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Spiegel-Redakteur Udo Ludwig bei der Heidelberger Ringvorlesung zum Doping

6. Juni 2008

„Die vierte Gewalt hat bei der Doping-Bekämpfung versagt!“ – Trotzdem nicht zu unterschätzende Beiträge zur Dopingaufklärung und -bekämpfung – Nächster Vortrag von Prof. Dr. Helmut Digel am 12. Juni


Gleich zu Beginn seines Vortrags beantwortete der Spiegel-Redakteur Udo Ludwig die gestellte Frage, ob die 4. Gewalt bei der Bekämpfung des Dopings versagt habe, mit einem glatten Ja, obwohl er selbst als ein Vorreiter des investigativen Journalismus seit vielen Jahren energisch das Gegenteil demonstriert. Und immerhin haben er und einige Kolleginnen und Kollegen ja durchaus positive Akzente gesetzt.

Nach Ludwig haben Journalisten vor allem vier Aufgaben: Informieren (kurz und informativ), Kommentieren (Leitartikel, Hintergründe), Kontrollieren (durch intensive Recherche den Mächtigen auf die Finger schauen) und Unterhalten. Das Versagen besteht darin, dass das Kommentieren und Kontrollieren immer mehr vernachlässigt wird. Gründe findet er bei allen Medien.

Fernsehen: Es sei ein Trugschluss gewesen, als über die Zulassung privater Sender die Hoffnung bestand, durch zunehmende Konkurrenz würden alle vier Aufgaben noch besser erfüllt werden. Es erfolgte eher eine Veränderung hin zu Sportveranstaltungen als Unterhaltung, als Events mit Showeffekt; zunehmend weniger Gewicht erhielten dann die Aufgaben des Informierens, Kommentierens und Kontrollierens. Manche Sportarten wie der Fußball oder das Boxen wurden zu hoch attraktiven Waren; kaum jemand hat Interesse daran, diese Waren zu beschmutzen durch die Aufdeckung von Skandalen.

Printmedien: Sportjournalisten waren lange Zeit in ihren Redaktion Außenseiter, mit der Spezialität der klassischen 1:0-Berichterstattung. In den letzten Jahrzehnten wurde Sport immer wichtiger, damit auch die Journalisten. Da dies heute durch Online-Dienste abgedeckt wird, ist die Berichterstattung nicht kritischer, sondern seichter geworden. Nackte Nachrichten werden nicht zum Anlass für eigene Recherchen genommen, mit Ausnahme von wenigen sehr kompetenten Journalisten, die mit langem Atem z. B. am Dopingthema dranbleiben. Das Kommentieren und Kontrollieren wird oft freien Journalisten überlassen, die für wenig Geld intensive Recherchen betreiben und dann noch dazu Angst haben müssen, dass ihnen ihr Produkt niemand abnimmt, dass ihre Tätigkeit sozusagen brotlose Kunst bleibt.

Radio: Im Radio steht, ähnlich wie auch beim Fernsehen, das Informieren im Vordergrund. Es gibt kaum in die Tiefe gehende Beiträge (wesentliche Ausnahme der Deutschlandfunk). Die Zukunft einer kritischen Aufgabengestaltung sieht Ludwig auch hier, zumal beim Beispiel Doping, eher düster.

Online: Dieses Medium erlebte in den letzten Jahren einen rasanten Aufschwung. Der Werbeaufwand stieg 2007 um 40% auf über 11 Milliarden Euro, zulasten der anderen Medien – ohne Fundierung durch journalistisches Aufgabenbewusstsein. Ludwig befürchtet durch Online eine zusätzliche Boulevardisierung. Die Abhängigkeit von der Quote sei noch größer, zumal „wunderbare“ Messinstrumente zur Verfügung stehen. Angeklickt wird in erster Linie, was den Voyeurismus anspricht – die Nachfrage bestimmt dann das Angebot. Eine weitere Gefahr entsteht dadurch, dass bisher in den anderen Medien über die Werbung eine Querfinanzierung erfolgte, so dass z. B. auch langwierige Recherchen möglich waren. Durch Mitplayer wie Yahoo oder Google – ohne journalistisches Interesse – werden den anderen Medien Mittel entzogen.

Daneben gibt es medienspezifische Gründe des Versagens. Angesichts des Anspruchs an Qualitätsjournalismus dürften die Fernsehjournalisten mit Schwerpunkt „Live-Übertragungen“ die größten Versager sein, Hintergrundanalyse findet immer weniger statt, vor allem im Fußball. Über die Konzentration auf publikumswirksame Sportarten hat die Qualität abgenommen, Eigenschaften wie hartnäckige Recherche und Dranbleiben an einem Thema leisten sich nur noch wenige. Einen Meilenstein in der Kritik an der Rolle der Medien sieht Ludwig im Prozess zwischen Prof. Dr. Werner Franke (der sich dem Wahrheitsgesetz der Wissenschaft verpflichtet sieht) und einer lange Zeit primär quotenorientierten ARD mit ihrer Berichterstattung z.B. zur Tour de France, wo sie als Sponsor des Team Telekoms mitmischte und sogar einen Interviewvertrag mit dem Radidol Jan Ulrich hatte (Exklusivinterviews für mehr als 100 000 Euros).

