Siegel der Universität Heidelberg
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Erstmals Wasserdimere in der Atmosphäre nachgewiesen

Umweltphysiker der Universität Heidelberg berichteten kürzlich in der Zeitschrift "Science" von dem sensationellen Nachweis so genannter Wasserdimere in der Atmosphäre. Die Ruperto Carola hat bei Klaus Pfeilsticker, einem der Autoren des Beitrags, nachgefragt, was Wasserdimere sind und welche Bedeutung sie für unser Klima und die Umwelt haben.

 

Wasserdimere


Ruperto Carola: Dr. Pfeilsticker, dass Sie und Ihre Mitarbeiter in der Atmosphäre Wasserdimere nachweisen konnten, gilt unter Fachleuten als Sensation. Aber was sind Wasserdimere?

Dr. Klaus Pfeilsticker: "Dimer" lässt sich sinngemäß mit "zwei" übersetzen. Wasserdimere, auch Wasser-Doppelmoleküle genannt, bestehen aus zwei Einzelmolekülen, die locker aneinandergebunden sind. Eine Wasserstoffbrückenbindung verbindet dabei das negativ geladene Sauerstoffatom des einen Moleküls mit einem der beiden positiv geladenen Wasserstoffatome des anderen Moleküls. Ich denke mal, man kann Wasserdimere ganz gut mit einem tanzenden Rock'n-Roll-Paar vergleichen, wobei beide Tanzpartner, also die einzelnen Wassermoleküle, mit einem Gummiband miteinander verbunden sind. Das Gummiband ist in diesem Bild die Wasserstoffbrückenbindung.

Ruperto Carola: Diese molekularen Rock'n-Roll-Paare haben Sie also nachgewiesen. Und zwar, wie es in Ihrer Arbeit heißt, mit einer 18,34 Kilometer langen und zwei Meter breiten Lichtstrecke, die Sie über die Nordsee von Dagebüll bis zur Insel Langeness geführt haben. So viel Aufwand für so kleine Moleküle?

Pfeilsticker: Es gibt nicht so viele Wasserdimere in der Atmosphäre. Um sie nachzuweisen, muss man schon mit allerhand Tricks arbeiten. Stellen Sie sich am besten eine großen Platz vor, auf dem viele Tänzer einzeln und sehr wenige paarweise tanzen. Und Sie -stehen als Wissenschaftler am Rand und müssen das Ganze mit einer langen Pappröhre beobachten. Ein zugegebenermaßen unvollkommenes Instrument, aber es ist eben kein anderes da. Sie können sich jetzt vorstellen, dass sehr viele Tänzer an ihrer Pappröhre vorbeihüpfen müssen, bis in ihr eingeschränktes Sichtfeld auch mal ein tanzendes Paar gerät. Und bis Sie dann auch einmal zufällig das Gummiband zu Gesicht bekommen, dass das tanzende Paar zusammenhält, dauert es noch länger.

Ruperto Carola: Die Lichtstrecke ist also quasi die Pappröhre, durch die man die Tänzer betrachtet. Aber wozu brauchen Sie das zusätzliche Licht?

Pfeilsticker: Was uns eigentlich interessiert, sind die Wasserstoffbrückenbindungen - also das Gummiband zwischen den Tänzern. Im übertragenen Sinne wollten wir messen, wie starr beziehungsweise dehnbar dieses Gummiband ist. Das macht man in der Wissenschaft - fast - genauso wie im normalen Leben. Man rüttelt daran. Unser "Rütteln"' haben wir durch Licht an-geregt. Wobei uns die Farbe des dabei absorbierten Lichtes etwas über die Elastizität des "Gummibandes" erzählt.


Retro-Reflektoren

Mit so genannten Retro-Reflektoren, einer Art übergroßer Katzenaugen, ist es den Heidelberger Umweltphysikern gelungen, Wasserdimere – Raritäten in der Atmosphäre – aufzuspüren.


Ruperto Carola: Und wie "baut" man so eine Lichtstrecke?

Pfeilsticker: Das ist gar nicht so schwierig. Man sendet Licht mit einem Teleskop aus und stellt in der gewünschten Entfernung so genannte Retro-Reflektoren auf. Das sind so eine Art übergroße Katzenaugen, wie man sie in kleinerer Ausführung auch am Fahrrad hat. Sie leuchten auf, wenn Licht auf sie fällt. Unsere Retro-Reflektoren schicken das Licht außerdem wieder in das Teleskop zurück. Auf diese Weise kann man quasi die Tanzfläche zweimal durchblicken, einmal auf dem Hin- und einmal auf dem Rückweg. Die Chance, dass man auf dieser Strecke Wasserdimere entdeckt, wird so verdoppelt.

Ruperto Carola: Schon mehrere Wissenschaftler haben versucht, Wasserdimere in der Atmosphäre nachzuweisen. Allerdings ohne Erfolg. Was haben Sie anders gemacht?

