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Die Geschwister der Erde

Gibt es irgendwo im Weltall einen Planeten, der unserer Erde ähnelt? Diese Frage interessiert jeden Laien - und jeden Astronomen. Um die Begleiter anderer Sterne zu entdecken, brauchen die Wissenschaftler sehr viel Geduld und aufwändige Methoden. Mit einer dieser Methoden, dem "Gravitationslinseneffekt", hatten sie kürzlich Erfolg. Joachim Wambsganß vom Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg erzählt die spannende Entdeckungsgeschichte eines Planeten, der von allen bekannten "Exo-Planeten" der Erde am ähnlichsten ist. Er trägt den wenig romantisch anmutenden Namen "OGLE-2005-BLG-390-Lb".

Wir alle lernen in der Schule, dass die Erde der dritte von neun Planeten ist, die um die Sonne kreisen. Innen ziehen Merkur und Venus ihre Bahnen, in größerer Entfernung befinden sich Mars, Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun und Pluto. In jüngster Zeit wird spekuliert, dass es möglicherweise noch einen zehnten Planeten in unserem Sonnensystem geben könnte. In der Schule erfahren wir auch, dass alle Sterne "Geschwister der Sonne" sind. Sie erscheinen uns verglichen mit unserem Mutterstern nur deshalb so schwach, weil sie sehr viel weiter von uns entfernt sind. Bringt man diese beiden Umstände zusammen, stellt sich die Frage: Wenn die Sonne Planeten hat, und die Sterne wie die Sonne sind, haben dann die Sterne auch Planeten?

Diese Frage treibt Naturwissenschaftler schon seit Jahrhunderten um. Erst vor einem Jahrzehnt ist es ihnen allerdings gelungen, den ersten Planeten zu finden, der einen anderen Stern begleitet: Er heißt "51 Pegasi b" und hat etwa Tausend Mal so viel Masse wie die Erde, ein "Jahr" dauert auf ihm nur etwa vier Tage, und auf seiner Oberfläche ist es außerordentlich heiß, weil der Abstand zum Zentralstern nur fünf Prozent der Entfernung zwischen Erde und Sonne beträgt. Seit der Entdeckung von "51 Pegasi b" durch zwei Schweizer im Jahr 1995 versuchen Astronomen weltweit, weitere Planeten zu finden, die um andere Sterne kreisen. Die dafür notwendigen Messungen sind allerdings extrem schwierig.

Zur Suche nach Exoplaneten nutzen die Astronomen verschiedene Techniken. Die bisher mit Abstand erfolgreichste ist die so genannte Radialgeschwindigkeits-Methode. Dabei wird die Geschwindigkeitskomponente eines Sterns in Richtung zu uns oder von uns weg gemessen: Wenn er von einem Planeten umrundet wird, ist der Zentralstern nicht in Ruhe, sondern er vollführt eine kleine Kreisbewegung. Mit einer Spektralanalyse kann man sehr genau feststellen, mit welcher Geschwindigkeit ein Stern sich auf uns zu oder von uns weg bewegt. Dies basiert auf dem Doppler-Effekt, den auch die Radaranlage der Polizei nutzt, um die (überhöhte) Geschwindigkeit eines Autos zu bestimmen. Wenn nun herausgefunden wird, dass sich ein auf diese Weise untersuchter Stern regelmäßig auf uns zu und wieder von uns weg bewegt, dann kann indirekt darauf geschlossen werden, dass er einen unsichtbaren Begleiter haben muss. Auf diese Weise wurden bisher über 150 extrasolare Planeten entdeckt, wie die Begleiter anderer Sterne genannt werden.

Eine weitere Planetensuchmethode ist das Transit-Verfahren, bei dem ausgenutzt wird, dass die Helligkeit des Muttersterns kurzzeitig abfällt, wenn von der Erde aus gesehen ein Planet vor der Sternscheibe vorbeiläuft. Dies ist dem Venus-Transit sehr ähnlich, den wir im Juni 2004 beobachten konnten, als unser Nachbarplanet vor der Sonnenscheibe entlang lief. Daneben wird noch mit der "astrometrischen Methode" nach Signaturen von extrasolaren Planeten gesucht, die auch die Position des Muttersterns zum regelmäßigen Hin- und Herwackeln bringen.

