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Forschen auf einem Nadelstich im Pazifik

2. Februar 2007

Die Heidelberger Ethnologin Stephanie Walda schreibt ihre Dissertation über die Sonsorolesen


Als Stephanie Walda das Weihnachtspaket ihrer Familie auspackte, war die Schokolade geschmolzen, und besser als ein Nikolaus hätte ein Osterhase zur Jahreszeit gepasst. Das Päckchen war von Deutschland aus satte fünf Monate unterwegs gewesen, was nicht an postalischen Schlampereien, sondern an der Entfernung lag; Zielort war nämlich das Pazifik-Inselchen Sonsorol.

Das ist nur ein Nadelstich im Pazifik und liegt (sehr grob gesagt) nordwestlich von Papua Neuguinea. Hier hat die Heidelberger Ethnologin ein Jahr lang untersucht, wie sich Migration und sozialer Wandel auf die Menschen auf Sonsorol auswirken. Stephanie Walda schreibt darüber gerade am Institut für Ethnologie der Universität Heidelberg bei Professor Jürg Wassmann ihre Dissertation.

Ein Stipendium der VW-Stiftung finanziert ihre Feldforschungen, denn außer auf Sonsorol arbeitete die Wissenschaftlerin auch drei Monate im amerikanischen Portland/Oregon. Hier leben inzwischen rund 25 ausgewanderte Sonsorolesen, und Stephanie Walda ist ihren Spuren gefolgt. "Um herauszufinden, wie äußere Einflüsse die Identität der Menschen prägen, muss man mit ihnen gelebt haben", unterstreicht die 32-Jährige. Deshalb startete Stephanie Walda im November 2004 Richtung Südsee, um ein Jahr lang den Alltag mit den Sonsorolesen zu teilen.

Mit Traumurlaub hatte das wenig zu tun, obwohl weiße Sandstrände, sich im Wind wiegende Palmen und ein Dauerklima von 30 Grad diesen durchaus ermöglicht hätten. Auf dem zwei Quadratkilometer großen Inselchen, das nur über eine 22 Stunden dauernde Bootsfahrt zu erreichen ist, leben noch acht Erwachsene und sieben Kinder. Sonsorol gehört zu den Southwest Islands, die wiederum zu Mikronesien gehören, das wiederum zu Ozeanien gehört.

Damit die Deutsche in der fremden Kultur nicht völlig verloren war, wurde die junge Frau zunächst einmal "adoptiert", und zwar von der Familie der ehemaligen Gouverneurin. "Ich bin ein Einzelkind und fand es ganz toll, auf einmal drei Brüder und eine Schwester in meinem Alter zu haben", erzählt Stephanie Walda. Als "Tochter" stand sie nun unter dem Schutz ihrer Familie und durfte an allen Zeremonien teilnehmen; stark beeindruckt ist die junge Frau noch heute von der Fürsorglichkeit, mit der sich besonders ihre neue "Mutter" um sie kümmerte. Natürlich habe sie Familie und Freunde oft vermisst, gesteht sie, aber Leben und Arbeit seien so faszinierend gewesen, dass sie gleichzeitig völlig in ihr neues Leben eintauchen konnte.

Ohne Strom, ohne fließendes Wasser und ohne ärztliche Versorgung lebte Stephanie Walda, Meeresschildkröten gehörten ebenso auf ihren Speisezettel wie Fledermäuse, und beides stellte für die Vegetarierin eine echte Herausforderung dar. Recht einfach hingegen war die Verständigung: neben Sonsorolesisch sprechen alle Bewohner Englisch. Mit einem kleinen Aufnahmegerät führte die Ethnologin viele Interviews und schrieb die Protokolle in ihr Laptop; dessen Akkus konnte Stephanie Walda gelegentlich auf Koror (Palau) aufladen. So riss auch der Kontakt zu Deutschland nicht ab, E-mails und Internet überbrückten schnell Zeit und Raum.

Als Stephanie Walda im November 2005 nach Heidelberg zurückkam, war ihr dennoch vieles fremd geworden. "Hier war es eisig kalt und unheimlich hektisch", erinnert sich die gelernte Buchhändlerin, die an ihrem Arbeitsplatz in der Buchhandlung Schmitt und Hahn mit offenen Armen wieder aufgenommen wurde. Jetzt ist die Ethnologin dabei, ihre Dissertation zu schreiben; auch die Gespräche, die sie letztes Jahr in den USA mit ausgewanderten Sonsorolesen gemacht hat, werden einbezogen. "Einige der Ausgewanderten könnten sich vorstellen, noch einmal für einige Zeit nach Sonsorol zurückzukommen", berichtet sie. Besonders für Familien mit kleinen Kindern sei das Inselchen mit seinen wunderbaren Sandstränden ein Paradies.

Stephanie Walda selbst plant, im nächsten Jahr noch einmal rund um den Globus zu fliegen, um ihre "Familie" zu besuchen. Vorerst helfen E-Mails, in Kontakt zu bleiben. Weihnachtspost hat sie ihnen auch geschickt, aber ohne Schokolade.

Ingeborg Salomon
© Rhein-Neckar-Zeitung



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