Franke darf nach diesem Prozess zwar nicht mehr sagen, die ARD habe systematische Lügnerei betrieben, aber er darf weiter der ARD vorwerfen, sie habe eine Verballhornung des Publikums betrieben, indem sie in ihrer Berichterstattung wichtige Dinge wie Doping negiert habe. Dieser Vorwurf hatte Folgen: Zum einen behandeln die öffentlich-rechtlichen Sender seitdem das Dopingthema wesentlich intensiver; zum anderen wäre der Ausstieg von ARD und ZDF aus der Berichterstattung bei der Tour de France 2007 ohne diesen Prozess kaum vorstellbar gewesen.

Nicht unterschätzt werden sollten persönliche individuelle Gründe. Sportjournalisten sind meist auch Fans des Sports und damit kaum noch zu dessen kritischer Begleitung in der Lage. Zudem kostet kritischer, investigativer Journalismus Zeit und Geld und wird kaum entsprechend dem Aufwand entlohnt; zudem ist er schlecht für die Karriere. Manche haben auch ein eigenartiges Berufsbild, wie die Äußerung eines Journalisten zeigt: „Wenn ich alles sagen würde, was ich weiß, würde alles platzen.“ Die Korrumpierung durch zu große Nähe zur „Sportfamilie“ ist beim Sportjournalismus ein häufig zu beobachtendes Phänomen. Es liegt nicht zuletzt an den Lesern, Hörern und Zuschauern, über ihr Sportkonsumverhalten das Angebot zu beeinflussen.

Zum Schluss demonstrierte Ludwig am Beispiel der Dopingberichterstattung zum Fall Telekom, warum diese so schwierig ist. 1999 – zur Hochzeit des EPO-Dopings – fuhren die Fahrer mit den magentafarbigen Trikots alles in Grund und Boden und waren angeblich alle sauber. Als der „Spiegel“ im April 1999 einen Bericht über das Doping des Teams Telekom brachte, wurden die Autoren Matthias Geyer und Udo Ludwig verklagt und des „Schmuddeljournalismus in Reinkultur“ oder des „Sensationsjournalismus“ bezichtigt. Eine Anzeigenstornierung in siebenstelliger Höhe brachte die Journalisten und den Verlag zusätzlich unter Druck. Allerdings wurde dadurch auch die Wut geweckt: das Jahr 2007 brachte mit der Titelgeschichte „dickes Blut“ und der weitergehenden Enthüllung des Dopings dieses Teams quasi die Revanche. Die falschen eidesstattlichen Versicherungen von Fahrern, Trainern und Funktionären waren aber verjährt.

Ludwig relativierte am Ende seine Negativaussage vom Anfang des Vortrags. Der Sportjournalismus hat nicht mehr versagt als andere Organisationen und auch Journalisten in anderen Bereichen. Staat und organisierter Sport haben nur unzureichendes Interesse an Aufklärung, Staatsanwaltschaften bleiben blind und uninteressiert, Aus- und Weiterbildungsinstitutionen greifen dieses zentrale Thema und Problem des Leistungssports kaum auf. Zudem sollten Aufklärungsleistungen der Vergangenheit nicht zu gering geschätzt werden, wie beispielsweise des DDR-Dopings, der Fälle Springstein (der ohne die FAZ nicht vor Gericht gelandet wäre) oder Spilker, das Anstoßen der Dopingopferprozesse in Berlin 1999 oder das Ende des Teams T-Mobile – all das wäre ohne erhebliche journalistische Leistungen nicht möglich gewesen. Es gibt dennoch kaum einen anderen Bereich, der so schwierig zu behandeln ist, denn investigativer Journalismus erhöht die Anzahl der Feinde der jeweiligen Journalisten (ein Leserbrief 1999: „Schicken Sie die Herren Geyer und Ludwig in den Kosovo, hoffentlich gibt es dort noch Heckenschützen!“).


Nächster Vortrag: Prof. Dr. Helmut Digel (Universität Tübingen): Fairplay als Prinzip – warum Doping niemals erlaubt sein darf.

Donnerstag, 12. Juni 2008, 16 Uhr
Hörsaal des Instituts für Sportwissenschaft
Im Neuenheimer Feld 700
69120 Heidelberg


Rückfragen bitte an:

Prof. Dr. Gerhard Treutlein – PH Heidelberg
Tel. 06221 477607 oder 0172 9334838
treutlein@ph-heidelberg.de


Für allgemeine Rückfragen von Journalisten:
Dr. Michael Schwarz
Pressesprecher der Universität Heidelberg
Tel. 06221 542310, Fax 542317
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Irene Thewalt
Tel. 06221 542310, Fax 542317
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