Siegel der Universität Heidelberg
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Felsinschriften für die Ewigkeit

Vor einigen Jahren entdeckte ein Schäfer in einem abgelegenen chinesischen Tal eine der wichtigsten Gruppen buddhistischer Steininschriften. Heidelberger Studierende haben die etwa 40 Inschriften mittlerweile gemeinsam mit chinesischen Spezialisten dokumentiert. Lothar Ledderose vom Kunsthistorischen Institut beschreibt spannend die historischen Hintergründe und erklärt die geheimnisvollen Inschriften – in Stein gehauene Zeugen einer lange vergangenen Zeit.

Felsinschriften für die Ewigkeit
Die kleineren Inschriften sind auf den zerklüfteten Felsen nur schwer zu erkennen. Erst die Abreibung mit Tusche und Papier macht sie sichtbar.

Man schrieb das Jahr 578. Kaiser Wu der Nördlichen Zhou-Dynastie hatte gerade sein Nachbarreich, das der Nördlichen Qi-Dynastie, überwältigt. Der Potentat war bereits im eigenen Land als Buddhistenverfolger gefürchtet. Nun ließ er fünfhundert prominente Mönche aus Qi zusammenrufen und vor seinem Thron Aufstellung nehmen. Dann erklärte er ihnen seinen unabänderlichen Willen, ihre Sutren zu verbrennen, ihre Kultbilder zu zerstören und ihren Glauben auszurotten. Die Mönche erbleichten und wagten nicht, sich zu rühren. Tränen standen ihnen in den Augen. Dann gab der Kaiser Befehl, die 40 000 Klöster im Staate Qi aufzulösen und die drei Millionen Mönche und Nonnen in den Laienstand zurückzuführen. Die meisten Mönche wurden zum Militärdienst eingezogen, das Vermögen der Kirche fiel dem Staat anheim.

Schriftzeichen  auf dem Hang des chinesischen Berges Hongdingshan
Die nach ihrer Entdeckung weiß eingefärbten Schriftzeichen sind auf dem Hang des chinesischen Berges Hongdingshan schon von weitem zu sehen. Die Zeile mit den bis zu viereinhalb Meter breiten und insgesamt über zehn Meter hohen Zeichen bedeutet "Buddha, König der großen Leere".

Im Jahre 578 war das chinesische Reich bereits über dreieinhalb Jahrhunderte lang in mehrere Teile zerbrochen, die Nördlichen und die Südlichen Dynastien. Die Zhou-Dynastie und die Qi-Dynastie gehörten beide zum Norden. Alle Kaiser der rivalisierenden Dynastien hofften natürlich, das Reich wieder vereinigen zu können und Alleinherrscher unter dem Himmel zu werden. In ihren Kalkülen spielte der Buddhismus eine kritische Rolle. Der Zhou-Kaiser war überzeugt, dass die fremde Religion der politischen Vereinigung im Wege stünde; andere Kaiser glaubten, dass der Buddhismus der endgültigen Vereinigung förderlich sein könnte, insbesondere da er im Süden wie im Norden des Landes gleichermaßen Anhänger hatte.

Die historische Situation war derjenigen am westlichen Ende des Eurasischen Kontinents durchaus ähnlich. Das Imperium Romanum und das Imperium der Han-Dynastie (206 v. Chr. – 220 n. Chr.) waren vergleichbar in ihrer territorialen Ausdehnung, der Zahl ihrer Bevölkerungen und in vielen Merkmalen ihrer Zivilisation. Der Zusammenbruch der beiden Kaiserreiche seit dem dritten, vierten Jahrhundert n. Chr., jeweils zunächst in zwei große Teile, war beide Male wesentlich verursacht durch Wanderungen von Völkern aus dem Inneren Asiens. In beiden Fällen wurde eine von außen gekommene, dezidiert metaphysisch ausgerichtete Weltreligion, hier das Christentum, dort der Buddhismus, zu einem wesentlichen Faktor im politischen Kräftespiel. Auch römische Kaiser verfolgten die Gläubigen gnadenlos bis in die Katakomben, aber es gab auch einen Konstantin, dem der Sieg im Zeichen des Kreuzes verheißen wurde: "In hoc signo vinces!"

Prof. Lothar Ledderose, der Autor des Beitrags, und seine chinesichen Kollegen auf den monumentalen Schriftzeichen.
Zu Fuß begehbar: Prof. Lothar Ledderose, der Autor des Beitrags, und seine chinesichen Kollegen auf den monumentalen Schriftzeichen.