Allen diese Methoden ist zweierlei gemeinsam: Die periodischen Signale, die sie nachweisen sollen, werden mit kleinerer Planetenmasse immer schwächer. Zudem möchte man gern zwei oder mehrere Umläufe nachweisen, um sicher sein zu können, dass die gemessenen Abweichungen auch tatsächlich auf einen Planeten-Begleiter zurückgehen. Aus diesem Grunde wurden und werden mit diesen Techniken vorwiegend Planeten mit großen Massen und kleinen Umlaufzeiten gefunden.

Was aber Wissenschaftler wie Laien an der Exoplanetensuche besonders interessiert, ist die Frage: Gibt es auch Planeten, die unserer Erde ähnlich sind? Mit den Ergebnissen, die bis zum Ende des Jahres 2005 vorlagen, konnte diese Frage noch nicht beantwortet werden. Jetzt sind die Forscher der Beantwortung ein kleines Stückchen näher gekommen: Im Januar 2006 berichtete die Fachzeitschrift Nature, dass ein "cool planet of 5.5 Earth masses" entdeckt worden sei. Daran waren auch Wissenschaftler vom Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg (ZAH) beteiligt. Der neu entdeckte Planet mit dem sehr technischen Namen "OGLE-2005-BLG-390-Lb" wurde zwar nicht direkt "gesehen", aber er verriet seine Existenz durch seine Schwerkraftwirkung.

Die dieser Entdeckung zugrunde liegende Methode heißt "Gravitational Microlensing", oder Mikro-Gravitationslinseneffekt. Sie unterscheidet sich von den eingangs genannten Verfahren erheblich: Sie nutzt aus, was Einstein bereits im Jahr 1915 vorhersagte, dass nämlich Lichtstrahlen ebenso wie Materie der Schwerkraft unterliegen. Die Lichtstrahlen werden von massereichen Himmelskörpern angezogen und dadurch von ihrer geraden Bahn abgelenkt.

Diese Wirkung ist in den meisten Fällen allerdings unmessbar klein. Wenn nun aber ein Vordergrundstern direkt vor einem Hintergrundstern vorbeiläuft, dann führt das dazu, dass wir auf der Erde infolge der Lichtablenkung mehr Lichtstrahlen des Hintergrundsterns erhalten: Er erscheint uns kurzzeitig heller. Es kann einige Wochen oder Monate dauern, bis der Hintergrundstern wieder seine ursprüngliche schwächere Helligkeit erreicht hat. Der exakte Verlauf des symmetrischen Heller- und wieder Schwächerwerdens ist mathematisch genau vorgegeben. Wenn der Vordergrundstern, der als "Gravitationslinse" wirkt, kein Einzelstern ist, sondern von einem Planeten begleitet wird, dann kann diese eigentlich symmetrische "Lichtkurve" eine kurzzeitige Abweichung zeigen mit einem weiteren Maximum.

Schon seit vielen Jahren sucht das "PLANET-Team" - eine Gruppe von 30 Wissenschaftlern aus zehn Ländern - mit dieser Microlensing-Methode nach Planeten um andere Sterne. Das Problem dabei ist: Solche Gravitationslinsenereignisse sind extrem selten. Höchstens einer unter einer Million Sternen wird jeweils durch die Schwerkraftwirkung verstärkt, und weniger als ein Prozent dieser Ereignisse zeigen eine Planeten-Signatur. Das heißt, die Chance, auf diese Weise einen Planeten zu finden, liegt bei 1 zu 100 Millionen. Zudem weiß man nie im voraus, wann ein solches Gravitationslinsenereignis eintritt. Deshalb haben die Astronomen eine Art Arbeitsteilung eingeführt: Eine Gruppe, das polnisch-amerikanische "OGLE-Team", misst die Helligkeit von zehn Millionen Sternen regelmäßig etwa zweimal pro Woche. Wenn einer davon eine für den Gravitationslinseneffekt charakteristische Helligkeitsänderung zeigt, wird ein "E-Mail-Alarm" an interessierte Wissenschaftler verschickt. Im letzten Jahr gab es 600 solche Microlensing-Alert-Mails. Das PLANET-Team hat sich darauf spezialisiert, diese Linsenereignisse dann sehr häufig zu messen, idealerweise einige Male pro Stunde, um den Verlauf der Lichtkurve und mögliche Abweichungen exakt zu bestimmen. Denn genau mit solchen kurzzeitigen Abweichungen von der idealen symmetrischen Kurve verrät sich die Existenz eines Planeten-Begleiters. Allerdings gelingt eine vollständige zeitliche Messung der Sternhelligkeit nur durch eine Kombination von vier Teleskopen auf der Südhalbkugel: Tasmanien, West-Australien, Südafrika und Chile. So ist garantiert, dass dieser Stern rund um die Uhr vermessen werden kann. Die Astronomen haben damit eine "24-Stunden-Nachtschicht": Zu jeder Zeit ist es an mindestens einem dieser Orte Nacht.

