Siegel der Universität Heidelberg
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Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,
es war einmal eine Studentin aus Taiwan, die wollte in einem Orchideenfach an der Universität Heidelberg promovieren. Mit einem Stipendium der Landesgraduiertenförderung, kurz LGF, konnte sie ihr Vorhaben zu Ende bringen. Heute ist sie in ihrer Heimat Dozentin an einem College. Im Doktorandenkolloquium ihres Studienfaches, das wöchentlich stattfand, saß sie manchmal neben einem deutschen Kommilitonen, der mit dem gleichen Stipendium an seiner Dissertation arbeitete. Auch diese Dissertation mündete in eine Promotion, und der Student ist heute Wissenschaftlicher Assistent an einer anderen Universität. Die beiden Arbeiten hatten thematisch nichts miteinander zu tun; es waren selbst gewählte, individuelle und jeweils aus der eigenen Studierbiographie erwachsene Themen; dennoch – oder gerade deswegen – profitierten beide von den Rückfragen und Diskussionen im Kolloquium sowohl in methodischer wie auch in inhaltlicher Hinsicht. Und für beide bedeutete das Stipendium der Landesgraduiertenförderung den Einstieg in eine akademische Karriere.

Dies sind nur zwei der zahllosen Erfolgsgeschichten, die mit der Landesgraduiertenförderung verbunden sind. In den vergangenen Jahren haben Hunderte von Doktoranden mit einem solchen Stipendium ihre Promotion vorangetrieben und, sei es während der Förderzeit oder erst danach, abgeschlossen. Und auch die Noten für Dissertationen und Promotionen ergeben eine blendende Bilanz: Die überwältigende Mehrheit der geförderten Kandidatinnen und Kandidaten schloss mit der Note "magna cum laude" oder gar "summa cum laude" ab. Die vom Senat gewählte LGF-Auswahlkommission machte keinen Unterschied zwischen Inländern und Ausländern, zwischen Geistes- und Naturwissenschaftlern; bei der Begutachtung zählte allein die Qualität des Projekts und die des Antrags. Die Stipendien waren nicht hoch, aber auskömmlich; und wenn die Zahl der geförderten Geisteswissenschaftler insgesamt etwas höher war als die der Naturwissenschaftler, so lag dies vor allem daran, dass Naturwissenschaftler verschiedene andere Möglichkeiten der Finanzierung ihrer Promotionszeit hatten (und oft attraktivere, weil deutlich höher dotierte), während die Landesgraduiertenförderung für die Geisteswissenschaftler die wichtigste, wenn nicht gar oft die einzige Fördermöglichkeit darstellte.

Nach dem Willen der Wissenschaftsbürokratie ist es mit der Förderung von Individualpromotionen nun vorbei. Im Sinne der umfassenden Reform des Studiums, die die Promotionszeit auf drei Jahre festlegt und als dritten Studienabschnitt nach Bachelor und Master mit eigens dafür vorgesehenen Lehrveranstaltungen begreift, sollen künftig nicht mehr einzelne, in ihrem Ergebnis wie in ihrem Zeitverlauf unkalkulierbare Promotionsvorhaben, sondern Promotionskollegs gefördert werden, und zwar zunächst jeweils eines pro Universität. Abgesehen von der Frage, wie interdisziplinär diese Promotionskollegs sinnvollerweise sein können, ob hierbei an ein natur- oder ein geisteswissenschaftliches oder vielleicht sogar an ein übergreifendes Promotionskolleg gedacht ist, ist vor allem eines klar: Individuelle Vorhaben, die sich nicht in das Rahmenthema eines Promotionskollegs fügen, Arbeiten auch, die in auswärtigen Archiven entstehen oder mit Feldforschungen außerhalb Europas verbunden sind, fallen künftig aus der Landesgraduiertenförderung heraus. Zumindest für die Geisteswissenschaften ist dies ein herber Schlag. Denn auch wenn unbestritten ist, dass in den Geisteswissenschaften nicht minder interessante Promotionskollegs entstehen können als in den Naturwissenschaften, so ist doch ebenso unbezweifelbar, dass gerade die Vielzahl individueller Vorhaben, die Breite der thematischen wie methodischen Möglichkeiten, das gänzlich aus dem Rahmen fallende Projekt die Wissenschaft weiterbringen kann – nicht nur in den Geistes-, sondern auch in den Naturwissenschaften.

Und wenn sie nicht gestorben wäre, die individuelle Förderung, dann wäre sie wohl auch in Zukunft eine glänzende Erfolgsgeschichte geblieben.

Ihre
Silke Leopold, Prorektorin
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