Der Dekohärenz in Quantensystemen auf der Spur
20. September 2007
Wie "Nature" in seiner heutigen Ausgabe berichtet, ist es Forschern an der TU Wien und Universität Heidelberg gelungen, die Quantendynamik und das Erreichen eines quantenmechanischen Gleichgewichtszustands in einem eindimensionalen System im Detail zu untersuchen
Viele grundlegende physikalische Phänomene in der Festkörperelektronik basieren auf der Quantenphysik niedrigdimensionaler Systeme. Wie das Journal Nature in seiner heutigen Ausgabe berichtet, ist es nun Forschern an der TU Wien und Universität Heidelberg gelungen, die Quantendynamik und das Erreichen eines quantenmechanischen Gleichgewichtszustands in einem eindimensionalen System im Detail zu untersuchen.
Bis vor ein paar Jahren galten solche Systeme, deren Physik sich qualitativ stark von der unserer dreidimensionalen Welt unterscheiden kann, lediglich als theoretisches Modell, um die tief in einem Festkörper stattfindenden Vorgänge zu erklären. An eine gut zugängliche experimentelle Realisierung war jedoch nicht zu denken. Dies ist nun Forschern gelungen. Dazu bauten die Physiker eine Magnetfalle mit Hilfe eines Atom-Chips, in der sie, fern ab von Störeinflüssen die Quantendynamik eines eindimensionalen atomaren Gases direkt beobachten konnten.
Im Experiment wurden zunächst ultrakalte Rubidiumatome mit einer Temperatur von 100 Mikrokelvin in einer zigarrenförmigen magnetischen Falle eingeschlossen. Anschließend wurde das Gas bis auf ein Zehntel eines Millionstel Grads abgekühlt, um ein so genanntes Bose-Einstein-Kondensat zu erzeugen. Dieses Quantengas kann sich, aufgrund der besonderen Fallengeometrie, ausschließlich in Längsrichtung frei bewegen und somit als quasi eindimensional betrachtet werden.
Nun verwendeten die Physiker einen Trick, der ihnen zum ersten Mal vor zwei Jahren in Heidelberg gelungen ist. Sie erzeugten einen Quantenzustand bestehend aus zwei "identischen" eindimensionalen Gasen, in dem sich die Atome zur selben Zeit in jeder der beiden Fallen aufhalten. Dieser quantenmechanische Überlagerungszustand kann mit Hilfe des Quantenphänomens Interferenz nachgewiesen und im Detail untersucht werden. Dies ist analog zu dem Doppelspalt-Experiment, bei dem die "Lichtquanten" beide Spalten gleichzeitig durchqueren, woraufhin sie beim Auftreffen auf einen Schirm ein Interferenzmuster erzeugen. Im Unterschied hierzu wird im Experiment nicht Licht, sondern Materiewellen zur Interferenz gebracht.
Der Überlagerungszustand der beiden eindimensionalen Gase ist nicht der Gleichgewichtszustand des Systems. Er ist sehr fragil und zerfällt aufgrund von Quanten- und thermischen Fluktuationen. Dieser Dekohärenz genannte Prozess ist eines der grundlegendsten Phänomene in der Quantenphysik, und letztlich verantwortlich dafür, dass unsere makroskopische Welt durch die klassischen Physik beschrieben werden kann.
Die Dynamik dieses Dekohärenzprozesses wurde nun direkt im Experiment beobachtet. Nach der anfänglichen Präparation des Überlagerungszustandes wurde das System, bestehend aus zwei eindimensionalen Gaswolken, zunächst für eine gewisse Zeit sich selbst überlassen und dann zur Interferenz gebracht. Aus der Struktur des Interferenzmusters konnte nun auf den Zustand des Quantensystems geschlossen werden.
Hierbei zeigte sich, dass die Kohärenz, d.h. das Maß an präzise bestimmter quantenmechanischer Überlagerung, nach einem charakteristischen Gesetz im Laufe der Zeit zerfällt. Dieser Zerfall unterliegt interessanterweise nicht, wie man vermuten könnte, einem exponentiellen Gesetz, sondern folgt einem komplizierteren Verlauf.
Diese experimentell gefunden Gesetzmäßigkeit stimmt sehr gut mit jüngsten theoretischen Vorhersagen von E. Demler und Mitarbeitern an der Harvard Universität überein.
Zu dessen Berechnung mussten die Theoretiker aus Harvard annehmen, dass in diesen eindimensionalen Quantensystemen Thermalisierung auftritt. Letzteres ist zurzeit Thema intensiver Diskussionen, da solche Systeme in der klassischen Physik oft "integrabel" sind, und in solchen Systemen keine Thermalisierung auftritt. Dies wurde in einem früheren Experiment mit kalten Atomen in der Gruppe von Dave Weiss an der Penn State Universität beobachtet. In diesem Experiment wurden jedoch ausschließlich klassische Beobachtungsgrößen wie Impuls und Ort untersucht.
