Siegel der Universität Heidelberg
Bild / picture

Meinungen

Mehr forschungspolitische Flexibilität

Prof. Dr. Angelos Chaniotis, Historiker und Prorektor der Universität Heidelberg, fordert die Politik dazu auf, die Besonderheiten geschichtswissenschaftlicher Forschung zu berücksichtigen.

In der Presse war zu lesen, dass das Münchner Historische Kolleg geschlossen werden soll und die Max-Planck-Gesellschaft historische Forschung nicht mehr fördern will. Die wenigen außeruniversitären Einrichtungen für Geschichte sind in Gefahr – in einer Zeit, in der sich die Bedingungen für historische Forschung auch an den Universitäten stetig verschlechtern. Die Forderung der Politik nach Fächerkonzentration hat nur eine Form der Konzentration zur Folge: das Beschränken auf bestimmte Gebiete der historischen Forschung unter Vernachlässigung der "Peripherie", etwa der Byzantinischen, Osteuropäischen, Süd- und Ostasiatischen Geschichte. Die für die Natur- und Lebenswissenschaften entwickelten Instrumente zur Nachwuchsförderung können die Bedürfnisse von Doktoranden der Geschichtswissenschaften nur bedingt befriedigen; sie tragen weder der Bedeutung der Individualpromotion Rechnung noch dem spezifischen Bedürfnis der Geschichtswissenschaften nach der Edition und Analyse großer Quellenmengen – von antiken Papyri und Inschriften bis hin zu modernen elektronischen Archiven. Weder die Deutsche Forschungsgemeinschaft noch die Akademien fördern Dauerprojekte und somit das kontinuierliche Erfassen großer Mengen von Quellenzeugnissen. Und doch ist das Sammeln von Quellen für die Historie eine ebenso wichtige Daueraufgabe wie das Atmen für den Menschen. Und sollten historische Projekte – als Teile interdisziplinärer Cluster und Graduiertenschulen – den Exzellenzwettbewerb in einigen wenigen Universitäten überstehen, wird dieser bescheidene Erfolg keineswegs die negativen Konsequenzen für die "Verlierer" kompensieren. Gibt es zumindest eine Unterstützung durch Sponsoring? Auch hier: Fehlanzeige. Die Curt-Engelhorn-Professur für Amerikanische Geschichte in Heidelberg ist derzeit die einzige historisch ausgerichtete Stiftungsprofessur. Dieses düstere Bild wird durch die stiefmütterliche Behandlung der Universitätsarchive ergänzt.

In der Lehre – dem Fundament guter Forschung – sehen die Dinge nicht besser aus. Die Ruckzuckverfahren und unkoordiniert entstehenden "neuen" BA- und MA-Studiengänge auf dem Gebiet der Geschichtswissenschaften verpassen in der Regel die Chance, den Bologna-Prozess für eine wirkliche Erneuerung der Lehre zu nutzen. Innovative Ansätze werden durch unflexible ministeriale Bestimmungen stranguliert und von den sehr hohen Kosten der Akkreditierung eines wirklich neuen Studiengangs abgeschreckt.

Dieses düstere Bild steht in direktem Gegensatz zur Sichtbarkeit der historischen Forschung in der Öffentlichkeit. Nie in der Vergangenheit wurde so viel Geschichte geschrieben, aufgearbeitet, dokumentiert, erzählt und in bewegten wie unbewegten Bildern festgehalten oder (re)konstruiert. Geschichte ist in der Popkultur überall präsent: Der historische Roman erfreut sich größter Beliebtheit, Krimis mit historischem Hintergrund erobern die Regale der Buchhandlungen und entwickeln sich zuweilen zu einem respektablen literarischen Genre. Auch die Filmindustrie hat historische Themen wiederentdeckt und stößt damit auf großes Interesse. Populärwissenschaftliche Geschichtsdarstellungen hoher Qualität befriedigen dieses Interesse und tragen wesentlich dazu bei, moderne historische Fragestellungen zu vermitteln.

Der gesunde, außer-akademische Menschenverstand hat erkannt, was die Forschungspolitik verkennt: Historiker entwickeln keine zur Vermarktung geeigneten Patente – aber sie verändern unsere Denkmuster. Sie retten kein Leben, zumindest nicht unmittelbar, und sie verbessern auch nicht die Lebensqualität, zumindest nicht sichtbar. Aber sie setzen sich mit vergangenen Erlebnissen und Träumen, mit Hoffnungen und Enttäuschungen, Konflikten und Verschmelzungen auseinander und schärfen so unseren Blick, um die Gegenwart kritischer zu betrachten und unser Leben bewusster zu führen.

Hierfür braucht auch die historische Forschung Mittel. Auch die Historiker profitieren von interdisziplinären Netzen und strukturierten Studiengängen. Was sie aber ebenso brauchen, ist eine größere Zahl von Stipendien für Promotionsthemen, die nicht zu einem der wenigen geförderten Rahmenthemen passen. Die historische Forschung braucht Flexibilität. Die Forschungspolitik, die ihren Geldbrunnen beim Erklingen des Zauberwortes Interdisziplinarität sprudeln lässt, muss lernen, die Worte Individualität und Flexibilität zu buchstabieren.

Seitenbearbeiter: Email
zum Seitenanfang