beschreiben als das auf Seite neun abgebildete: Bundeskanzler Adenauer – der "Grand Old Man" der deutschen Nachkriegsgeschichte – schreitet beim ersten Besuch eines deutschen Regierungschefs nach dem Zweiten Weltkrieg im April 1953 allein die Stufen des Kapitols in Washington herunter – quasi als einsamer, noch isolierter Streiter deutscher Interessen in der Welt. Beim Weltwirtschaftsgipfel im Jahr 1978, der in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn ausgerichtet wurde, hatte sich die außenpolitische Lage der Bundesrepublik völlig gewandelt. In Zeiten weltweiter wirtschaftlicher Rezessionen und Umweltkrisen erschien die Bundesrepublik wie ein Fels in der Brandung (Bild Seite neun rechts). Bundeskanzler Helmut Schmidt schart am 16. Juli 1978 die Staats- und Regierungschefs der Gruppe der führenden westlichen Industrienationen, der G7-Staaten, um sich: die Bundesrepublik, eine Weltwirtschaftsmacht. Die achte Person auf dem Foto ist der damals amtierende EG-Kommissions-Präsident Roy Jenkins.

Die 1950er Jahre waren nicht nur eine Zeit vermuteter Restauration. Nicht zuletzt der Auftritt des hessisch-nassauischen Kirchenpräsidenten Martin Niemoeller bei einer Atom-Mahnwache am Kölner Rudolfplatz im Jahr 1958 deutet auf das Gegenteil hin (Seite zehn links). Die Auseinandersetzung um eine geplante Ausrüstung der neu gegründeten Bundeswehr mit Atomwaffen führte zu gesellschaftsweiten Debatten. Sowohl die Formen als auch die Inhalte des Protestes gegen die militärische Nutzung der Atomenergie durchliefen danach eine tief greifende Veränderung. Am Übergang zu den 1980er Jahren waren die "Neuen Sozialen Bewegungen" in aller Munde. Das Bild auf Seite zehn (Mitte) zeigt eine Menschenkette auf der Bundesstraße 10 zwischen Plochingen und Ulm am 22. Oktober 1983, mit der unzählige Bürgerinnen und Bürger im Rahmen einer "Aktionswoche" der Friedensbewegung gegen die im Januar 1983 vom Bundestag mit Regierungsmehrheit beschlossene Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen demonstrierten.

Die Einrichtung der deutschen Wohnzimmer (Bild Seite zehn rechts) orientierte sich um 1950 am Bedarf der deutschen Durchschnittsfamilie, hier verkörpert durch den späteren Regierenden Bürgermeister Berlins Willy Brandt mit Frau und Kindern. Der "New Look" (Christian Dior) gewinnt im Zusammenhang mit Willy Brandt noch einen anderen, für uns zentraleren Aspekt: Seine Bereitschaft, die Journalisten als Partner zu akzeptieren, führte auch zu dem für damalige bundesrepublikanische Verhältnisse noch völlig unbekannten Vorgehen, den Medien einen gezielten Zugang zum Privatleben zu ermöglichen. Nicht nur in diesem – visuellen – Zusammenhang wurde Brandt zu einem deutschen John F. Kennedy stilisiert.

Das "youthquake" (Mary Quant) kam aber nicht nur in der Politik erst ab der Wende zu den 1970er Jahren vollends zum Tragen. Im Rahmen der Sonderschau "Visiona II" auf der Internationalen Möbelmesse in Köln im Jahr 1970 beantworteten die "Phantasy Landscapes" des berühmten dänischen Designers und Architekten Verner Panton die Frage nach dem Wohnen von morgen. Die große zweiteilige Sitz- und Liegekombination "Living Tower" (Bild Seite elf links) beispielsweise bot allemal Paaren ausreichend Platz. Die lässig positionierten Frauen und Männer sind gleichsam auf ästhetischer Ebene in den künstlerischen Entwurf integriert. Nicht mehr der Faktor Funktionalität, sondern Themen wie Freizeitgesellschaft, Entspannung, Konversation – aber auch Erotik – standen nun im Zentrum.

