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Ruprecht-Karls-Preis

Mit dem Ruprecht-Karls-Preis werden alljährlich die fünf besten Dissertationen der Universität Heidelberg ausgezeichnet. Professor Paul Kirchhof stellt die Preisträger des Jahres 2004 vor und erläutert die Besonderheiten ihrer hervorragenden Arbeiten, die eine Gemeinsamkeit haben: Jedem der jungen Wissenschaftler ist es gelungen, die Grenzen ihrer jeweiligen Fachdisziplin zu überschreiten.

Wenn die Jury des Ruprecht-Karls-Preises jedes Jahr wieder mit wissenschaftlicher Neugierde auf die von den Fakultäten eingereichten Spitzendissertationen wartet, um aus den besten Promotionen der Fakultäten die fünf besten der Universität auszuwählen, fragen wir stets mit Spannung, welche Besonderheiten die einzelne Arbeit aus der Vielfalt der Schriften unserer Nachwuchswissenschaftler hervorheben. Die Antwort für das Jahr 2004 war eindeutig: Ausgezeichnet wurden junge Wissenschaftler, die jeweils die Grenzen ihrer Fachdisziplin überschritten und Forschungslinien von einem zum anderen Fach zogen.

Konkret geht es um Medizin, um Archäologie, Geschichte und Kulturwissenschaften, um Sprache und Musik, um Chemie und Molekülphysik und um die physikalische Erforschung winziger Energieträger, die das Universum erschließen sollen. Inhaltlich führen uns die Preisträger in die Ethik der Menschenversuche, in die frühmittelalterliche Stadt, in die Oper mit ihrer Sprache und Musik, in die Welt röhrenförmiger Nanostrukturen und in die Tiefe von Temperaturen wenige Tausendstel Grad über dem absoluten Nullpunkt.

Dr. Andreas Reuland, ein Arzt, untersuchte die Menschenexperimente in der Weimarer Republik, also in der Zeit zwischen 1919 und 1933. Preußen hatte in einem Erlass aus dem Jahre 1900 die Zulässigkeit von Menschenversuchen deutlich eingeschränkt. Diese Regelung hat die Experimentierbereitschaft der Forscher jedoch kaum beeinflusst. Die forschenden Ärzte hatten damals wenig Verständnis für ein Selbstbestimmungsrecht der Patienten, haben sich oft auch nach damaligem Recht wegen Körperverletzung strafbar gemacht, weil sie die Gesundheit der Patienten schädigten und deren Einwilligung meist fehlte. Eine Dokumentation der Aufklärung der Probanden unterblieb fast immer, Minderjährige wurden ohne Erlaubnis der Eltern zu Versuchen verwendet. Die Mehrheit der Probanden entstammte der Unterschicht.

Kritik konnte die öffentliche Diskussion kaum beeinflussen. Zu Beginn des Nationalsozialismus war deshalb in der wissenschaftlichen Diskussion und in der ethisch-rechtlichen Unsensibilität das Terrain zumindest der Leichtfertigkeit bereitet, dessen Auswirkungen wir heute kennen.

Im Ergebnis führt die Arbeit den historisch erklärenden Rückblick über die Phase eines Tiefpunktes unserer Geschichte hinaus in die Entwicklung von wissenschaftlicher Ethik und medizinisch-biologischer Praxis zu Beginn des 20. Jahrhunderts, sucht damit die Verantwortlichkeit nicht nur bei politischen Akteuren, sondern auch bei den wissenschaftlichen Meinungsführern. Die Arbeit erzwingt Nachdenklichkeit: Zur Reflexion über das vermeintlich Alltägliche und Selbstverständliche, zum Bewusstsein eines Erneuerungsauftrags, zum langfristigen Entwickeln von Rechtsmaßstäben auch in unserer Gegenwart der Bioethik und der technisiert mächtigen Medizin. Die Arbeit wurde von Professor Dr. Wolfgang Eckart betreut.

