Siegel der Universität Heidelberg
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Die Ruperto Carola in ihrer dunkelsten Zeit

11. April 2007

Gleichgeschaltete Hochschule unterm Hakenkreuz: "Die Universität Heidelberg im Nationalsozialismus" – Herausgeber: Wolfgang U. Eckart, Volker Sellin und Eike Wolgast


Die Universität Heidelberg im Nationalsozialismus  
Erschütterndes Dokument: Nazi-Feier vor der Neuen Universität Heidelberg.
Foto: Titelbild

Von der äußeren Gestalt auf den inneren Gehalt eines Buches zu schließen, ist nicht unbedingt ein probates Mittel, um hochwertige Lektüre auszuwählen. Im Falle der nun vorgelegten Geschichte der Ruperto Carola im Nationalsozialismus jedoch ist dies durchaus möglich. Immerhin legten die drei Heidelberger Herausgeber ein ebenso umfangreiches wie ambitioniertes Werk zur Universität in den zwölf dunkelsten Jahren der deutschen Vergangenheit vor.

Auf knapp 1300 Seiten gehen 36 Autoren der Frage nach, wie sich das nationalsozialistische Regime auf die Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg auswirkte. Zwar gab es schon früher Publikationen zum Thema, doch fehlte eine Arbeit, die sich sämtlichen Disziplinen in der Zeit des Dritten Reichs widmet. Hierbei darf man indes nicht die Maßstäbe einer heutigen Massenuniversität anlegen, sank doch die Zahl der in Heidelberg Immatrikulierten – auch durch staatliche Einflussnahme – von rund 3300 zum Zeitpunkt der Machtergreifung bis 1939 kontinuierlich und erreichte in diesem Jahr mit knapp 1900 den Stand von 1905, wie Prof. Eike Wolgast vom Historischen Seminar Heidelberg darlegt. Er beschäftigte sich als Mitherausgeber mit der Studentenschaft, die bereits vor 1933 rechte Tendenzen aufwies.


Keine offene Opposition

Schon während der Weimarer Republik hatten sich viele Nachwuchsakademiker für nationalsozialistisches Gedankengut begeistern können, was sich etwa im guten Abschneiden des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes bei den Asta-Wahlen am 19. und 20. Januar 1933 zeigte, bei denen der NSDStB 18 von 39 Sitzen erringen konnte. Führer des NSDStB war der Medizinstudent Gustav Adolf Scheel, der unter den politisch schwachen Rektoren Andreas und Groh eine maßgebende Rolle bei der Umgestaltung der Universität spielte und bald eine bedeutende Position innerhalb der gleichgeschalteten Hochschule einnahm, nachdem er bereits im Sommersemester 1933 die Exmatrikulation von 49 Studierenden mit angeblich kommunistisch-marxistischer Gesinnung befürwortet hatte. Er organisierte Boykottaktionen gegen Hochschullehrer und war schon 1936 Reichsstudentenführer.

Wolgast legt dar, dass es unter den Studierenden in Heidelberg niemals eine offene Opposition gab. Zudem schlossen sich auch die Korporationen den Nationalsozialisten an – die parteipolitischen Studentenorganisationen waren bereits 1933 unterdrückt worden. Doch auch den Korporationen gewährte ihre Anpassung nur eine Galgenfrist, bereits zwei Jahre später mussten sie sich dem Monopolanspruch des NSDStB unterordnen, was Heidelberg indes nicht von anderen Universitätsstädten unterschied.

Eine Sonderstellung nahm die Stadt hingegen in Bezug auf die politische Arbeit ein, schlug sich doch die anfänglich in der Propaganda zu findende Idee des deutschen Sozialismus im so genannten Fabrikdienst nieder, bei dem Heidelberger Studenten sich um die ideologische Schulung von Mannheimer Arbeitern bemühten sowie mit unentgeltlicher Arbeit in Betrieben erholungsbedürftigen Arbeitern einen zusätzlichen bezahlten Urlaub ermöglichten. Die mehrjährige Aktion macht deutlich, wie stark die zuvor sehr auf Autonomie bedachte Universität in den gleichgeschalteten Staat integriert war.

"Der nationalsozialistische Staat strebte danach, die Universitäten vollständig seinen politischen und weltanschaulichen Grundsätzen zu unterwerfen. Ein solches Ziel war nicht ohne tiefe Eingriffe in die Universitätsverfassung, in das Beamtenrecht und in die Freiheit von Forschung und Lehre zu verwirklichen", schreibt Mitherausgeber Prof. Volker Sellin (Historisches Seminar) in seinem Beitrag, der sich dem Rektorat in den Jahren bis 1938 widmet.


