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Studieren an der Datumsgrenze

9. Januar 2007

Der Heidelberger Ethnologie-Student Julius Riese will wissen, wie die Samoaner ihre eigene Kultur fern der Südseeklischees untersuchen


Ein Auslandssemester in Samoa – das klingt beneidenswert. Vor allem jetzt im Winter ist es da verlockend, in Gedanken ein wenig bei den beliebten Südseeklischees vom tropischen Inselparadies zu verweilen. Doch Julius Riese, Student am Institut für Ethnologie der Universität Heidelberg, hat sich für seinen Aufenthalt in dem polynesischen Inselstaat ehrgeizige wissenschaftliche Ziele gesetzt. Er möchte nicht nur die National University of Samoa in der Hauptstadt Apia besuchen, sondern vor Ort eine erste Feldforschung absolvieren.

Um sich mit den Einheimischen verständigen zu können, steht für Riese zunächst das Erlernen der samoanischen Sprache auf dem Programm. Neben Sprachkursen plant er, Seminare über samoanische Kultur und Geschichte zu besuchen, die am Institute of Samoan Studies der National University of Samoa angeboten werden. Als Heidelberger Student findet Riese es dabei besonders spannend, ein anderes akademisches Umfeld kennen zu lernen: "Die Uni in Samoa ist eine indigene Universität und vermutlich nicht so westlich geprägt wie jene in Neuseeland oder Australien", sagt Riese, "sie bietet die einmalige Kombination, gemeinsam mit samoanischen Studierenden von samoanischen Dozenten etwas über Samoa zu lernen." Tatsächlich drehen die Samoaner den Spieß um, indem sie an der National University of Samoa selbst ethnologische Samoa-Studien betreiben. Der Archipel ist seit dem 19. Jahrhundert Objekt intensiver westlicher ethnologischer Forschung.

Ethnographien wie Margaret Meads Klassiker "Coming of Age in Samoa" aus dem Jahre 1928 prägen bei uns bis heute das Bild von der Südsee als Ort unbeschwerten, friedlichen Lebens und unberührter, paradiesisch anmutender Natur. Meads vielgelesenes Buch ist in der Fachwelt jedoch heftig umstritten. Umso bedeutender erscheint es, dass die Samoaner spätestens mit der Gründung des Institute of Samoan Studies im Jahr 1999 sich selbst zum Forschungsobjekt gemacht haben.

Es ist diese Sichtweise der Einheimischen, die Riese am meisten interessiert und Gegenstand seiner geplanten Recherchen ist. Warum forschen samoanische Ethnologen über und studieren junge Samoaner ihre eigene Kultur? Welche Lebensplanung verfolgen die Studenten dort? Was wollen sie mit ihrem Hochschulabschluss beruflich anfangen? Vor dem Hintergrund der deutschen Kolonialherrschaft im westlichen Teil des Archipels von 1900 bis zum Ersten Weltkrieg ist Riese außerdem gespannt, wie er als Student aus Deutschland von den Samoanern aufgenommen wird.

Während Riese in Samoa mehr über die Perspektive der Einheimischen erfahren will, machte er sich im Vorfeld seines Auslandssemesters daran, die deutsche Wahrnehmung Samoas und der Südsee zu erkunden. "Die hier weit verbreiteten Südseeklischees sagen mindestens genauso viel über uns selbst aus wie über die Samoaner", findet er. So kam es, dass eine Kuriosität den Studenten zu einer Exkursion nach Sylt veranlasste. Dort trägt ein – pikanterweise FKK-Strandabschnitt den Namen "Samoa". Riese recherchierte in der Kurverwaltung, im Heimatverein, in Hotels und Restaurants sowie im Archiv der Insel Sylt und fand heraus, dass das Motiv für die Namensgebung niemandem wirklich klar war. Einige vermuteten einen Zusammenhang zwischen dem feinen Sandstrand, der unberührten Natur Samoas und den dort ebenso unbekleideten Einwohnern. Margaret Mead lässt grüßen. Nach seinen Forschungen auf Sylt sieht Riese auch die koloniale Vergangenheit als einen möglichen Grund für die Benennung an: "Vielleicht wollte sich Deutschland mit Strandnamen wie diesem ein paar Plätze an der Sonne erhalten, nachdem es im Ersten Weltkrieg seine Kolonien verloren hatte." Julius Riese hat es gut: Jetzt ist er in der Südsee. Doch am Strand wird er mit seinen ehrgeizigen wissenschaftlichen Plänen wohl weniger Zeit verbringen.

Eva Pfeiffer
© Rhein-Neckar-Zeitung, Heidelberg

 



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