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"Es gibt die Verpflichtung, im Irak zu bleiben"

23. Januar 2007

Demokratieforscher Wolfgang Merkel sieht ein Recht für militärische Interventionen – Am Donnerstag ist er zu Gast im DAI – Merkel lehrte von 1999 bis 2004 am Institut für Politikwissenschaft der Universität Heidelberg und ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Ruperto Carola


Herr Professor Merkel, heute gab es wieder Anschläge in Bagdad mit 70 Toten. Zählen Sie die Toten in der jungen "Demokratie" Irak noch?


Der gegenwärtige Irak ist keine Demokratie – auch wenn Bush das so wollte. Damit zeigt sich, dass seine missionarische Vision eine gefährliche Illusion war. Die Toten zu zählen ist im Übrigen schwer. Man weiß nicht, wie viele Opfer es sind – es sind aber auf alle Fälle zu viele.


Sie suchen nach dem Zusammenhang zwischen Demokratie durch Krieg. Vor dem Hintergrund Irak und Afghanistan könnte man annehmen, die Frage zu stellen, würde sich erübrigen.


Nein. Ich meine, dass es Situationen gibt, in denen die demokratische Welt die humanitäre Pflicht hat, zu intervenieren.


Krieg als letztes Mittel der Wahl lehnen Sie gar nicht ab?


Das kann man gar nicht ablehnen. Wenn fundamentale Menschenrechte verletzt werden und wenn es einen Völkermord zu stoppen gilt, gibt es ein Recht und eine ethische Pflicht zu intervenieren. Dies wird mittlerweile von fortgeschrittenen Denkern über das staatliche Souveränitätsrecht gestellt. Und das ist richtig so.


Da werden Sie von Kriegsgegnern Widerspruch erhalten.


Das weiß ich. Ich halte aber diese Form von gesinnungsethischem Pazifismus für reflexionsarm und verantwortungsscheu. Hier ist schwierige Verantwortungsethik gefragt.


Wie können Interventionen erfolgreich sein?


Wer interveniert muss eine Verpflichtung für die Nachkriegszeit eingehen. Es genügt nicht, nur den Diktator zu stürzen. Es muss auch eine reale Chance geben, rechtsstaatliche Grundlinien zu etablieren, damit unter dem neuen Regime Menschenrechtsverletzungen nicht mehr möglich sind. Vor allen Dingen wird man sich in kulturelle, historische, soziale Kontexte hineinversetzen müssen. Dies nicht zu tun, war einer der vielen Fehler der USA im Irak. Mit ihrer arroganten Sicht hatten sie angenommen, sie würden als Befreier in der arabisch-islamischen Welt begrüßt werden – nicht erkennend wie sie gerade dort verhasst sind.


Viele politisch Interessierte setzen Hoffnungen auf die Demokraten in den USA. Was würde sich ändern, wenn der nächste Präsident aus deren Lager kommt?


Die Demokraten werden stärker nach multilateralen Lösungen und nicht nach unilateralen Diktaten suchen. Die Interventionsbereitschaft wird aber auch unter Demokraten nicht zurückgehen. Ich glaube, abweichend vom Baker-Hamilton-Report, dass es eine internationale Verpflichtung gibt, im Irak zu bleiben. Die Truppen abzuziehen macht einen nicht gerechten Krieg nur noch ungerechter. So würde einem fundamentalistischen Sektenkrieg freien Lauf gelassen. Der könnte Iran, Syrien und Saudi-Arabien auf den Plan rufen und den ganzen Mittleren Osten in Brand setzen. Das kann niemand wollen, auch nicht die aufrechten Gesinnungspazifisten.

Alexander R. Wenisch
© Rhein-Neckar-Zeitung


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