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Wortwelten und Klangformen

Ästhetik und Dramaturgie in Ingeborg Bachmanns und Hans Werner Henzes "Prinz von Homburg"

Ästhetik und Dramaturgie in Ingeborg Bachmanns und Hans Werner Henzes  

"Miteinander, und voneinander begeistert, sind Musik und Wort ein Ärgernis, ein Aufruhr, eine Liebe, ein Eingeständnis. Sie halten die Toten wach und stören die Lebenden auf, sie gehen dem Verlangen nach Freiheit voraus und dem Ungehörigen noch nach bis in den Schlaf. Sie haben die stärkste Absicht, zu wirken." Mit diesen Worten zitierte 1959 der Komponist Hans Werner Henze in seinem Vortrag Neue Aspekte der Musik die österreichische Autorin Ingeborg Bachmann und machte damit ihre Worte auch zu seinem Bekenntnis. Henze und Bachmann, beide 1926 geboren, hatten sich 1952 bei einer Tagung der Gruppe 47 kennen gelernt. Seitdem hat sie vor allem das Anliegen, mit ihrer Kunst gesellschaftlich wirken zu können, weit über ein Jahrzehnt hinaus verbunden. Ihre außergewöhnlich fruchtbare Zusammenarbeit sollte sowohl der Literatur als auch der Musikwissenschaft neue Wege eröffnen.

Die musikalische Nachkriegsavantgarde war vor allem durch die Erfahrung des Nationalsozialismus geprägt. Für diese Künstler waren die Mittel sprachlichen und musikalischen Ausdrucks durch den Missbrauch des NS-Regimes besetzt. So war aus der Sicht der Komponisten vor allem die Tonsprache etwa von Richard Wagner, Anton Brucker oder Franz Liszt untrennbar mit der faschistischen Vergangenheit verknüpft, unter anderem durch die Inanspruchnahme der Nazis von konkreten Stücken in Situationen des öffentlichen Lebens. Diesem daher "verbrauchten" Material begegneten viele Komponisten mit Misstrauen; sie schienen sich folglich von jeglicher subjektiver Ausdrucksgeste abzuwenden. Anders gestaltete sich die poetisch-musikalische Herangehensweise von Bachmann und Henze. Auch ihnen ging es um Vergangenheitsbewältigung nach 1945, sie setzten sich allerdings für einen ungebrochenen Anschluss an die klassische Moderne ein, um mit ihrer Kunst eben jene direkte gesellschaftliche Wirkung entfalten zu können. Gerade Henzes musiksprachliche, ausdrucksorientierte Ästhetik bemüht sich um Kommunikation mit dem Publikum durch ihren starken Bezug zur Tradition. Ein Zeugnis dessen ist die 1960 uraufgeführte Oper Der Prinz von Homburg nach Heinrich von Kleist, zu der Bachmann das Libretto schrieb und Henze die Musik.

Diese Konstellation kann nur aus interdisziplinärer Perspektive begriffen werden. Methodisch wendet sich die Untersuchung dieser Nachkriegsoper nicht nur an die noch junge Librettoforschung in den Literaturwissenschaften, sondern auch an die Opernforschung in der Musikwissenschaft: Die Analyse von Operntexten, die so genannte Librettoforschung, steht als junge Disziplin noch am Anfang und hatte bisher keine konsequente, überzeugende Methodik vorzuweisen; eine solche wurde nun anhand von Bachmanns und Henzes gemeinsamer Oper entwickelt.

Bei der Betrachtung der bisherigen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Libretto bietet sich folgendes Bild: Zuerst wurde der Operntext als nichtliterarische Gattung von der Musikwissenschaft nahezu ausschließlich als Rahmen für die Musik und damit nur marginal betrachtet. Vergleichbar verfuhr auch die Literaturwissenschaft: Auch hier schienen Operntexte wegen ihrer angeblich geringen literarischen Qualität zunächst nicht erforschenswert. Doch seit rund zwei Jahrzehnten findet in dieser Hinsicht ein allmählicher Perspektivenwechsel statt, mit dem die "Entdeckung" der Operntexte für die Literaturwissenschaft verbunden ist. 1998 wurde die erste zusammenfassende literaturwissenschaftliche Darstellung des Librettos als Gattung publiziert, die ihrerseits aber die Bedeutungsdimension der Musik wiederum völlig außer Acht lässt. Seitdem sind von literaturwissenschaftlicher Seite viele Arbeiten zur Librettoforschung entstanden, die sich allerdings durchgehend ausschließlich mit dem Text beschäftigen. Nun kann aber ein Text, der auf das Zusammenwirken mehrerer Medien hin konzipiert ist, nicht ohne Einbeziehung aller Bedeutungsebenen, also Text, Musik und Szene, untersucht werden. Operntexte sind fast immer so angelegt, dass sie Bedeutungsräume für die später hinzutretende Musik in sich tragen. Das Libretto ist also kein eigenständiges Werk, sondern ein Teil des Kunstwerks Oper – eine Textvorlage zur Vertonung – und bedarf folglich einer interdisziplinären Herangehensweise.