Dr. Anette Haug widmete sich in ihrer Dissertation – eine Doppelpromotion an den Universitäten Heidelberg und Paris IV Sorbonne – dem politischen, sozialen und kulturellen Leben in der Stadt während des Übergangs von der Spätantike zum christlichen Mittelalter. Fünf verschiedene Städte in Oberitalien, von Mailand bis zum kleinen Aosta, werden als Lebensorte von Menschen begriffen, die als Raum für die Verwirklichung geistesgeschichtlich geprägter Lebensstile dienen. Der Stadtraum repräsentiert ein Bild von Bedürfnissen, Wünschen und Zwängen, die das Leben bestimmen. Der tiefgreifende Wandel der norditalienischen Städte zwischen dem 3. und 6. Jahrhundert beruht -abgesehen von äußeren Zerstörungen – vor allem auf den Kirchen, die für immer mehr Menschen einen Lebensmittelpunkt bildeten. Die dem weltlichen Luxus konzeptionell entgegengesetzte spirituelle Weltdeutung des Christentums lässt Kirchenbauten entstehen, aber auch Bauten für karitative Dienste. Mit der Kompetenzverschiebung von den städtischen Organen zu den Provinzverwaltungen verlieren die Forumsplätze an Bedeutung. Hausherren und bestimmte Gruppen stellen sich in Statuen dar, einige christliche Stifter verzichten auf Skulptur und Inschrift. Auch Veränderung in der Landwirtschaft und der Wandel des überregionalen Handelssystems werden in Bauten sichtbar.

Die Entwicklung der Mauern und Straßen, der Wassersysteme und öffentlichen Zentren, der Heiligtümer und der Friedhöfe, der Freizeitanlagen und der Siedlungsräume zeigen, dass die einzelne Stadt doch eher eine stadteigene und situationsabhängige Entwicklung nimmt, es den Typus der spätantiken Stadtgeschichte nicht gibt.

Ein detaillierter Katalog, eine Bibliographie, auch anschauliche Stadtpläne und Tafeln erläutern die Aussagen des Gesamtwerkes. Verdienst und Stärke der Arbeit liegen in einer zugleich archäologischen, historischen und kulturwissenschaftlichen Analyse nahezu aller Funktionsbereiche einer Stadt. Die Geschichte ist auch hier in der Lage, uns für die Gegenwart Lebensklugheit zu vermitteln. Der betreuende Doktorvater war Professor Dr. Hölscher.

Dr. Antje Tumat untersuchte in ihrer Arbeit "Ästhetik und Dramaturgie" das Zusammenwirken der Dichterin Ingeborg Bachmann und des Komponisten Hans-Werner Henze bei der Einrichtung der Oper "Der Prinz von Homburg". Ihr Grundthema ist die Wechselwirkung zwischen Sprache und Musik, repräsentiert durch Bachmann und Henze. Dabei beobachtet Antje Tumat, dass die Musik die Sprache verändern, die Sprache die Musik beeinflussen kann. Das Libretto zeichnet sich gerade dadurch aus, dass es durch semantische Leerstellen und eine musikbewusste Formgebung Interpretationsräume für die Musik schafft. Das negative Schweigen -so sagt Ingeborg Bachmann- wäre Agnostizismus, das positive Schweigen ist Mystik. Der Bereich des Mystischen und Unsagbaren wird der Kunst zugewiesen: "Ein Kunstwerk argumentiert nicht".

Die Arbeit zeigt, wie Bachmann durch Kürzungen den Kleist-Text unvollständig macht, Henzes Musik sie sodann mit vergleichbaren Inhalten füllt. Sprache und Musik vermitteln im Zusammenwirken die Umbrüche in der Figur des Prinzen von Homburg, vom heimkehrenden Sieger zum heimlichen Angeklagten, von der Sicherheit einer Traumgewissheit in die vollkommene Verlorenheit einer kreatürlichen Todesangst. Henze folgt dem künstlerischen Anliegen, die Sprachähnlichkeit der Musik zu vermitteln. Für Bachmann war die Musik das Medium, das die unzulängliche und "verschuldete" Sprache retten und zu neuen utopischen Momenten der Wahrheit führen konnte. Bachmann bewege sich zwischen Sprachskepsis und Sprachhoffnung, zwischen Sprachverzweiflung und Sprachutopie.

Wir lesen diese Arbeit in ihrem sprachlichen Stil mit Vergnügen, folgen ihr in ihrer Gedankenführung mit Neugierde, erleben gelegentlich ein Bewusstmachen des bisher nur Erspürten oder Erahnten, aber noch nicht begrifflich Erfassten, bewundern die Sicherheit der Autorin in Musik und Dichtung. Betreut wurde die Arbeit von Professor Silke Leopold, Zweitgutachter war Professor Dieter Borchmeyer, der sie literaturwissenschaftlich begleitet hat.