Am 10. August 2005 war es dann soweit: Das Mikrolinsen-Ereignis OGLE-2005-BLG-390, das sich bis dahin wenig spektakulär von seiner Maximal-Helligkeit, die dreimal über der "normalen" lag, wieder auf die Grundstufe zurück bewegte, zeigte eine kurzzeitige Abweichung. Dieses zweite Maximum hatte genau den Verlauf, den man von einem Planeten-Begleiter erwartete, allerdings hatte es nur 15 Stunden gedauert. Die mit hoher Signifikanz abweichenden Messpunkte waren von fünf verschiedenen Observatorien bestätigt worden: Das Ereignis war real. Beim Analysieren und Modellieren der Daten konnte nur eine einzige Erklärung gefunden werden: Ein Begleiter zum hauptsächlichen Linsenstern, der nur 0,00008-mal soviel Masse hat, war dafür verantwortlich. Keine andere Möglichkeit war mit den Daten in Einklang zu bringen.

Da der Linsenstern selbst zu schwach ist, um direkt gesehen zu werden, kann dessen Masse nicht exakt bestimmt werden: Vermutlich liegt sie zwischen zehn und 40 Prozent der Sonnenmasse, wobei der wahrscheinlichste Wert bei 20 Prozent liegt. Damit ergibt sich für die Planetenmasse als wahrscheinlichster Wert 5,5-mal die Erdmasse. Der Abstand des Planeten zum Mutterstern liegt bei etwa 2,6-mal dem Abstand zwischen Erde und Sonne, so dass er ungefähr zehn Erdenjahre für einen Umlauf braucht.

Bedingt durch den schwachen Mutterstern und den großen Abstand erhält der Planet nur etwa ein Tausendstel der Energie, die uns von der Sonne erreicht. Deshalb wird die Oberflächentemperatur auf etwa 50 Kelvin geschätzt, das sind -220 Grad Celsius, also vergleichbar mit den Temperaturen auf Neptun oder Pluto, den äußeren Planeten in unserem Sonnensystem. Die Entfernung dieses extrasolaren Planetensystems ist riesig groß, es befindet sich etwa 22 000 Lichtjahre weit weg von uns. Damit ist eine weitere Untersuchung des Planeten so gut wie ausgeschlossen.

Die meisten der bisher bekannten 180 Planeten um ferne Sonnen haben große Massen (vergleichbar mit der des Jupiter) und bewegen sich in ganz engen Bahnen um ihre Zentralsterne. Aus diesem Grund werden sie "heiße Jupiters" genannt. Eigentlich hatten die Astronomen auch viele Planeten mit kleinerer Masse ("Gesteins- oder Eisplaneten") und in größeren Abständen erwartet.

Die besondere Bedeutung der Entdeckung von "OGLE-2005-BLG-390-Lb" mit der Gravitationslinsenmethode liegt darin, dass dies unter allen bekannten Exo-Planeten derjenige mit der geringsten Masse ist. Er ist damit - was die Masse betrifft - der "erd-ähnlichste". Wahrscheinlich handelt es sich um einen Eis- oder Gesteinsplaneten von der gleichen Sorte wie Erde, Venus oder Mars. Dieser Planeten-Typ sollte nach unserem gegenwärtigen Verständnis von Planeten-Entstehung in viel größerer Zahl vorhanden sein als die "heißen Jupiters". OGLE-2005-BLG-390-Lb ist der dritte mit der Microlensing-Methode gefundene Planet. Die Massen der ersten beiden in den Vorjahren entdeckten lagen etwas oberhalb der des Jupiter. Wie alle Methoden ist es auch für "Microlensing" einfacher, Planeten mit großer Masse zu finden. Die Tatsache, dass nun unter drei entdeckten Planeten bereits einer mit solch geringer Masse ist, deutet darauf hin, dass es von dieser Sorte Planeten mit "erdähnlicher" Masse sehr viele in unserer Milchstraße geben muss: Die Chancen stehen also gut, bald mehr über die Geschwister der Erde zu erfahren.

Autor:
Prof. Dr. Joachim Wambsganß
Astronomisches Rechen-Institut (ARI) am Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg (ZAH)
Mönchhofstraße 12-14
69120 Heidelberg
Telefon: (0 62 21) 54 18 00
E-Mail: jkw@uni-hd.de

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