Der Verlust an Kohärenz ist auch aus einem weiteren Grund verwunderlich. In der klassischen Physik verhalten sich zwei identische Kopien immer gleich. Umso mehr, wenn das System "integrabel" ist. Die Experimente von Hofferberth et al. zeigen nun, dass dies in der Quantenwelt nicht zwangsläufig der Fall sein muss, und dass für die Quanteneigenschaften eines Systems ein Gleichgewicht möglicherweise eher erreicht wird als für die klassischen Beobachtungsgrößen.
Darüber hinaus haben die Wiener/Heidelberger Wissenschafter nicht nur das Verhalten getrennter identischer Quantensysteme untersucht, sondern auch den Fall, in dem die beiden durch ein eine Tunnelbarriere, ein so genanntes Weak LINK, ähnlich wie in einem supraleitenden SQUID, verbunden sind. Diese Kopplung verhindert eine vollständige Dekohärenz. Der endgültige Gleichgewichtszustand kann dabei annähernd berechnet werden und stimmt mit den Messergebnissen überein. Für die Dynamik in diesem System gibt es allerdings noch keine exakten theoretischen Vorhersagen.
All die Experimente wurden auf einem Atom-Chip, einem integrierten Schaltkreis für mikroskopische Experimente mit ultrakalten Atomen, durchgeführt. Die Atom-Chip-Technik wurde über die letzten zehn Jahre vom Prof. Schmiedmayer und seinem Thema entwickelt und perfektioniert.
Die Experimente zeigen, dass Quantengase von ultrakalten Atomen ideal geeignet sind, um fundamentale Probleme der modernen Physik zu erforschen. Die Reinheit und Flexibilität dieser Experimente erlaubt die Untersuchung von allgemeinen Phänomenen. Dies ist für verschiedenste Bereiche der Physik von großem Interesse.
Speziell ermöglichte dieses Atom-Chip-Experiment den Zugang zur Nichtgleichgewichtsquantendynamik. Letztere ist von Relevanz für viele unterschiedliche Gebiete wie Supraleitung, Festkörperphysik, Quantenelektronik, Quanteninformation und für die Untersuchung fundamentaler Fragestellungen der Quantenmechanik.
Kontakt:
Prof. Jörg Schmiedmayer
Atominstitut Österreichischer Universitäten
Tel. +43 1 58801 14101
schmiedmayer@atomchip.org
www.atomchip.org
Rückfragen zur Universität Heidelberg bitte an:
Dr. Michael Schwarz
Pressesprecher
michael.schwarz@rektorat.uni-heidelberg.de
http://www.uni-heidelberg.de/presse
Bis vor ein paar Jahren galten solche Systeme, deren Physik sich qualitativ stark von der unserer dreidimensionalen Welt unterscheiden kann, lediglich als theoretisches Modell, um die tief in einem Festkörper stattfindenden Vorgänge zu erklären. An eine gut zugängliche experimentelle Realisierung war jedoch nicht zu denken. Dies ist nun Forschern gelungen. Dazu bauten die Physiker eine Magnetfalle mit Hilfe eines Atom-Chips, in der sie, fern ab von Störeinflüssen die Quantendynamik eines eindimensionalen atomaren Gases direkt beobachten konnten.
Im Experiment wurden zunächst ultrakalte Rubidiumatome mit einer Temperatur von 100 Mikrokelvin in einer zigarrenförmigen magnetischen Falle eingeschlossen. Anschließend wurde das Gas bis auf ein Zehntel eines Millionstel Grads abgekühlt, um ein so genanntes Bose-Einstein-Kondensat zu erzeugen. Dieses Quantengas kann sich, aufgrund der besonderen Fallengeometrie, ausschließlich in Längsrichtung frei bewegen und somit als quasi eindimensional betrachtet werden.
Nun verwendeten die Physiker einen Trick, der ihnen zum ersten Mal vor zwei Jahren in Heidelberg gelungen ist. Sie erzeugten einen Quantenzustand bestehend aus zwei "identischen" eindimensionalen Gasen, in dem sich die Atome zur selben Zeit in jeder der beiden Fallen aufhalten. Dieser quantenmechanische Überlagerungszustand kann mit Hilfe des Quantenphänomens Interferenz nachgewiesen und im Detail untersucht werden. Dies ist analog zu dem Doppelspalt-Experiment, bei dem die "Lichtquanten" beide Spalten gleichzeitig durchqueren, woraufhin sie beim Auftreffen auf einen Schirm ein Interferenzmuster erzeugen. Im Unterschied hierzu wird im Experiment nicht Licht, sondern Materiewellen zur Interferenz gebracht.