Schon lange bevor Kaiser Wu von Zhou die Mönche aus Qi zu sich zitierte, waren sich diese der lebensbedrohenden Gefahren für sich und ihre Lehre bewusst. Eine ihrer Strategien angesichts dieser Situation war es, die Quintessenz ihrer Schriften unter freiem Himmel in den gewachsenen Fels zu meißeln, wo sie zum Teil schon von weitem sichtbar waren und auch eventuelle Verfolgungen überdauern würden. Damit griffen die Buddhisten eine säkulare Tradition von Steininschriften in China auf. Bereits der Erste Kaiser hatte seine Reichseinigung von 221 v. Chr. in Inschriften auf steinernen Stelen dokumentieren und feiern lassen. Vier der sieben Berge, auf denen er seine Stelen aufstellen ließ, befinden sich in der heutigen Provinz Shandong, im späteren Gebiet der Qi-Dynastie. Die Buddhisten des 6. Jh. n. Chr. meißelten ihre religiösen Texte jedoch nicht mehr auf Stelen, sondern in den gewachsenen Fels und verwandelten damit das ganze Land in ein Reich des Buddha.

Im Reich des Buddha

Felsinschriften für die Ewigkeit


Felsinschriften für die Ewigkeit


Eine der wichtigsten Gruppen von buddhistischen Felsinschriften wurde vor einigen Jahren von einem Schäfer in einem abgelegenen Tal an den Hängen des Berges Hongdingshan, östlich vom Dongping-See entdeckt. Eine im Frühjahr 2004 mit Heidelberger Studenten und chinesischen Spezialisten durchgeführte Kampagne galt der Dokumentation der etwa 40 Inschriften. Drei Gruppen lassen sich unterscheiden. Die erste Gruppe sind monumentale, von weitem sichtbare Namen von Buddhas. Bekanntlich gibt es ja eine astronomische Zahl von Buddhas, je einen für die zahllosen Weltzeitalter und Räume des Weltalls. Der Buddha unseres Weltzeitalters war Gautama, der um 500 v. Chr. in Indien lebte und wirkte. Die Zeile mit den vier bis zu viereinhalb Meter breiten Schriftzeichen "Buddha, König der großen Leere" ist über zehn Meter hoch. Nach ihrer Entdeckung wurden die Schriftzeichen weiß eingefärbt und waren dann schon von weitem zu sehen. In der Gestalt dieser kolossalen Schriftzeichen ist die religiöse Potenz der Buddhas aus fernen Zeiten und Räumen im Tal von Hongdingshan konzentriert. Mit ihrer Präsenz beschützen sie die Gläubigen und das Land. Bemerkenswerterweise ist einer der Buddhanamen der einer Frau. Das ist zwar nach buddhistischer Dogmatik gar nicht möglich, aber hier ist der Name mit Händen zu greifen und straft alle Dogmatiker Lügen.

Felsinschriften für die Ewigkeit


Die zweite Gruppe von Inschriften am Hongdingshan sind Passagen aus den heiligen Schriften. Sie handeln von der Natur des Buddha. Hier sind die Schriftzeichen kleiner, sie messen um die 40 mal 40 Zentimeter, und sie sind auch nicht so tief in den Stein eingesenkt. Die Abbildung auf Seite 7 (oben) zeigt eine solche Passage. Vor dem leicht konkav geformten Schriftfeld gibt es einen flachen, natürlichen Sitz im Felsgestein. Es war vermutlich eine Stätte der geistlichen Übung. Hier meditierten die Mönche vor dem erkenntnistheoretischen, paradoxen Text über die Begrenztheit menschlichen Denkens und über das Wesen des Buddha. Dieses besteht in der vollkommenen Weisheit, die sich aber eigentlich nicht in Worte fassen lässt:

Felsinschriften für die Ewigkeit

Der Buddha sprach: Die vollkommene Weisheit ist ohne Grenze und ohne Ende, ohne Namen und ohne Merkmal, sie ist unausdenkbar, ist ohne Bezugspunkt und ohne Ort, ohne Sünde und ohne Gnade, ist ohne Finsternis und ohne Helligkeit. Sie ist wie das Dharma-Reich, das keine Unterscheidung kennt, aber auch keine zahlenmäßige Beschränkung. Das ist es, was man "vollkommene Weisheit" nennt. Es wird dies auch die Stätte der Übung eines Bodhisattva-Mahasattva genannt. Die Stätte der Nicht-Übung und die Stätte der Nicht-Nicht-Übung, beide gehen ein in das Eine Fahrzeug. Das wird genannt "Stätte der Nicht-Übung". Warum ist das so? Weil es kein Denken und kein Handeln gibt.

