„Sklaverei im 21. Jh. – kein Problem?“

Bericht zum DWI-Institutsabend im Sommersemester 2021:

1Am 17. Mai 2021 fand der digitale Institutsabend des Diakoniewissenschaftlichen Instituts (DWI) statt. Wir bedanken uns herzlich bei unserem Gast und Referenten des Abends, Herrn Daniel Rentschler, für seinen eindrücklichen Vortrag zum Thema Sklaverei. Als Pastor und Leiter der Bildungs- und Gemeindearbeit der International Justice Mission Deutschland e.V. engagiert er sich seit Jahren im Kampf gegen Sklaverei und Menschenhandel. Er sprach zum Thema "Sklaverei im 21. Jahrhundert – kein Problem? Ursachen und Erscheinungsformen moderner Sklaverei und deren Bekämpfung mit dem rechtsbasierten Ansatz von International Justice Mission“.

1997 wurde die International Justice Mission (IJM) mit Sitz in Washington gegründet. Neben dieser Zentrale gibt es Partnerbüros unter anderem in Kanada, Großbritannien, den Niederlanden und seit 2010 in Deutschland (Berlin). Diese Standorte engagieren sich vorrangig in der Öffentlichkeitsarbeit. Die Einsatzbüros liegen in Entwicklungs- und Schwellenländern und leisten die juristische Einzelfallarbeit. Gegenwärtig gibt es Standorte in Afrika (Kenia, Uganda, Ghana, Ruanda), Süd- und Südostasien (Thailand, Kambodscha, Philippinen, Indien) und Lateinamerika (Guatemala, Bolivien, Santo Domingo). 95% der Mitarbeiter:innen dieser Einsatzbüros kommen aus dem jeweiligen Land, in dem das Büro steht.

Ijm2Sklaverei ist weltweit illegal. Dennoch gibt es heute in absoluten Zahlen mehr Sklaven als je zuvor: 40,3 Millionen Menschen werden gegen ihren Willen als Ware gehandelt und/oder ausgebeutet – durch Anwendung und Androhung von Gewalt, Strafe und anderen Formen der Nötigung.

Indien ist ein Schwerpunktland: Geschätzte 8 Millionen Menschen – d.h. 20% der weltweiten Sklav:innen – kommen aus Indien. Sklaverei und Menschenhandel sind ein riesiger Markt: Nach Waffen und Drogenhandel ist Sklaverei der größte illegale Wirtschaftszweig mit riesigen Gewinnmargen.

Was Schuldknechtschaft bedeutet und wie eine Person hineingerät, erzählte Herr Rentschler anhand der persönlichen Geschichte von Susila aus Indien: Nachdem ein Freund ihres Sohnes 20$ geliehenes Geld nicht zurückzahlte und nicht greifbar war, forderte der Geldverleiher das Geld vom Sohn von Susila zurück. Da er das Geld nicht hatte, sollte er das Geld in einer Ziegelfabrik abarbeiten. Pro Tag sollte er so 1$ verdienen und innerhalb eines Monats die Schulden begleichen können. Später forderte der Verleiher jedoch 1,50$ täglich für Unterkunft und Verpflegung. Die Schulden wuchsen weiter. Susila schickte ihre Töchter und später ihren Mann, um beim Abarbeiten der Schulden zu helfen und ging schließlich selbst mit ihrem neugeborenen Baby in die Schuldknechtschaft. Durch die äußerst harte Arbeit starb ihr Baby dort. IJM konnte sie schließlich befreien. Herr Rentschler betont, dass Menschen wie Susila in ihren Notlagen immer wieder gesagt wird, dass sie wertlos seien und sich niemand für sie interessiere. Indem wir diesen Geschichten zuhören und sie teilen, stellen wir uns aktiv an die Seite der Geschädigten und gegen die Profiteure von Sklavenarbeit.

Ijm35 Milliarden Menschen leben weltweit ohne rechtlichen Schutz. In vielen Ländern – besonders in Lateinamerika – boomt daher der private Sicherheitssektor. Wer es sich leisten kann, kauft sich Sicherheit. Das Motto des IJM lautet: „Ohne Recht ist alles nichts“. Ohne Rechtssicherheit kann Entwicklungshilfe ihr Potenzial nicht entfalten. Daher verfolgt IJM einen rechtsbasierten Ansatz in der Bekämpfung von Unrecht und arbeitet in drei Schritten:

1. Menschen befreien: IJM arbeitet stets in enger Kooperation mit den jeweiligen Ländern und setzt viele verdeckte Ermittler ein. Als getarnter Geschäftsmann geht ein Ermittler z.B. in Mumbai zu einem Zuhälter und baut über Wochen ein Vertrauensverhältnis auf. Der Ermittler „kauft“ minderjährige Mädchen, die zur Prostitution angeboten werden, mit markiertem Geld, Beweise werden gesammelt, es folgt eine Razzia. Für die Befreiten braucht es ausreichend Nachsorge-Plätze mit Therapien. Die befreiten Mädchen sollen ein gutes, eigenständiges Leben führen können und brauchen dafür entsprechende Perspektiven z.B. eine Berufsausbildung. Im Jahr 2020 wurden ca. 8000 Menschen befreit.