In Ingeborg Bachmanns Nachlass liegen zahlreiche, teilweise bisher unbekannte Dokumente ihrer Librettoästhetik, in denen die Librettistin die im methodischen Teil der Arbeit allgemein formulierten Thesen zur Poetologie eines Librettos bestätigt: Die Operntextautorin begreift ihre Libretti selbst immer wieder als auf verschiedene Art und Weise unfertige Texte, die erst zusammen mit der Musik zu einem vollständigen Werk werden. Weitere musikästhetische Texte Bachmanns, deren musikhistorische Implikationen bisher von der Germanistik nicht erfasst wurden, erhalten – vor dem Hintergrund der Diskussionen um die Avantgarde der Neuen Musik in den 1950er Jahren gelesen – völlig neue Dimensionen. Bachmann erweist sich hier als Kennerin der aktuellen kompositionstechnischen Debatten ihrer Zeit: Sie erörtert das Problem von Vertonungen im traditionellen Sinne im Kontext der damals aktuellen elektronischen und seriellen Musik.

Der Hauptteil der Arbeit beschäftigt sich mit der Analyse der Henze-Bachmann-Oper. Sie geht dem dreifachen Rezeptionsschritt Stoff-Libretto-Musik-Szene entsprechend, zunächst von den ambivalenten Rezeptionsmöglichkeiten der Kleist'schen Stoffvorlage aus. Prinz Friedrich von Homburg war vor allem im Wilhelminismus und der Zeit des Nationalsozialismus politischem Missbrauch ausgesetzt, barg daher bei seinen Wiederaufführungen nach 1945 starken politischen Sprengstoff in sich. In Bachmanns Libretto findet eine starke inhaltliche Akzentverschiebung vom Militärischen zum Humanen statt. In der spezifischen Rezeptionssituation um 1960, in der für viele Zuschauer das Kleist-Drama noch mit den verfälschenden Inszenierungen der NS-Zeit im Sinne der Führerideologie verknüpft war, erscheint diese Verschiebung unumgänglich – schon die Stoffwahl an sich stellte ein Politikum dar. Der Komponist interpretiert das Libretto seinerseits in der Anordnung des musikalischen Materials: Er gestaltet zwei kontrastierende Welten in seiner Musik, fast alle Kompositionstechniken werden vorrangig im Dienste dieses Dualismus eingesetzt. Dies geschieht auch durch den einem Autorkommentar vergleichbaren Einsatz von Tonartencharakteristik oder Motivdurchführungen durch die Oper. Gleichzeitig lässt sich anhand der musikalischen Analyse Henzes Positionierung zu den damals aktuellen musikästhetischen Debatten erkennen: Er weist Kompositionstechniken – etwa im Klangbild des Serialismus – oder aber tonale Relikte durch das Erklingen in bestimmten szenischen Kontexten spezifischen Personengruppen oder "Welten" zu. Die Welt der träumerischen Identifikationsfigur Prinz Friedrich wird mit sanglicher, melismatischer, traditionsverbundener Musik ausgestattet – die des Gesetzes unter anderem durch Zwölfton- und serielle Musik. Henze trifft dabei einerseits Aussagen über die Kompositionstechniken oder das musikalische Material selbst, gleichzeitig aber auch über seine Interpretation des Operntextes. Er verknüpft hier also ästhetische Kategorien mit politischen.

Neben der Erarbeitung einer Methode zur Librettoanalyse im Rahmen einer interdisziplinären Opernforschung erschließt sich so anhand von Bachmanns und Henzes Ästhetik und Dramaturgie ein Panorama der kompositorischen und literarischen Situation in der Bundesrepublik in den 1950er Jahren.

Autorin:
Dr. Antje Tumat
Musikwissenschaftliches Seminar
Augustinergasse 7, 69117 Heidelberg
Telefon: (0 62 21) 54 28 08
E-Mail: antje.tumat@zegk.uni-heidelberg.de

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