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Exzellente Forschung beginnt im ersten Semester

Prof. Dr. Silke Leopold, Prorektorin der Universität Heidelberg, fürchtet, dass die so genannten kleinen Fächer langfristig zum Opfer der europäischen Studienreform werden.  

Prof. Dr. Silke Leopold, Prorektorin der Universität Heidelberg, fürchtet, dass die so genannten kleinen Fächer langfristig zum Opfer der europäischen Studienreform werden.

Alle reden von Exzellenz. Die Exzellenzinitiative – die Aussicht, Gelder in bemerkenswerter Menge für die Forschung einzuwerben – okkupiert derzeit ein Gutteil der kreativen und administrativen Kräfte in den Hochschulen. Dabei gerät aus dem Blick, dass sich die Universitäten in ganz Europa in einem Umstrukturierungsprozess befinden, der ihre Physiognomie tiefgreifend verändern wird: Das "Bologna-Abkommen", die europaweite Umstellung des Hochschulsystems auf die gestuften Abkommen Bachelor und Master, ist in vollem Gange. An der Neuorganisation der Lehre führt kein Weg mehr vorbei, und nahezu überall hat sich inzwischen die Erkenntnis durchgesetzt, dass die neue Studienstruktur nicht nur Risiken, sondern auch Chancen birgt – jedem Ende wohnt ein Anfang inne.

Nun hat der Bologna-Prozess bisher nicht gebracht, was einmal als eines seiner Hauptziele formuliert worden war: die europäische Harmonisierung. Sie sollte nach dem Willen der Bürokraten darin bestehen, mittels vergleichbarer Studienverläufe und Lehrinhalte den freien Wechsel zwischen den Universitäten des europäischen Hochschulraumes zu ermöglichen. Lange vor dem geplanten Ende der Bologna-Vereinbarung im Jahr 2010 zeichnet sich jedoch jetzt schon ab, dass jedes Land die gestufte Studienstruktur inhaltlich jeweils anders füllt. Und das ist auch gut so. Denn der Wechsel an eine ausländische Universität soll ja auch immer einen Perspektivwechsel und damit neue Herausforderungen und Anregungen ermöglichen.

Dass die Universitäten ihre reformierten Studiengänge jeweils individuell ausgestalten, mag auf den ersten Blick ein Vorteil sein. Für die Geisteswissenschaften aber, die schon bei der Exzellenzinitiative in hanebüchener Weise an den Rand gedrängt wurden, bedeutet dies einen weiteren Schritt in Richtung einer Erosion der Fächerlandschaft. Denn mit der für sich genommen begrüßenswerten Individualisierung der Ausbildungswege wird auch der bisherige bundesweite Konsens über die Fächeranteile im Bereich der Magisterstudiengänge (zwei Hauptfächer oder ein Hauptfach und zwei Nebenfächer) aufgekündigt. Wer bisher seine Leistungsnachweise an verschiedenen Universitäten sammeln und irgendwann an einer Universität für die Zulassung zur Magisterprüfung präsentieren konnte, wird dies im gestuften System nicht mehr ohne weiteres tun können; die Mobilität der Studierenden wird ab- statt zunehmen.

Weit dramatischer aber ist eine Entwicklung, die die so genannten kleinen Fächer wirksamer als jeder ministerielle Federstrich von der Landkarte der Forschungsfelder verdrängen könnte. Die Universität Heidelberg hat sich hinsichtlich der Fächeranteile im Bereich der ehemaligen Magisterstudiengänge für eine Lösung entschieden, die es auch kleinen Fächern ermöglicht, Fachstudiengänge anzubieten, eine breite Grundausbildung und in der Master- und Promotionsphase eine sinnvolle Spezialisierung zu garantieren. Eine Reihe anderer Universitäten aber hat bei der Frage, welchen prozentualen Anteil ein Studienfach im Bachelor-Studiengang haben solle, Modelle erarbeitet, die eine solide Ausbildung in kleinen Fächern unmöglich macht. Das gilt sowohl für die Ein-Fach-Studiengänge als auch für die "Major/Minor-Lösungen", bei denen das Hauptfach zwei Drittel oder gar drei Viertel des Studienvolumens ausmachen soll.

Um solche Studiengänge als Fachstudiengänge anbieten zu können, werden mindestens drei Professuren benötigt; Fächer, die ungeachtet der Studierendenzahl mit weniger Professuren auskommen müssen, können sich unter diesen Umständen nur an so genannten Cluster-Studiengängen beteiligen, die auf der Bachelor-Ebene mehrere Fächer zusammenfassen, etwa nach dem Muster: ein Drittel Musikwissenschaft, ein Drittel Kunstgeschichte, ein Drittel Medienwissenschaft. Das heißt aber auch: Der Anteil eines Faches beträgt in einem ohnedies gegenüber der bisherigen Usance verkürzten Studium nur noch ein Bruchteil dessen, was bisher studiert wurde, was auch bedeutet, dass sich beim Übergang zu einem fachbezogenen Masterprogramm dramatische Defizite auftun – denn um die Lücken zu füllen, müsste das Masterprogramm mit der Vermittlung von zusätzlichem Grundlagenwissen belastet werden, was sich seinerseits in einer Art Domino-Effekt auf die in Zukunft ohnedies zeitlich begrenzte Promotionsphase auswirken würde. Dass kleine Fächer durch solche integrierten Studiengänge "gerettet" werden könnten, ist ein kurzsichtiger Traum; es steht wohl eher zu befürchten, dass sie durch derartige Zusammenlegungen mittelfristig marginalisiert und langfristig abgeschafft werden.

Die "Ruperto Carola" ist ein Forschungsmagazin, und es muss die Frage erlaubt, sein, was ein solches Thema aus den Niederungen der Anfängerlehre an dieser Stelle zu suchen hat. Sagen wir es mit Entwicklungen, die andernorts bereits im Gange sind: Um ihre Studiengänge personell besser ausstatten und die Lehre breiter anlegen zu können, hat die Universität Bielefeld beschlossen, kleine Fächer wie die Romanistik zu schließen. Ja, Sie haben richtig gelesen: Romanistik (in Heidelberg immerhin ein Fach mit rund 1400 Studierenden) gilt unter derartigen Auspizien bereits als kleines Fach. Deutlicher kann die Gefahr nicht benannt werden, die den wirklich kleinen Fächern mit wenigen Professuren nach einer relativ kurzen Inkubationszeit droht: Wer nicht mehr lehrt, kann irgendwann auch nicht mehr forschen; wer keine Bachelor-Absolventen produziert, kann seine Master-Studierenden nur von außen holen. Woher aber sollen die Masteraspiranten kommen, wenn niemand mehr Bachelor-Absolventen mit fachspezifischen Qualifikationen entlässt? An diesem Beispiel wird deutlich, wie unmittelbar sich Veränderungen in der Lehre auf die Forschung auswirken.

Alle reden von der Exzellenzinitiative, und damit ist ausschließlich Exzellenz in der Forschung gemeint. Es wäre freilich gut, wenn bei dem Wettbewerb um die Millionen die Erkenntnis nicht verloren ginge, dass exzellente Forschung im ersten Semester ihren Anfang nimmt.

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