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Letzter Grandseigneur

15. Februar 2007

Der Heidelberger Philosoph Rüdiger Bubner starb mit 65 Jahren


Der Heidelberger Philosoph Rüdiger Bubner starb mit 65 Jahren  
Foto : Welker

Rüdiger Bubner war einer der brillantesten Köpfe der deutschen Nachkriegsphilosophie. 1941 in Lüdenscheid geboren, galt er bald als ein Wunderkind der Philosophie: mit 17 Abitur am Ort, anschließend Studium in Tübingen, Wien, Heidelberg und Oxford, mit 23 in Heidelberg promoviert (bei Gadamer und Habermas), mit 32 den ersten Lehrstuhl in Frankfurt. Dort hatte er die Nachfolge Theodor W. Adornos angetreten. Die frühe Karriere war gut vorbereitet, aber dennoch erstaunlich, weil Bubner mit all seiner Jugendlichkeit eher die Sache der Alten zu vertreten schien. Von der Abrechnung mit der Vätergeneration und ihrer Bürgerlichkeit hielt er nicht viel, am wenigsten in Bildungsangelegenheiten. Das Rebellisch-Werden der akademischen Sitten war ihm ein Leben lang zuwider.

Ein Stück weit zeigte sich hier die beruhigende Wirkung seines Lehrers Hans-Georg Gadamer und seiner Heidelberger Schule der Hermeneutik. Das geduldige Textstudium und das Vertrauen auf die Klassiker waren das Konzept der 60er Jahre, im ‚Zeitalter der Extreme' zurück zu einer humanistischen Mitte zu finden. Bei Bubner schien diese Haltung aber bereits mehr als ein Zeitreflex zu sein. Das zeigte sich nicht zuletzt daran, dass es ihm auch politisch ernst war. Als 68 begann, mit den bürgerlichen Traditionen zu brechen und den politischen Diskurs zu radikalisieren, bestand er wie kein anderer weiterhin auf einem groß gedachten Bürgertum. Es war für ihn mehr als eine philosophiehistorische Erinnerung, dass der Kern jeder anspruchsvollen Gemeinschaft in einer politischen Exzellenz besteht, wenn man diese noch richtig versteht: von Bürgern, die die Größe haben, über ihre besonderen und eigenen Interessen noch einen Sinn für das Ganze zu entwickeln. Wo diese großherzige Grundhaltung nicht vorhanden ist, könne die ganze Rationalität der Verfahren und Techniken in der Moderne nicht mehr helfen. Dies war nicht zuletzt an die Adresse der Frankfurter Schule gerichtet. In langen Disputen mit Habermas bestand Bubner während seiner Frankfurter Jahre darauf, dass auch der herrschaftsfreie Diskurs ohnmächtig bleibt, wenn ihm nicht die bürgerlichen Lebensformen von vornherein entgegenkommen. Die Beschreibung als Neo-Aristoteliker, die ihm Habermas verleihen wollte, konnte er so auch als eine Art Ehrentitel verstehen - wenn das Alte immer schon das Neue ist, zu dem es keine wirkliche Alternative gibt.

Mit dem Wechsel nach Tübingen Ende der 70er Jahre ist die Zeit der ideologischen Kämpfe im wesentlichen vorbei. Der lange Gang durch die Institutionen beginnt. Die Grundeinsicht muss an den verschiedenen Schulen und Traditionen erprobt werden. Am Ende gilt es, frei nach Hegel, Tübingen zum Versammlungsort des Weltgeistes zu machen und das Forum für sich einzunehmen. Wer das Glück hatte, Bubner in den 80er Jahren zu hören, durfte miterleben, wie glanzvoll dies geschehen kann. "So hat man diesen oder jenen Klassiker noch nie gesehen" - das sagte Bubner selbst einmal auf die Frage, was ein Philosoph am besten leisten könnte. Und wer da war wusste, dass ihm dies gelungen war wie vielleicht keinem anderen. Es ist so gesehen auch nicht wirklich erstaunlich, dass für Bubner neben der politischen Philosophie und der Geschichtsphilosophie schließlich die Ästhetik zu einem Zentrum seines Denkens wurde. Philosophie, die so betrieben wird, muss wie ein Kunstwerk sein: sie gibt immer viel mehr zu verstehen, als das, was sich sagen lässt. Der Wechsel nach Heidelberg im Sommer 1996 war zweifellos ein Rückgang zu den akademischen Wurzeln, biographisch wie philosophisch. Die politische Philosophie wird noch einmal prominent, nicht zuletzt als Folge der Wende von 1989. Es scheint ihm anfangs, als könnte man noch einmal einen Trumpf ausspielen und finden, man habe doch am Ende recht behalten. Der alte Frankfurter Disput würde jetzt durch die historischen Fakten entschieden. Dennoch bleibt die Vorsicht leitend, dass womöglich die ganze Debatte nicht mehr aktuell sein könnte, angesichts von Tempo und Radikalität der Veränderungen. Nach 2001 erst recht. Nicht umsonst nennt er seine Beiträge Zwischenrufe, die vom Philosophen ausgehen können, als Eindrücke aus den bewegten Jahren. Nach dem Tod Gadamers im Jahr 2002 wird Bubner zum letzten Statthalter der Heidelberger Hermeneutik. Ein Titel, den er selbst übrigens so nicht gerne annehmen wollte. Es schien ihm, als könne die Philosophie nur aus der ständigen Erneuerung ihrer Grundlagen heraus leben, einer andauernden Jugendlichkeit im Umgang mit sich selbst. So blieb er bis zum Ende der aufstrebende Philosoph, der die Philosophie schon dadurch verändert, dass er immer vielversprechend ist. Rüdiger Bubner starb am vergangenen Freitag im Alter von 65 Jahren.

Martin Gessmann



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