2. Täter/innen überführen: Die strafrechtliche Verfolgung ist besonders wichtig, sonst wird aus illegal egal. Verhalten ändert sich nur, wenn Gesetze tatsächlich angewendet und Täter verurteilt werden. Durch Präzedenzfälle ändert sich die Rechtslage mit der Zeit. Auch für den Therapieerfolg der Geschädigten ist die Rechtssicherheit und Verurteilung der Täter wichtig.

3. Rechtssysteme verbessern: Ein nicht funktionierendes Rechtssystem führt zu noch mehr Unrecht. IJM arbeitet daher eng mit den lokalen Regierungen und Behörden zusammen und schult Angehörige der Polizei und Staatsanwaltschaft in der Strafverfolgung. Ziel der IJM ist es, das Geschäftsmodell der Sklaverei rechtlich und wirtschaftlich unmöglich zu machen und dadurch nachhaltig zu verhindern.

Ijm4Das Projekt „Lantern“ zeigt sehr anschaulich, was IJM leistet: Das Projekt wurde von der Bill Gates Foundation gefördert und zielte auf die Reduktion minderjähriger Opfer sexueller Ausbeutung in Cebu/Philippinen innerhalb der drei Jahre Projektlaufzeit um 20 %. Tatsächlich gab es nach 4 Jahren 72% weniger minderjährige Opfer sexueller Ausbeutung. Diese enorme Reduzierung wurde nicht 1:1 durch Befreiungsaktionen erreicht, sondern indirekt, da Zuhälter jetzt tatsächlich Strafen befürchten mussten. Hier zeigt sich, welche großen Auswirkungen es hat, wenn in einen quasi rechtsfreien Raum Recht gesprochen und Recht durchgesetzt wird.

IJM ist eine Non-Profit-Organisation, die christlich geprägt ist. Herr Rentschler betont: Der christliche Gott geht nicht in Regeln und Ritualen auf, sondern will Gerechtigkeit! Besonders anschaulich wird dies etwa in Amos 5 ausgedrückt. IJM lädt Kirchengemeinden ein, einen Sonntag im Jahr dem Thema (z.B. den 17.10.2021) Freiheit und Gerechtigkeit zu widmen und stellt hierfür umfangreiches Material (u.a. Predigtvorlagen für verschiedene Zielgruppen) bereit: https://ijm-deutschland.de/kirchen-und-gemeinden/sonntagfuerfreiheit

 

Ijm5In der anschließenden Diskussion betonte Herr Rentschler, dass es zahlreiche Organisationen gibt, die Menschen aus Notlagen befreien. IJM arbeitet mit zahlreichen NGOs zusammen. Um Rechtslagen zu ändern, braucht es die Zusammenarbeit mit Unternehmen, Kirchen, der Zivilgesellschaft, aber auch mit staatlichen Strukturen.

Bezüglich der Zusammenarbeit mit anderen Kirchen oder Religionen, erklärte Herr Rentschler auf Nachfrage, dass die Zusammenarbeit etwa in Indien auch mit anderen religiösen Gemeinschaften sehr gut funktioniere. In muslimisch geprägten Ländern gibt es dagegen derzeit keine Zusammenarbeit, da dies von den jeweiligen Regierungen nicht gewünscht sei.

Da in armen Ländern Korruption oft ein großes Problem darstellt, stellte sich hier die Frage, welche Ansätze es gibt, um dagegen vorzugehen. Herr Rentschler hob zwei Bedingungen hervor: Erstens muss die Bezahlung ausreichen, um ein Überleben zu garantieren. Zweitens muss die Ausbildung verbessert werden.

Abschließend bestätigte Herr Rentschler, dass der Einzelne mit seinen individuellen Kaufentscheidungen einen Unterschied machen könne. Letztlich muss das Problem der Sklaverei aber politisch und juristisch gelöst werden, weshalb das vom Bundestag verabschiedete neue Lieferkettengesetz ein wichtiger Schritt im Kampf für die Achtung der Menschenrechte weltweit ist.

Weitere Infos: https://ijm-deutschland.de/

 

Dorothea Schweizer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Diakoniewissenschaftlichen Institut.

Seitenbearbeiter: E-Mail
Letzte Änderung: 27.05.2021
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