Dem Chemiker Dr. Daniel Werz gelang es mit seiner Dissertation über "Elektronenreiche Alkin-Systeme -Synthese, Struktur und Reaktivität", in einem ausgeklügelten Syntheseverfahren neuartige ketten- und ringförmige Moleküle aus Kohlenstoffatomen herzustellen. Er arbeitet in einer der wichtigsten Zukunftstechnologien unseres Jahrhunderts, der Nanotechnologie, die Materialien erforscht und nutzt, deren kleinste Bausteine in ihren neuartigen Eigenschaften und Funktionen erschlossen werden. Die Arbeit schlägt eine Brücke zwischen Chemie und Molekülphysik.

Diese Nanostrukturen können einerseits durch Aufbrechen und Zerteilen größerer, makroskopischer Teilchen erzeugt, andererseits auch aus kleineren, molekularen Bausteinen gezielt aufgebaut werden. Hier setzt die Forschung von Daniel Werz an. Beim Untersuchen der Molekülstrukturen im Festkörper durch Röntgenbeugung an Kristallen fand er röhrenförmige Strukturen. Die Röhren entstanden dadurch, dass sich die ringförmigen Moleküle übereinander lagerten. Der Forscher war fasziniert von dieser Beobachtung und ging dieser unerwarteten Ordnung wissenschaftlich auf den Grund. Dabei zeigte sich, dass die Atome benachbarter Röhren eine Zick-Zack-Kette bilden, sich gleichsam wie ein Reißverschluss ineinander verzahnten.

Damit hat diese Doktorarbeit erstmals den Zugang zu molekular aufgebauten, röhrenförmigen Nanostrukturen erschlossen, die nicht nur von Wasserstoffbrücken zusammengehalten werden, wie wir es von Harnstoffverbindungen oder Zuckerderivaten kennen.

Dieses Aufstoßen eines neuen Fensters erlaubt einen Blick in einen bisher unbekannten Garten, der von den Wissenschaftlern als "wahre Goldgrube" verstanden wird. Die Arbeit verlangt großes experimentelles Geschick.

Viele Versuche mit diesen licht-, oft auch luftempfindlichen, teilweise gar explosiven Verbindungen mussten im Halbdunkel mit besonderer Vorsicht unternommen, in phantasiereicher Fragestellung erschlossen, methodisch begleitet und schließlich quantenmechanisch berechnet werden. Daniel Werz ist eine Glanzleistung gelungen, die auch seinem Doktorvater, Professor Rolf Gleiter und seinem Forscherteam zugerechnet werden darf.

Dr. Andreas Fleischmann macht sich mit seiner Dissertation "Magnetische Mikrokalorimeter: Hochauflösende Röntgenspektroskopie mit energiedispersiven Detektoren" auf den Weg, durch den Nachweis winzigster Energieeinträge die Entstehung des Universums verständlicher zu machen, also in die kleinsten Einheiten unserer Welt vorzudringen, um die schier unendliche Weite des Kosmos zu verstehen.

Die Dissertation sucht Energie zu messen und entwickelt deshalb einen Kalorimeter, ein Gerät, das die Bewegung eines einfliegenden Objektes vollständig absorbiert und in messbare elektrische Signale umwandelt. Die Größe dieses elektrischen Signals repräsentiert dann die ursprüngliche Energie.

Dieses völlig neue Konzept eines magnetischen Kalorimeters, mit dem winzige Energieeinträge nachgewiesen werden können, baut auf die Fähigkeit einer Heidelberger Forschungsgruppe, die tiefste Temperaturen von wenigen tausendstel Grad über dem absoluten Nullpunkt erzeugen kann. Ein herein fliegendes Teilchen erwärmt durch seine Absorption ein ultrakaltes Material, das daraufhin seine magnetischen Eigenschaften ändert. Diese Änderungen werden nun registriert und in Messeinheiten erfasst, die sich besonders gut für den Nachweis kleinster Änderungen im magnetischen Fluss eignen. Diese neue Methode zur Energiemessung von Röntgenstrahlungen erreicht eine Schärfe, die alle bisherigen kalorimetrischen Detektoren für Röntgenstrahlung übertrifft.

Die Ergebnisse erlauben faszinierende Anwendungsperspektiven in der Materialforschung, der Untersuchung von Röntgenstrahlen kosmischen Ursprungs, damit zukünftiger Satellitenexperimente. Die Experten verstehen die Arbeit als den weltweit besten Ansatz. Die Arbeit wurde von Professor Christian Enns betreut.

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