Der Überlagerungszustand der beiden eindimensionalen Gase ist nicht der Gleichgewichtszustand des Systems. Er ist sehr fragil und zerfällt aufgrund von Quanten- und thermischen Fluktuationen. Dieser Dekohärenz genannte Prozess ist eines der grundlegendsten Phänomene in der Quantenphysik, und letztlich verantwortlich dafür, dass unsere makroskopische Welt durch die klassischen Physik beschrieben werden kann.
Die Dynamik dieses Dekohärenzprozesses wurde nun direkt im Experiment beobachtet. Nach der anfänglichen Präparation des Überlagerungszustandes wurde das System, bestehend aus zwei eindimensionalen Gaswolken, zunächst für eine gewisse Zeit sich selbst überlassen und dann zur Interferenz gebracht. Aus der Struktur des Interferenzmusters konnte nun auf den Zustand des Quantensystems geschlossen werden.
Hierbei zeigte sich, dass die Kohärenz, d.h. das Maß an präzise bestimmter quantenmechanischer Überlagerung, nach einem charakteristischen Gesetz im Laufe der Zeit zerfällt. Dieser Zerfall unterliegt interessanterweise nicht, wie man vermuten könnte, einem exponentiellen Gesetz, sondern folgt einem komplizierteren Verlauf.
Diese experimentell gefunden Gesetzmäßigkeit stimmt sehr gut mit jüngsten theoretischen Vorhersagen von E. Demler und Mitarbeitern an der Harvard Universität überein.
Zu dessen Berechnung mussten die Theoretiker aus Harvard annehmen, dass in diesen eindimensionalen Quantensystemen Thermalisierung auftritt. Letzteres ist zurzeit Thema intensiver Diskussionen, da solche Systeme in der klassischen Physik oft "integrabel" sind, und in solchen Systemen keine Thermalisierung auftritt. Dies wurde in einem früheren Experiment mit kalten Atomen in der Gruppe von Dave Weiss an der Penn State Universität beobachtet. In diesem Experiment wurden jedoch ausschließlich klassische Beobachtungsgrößen wie Impuls und Ort untersucht.
Der Verlust an Kohärenz ist auch aus einem weiteren Grund verwunderlich. In der klassischen Physik verhalten sich zwei identische Kopien immer gleich. Umso mehr, wenn das System "integrabel" ist. Die Experimente von Hofferberth et al. zeigen nun, dass dies in der Quantenwelt nicht zwangsläufig der Fall sein muss, und dass für die Quanteneigenschaften eines Systems ein Gleichgewicht möglicherweise eher erreicht wird als für die klassischen Beobachtungsgrößen.
Darüber hinaus haben die Wiener/Heidelberger Wissenschafter nicht nur das Verhalten getrennter identischer Quantensysteme untersucht, sondern auch den Fall, in dem die beiden durch ein eine Tunnelbarriere, ein so genanntes Weak LINK, ähnlich wie in einem supraleitenden SQUID, verbunden sind. Diese Kopplung verhindert eine vollständige Dekohärenz. Der endgültige Gleichgewichtszustand kann dabei annähernd berechnet werden und stimmt mit den Messergebnissen überein. Für die Dynamik in diesem System gibt es allerdings noch keine exakten theoretischen Vorhersagen.
All die Experimente wurden auf einem Atom-Chip, einem integrierten Schaltkreis für mikroskopische Experimente mit ultrakalten Atomen, durchgeführt. Die Atom-Chip-Technik wurde über die letzten zehn Jahre vom Prof. Schmiedmayer und seinem Thema entwickelt und perfektioniert.
Die Experimente zeigen, dass Quantengase von ultrakalten Atomen ideal geeignet sind, um fundamentale Probleme der modernen Physik zu erforschen. Die Reinheit und Flexibilität dieser Experimente erlaubt die Untersuchung von allgemeinen Phänomenen. Dies ist für verschiedenste Bereiche der Physik von großem Interesse.
Speziell ermöglichte dieses Atom-Chip-Experiment den Zugang zur Nichtgleichgewichtsquantendynamik. Letztere ist von Relevanz für viele unterschiedliche Gebiete wie Supraleitung, Festkörperphysik, Quantenelektronik, Quanteninformation und für die Untersuchung fundamentaler Fragestellungen der Quantenmechanik.
Kontakt:
Prof. Jörg Schmiedmayer
Atominstitut Österreichischer Universitäten
Tel. +43 1 58801 14101
schmiedmayer@atomchip.org
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Dr. Michael Schwarz
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