Pfeilsticker: Die Sache wird kompliziert durch die Tatsache, dass auf der Tanzfläche quasi zwei Mannschaften von tanzenden Paaren unterwegs sind, die fast gleichartige Gummibänder tragen - das einzige Unterscheidungsmerkmal. Wissenschaftlich gesprochen heißt das, die unterschiedlichen Wasserstoffbrückenbindungen absorbieren fast die gleiche Energie. Die Aufgabe besteht darin, die beiden Mannschaften auseinander zu halten. Das ist in der Tat kompliziert. Wir haben dazu ein spezielles Verfahren, die so genannte Differentielle Optische Absorptionsspektroskopie benutzt, an deren Entwicklung unsere Arbeitsgruppe am Institut für Umweltphysik maßgeblich beteiligt war.


Lichtbrücke

Großer Aufwand für kleine Moleküle: 18,34 Kilometer lang und zwei Meter breit war die Lichtbrücke, welche die Wissenschaftler für den Nachweis der Wasserdimere errichteten. Sie spannte sich über die Nordsee von Dagebüll bis zur Insel Langeness.

Lichtbrücke

Ruperto Carola: Welche praktische Bedeutung hat Ihre Entdeckung?

Pfeilsticker: Die Entdeckung von atmosphärischen Wasserdimeren ist ein bedeutender Schritt bei der Lösung der elementaren Frage, was Wassermoleküle eigentlich zueinander hinzieht. Diese Anziehungskräfte sind für das aus naturwissenschaftlicher Sicht erstaunliche Vorkommen von flüssigem Wasser und Eis auf der Erde und möglicherweise auch auf dem Planeten Mars verantwortlich. Außerdem vermuten Astronomen seit langem, dass Wasserdimere in Kometenschweifen und im Inneren unserer Galaxie vorkommen - das kann nun leichter mit astronomischen Teleskopen überprüft werden. Wassercluster spielen zudem eine maßgebliche Rolle bei chemischen Reaktionen, in der Nanotechnologie, möglicherweise sogar in der Krebsforschung.

Ruperto Carola: Wassercluster? Das haben Sie noch nicht erklärt.

Pfeilsticker: Um diese Frage zu beantworten, will ich mit Ihnen noch einmal auf die Tanzfläche zurückkehren. Da gibt es also Tänzer, die sich zeitweise einen Partner suchen, um mit ihm als Paar weiterzutanzen. Wissenschaftlich gesprochen bilden sie ein Dimer. Manchen Tänzern ist das jedoch noch nicht genug. Sie greifen sich noch einen Tanzpartner. Dann hat man schon eine Dreiergruppe, ein Trimer. Kommt noch ein Partner hinzu, entsteht ein Tetramer und so weiter. Wenn die Tänzer das Spiel so weitertreiben, erhält man schließlich eine Gruppe von Tänzern, die jeweils zwei andere Nachbarn mit Gummibändern an sich gebunden haben. In der Sprache der Wissenschaft bezeichnet man so etwas als Cluster. Ein Cluster aus nur fünf Wassermolekülen - ein Pentamer - hat übrigens schon die Eigenschaften von flüssigem Wasser. Und die charakteristischste Eigenschaft von flüssigem Wasser ist, dass man etwas darin lösen kann, ob nun Salz, Zucker oder Waschmittel. Das nennt sich dann Solvatisierung.


Christine Peters und Andreas Lotter

Die Doktoranden im Projekt, Christine Peters und Andreas Lotter.


Ruperto Carola: In Ihrem Science-Beitrag heißt es, solche Wassercluster haben auch Einfluss auf das Klima?

Pfeilsticker: Ja. Wasserdimere sind ein wichtiges, natürlicherweise vorkommendes Treibhausgas. Für die jüngste Erwärmung der Erdatmosphäre werden ja durch menschliche Aktivitäten emittierte Treibhausgase wie Kohlendioxid oder Methan, verantwortlich gemacht. Die theoretischen Arbeiten amerikanischer Kollegen zeigen, dass die Clusterbildung von Wassermolekülen die Kondensation von Wasser in der Atmosphäre stimuliert - das heißt die Wolkenbildung. Denn die Dimerisation von Wassermolekülen ist der erste Schritt im Phasenübergang von gasförmigem zu flüssigem Wasser oder Eis. Aus Laboruntersuchungen ist außerdem bekannt, dass Wasserdimere in sehr komplizierter Weise in den atmosphärischen Abbau von Luftschadstoffen eingreifen.

Ruperto Carola: Und wie geht es mit Ihren Forschungsarbeiten weiter? Bauen Sie schon an neuen Lichtstrecken?

Pfeilsticker: Derzeit spüren wir atmosphärischen Wasserdimeren in der französischen Bretagne nach. Künftig wollen wir auch in den Tropen wegen der dort vorherrschend hohen Temperaturen und Luftfeuchtigkeiten messen. Beides sind Faktoren, die die Bildung von Wasserdimeren in der Atmosphäre stark begünstigen. Diese Messungen zielen vornehmlich darauf, die physikalischen und chemischen Eigenschaften der Wasserdimere besser zu charakterisieren. Das ist die Voraussetzung, um ihre volle Bedeutung in der Natur zu verstehen.

Dr. Pfeilsticker, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Orginalarbeit: K. Pfeilsticker, A. Lotter, C. Peters, and H. Bösch, Atmospheric Detection of Water Dimer Via Near-Infrared Absorption, Science, Bd. 300, S. 2078

Telefon (0 62 21) 54 64 01
e-mail: klaus.pfeilsticker@iup.uni-heidelberg.de

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