Die Mobilisierung der Gesellschaft war eines der wichtigsten Kennzeichen des deutschen Wirtschaftswunders. Der VW-Käfer war das ökonomische Epochensymbol und hatte sich schon im Jahr 1950 zu einem Exportschlager entwickelt. Die Kennziffern der umfassenden Verwestlichung der Bundesrepublik sind auf dem Foto auf Seite elf (Mitte) allerdings nicht ohne die entsprechenden Vorkenntnisse des Entstehungskontextes auszumachen: Im Hintergrund sehen wir die Verschiffung von für den nordamerikanischen Markt bestimmten "Käfern" im Hamburger Hafen. Der Dampfer mit dem Namen "Havfalk" fährt unter norwegischer Flagge. Während des Jom-Kippur-Krieges im Nahen Osten entdeckten die Scheiche 1973 das Öl "als Waffe". Die weltweite Öl- und Energiekrise führte zum mehrmaligen Verhängen eines sonntäglichen Fahrverbotes auf deutschen Straßen. Leere Autobahnen, wie auf dem Bild vom Kreuz Düsseldorf-Wuppertal auf Seite elf (rechts) zu sehen, waren ein Menetekel für die Überflussgesellschaft. Der Ölpreis-Schock veränderte das politische und gesellschaftliche Klima. Die Grenzen des Wachstums schienen erreicht.

Gerade der Bereich der Popularkultur ist in der Regel allein audiovisuell vermittelt. Für viele Menschen bildet er einen wichtigen Rahmen, sich in der Vergangenheit zu orientieren. Das Bild auf Seite zwölf (links-außen) zeigt Elvis, den weltweiten Superstar der Jugendkultur der 1950er Jahre. So wie wir ihn kennen, oder wie er uns im visuellen Gedächtnis geblieben ist: umringt von zahlreichen Fans am 5. Oktober 1958 in Bad Homburg. Die "Glückliche" in seinen Armen ist die 16-jährige Birgit Bürgin aus Frankfurt am Main. Kühler, nahezu nordisch distanziert, aber nicht minder erfolgreich (Seite zwölf Mitte): Die schwedischen ABBA sind eine der erfolgreichsten Bands aller Zeiten. Besonders die zweite Hälfte der 70er Jahre war von ihrem Pop-Sound geprägt.

Und zu guter Letzt: Wie sich die Bilder auf Seite 12/13 gleichen. Der Fußball ist aus dem Freizeitverhalten – zumindest der männlichen – Deutschen nicht wegzudenken. Gejubelt wird aber immer noch gemeinsam, wie die Szenen aus dem Berner Wankdorf- und dem Münchener Olympiastadion beweisen. Freizeit ist 1974 aber nicht mehr nur die Phase der Nicht-Arbeitszeit, nein, sie ist vor dem Hintergrund eines stetig steigenden (auch kommerziellen) Angebotes bis ins letzte Detail individuell gestaltbar geworden. Am 4. Juli 1954 liegen sich die deutschen Spieler nach dem 3:2-Sieg über die favorisierten Ungarn noch "kollektiv" in den Armen. Ganz anders Sepp Maier und Georg Schwarzenbeck nach dem 2:1 über die Niederlande am 7. Juli 1974. Die unterschiedlichen "Figuren" des Jubels lassen auf einen Anstieg individueller Werte und nonkonformistischer Verhaltensweisen schließen.

Unser Gedächtnis, wir können es an uns selbst überprüfen, setzt sich aus zahlreichen Einzelbildern zusammen, die sich ständig verändern und überlagern. Man kann diesen Vorgang auch "importierte Erinnerung" nennen. Bilder verdrängen, ergänzen oder verändern dabei die textbasierten Erinnerungsfragmente. Auch wenn die 1950er und 1970er Jahre nach Lektüre dieses Artikels vielleicht ein "aktualisiertes" Gesicht erhalten haben, sei noch einmal darauf verwiesen, dass Bilder keine vollständige historische Erzählung, sondern eine interpretationsbedürftige Momentaufnahme sind. Ansonsten wären Steven Spielberg und Guido Knopp wirklich die "wichtigsten Vertreter der Zeitgeschichte" – wie Natan Sznaider unlängst bei der Eröffnung des "Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts" in provozierender Absicht bemerkte.

Die mediale Realität verfügt über ihre eigenen Gesetze. Bilder und Fotos entfalten ihre eigene Dynamik mit unvorhersehbaren Folgen – je nachdem, auf welches Publikum sie stoßen. Vor diesem Hintergrund ist es eine wichtige Herausforderung für die Zeitgeschichte, Medienkompetenz bei den Bürgerinnen und Bürgern zu entwickeln und zu stärken. Die einstige Hegemonie der Druckschrift in der Aneignung von Wirklichkeit ist unwiederbringlich an ihr Ende gekommen.

Wir haben die Gutenberg-Galaxie hinter uns gelassen. Man wird sagen können: Nicht der Schriftunkundige ist der Analphabet der Zukunft, sondern der Bildunkundige. In einem Satz: Das Schlagbild hat das Schlagwort abgelöst!

Autoren:
Prof. Dr. Edgar Wolfrum, Dr. Cord Arendes
Historisches Seminar, Zeitgeschichte
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