Mit derartigen, radikalen Verweisen auf eine Wirklichkeit jenseits der menschlichen Vorstellungskraft trotzten die Mönche der politischen Wirklichkeit ihrer Zeit. Sie waren sich sicher, dass ihre felsenfesten Inschriften die Fährnisse der Zeit und alles Leid überdauern würden.

Bei der Entzifferung der Passagen aus den buddhistischen Schriften ist neuerdings ein probates Instrument hinzugekommen, nämlich die elektronische Erfassung von circa 50 Millionen Zeichen des buddhistischen Kanons auf CD-Rom. Im Feld haben wir stets ein Notebook mit dieser Diskette dabei. Auch wenn nur Bruchteile der verwitterten Texte lesbar sind, haben wir gute Chancen, sie mit der Suchfunktion zu finden und mit anderen Textversionen vergleichen zu können. In einer Höhle in Quyang in der Provinz Hebei konnten wir so die früheste bekannte Version eines Sutras identifizieren.

Felsinschriften für die Ewigkeit


Bei der dritten Gruppe in Hongdingshan handelt es sich um historische und narrative Inschriften, in denen die Mönche über sich und ihre Arbeit sprechen. Hier erfahren wir zum Beispiel von einem indischen Missionar namens Fahong, der in den üblichen historischen Quellen überhaupt nicht erwähnt ist. Die Inschrift eröffnet eine neue Perspektive auf die Beziehungen zwischen der Qi-Dynastie und dem Mutterland des Buddhismus. In den historischen Inschriften findet sich auch eine Datierung 564 n. Chr.

Die Schriftzeichen in dieser Gruppe sind noch kleiner, noch weniger tief eingemeißelt, und daher auch am stärksten verwittert und am schwersten zu lesen. Diese lokalen narrativen Dokumente wurden nicht in den buddhistischen Kanon aufgenommen und sind deshalb auch nicht auf unserer CD zu finden. Das ist natürlich bedauerlich, da gerade diese Texte von besonderem historischen Interesse sind.

Abreibung einer Felsinschrift
Die kleineren Inschriften sind auf den zerklüfteten Felsen nur schwer zu erkennen. Erst die Abreibung mit Tusche und Papier macht sie sichtbar.

Die Abbildungen auf den Seiten 6 und 7 können die Schwierigkeiten beim Entziffern illustrieren. Für das ungeübte Auge sind die Inschriften auf den Felsen nur schwer zu erkennen. Erst die Abreibung mit Tusche und Papier macht die Zeichen gut sichtbar (siehe Abbildung auf Seite 4 und 7 unten). In diesem Fall haben wir Glück. Alle Zeichen sind zumindest noch so gut erhalten, dass sie eindeutig identifiziert werden können. Es handelt sich um ein Wortspiel mit den jeweils zweiten Zeichen des aus vier Zeichen bestehenden Doppelnamens des Mönches Sengan Daoyi. Die beiden Zeichen bedeuten "Ruhe (an)" und "eins (yi)". Das Layout der Steininschrift lässt die symmetrischen Strukturen im Text nicht erkennen, sie werden jedoch im Computer-Layout deutlich 

Stele von Herrn An
Der große Mönch Sengan.
Er findet keine Ruhe in dem, was man für Ruhe hält,
er findet Ruhe in dem, was man nicht beruhigen kann.
Der Große Daoyi
Er findet nicht das Eine in dem, was man für das Eine hält,
er findet das Eine in dem, was man nicht einen kann.
Er findet keine Ruhe in dem, was man für Ruhe hält,
weil er nicht das für Ruhe hält, was man beruhigt.
Indem er für Ruhe hält, was man nicht beruhigt,
kann er Ruhe finden in dem, was ruhig ist.
Er findet nicht das Eine in dem, was man für das Eine hält,
weil er nicht das für das Eine hält, was man eint.
Indem er für das Eine hält, was man nicht eint,
kann er das Eine finden in dem, was eins ist.
Der Vers lautet:
Weil er die Ruhe findet, kann er einen,
weil er das Eine findet, kann er beruhigen.
Die Ruhe eint, das Eine ruht.
Eingemeißelt in den Fels. 1620 Jahre, nachdem der Buddha unter den Zwillingsbäumen (ins Nirvana einging).

Das Beispiel illustriert auch unsere Vorgehensweise in Dokumentation und Analyse. Wir dokumentieren jede Inschrift sozusagen auf vier Ebenen: gemeißelter Fels, Abreibung, chinesische Umschrift und Übersetzung.

