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Meinungen

Opfer zynischer Ahnungslosigkeit – Anmerkungen zu den Beschäftigungszeiten wissenschaftlicher Mitarbeiter

Professor Dr. Wilhelm Kühlmann

Professor Dr. Wilhelm Kühlmann, Prodekan der Neuphilologischen Fakultät

Auf leisen Sohlen schleicht sich in Gestalt des Junior-Professors der junge Gelehrte mit "Tenure- Track", also der Karrierist ohne echte Bewerbungserfolge, in die Universität ein. Auf der anderen Seite werden mit pünktlicher Gesetzestreue laufend hoch qualifizierte Menschen entlassen, obwohl die Politiker angeblich über jeden Arbeitslosen die Hände ringen. Der Grund ist bekannt und beklagt – ohne Erfolg. Die gesetzliche Übernahme der Bundesregelungen zur zeitlichen Begrenzung der Beschäftigungsverhältnisse des wissenschaftlichen Personals lässt kein Schlupfloch mehr für das sachlich Gebotene und Sinnvolle. Wohlgemerkt: Jeder wird es begrüßen, wenn Laufbahnstellen, vor allem die eines wissenschaftlichen Assistenten und Habilitanden, zeitlich befristet werden und die Kandidaten sich im Wettbewerb außerhalb der eigenen Hochschule durchsetzen müssen. Anders bei wissenschaftlichen Projekten, Drittmittelunternehmen, nicht selten mit Langzeitcharakter und in internationaler Kooperation betrieben. Hier sind die Mittel eingeworben, sind Leute in die komplizierte Materie eingearbeitet und müssen dennoch sechs Jahre nach ihrer Promotion entlassen werden. Der Einstellungs- und Entlassungszirkus dreht sich dann von neuem, ob bei Projekten der Universität oder auch denen der Akademie der Wissenschaften. Unmöglich ist nun, falls Drittmittelförderungen auslaufen, auch die Weiterbeschäftigung einer qualifizierten Person bei einem sachlich verwandten anderen Projekt, etwa an einer anderen Universität.

Ein Beispiel: Ein wichtiger Mitarbeiter eines langfristigen Wörterbuchunternehmens muss ersetzt werden. Man hat auszuwählen aus circa 90 Bewerbungen. Die Auswahlkommission kann und wird nun nicht etwa den Besten oder die Beste heraussuchen, sondern sortiert die Bewerber zunächst unter dem Gesichtspunkt der Berufsjahre "nach der Promotion". Es hat keinen Zweck, eine hervorragend qualifizierte Person einzustellen, die sich anderweitig schon zwei oder drei Jahre lang Spezialkenntnisse und Arbeitsroutine erworben hat. Diese Person wäre einzuarbeiten (sagen wir ein Jahr lang) und müsste dann bald wieder entlassen werden. Gesucht wird also der hoffnungsvolle Jungakademiker, möglichst frisch promoviert, der immerhin dann noch fünf Jahre lang zur Verfügung steht. Die Besten werden sich ohnedies bald nicht mehr um solche Stellen, auch nicht um die der so genannten Langzeitprojekte, bemühen. Gleichzeitig aber dreht sich die Drittmittelschraube, neuerdings mit dem Schmieröl freundlicher Erpressung angezogen und mit Reformfähnchen bestückt: Erbringt das Institut XY im Jahr Z nicht die genaue bezifferte Masse an Drittmitteln, wird eine Personalstelle "eingespart".

Ursachen des Unsinns: Desinteresse der Wohletablierten, Menschen verachtender Zynismus, ein Dickicht aus deutscher Regelungswut, groteske Urteile von Arbeitsgerichten. Der Fisch beginnt aber am Kopf zu stinken. In Berlin sind durch "Küchenkabinette" und in stupender Ahnungslosigkeit Personen in Spitzenstellungen gehoben worden, die bislang noch nie auch nur den Hauch wissenschaftlichen Praxis genossen haben. Dies alles ist Wahnsinn – freilich Wahnsinn mit Methode. Es beschädigt wertvolle Menschen, zerstört erworbene Kompetenzen und Wissensbestände, erschwert wissenschaftliche Erfolge, macht auch diejenigen manchmal mürbe und mutlos, die in der Logik ihrer Forschungen Drittmittelprojekte einwerben und nun immer wieder ihre "Mannschaft" auswechseln müssen. Man hat ja auch sonst nichts zu tun, als Anzeigen zu entwerfen und Bewerber zu sichten... Wer kann, wird sich in die Industrie oder ins Ausland retten. Zentren der "excellence" sind gewünscht, was sich im Zeichen der beschriebenen Beschäftigungsregelung tatsächlich herausbildet, sind Ruinen der deutschen Misere. Genügt es wirklich, wenn die sonst so eifrigen "Reformer" dabei nur hilflos mit den Schultern zucken und auf bessere Zeiten hoffen? Auch eine Universität, die nun allmählich nach dem Muster von Daimler-Chrysler organisiert wird, kann sich eine grandiose Verschwendung intellektueller Ressourcen nicht erlauben.

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