Entfernung jüdischer Professoren

Auf den noch zu Zeiten der universitären Autonomie gewählten Willy Andreas folgten 1933 Wilhelm Groh und zwei Jahre später Ernst Krieck, während parallel die Entfernung jüdischer Professoren und anderer Lehrender betrieben wurde. So wurden in drei Schüben zwischen 1933 und 1937 insgesamt 56 Angehörige des Lehrkörpers – darunter 21 Ordinarien – entlassen, was einem Drittel entsprach.

Unter den verbliebenen Professoren fanden sich alle politischen Abstufungen, die das ganze Kaleidoskop zwischen strikter Ablehnung des braunen Regimes und dessen tatkräftiger Unterstützung füllten. Überzeugt waren etwa der Volkskundler Eugen Fehrle, der Internist Johannes Stein oder der Kriegshistoriker Paul Schmitthenner, während der Psychiater Carl Schneider gar in das Euthanasieprogramm verwickelt war, wie auch generell die Medizin am meisten an den Verbrechen der Nazis teilhatte. In Opposition zum Regime standen hingegen der Theologe Martin Dibelius oder der Psychologe Willy Hellpach. Noch vor Kriegsende entließen die im März 1945 einmarschierten Amerikaner dann 37 der 56 ordentlichen Professoren des Wintersemesters 1944/45 wegen ihrer Verbindung zum Regime. Zehn der Entlassenen kehrten nach erfolgter Entnazifizierung auf ihre Lehrstühle zurück, weitere neun erhielten zum Teil später einen Lehrstuhl an anderen deutschen Universitäten.

Mitherausgeber Prof. Wolfgang U. Eckart beschäftigte sich mit den NS-Dozentenschaftsführern. Eckart, tätig am Institut für Geschichte der Medizin, beleuchtet eines der am tiefsten in die Universität reichenden ideologischen Instrumente. Immerhin hatte Rudolf Heß als Stellvertreter des Führers im Juli 1935 mit dem Nationalsozialistischen Deutschen Dozentenbund (NSDDB) – der als offizielle Parteigliederung an den Hochschulen aus dem Nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB) und dem Nationalsozialistischen Dozentenbund (NSDB) hervorgegangen war – ein effektives Gleichschaltungsinstrument geschaffen. Denn der NSDDB unterstand als eine an der Universität beheimatete Gliederung direkt der NSDAP und konnte so bis zum Ende der Diktatur Einfluss nehmen. Rein rechtlich waren zwar "nur" die in der NSDAP organisierten Hochschullehrer Mitglied, doch erstreckte sich der Einfluss des NSDDB auf die Gesinnung aller Mitglieder der Dozentenschaft – also auf Ordinarien und habilitierte Dozenten ebenso wie auf Berufungskandidaten und Habilitanden, was deutlich macht, wie sehr die Nazis die Universität zu durchdringen vermochten.

Durchsetzung des Führerprinzips indes machen nicht nur die Beiträge der Herausgeber – die sich vor allem mit den die ganze Universität umfassenden Bereichen wie eben der Professorenschaft beschäftigten –, sondern auch die vielen weiteren Aufsätze deutlich, wie sich die Durchsetzung des Führerprinzips, die Aufhebung der Autonomie, die Vertreibung von Dozenten oder die Einflussnahme der Partei auf die Disziplinierung der Studierenden in der Realität gestaltete. Die Fülle der Reaktionen – von verbrecherischer Forschung bis zu unspektakulärer Anpassung und mitunter kühler Distanzierung – darzustellen, das ist das Verdienst dieses Werks, das die Fachdisziplinen vom Ende der Weimarer Republik bis zum Neubeginn nach dem Untergang des Dritten Reiches begleitet.

Da die drei Herausgeber Wissenschaftler der Universität aus allen Fachbereichen für einen Beitrag gewinnen konnten, darf man den Sammelband als eine gemeinsame Anstrengung der Universität bezeichnen, die sich dem dunkelsten Kapitel ihrer Geschichte stellte. Somit wurde ein ebenso überfälliger wie lobenswerter Schritt getan, der der Ruperto Carola zur Ehre gereicht. Die Autoren schildern jedoch nicht nur die größeren und kleineren Rechtsbrüche und Gewaltakte, sondern geben auch Einblick in den Alltag einer gleichgeschalteten Universität unterm Hakenkreuz.

Heiko P. Wacker
© Rhein-Neckar-Zeitung

 

Info: Wolfgang U. Eckart, Volker Sellin, Eike Wolgast (Hrsg.): "Die Universität Heidelberg im Nationalsozialismus". Springer Medizin Verlag, Heidelberg 2006. 1277 S., gebunden; 49,95 Euro.



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Pressesprecher der Universität Heidelberg
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Irene Thewalt
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