Die Steininschrift lässt die symmetrische Struktur der Texte nicht erkennen, im Computer-Layout wird sie jedoch deutlich.
Die Steininschrift lässt die symmetrische Struktur der Texte nicht erkennen, im Computer-Layout wird sie jedoch deutlich.

Hinzu kommt eine exakte topographische und geodätische Vermessung. Junge Spezialisten unter Leitung von Professor Günter Hell von der Fachhochschule in Karlsruhe erstellen eine virtuelles Modell des Tales von Hongdingshan. Das Modell erlaubt es, die Inschriften aus jedem Winkel in ihrer dreidimensionalen Gestalt auf der Felsoberfläche zu betrachten. Man wird alle Maße abfragen können, von der Größe der einzelnen Zeichen, dem Abstand der Inschriftenfelder untereinander bis hin zu ihrer Entfernung über das Tal hinweg. In das Modell sollen auch die anderen Ebenen der Dokumentation, also die Fotos der Abreibungen, die chinesischen Texte und die Übersetzungen integriert werden.

Für das kommende Frühjahr planen wir, falls die Finanzierung gelingt, eine Kampagne zu sechs Bergen in der Umgebung der Stadt Zoucheng, ebenfalls in der Provinz Shandong, aber etwa 50 Kilometer weiter südlich gelegen. Auf einem der Berge, dem Gangshan, ist auf einem Areal von etwa einem Quadratkilometer ein fortlaufender Text auf Felswände und riesige Felsblöcke gemeißelt. Während der Gläubige im Tal hinaufschreitet, liest er die Beschreibung des Weges, auf dem der Buddha seinerzeit wandelte. Oben angekommen findet sich der Pilger dann in einem natürlichen Amphitheater, in dem der Text auf den verstreuten Felsblöcken die Anwesenheit des Buddha und anderer Heilsgestalten beschwört. Der Gläubige sieht sich in ihre Mitte aufgenommen.

Die Geschichte mit Kaiser Wu von Zhou fand schließlich doch noch ein glimpfliches Ende, wenn man den buddhistischen Historikern glauben darf. Noch kein Jahr war vergangen, nachdem der Kaiser die Mönche von Qi vor seinem Thron hatte Aufstellung nehmen lassen, als er von einem bösen Aussatz befallen wurde. Keine Medizin konnte ihn heilen, und er starb innerhalb von sieben Tagen. Sein Nachfolger nahm zwar sofort die schärfsten antibuddhistischen Maßnahmen zurück, aber schon im folgenden Jahr brach die Dynastie zusammen, überwältigt von der pro-buddhistischen Sui-Dynastie. Nach weiteren neun Jahren, 589, eroberte der Sui-Kaiser auch den gesamten Süden des Reiches. Damit gelang ihm, was den west- und oströmischen, und allen späteren Kaisern im Abendland nie mehr gelingen sollte, nämlich das Imperium wieder zu einen. Der chinesische Kaiser hatte den Buddhismus auf seine Fahnen geschrieben und verdankte seinen Erfolg wesentlich der Tatsache, dass er den Klerus des Südens auf seiner Seite hatte. Gleich nach seiner Thronbesteigung erließ er ein Edikt, das jedermann im neuen Reich verpflichtete, dem Buddha eine kleine Münze zu spenden, damit die Qualen des Kaisers Wu von Zhou in der Hölle gelindert würden.

Unter der Sui-Dynastie begann dann auch das größte Steinschriftenprojekt der Weltgeschichte. Mönche im Kloster Yunjusi südlich von Beijing setzten sich das Ziel, die gesamten Texte des buddhistischen Kanons einzumeißeln. Sie arbeiteten jedoch nicht mehr auf dem gewachsenen Fels, sondern auf steinernen Tafeln. Nach über einem halben Jahrtausend hatten sie insgesamt etwa 25 Millionen Schriftzeichen auf fünfzehntausend Tafeln gebracht, die sie alle unter der Erde vergruben. Dort sollten die Steine die Katastrophen der Endzeit überdauern und den Menschen des zukünftigen Weltzeitalters von der Lehre des Buddha künden. Doch das ist eine andere Geschichte.

Autor:
Prof. Dr. Lothar Ledderose,
Kunsthistorisches Institut (Ostasiatische Kunstgeschichte),
Seminarstraße 4, 69117 Heidelberg,
Telefon (0 62 21) 54 23 50,
e-mail: ledderose@gw.sino.uni-heidelberg.de

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